Hahn, Paul Julius 

Geburtsdatum/-ort: 05.04.1883;  Obertürkheim
Sterbedatum/-ort: 02.04.1952;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Kunstmaler, Organisator der Sicherheitswehr in Württemberg
Kurzbiografie: 1897-1910 Präparandenanstalt Nürtingen, Lehrtätigkeit in Stuttgart, Studium an der Kunstgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart
1911 Eröffnung einer graphischen Kunstanstalt in Stuttgart
1914-1917 Kriegsfreiwilliger und Landwehroffizier (Leutnant) an der Ost- und Westfront
1918 wegen Typhuserkrankung Lazarettaufenthalt und Versetzung zum Ersatztruppenteil nach Isny, 09.11. Wahl in den Soldatenrat von Isny, 13.12. vom Landesausschuß der Soldatenräte mit der Aufstellung von Sicherheitskompanien beauftragt
1919 09.01. Niederwerfung des Spartakusaufstands in Stuttgart, 17.03. Ernennung zum Befehlshaber der Sicherheitstruppen, 21.10. zum Leiter der Polizeiwehr
1920 Ernennung zum Oberpolizeidirektor und Leiter der Polizeibefehlsstelle im Württembergischen Innenministerium
1922 22.04. Amtsenthebung wegen Differenzen mit dem Innenminister
1923 31.03. Beendigung des Dienstverhältnisses als Oberpolizeidirektor
1923-1935 Freiberufliche Tätigkeit als Designer
1935-1944 Beratende Funktion im Robert-Bosch-Konzern. Verbindung zum Widerstand (Dr. Goerdeler)
1944 08.08. Verhaftung nach dem Mißlingen des Attentats auf Hitler
1945 28.02. Verurteilung zu einer 3jährigen Zuchthausstrafe durch den Volksgerichtshof, 28.04. Befreiung durch russische Truppen aus dem Zuchthaus Brandenburg, Juni-September „Chef der deutschen Staatspolizei für Württemberg“
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1919 Stuttgart, Ida Selma Margareta, geb. Herkommer (1894-1959)
Eltern: Georg Friedrich Hahn (1849-1918), Schlosser
Karoline Pauline, geb. Brandseph (1849-1926)
Geschwister: 6
Kinder: 1
GND-ID: GND/123632080

Biografie: Friedrich Wilhelm (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 187-189

