Wurth, Klaus Nikolaus 

Geburtsdatum/-ort: 01.12.1861; Dundenheim
Sterbedatum/-ort: 22.02.1948;  Bretten
Beruf/Funktion:
  • Theologe, Kirchenpräsident
Kurzbiografie: 1868-1876 Volksschule in Dundenheim
1876-1879 Höhere Bürgerschule in Heidelberg
1881-1883 Real-Gymnasial-Abteilung des Lyzeums in Straßburg
1883-1886 Studium der Mathematik und Physik an den Universitäten Heidelberg und Berlin (Wintersemester 1885-86)
1886-1890 Studium der Theologie an der Universität Heidelberg; 1. theologische Prüfung
1890-1891 Studium der Theologie in Marburg; 2. theologische Prüfung
1891-1894 Vikariat in Epfenbach (bis 1892), Weingarten (bis 1894), dann Pastorationsgeistlicher in Triberg
1894-1906 Pfarrverwalter (bis 1895), dann Pfarrer in Liedolsheim
1906-1924 Pfarrer in Bretten
1895-1924 Mitarbeiter, seit 1904 Herausgeber des „Korrespondenzblattes für die Evangelische Konferenz in Baden” bzw. die „Kirchlich-Positiven Blätter für Baden”
1911-1924 Vorsitzender der Evangelischen Konferenz bzw. (ab 1920) der Kirchlich-Positiven Vereinigung
1914-1924 Mitglied der General- bzw. Landessynoden
1920-1924 Synodales Mitglied der Kirchenregierung; 1921 Kirchenrat
1921 D. theol. h. c. der Universität Heidelberg
1924-1933 Kirchenpräsident der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1894 (Neckarbischofsheim) Hildegard, geb. Bering (1865-1941)
Eltern: Vater: Nikolaus (1832-1910), Landwirt
Mutter: Karoline, geb. Fähndrich (1837-1905)
Geschwister: 4:
Benjamin (1858-1933)
Karolina (1860-1861)
Karolina (1864-1868)
Friedrich Karl (1868-1957)
Kinder: 2:
Hildegard (1898-1997)
Elisabeth (1901-1990)
GND-ID: GND/127383697

Biografie: Günter Opitz (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 297-300

Als zweiter Sohn eines Dundenheimer Landwirts wuchs Wurth in bescheidenen kleinbäuerlichen Verhältnissen in einem Elternhaus auf, dessen tiefe pietistische Frömmigkeit ihn entscheidend geprägt hat. Seinen Vater, der viele Jahre lang Kirchenältester der Gemeinde war und lange an der Spitze eines große Teile der Gemeinde umfassenden pietistischen Kreises stand, hat er noch im hohen Alter als einen Pietisten weiten Blicks gerühmt. Nach dem Besuch der Volksschule ermöglichte ihm ein Onkel, der als Lehrer in Heidelberg tätig war, den Besuch der dortigen Höheren Bürgerschule bis zur mittleren Reife. Familiäre Pläne, ihn danach das Baufach erlernen zu lassen, zerschlugen sich vor allem durch den frühen Tod eines anderen Onkels, der in Davos Baumeister war, und so entschloss sich Wurth nach einigem Schwanken, Lehrer zu werden. Viele praktische Gründe sprachen dafür; eine Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften war schon in der Schule in Heidelberg erkennbar geworden, und der besonders qualifizierte Unterricht in diesen Fächern in den beiden Abschlussklassen der Realabteilung des Lyzeums in Straßburg, wo er die Reifeprüfung ablegte, mag ein Übriges getan haben, um ihn zu veranlassen, Mathematik und Physik für das Lehramt an Höheren Schulen zu studieren. Neben seinem Fachstudium blieb freilich stets sein religiöses Interesse wach. So hörte er in seinem ersten Semester eine Vorlesung Kuno Fischers über „Christliche Philosophie”, in der ihm die erhebliche Diskrepanz zwischen seinen religiösen Grundüberzeugungen und der Realität des gelebten Glaubens, die er in seinem Elternhaus erfahren hatte, und dem Inhalt von Fischers Lehre bewusst wurde, die ihn nachhaltig zu beschäftigen begann. In dem Semester in Berlin, das seinen Lebensweg entscheidend änderte, war es dann nicht mehr der