Diez, Carl 

Geburtsdatum/-ort: 08.01.1877;  Öhningen
Sterbedatum/-ort: 24.06.1969;  Radolfzell
Beruf/Funktion:
  • Landwirt, Spediteur, Ministerialdirektor, Badischer Landwirtschaftsminister, Landwirt, MdR-Z
Kurzbiografie: 1884 Eintritt in die Volksschule Öhningen
1893 Landwirtschaftliche Winterschule in Radolfzell
1897 Gutsverwalter
1898 Militärdienst in Ludwigsburg
1904 Übernahme der Güterbestätterei des Schwiegervaters in Radolfzell
1912 Wahl zum Reichstagsabgeordneten des badischen Wahlkreises I (Konstanz)
1914 Kriegswehrdienst beim Rheinbrückentrain in Kehl, sodann im Elsaß
1917 Funktion als Wirtschaftsoffizier in Rumänien mit dem Rang Vizefeldwebel
1918 Nach Kriegsende Vorsitzender des Bezirksbauernrats Konstanz
1919 Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar
1919 Wahl zum Reichstagsabgeordneten, mehrfach wiedergewählt
1921 schwer verletzt beim Attentat auf Mathias Erzberger nahe Bad Griesbach
1933 Erste Verhaftung durch die Gestapo
1944 Weitere Verhaftungen
1946 Ministerialdirektor mit Bezeichnung Landwirtschaftsminister in der Regierung des Landes Baden in Freiburg
1947 Ausscheiden aus dem Amte
1961 Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes
1965 Ehrenbürger der Gemeinde Öhningen
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 01.04.1902 Radolfzell, Stefanie, geb. Vogler (1877-1961)
Eltern: Ambros (1835-1904), Schneidermeister
Pauline, geb. Felix (1839-1895)
Geschwister: 1 Schwester, 2 Stiefbrüder
Kinder: Theodor, Claudia, Pauline, Antonie, Theopont, Melanie, Clemens, Elmar, Gertrud, Gebhard, Stephanie, Jolanda
GND-ID: GND/126296405