In den letzten Tagen des Jahres 1918 hatte im Stuttgarter Raum die Aufstellung jener Sicherheitstruppen begonnen, denen im Januar 1919 die Vereitelung des von den Spartakisten inszenierten Putsches zu verdanken war. Durch ihren Einsatz blieb Württemberg vor einer Räteregierung bolschewistischer Prägung bewahrt. Als Initiator dieser neuen Organisation trat damals ein vorher unbekannter Offizier, der Leutnant der Landwehr Hahn, in den Vordergrund. Im April 1883 als Sohn eines Schlossers in Obertürkheim geboren, hatte dieser auf Wunsch seines Vaters an der Präparandenanstalt in Nürtingen eine Lehrerausbildung absolviert und 5 Jahre lang in Stuttgart diesen Beruf auch ausgeübt. Schon nebenher widmete er sich an der Kunstgewerbeschule dem Kunststudium, das er anschließend an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart vervollkommnen konnte. In den Schuldienst kehrte Hahn nicht zurück, betätigte sich vielmehr als Kunstmaler und gründete 1911 eine Werkstatt für graphische Kunst.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Kriegsfreiwilliger bei den Dragonern, kam im Oktober 1914 ins Feld und wurde im August 1916 zum Leutnant der Landwehr befördert. Bis zu einer Typhuserkrankung im Herbst 1917 führte Hahn, in der Zwischenzeit zur Infanterie versetzt, eine Maschinengewehrkompanie an der Westfront. Der erforderlich gewordene Lazarettaufenthalt hatte eine Kommandierung zum Ersatztruppenteil in Isny zur Folge. Hier erlebte er die Revolution und wurde noch am Abend des 9. November in den örtlichen Soldatenrat gewählt. In dem Anfang Dezember in Stuttgart tagenden Landesausschuß der Soldatenräte vertrat er die Garnisonstädte Isny und Leutkirch. Nachdem er dort seinen Plan für die Aufstellung von Sicherheitskompanien vorgetragen hatte, wurde Hahn am 11. Dezember 1918 in den erweiterten Landesausschuß gewählt und bereits zwei Tage später mit dem Aufbau der neuen Organisation betraut.
Von seinem Gefechtsstand im Turm des noch unvollendeten Stuttgarter Hauptbahnhofs aus erteilte Hahn am Abend des 9. Januar den von ihm aufgestellten Sicherheitskompanien den Befehl, das Gebäude des von den Spartakisten besetzten „Stuttgarter Neuen Tagblatts“ und die als ihr Waffenlager dienende Akademie zu räumen. Weitere Demonstrationen am folgenden Tag, so vor dem Gebäude der „Württemberger Zeitung“, konnten auf Hahns Geheiß mit der Waffe zerstreut werden.
Mit Wirkung vom 17. März 1919 wurde Hahn von der württembergischen Staatsregierung zum Befehlshaber der Sicherheitstruppen ernannt. In einer an das Innenministerium gerichteten Denkschrift vom August 1919 plädierte er für eine Vereinheitlichung des württembergischen Polizeiwesens. Die bisherige Zentralleitung der Sicherheitstruppen wurde daraufhin als Oberleitung der Polizeiwehr und der Einwohnerwehr unter Hahn im Ministerium des Innern angesiedelt.
Es ist kaum bekannt, daß die Polizeiwehr in den Tagen des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 den Schutz der aus Berlin nach Stuttgart geflohenen Reichsregierung und Nationalversammlung übernommen hatte.
Aufgrund der sogenannten Polizeinote der Alliierten vom 22. Juni 1920, die die Auflösung der Sicherheitspolizei verlangte, wurde im Innenministerium eine „Polizeibefehlsstelle“ geschaffen, deren Leitung als Ministerialberichterstatter wieder Hahn unter Ernennung zum Oberpolizeidirektor übertragen bekam. Mit diesem Strukturwandel nahm die staatliche Polizeiverwaltung in Württemberg allmählich Gestalt an. Die von Hahn in weiteren Denkschriften unterbreiteten Vorschläge dienten dabei als Richtschnur. Seine eigenwilligen Zentralisierungsgedanken stießen jedoch auf Widerspruch. Mit dem Minister des Innern kam es über die Hahn in Zukunft zugedachte Stellung zum Zerwürfnis und zu seiner Amtsenthebung am 22. April 1922. Sein Dienstverhältnis als Oberpolizeidirektor wurde zum 31. März 1923 gekündigt. Verbittert zog sich Hahn ins Privatleben zurück. Er schrieb seine Erinnerungen aus der Revolutionszeit unter dem Titel „Der Rote Hahn, eine Revolutionserscheinung“ nieder und betätigte sich freiberuflich als Designer mit der Konstruktion von Stahlmöbeln. 1935 erhielt er vom Robert-Bosch-Konzern den Auftrag, sein organisatorisches Talent bei den Planungen für das Robert-Bosch-Krankenhaus einzubringen. Diese Aufgabe führte ihn im Krieg mit dem als Berater in Finanzfragen ebenfalls in die Firma Bosch eingetretenen ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Dr. Carl Goerdeler zusammen, der Hahn im Jahr 1942 in einem Gespräch mit seiner kritischen Beurteilung der politischen und militärischen Lage des Deutschen Reiches bekanntmachte und für eine Mitwirkung an leitender Stelle im Polizeiwesen nach einem geglückten Staatsstreich zu gewinnen suchte.
Nach dem mißlungenen Attentat vom 20. Juli 1944 kam die ermittelnde Sonderkommission der Geheimen Staatspolizei auch auf die Spur Hahns. Er wurde am 8. August 1944 verhaftet und angeklagt, weil er das ihm bekanntgewordene Hochverratsvorhaben nicht angezeigt hatte. In dem am 28. Februar 1945 vor dem Volksgerichtshof durchgeführten Prozeß kam Hahn mit einer dreijährigen Zuchthausstrafe davon. Aus dem Zuchthaus Brandenburg befreiten ihn dann russische Truppen zwei Monate später.
Zu Fuß machte er sich auf den Weg in seine württembergische Heimat. In Stuttgart angekommen, wurde Hahn Mitte Juni 1945 von der französischen Militärregierung als „Chef der deutschen Staatspolizei für Württemberg“ eingesetzt. Die über die Organisation der neu aufzubauenden Polizei divergierenden Auffassungen der französischen und der amerikanischen Besatzungsmacht bereiteten Hahn solch große Schwierigkeiten, daß er im Herbst 1945 resignierte und danach in einer öffentlichen Funktion nicht mehr in Erscheinung trat.
Nach längerem Krankenlager ist Hahn am 2. April 1952 in Stuttgart verstorben.
Mag sich auch Oberpolizeidirektor Hahn mit seinem betont selbstbewußten und bisweilen eigenwilligen Auftreten nicht nur Freunde geschaffen haben – seine Verdienste um die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Land während der bewegten Nachkriegsjahre sind unbestritten und stets respektiert worden.
Quellen: HStAS Akten des Württembergischen Ministeriums des Innern, Rep. E 130b/1060 u. 1062
Werke: Erinnerungen aus der Revolution in Württemberg. „Der Rote Hahn, eine Revolutionserscheinung“, 1922, 140 S.
Nachweis: Bildnachweise: Foto im Bildanhang von: W. Kohlhaas, Chronik der Stadt Stuttgart 1918-1933, 1966

Literatur: Friedrich Wilhelm, Der „Rote Hahn“, in: Die Kriminalpolizei 8. Jg. (1990); Wilhelm Kohlhaas, Paul Hahn, Oberpolizeidirektor, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 17 (1991)
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