fachliche Ertrag seines Studiums, obwohl er immerhin bei Helmholtz hörte, sondern der tiefe Eindruck der Berliner Hofprediger Stoecker und vor allem Emil Frommel, in dessen für Studenten aus seiner badischen Heimat offen stehenden Haus Wurth viele Sonntagabende verbrachte, der ihn, auch politisch, prägte und beeindruckte. Bei diesen Begegnungen wurde sich Wurth zunehmend seiner Unsicherheit in religiösen Grundfragen bewusst, die durch ein umfassendes Studium der Theologie zu beseitigen sein dringlicher Wunsch wurde. Welche Opfer er damit von seinen Eltern erbat, war ihm bewusst; welche persönlichen Belastungen mit diesem Wechsel des Studiums auf ihn zukamen, mag er geahnt haben. Denn neben seinem Studium der Theologie musste er nicht nur das obligate Hebraicum, sondern auch externe Ergänzungsprüfungen in Latein, Griechisch und alter Geschichte ablegen, weil sein Reifezeugnis nicht der vom badischen Staat für das geistliche Amt geforderten Grundbedingung der Absolvierung eines humanistischen Gymnasiums genügte. In diesen fünf Jahren, in denen Wurth mit beachtlichen Erfolgen vielfach als Autodidakt alle die Prüfungen absolvierte, die für seinen Eintritt in das Pfarramt von ihm gefordert waren, wurde zum ersten Mal die ungeheure, durch das Bewusstsein, nun auf dem richtigen Weg zu sein, motivierte Arbeitskraft Wurths sichtbar, die auch seine spätere Amtsführung bestimmte. Auf Heidelberg als Universität war er angewiesen, weil er dort bei seinen Verwandten wohnen konnte, auch wenn ihn keiner seiner dortigen Lehrer nachhaltig beeindrucken konnte, sondern häufig Auseinandersetzungen mit den liberalen Tendenzen der theologischen Fakultät unausweichlich wurden, bei denen ihm auch seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse halfen. Auch in seiner Vikariatszeit war seine Arbeitskraft stark gefordert, weil er seinen Dienst in beiden Gemeinden als Pfarrverweser tun musste, da die Pfarrer krankheitshalber dienstunfähig waren. Als Pfarrverwalter kam er im November 1894 nach Liedolsheim; dort konnte er im nächsten Jahr die vakant gewordene Pfarrstelle übernehmen. 1895 begann Wurth, der sich der Evangelischen Konferenz schon zwei Jahre zuvor angeschlossen hatte, mit seiner Mitarbeit in deren „Korrespondenzblatt”. Als er 1904 dessen Herausgeber wurde, galt er vielen bereits als ihr eigentlicher Führer, auch wenn er erst sieben Jahre später ihren Vorsitz übernahm. Ohne Frage kam ihm ein wesentlicher Anteil an dem Aufstieg der Kirchlich-Positiven vor dem I. Weltkrieg zu, der sich landesweit in einem zunehmend starken Echo in den Gemeinden, kirchenpolitisch in ihrer wachsenden Repräsentanz in der Generalsynode und in einem steigenden Selbstbewusstsein in ihrem Verhältnis zur Kirchenleitung äußerte; diese Entwicklung stellte Wurth mit einiger Selbstverständlichkeit an die Spitze der Kirchlich-Positiven Bewegung. Als nach dem Ende des I. Weltkriegs, nach der Revolution und dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments den Kirchlich-Positiven unter seiner Führung bei den Wahlen zur außerordentlichen Generalsynode 1919 und zur Landessynode 1920 die absolute Mehrheit der Abgeordneten zufiel, war Wurths Weg in die Leitung der Landeskirche vorgezeichnet. Schon 1920 galt er als ihr eigentlicher Führer, auch wenn er zunächst nur als synodales Mitglied in die Kirchenregierung eintrat. Mit seiner Wahl zum Kirchenpräsidenten durch die Landessynode am 4. Oktober 1924 endete eine mehrjährige strukturelle Krise der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Badens. Gestützt