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 32-34

In der Bodenseegemeinde Öhningen, malerisch über dem Ufer des Untersees gelegen, ist Diez geboren und aufgewachsen. Gerne hätte der Handwerkersohn studiert. Die elterliche Vermögenslage erlaubte dies nicht, so daß Diez sich für einen landwirtschaftlichen Beruf entschied. Von 1893-1896 besuchte er die landwirtschaftliche Winterschule in Radolfzell. Danach war er Gutsinspektor in Bayern, Hessen-Nassau und Württemberg. Im Jahre 1898 leistete er Militärdienst beim Train in Ludwigsburg. Zu Anfang des Jahres 1902 heiratete Diez, zwei Jahre später übernahm er die amtliche Güterbestätterei seines Schwiegervaters Hermann Vogler in Radolfzell.
Der Radolfzeller Münsterpfarrer Friedrich Werber, zugleich Redakteur der kath. Zeitung „Freie Stimme“, hatte Diez für die politische Arbeit in der Zentrumspartei gewonnen. 1912 kandidierte Diez im Wahlkreis Konstanz für den Reichstag. Mit der knappen Mehrheit von 272 Stimmen holte er das Mandat, das zuvor die Liberalen innehatten, für seine Partei zurück. Bei Beginn des Weltkrieges nahm er teil an der Eröffnung des Kriegsreichstages, als Kaiser Wilhelm II. kundmachte, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Diez wurde einberufen zu den Brückenpionieren nach Kehl, bezog danach Standquartiere im Elsaß und in der Garnison Karlsruhe. 1917 sah er sich nach Rumänien kommandiert zur Überwachung und Förderung der landwirtschaftlichen Produktion. Die ganze Zeit über dauerte sein Abgeordnetenmandat im Reichstag fort. Als sich bei Kriegsende im November 1918 Arbeiter- und Soldatenräte bildeten, traten diesen draußen auf dem Lande die Bauernräte gegenüber. Diez wurde der Vorsitz des Bezirksbauernrates in Konstanz übertragen. 1919 gehörte Diez der Nationalversammlung an, die die Weimarer Verfassung beschloß. Darüber hinaus erneuerten die Wähler während des Bestehens der Weimarer Republik wiederholt sein Reichtagsmandat.
Mit dem Zentrumsabgeordneten Mathias Erzberger, Haushaltsexperte des Parlaments und bis März 1920 Reichsfinanzminister, verband Diez eine enge Freundschaft. Am 26. August 1921 unternahmen die beiden von Bad Griesbach aus einen Spaziergang über die Kniebisstraße. Da tauchten in einer Wegbiegung zwei rechtsextremistische Attentäter auf und töteten Erzberger durch acht Revolverschüsse. Unerschrocken schlug Diez mit dem Schirm gegen einen der Angreifer, woraufhin er durch einen Lungensteckschuss mit Zertrümmerung des Oberarms schwer verletzt wurde. Nach Operation und Krankenlager konnte Diez sein Wirken fortsetzen.
In jenen Jahren übte er mannigfache genossenschaftliche und verbandspolitische Ämter aus. Schon seit 1916 gehörte er dem Vorstand des Vorschußvereins Radolfzell an, ab 1918 stand er dem Verband des Deutschen Transport- und Verkehrsgewerbes als Präsident vor. 1922 bestimmte ihn die Obstbaugenossenschaft Radolfzell zum Aufsichtsratsvorsitzenden, im selben Jahre wurde er Präsident der Landwirtschaftlichen Bezirksgenossenschaft Radolfzell-Überlingen und Vorstandsmitglied des Badischen Bauernvereins, später dessen Vizepräsident. Ebenso saß Diez im Aufsichtsrat der Badischen Landwirtschaftsbank, 1926 beteiligte er sich an der Gründung der Milchwerk-Genossenschaft Radolfzell. Diez war Vorsitzender des Versuchsrings Bodensee-Hegau, er wurde in den Bezirksausschuß der landwirtschaftlichen Winterschule Radolfzell berufen. Der Katholische Männerverein Radolfzell wählte ihn zu seinem Präsidenten. Im Reichstag gehörte er dem Branntweinmonopol-Ausschuß an, wo er sich gezielt für die Kleinbrenner des badischen Raums einsetzte.
Gegen Hitlers NSDAP hatte Diez von Anbeginn entschieden Stellung bezogen. Kurz nach der braunen Machtübernahme 1933 wurde er daher auf der Rückfahrt von einer Sitzung in Berlin aus dem Zug heraus verhaftet und vier Wochen lang im Radolfzeller Gefängnis festgehalten. Auf Parteibefehl hin wurde er seiner Ämter enthoben, die Gestapo überwachte ihn. Während des II. Weltkrieges stand Diez in Kontakt zu der Widerstandsgruppe um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, 1943 beteiligte er sich an einer Besprechung der Verschwörer in Stuttgart. Vom 28. Juni – 19. Juli 1944 befand sich Diez mit seiner Tochter Jolanda im Konstanzer Gefängnis in Untersuchungshaft wegen angeblichen Abhörens ausländischer Sender. Wenige Tage nach dem mißlungenen Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Diez erneut verhaftet, er sollte in das Konzentrationslager Dachau verbracht werden. Nur dank der Intervention seines Sohnes Theopont, der als verwundeter Soldat aus einem Lazarett in Russland herbeieilte, wurde Diez wieder freigelassen. Theopont hatte den Parteiverantwortlichen vorgeworfen, es sei eine Schande, einen Vater zu inhaftieren, von dem drei Söhne an der Front kämpften. Diez hat späterhin die Gesamtdauer seiner Verhaftungen auf 13 Wochen beziffert.
Gleich nach dem Zusammenbruch gehörte Diez von 1945-1946 dem Radolfzeller Gemeinderat an. Im Februar 1946 wurde er in Freiburg Mitgründer der Badischen Christlich-Sozialen Volkspartei – Vorläuferin der CDU –, man übertrug ihm den örtlichen Vorsitz in Radolfzell. Ebenso wurde er damals für einige Jahre Mitgesellschafter des „Südkuriers“. In den Anfangsjahren dieses Presseorgans veröffentlichte er eine Reihe von engagierten Beiträgen. Im März 1946 hat man Diez innerhalb der badischen Regierung zum Landwirtschaftsminister berufen. Er bemühte sich, im Einvernehmen mit der französischen Besatzungsmacht eine Agrarreform zu initiieren und Aussiedlerhöfe zu schaffen. Hauptaufgabe war die Sicherstellung der Ernährung von Bevölkerung und Besatzern. Da der von den Franzosen vorgesehene Ernährungsplan für das Jahr 1947 von unerfüllbaren Zahlen ausging, protestierte Diez und erklärte im November 1946 seinen Rücktritt. Dies löste eine Kontroverse mit der Zonen-Militärregierung in Baden-Baden aus, als Folge wurde dem Ausscheidenden von den Franzosen eine politische Bestätigung untersagt. Nunmehr konnte Diez sich mit voller Schaffenskraft seiner Tätigkeit in den nach dem Kriege neubelebten Genossenschaften und Verbänden widmen. Ab 1948 engagierte sich Diez für den Zusammenschluß der Länder Baden und Württemberg im guten Glauben an die ihm gegebene Erklärung des stellvertretenden württembergisch-badischen Ministerpräsidenten Heinrich Köhler, daß man für einen Zusammenschluss eintrete „... natürlich auf dem Boden absoluter Gleichberechtigung, die nicht nur in der Verfassung, sondern auch in der Verwaltung festgelegt werden muß“. Im Jahre 1961 wurde Diez in Anerkennung seines vielseitigen erfolgreichen Wirkens das Große Bundesverdienstkreuz verliehen, im Jahre 1965 ernannte ihn seine Heimatgemeinde Öhningen zum Ehrenbürger.
Quellen: Stadtarchiv Singen, 440/125-147 (schriftlicher Nachlaß); StAF D 180/2-4028 (Spruchkammerakte: „Nicht betroffen“)
Werke: Radolfzell in Vergangenheit und Gegenwart, 1916; Die Lebensgeschichte eines Menschen, 1929, 79 S.
Nachweis: Bildnachweise: Gemälde von Curth Georg Becker (1958), Kunstmuseum Singen

Literatur: Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen, 1964, 73, 388; Franz Götz/Erich Hoffmann, Geschichte der Stadt Radolfzell, 1967, 132, 267; Wilhelm Bechler, Hegau 1967, 207; Paul Ludwig Weinacht, Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte (SpLBW Bd. 2), 1978, 92; ders., Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre, 1988, 121; Herbert Berner (Hg.), Öhningen (Bd. 63 der Hegau-Bibliothek), 1988, 307; Martin Schumacher (Hg.), Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus, 3. Aufl. 1994, 92; Reiner Haehling von Lanzenauer, Die Ermordung Erzbergers, Die Ortenau 1996, 435
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