auf die erheblichen Kompetenzen, die ihm die Verfassung der badischen Landeskirche von 1919 in seinem Amte gab, gestützt zugleich auf eine absolute Mehrheit der Kirchlich-Positiven Vereinigung in den Landessynoden bis 1932 und auf einen Kreis gleich gesinnter Mitarbeiter in der Kirchenleitung, konnte er als treibende Kraft nun Reformen im Sinne der streng an Bibel und Bekenntnis orientierten Mehrheit in der Landeskirche in Gang bringen und durchführen. In die Zeit seiner Präsidentschaft fiel die Arbeit an dem Katechismus von 1928, deren Ergebnis ihn freilich nicht befriedigte, und die an der Agende; vor allem aber gelang es ihm, das Amt des Kirchenpräsidenten in den Gemeinden populär zu machen. „Kein Weg ist ihm zu weit, kein Ort zu klein, kein Anlass zu gering, wenn es gilt, die Gemeinden hin und her im Land bischöflich zu grüßen”, schrieb Hermann Greiner bei Wurths 70. Geburtstag. Manche Hinterlassenschaften aus der Zeit des landesherrlichen Kirchenregiments und der Vorherrschaft des kirchlichen Liberalismus konnten beseitigt werden. Schwieriger gestaltete sich Wurths Arbeit aber, wenn es galt, im Bereich der Beziehungen zwischen Staat und Kirche seinen Einfluss geltend zu machen. Sein Versuch, bei der Besetzung zweier theologischer Lehrstühle der Universität Heidelberg 1928/29 den traditionell ganz einseitigen Proporz zugunsten der Kirchlich-Liberalen durch einen Vorschlag der Kirchenleitung einzudämmen, wurde von dem badischen Kultusminister Otto Leers (DDP) ignoriert. Noch im Kirchenvertrag zwischen dem Badischen Staat und der Evangelischen Landeskirche vom November 1932 gelang es nicht, der badischen Regierung ein dem Konkordat mit der katholischen Kirche gleichwertiges Mitwirkungsrecht bei der Berufung der akademischen Lehrer der Heidelberger evangelisch-theologischen Fakultät abzuringen. Die Landessynode kritisierte das zwar, mochte aber den insgesamt auch für sie befriedigenden Kirchenvertrag an dieser Frage nicht scheitern lassen. Hinter solchen Misserfolgen standen auch die erheblichen politischen Divergenzen zwischen den in der Staatsregierung vertretenen Parteien und der Führung der Landeskirche. Wurth machte vor dem I. Weltkrieg aus seiner konservativen, danach aus seiner deutschnationalen Gesinnung kein Hehl, auch wenn sein aktives Eingreifen in den Wahlkampf zu Beginn der Weimarer Republik Episode blieb und er sich später von Amts wegen eine größere Zurückhaltung auferlegte. Eine neue kirchenpolitische Situation ergab sich nach der Wahl der Landessynode im Juli 1932, in der die Kirchlich-Positive Vereinigung zwar die stärkste Gruppe blieb, ihre absolute Mehrheit aber verlor, während den Evangelischen Nationalsozialisten ein beachtlicher Einbruch gelang. Beide Gruppen zusammen besaßen die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit. Viele, auch Wurth, waren davon überzeugt, dass diese Situation für die von einer ganz breiten Mehrheit der Synode gewünschte Gesamtrevision der Kirchenverfassung genutzt werden sollte. Wurth stellte sich diese Reform als eine Angleichung an die Verfassung anderer evangelischer Landeskirchen, etwa der württembergischen oder der bayrischen, vor. Dass er selbst das Opfer dieser Neuordnung werden konnte, war zunächst im Oktober 1932 bei den ersten Schritten auf dieses Ziel hin nicht abzusehen. Je deutlicher aber Wurths Gegnerschaft gegen die Evangelischen Nationalsozialisten wurde und je mehr deren kirchenpolitisches Gewicht durch Hitlers Machtergreifung und ihre Folgen wuchs, desto klarer wurde ihm, dass sich seine Vorstellungen nicht verwirklichen lassen würden, und desto zögerlicher verhielt er sich. Wie diese Verfassungsreform dann im Mai und Juni 1933 kirchenrechtlich und personell im Zusammenwirken zwischen Kirchlich-Positiven und Evangelischen Nationalsozialisten an ihm vorbei so durchgeführt wurde, dass er nicht umhin konnte, um seine Zurruhesetzung zum 1. Juli 1933 zu bitten, erbitterte ihn, auch wenn er sich vorerst bemühte, dies nach außen hin möglichst nicht sichtbar werden zu lassen. Wie so häufig aber blieb ein Groll, der zu einem sehr kritischen Verhältnis zu den Kirchenleitungen der badischen Landeskirche, auch noch zu denen nach dem II. Weltkrieg, führte. Zunächst allerdings konzentrierte sich seine Kritik hauptsächlich auf die NS-Kirchenpolitik. Vor allem in der Kirchlich-Positiven Vereinigung übte er auch in größerem Kreis offen Kritik daran. Als er bei einer Versammlung im Januar 1934 sehr deutliche Worte dagegen und gegen das Verhalten mancher evangelischer Kirchenführer fand, bekamen die Kirchlich-Positive Vereinigung, ihr Vorsitzender und einige ihrer Pfarrer, die sich dem Pfarrernotbund angeschlossen hatten, u. a. Wurths Schwiegersohn, die Machmittel des Dritten Reiches durch die Gestapo zu spüren. Auch im Erweiterten Oberkirchenrat schlugen diese Vorgänge hohe Wellen. Dennoch setzte sich Wurth im Mai 1934 in einem offenen Brief an den Landesbischof gegen die Eingliederung der badischen Landeskirche in die Reichskirche ein. Nicht nur in diesem, erneut 1938 im Brief an den Evangelischen Oberkirchenrat, worin er auf die Unrechtmäßigkeit der Einrichtung der Finanzabteilung hinwies, ging er allerdings von der Grundvorstellung intakter rechtsstaatlicher Verhältnisse zwischen Staat und Kirche aus. Gelegentlich jedoch erfasste ihn angesichts der Entwicklung des Dritten Reiches eine tiefe Entmutigung. Wie gering die Mittel waren, die ihm bei allem Mut blieben, zeigt eine kleine Schrift aus dem Jahre 1940, in der er sich gegen den Verfall des Religionsunterrichts in den Schulen zu stemmen und die Eltern dagegen zu aktivieren suchte. Auch von Wurth verlangte der Krieg persönliche Opfer. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau verlor er in Karlsruhe bei einem Luftangriff fast seine gesamte Habe, kaum drei Jahre später bei seiner Tochter durch die Bombardierung Bruchsals den Rest. Danach kehrte er nach Bretten zu seiner ältesten Tochter zurück, wo er 1948 nach kurzer Krankheit starb.
Quellen: LkAK Personalia 3343; Wurths im Besitz seines Enkels befindlicher Nachlass, insbesondere ein dem Vernehmen nach umfangreiches Manuskript von Lebenserinnerungen, durfte bedauerlicherweise nicht eingesehen werden.
Werke: Die Union in Baden, in: Neue Kirchliche Zs. 33, 1922, 728-734; Was lehrt die ev. Mutter ihre Kinder?, o. J. [1940]; zahlreiche Beiträge in den Zeitschriften der Kirchl.-Positiven in Baden.
Nachweis: Bildnachweise: LkAK, BildA, bei Scheuerpflug, 1968 u. Finck, 2004 (vgl. Lit.).

Literatur: August Scheuerpflug, Kirchenpräsident K. Wurth, in: Dundenheim, mein Heimatdorf im Ried. Hg. von d. Gde. Dundenheim, 1968; Hermann Erbacher, Die Ev. Landeskirche in Baden in d. Weimarer Zeit u. im Dritten Reich, 1919-1945, 1983; ders. (Hg.), Beiträge zur kirchl. Zeitgeschichte d. Ev. Landeskirche in Baden, 1989; Die Ev. Landeskirche in Baden im „Dritten Reich“. Quellen zu ihrer Geschichte. Hg. von Hermann Rückleben u. a., 4 Bde., 1991-2003; Klaus Finck, K. Wurth. Ein Leben für die Kirche, 2004.
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