Weil, Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 18.09.1868;  (heute: Sinsheim-)Steinsfurt
Sterbedatum/-ort: 03.10.1927; Frankfurt am Main
Beruf/Funktion:
  • Getreidegroßhändler und Wohltäter
Kurzbiografie: 1883 mit 15 Jahren vom Vater von d. Sinsheimer Realschule genommen
1883–1888 Kaufmännische Lehre in d. Mannheimer Getreidefirma Isidor Weismann&Co; anschließend Anstellung bei d. Antwerpener Firma Mosco Z. Danon
1888 von Mosco Z. Danon zur Eröffnung einer Filiale nach Argentinien geschickt
1896 Heirat in Mannheim mit Rosa Weismann
1898 mit den Brüdern Ferdinand u. Samuel Gründung einer eigenen Getreidefirma „Weil Hermanos&Cia“
1908 Übersiedlung mit Frau u. Tochter nach Frankfurt am M., wohin d. Sohn 1907 vorausgeschickt worden war
1914–1918 während des I. Weltkriegs Informant u. Ratgeber für Militär- u. Regierungsstellen bis hin zu Kaiser Wilhelm II. sowie publizistische Tätigkeit im Sinne d. Sieges-, Expansions- u. Durchhalteideologie
1915 Einrichtung eines Privatlazaretts für verwundete Offiziere in Weils Frankfurter Villa
nach 1918 Ausweitung d. wirtschaftl. Unternehmungen; „Wohltäter“ u. „Förderer“ in d. Heimat u. in Frankfurt am M.
1924 Einweihung des von Weil u. seinem Sohn Felix gestifteten Instituts für Sozialforschung
1927 Einweihung des Mausoleums für Weil, seine Frau u. seine Pflegerin
1930 Ende des Familienunternehmens „Weil Hermanos&Cia“
1938 XI 10 Schändung des Mausoleums
1922 Dr. h. c. d. Frankfurter Universität
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: Rosa, geb. Weismann (1871–1912), Tochter des Isidor Weismann, Getreidehändler, u. d. Sophie, geb. Schwarz
Eltern: Vater: Josef (1823–1887), Getreidehändler, Sohn des Samuel, Kaufmann, u. d. Josefat, geb. Reis
Mutter: Fanny, geb. Götter (1823–1914)
Geschwister: 12; Leopold (1851–1879), Emilie (geboren 1853), Gustav (geboren 1855), Babette (geboren 1857), Adolf (1859–1931), Ferdinand (1861–1910), Berta (geboren 1863), Jette (geboren 1865), Samuel (1867–1922), Elise (geboren 1870), Frieda (geboren 1872) u. Hanna (geboren 1875)
Kinder: 2;
Felix José (1898–1975),
Anita Alicia (1901–1951)
GND-ID: GND/129037702

Biografie: Rolf Wiggershaus (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 498-503

Dem Vergessen entrissen wurde der Name Weil für eine breitere Öffentlichkeit erst seit den 1970er- Jahren durch das zunehmende Interesse an der Frühgeschichte der sogenannten „Frankfurter Schule“. Diese inzwischen weltweit bekannte Spielart eines gesellschaftskritischen Denkens hatte zum institutionellen Zentrum das Institut für Sozialforschung, das die Zeit des NS-Regimes im US-Exil zu überstehen vermochte, Anfang der 1950er-Jahre nach Frankfurt zurückkehrte und dort nach wie vor existiert. Der Stifter dieses Instituts war in den 1920er-Jahren Weil im Zusammenwirken mit seinem Sohn Felix. Dieser bescheinigte in bisher nicht publizierten „Erinnerungen“ seinem Vater, er müsse „im Handel eine Art Genie gewesen sein“. Auch wenn es bis heute keine umfassende Darstellung von Person und Wirken Weils gibt, reichen doch die vorhandenen Informationen aus, um ihn als eine Person eigenen Rechts zu präsentieren, die eine bedeutende Rolle als Großunternehmer und Politikberater, Stifter und Wohltäter spielte.
Weil entstammte einer jüdischen Familie in Steinsfurt mit langer Tradition im Getreidehandel. Er war das zehnte von 13 Kindern. Das elterliche Geschäft übernahm einer der älteren Brüder. Weil, der jüngste, konnte die Realschule im nahegelegenen Sinsheim besuchen, wurde dann aber vom Vater noch vor dem Einjährigen von der Schule genommen und in die Lehre bei der Getreidehandelsfirma Isidor Weismann&Co in Mannheim gegeben. Mannheim war damals Europas bedeutendster Binnenhafen, wo Weizenimporte aus überseeischen Ländern ankamen und von wo Mehl und Mühlenprodukte bis nach Ägypten und Palästina verschifft wurden. Dank des großen Talents, das Weil für die Wahrnehmung und Nutzung von Marktchancen bewies, stieg er rasch auf. Es habe bei der Firma Weismann – so machte er das später seinem Sohn Felix anschaulich – noch einen weiteren Lehrling namens Paul gegeben. Der habe sich beschwert, trotz gleichen Fleißes verdiene er nur halb so viel wie Weil. Statt sich dazu zu äußern, habe der Chef gesagt, eben seien drei Bauern mit vollen Getreideladungen vorbeigefahren, Paul solle nachsehen, was sie geladen hätten. Paul sei nach wenigen Minuten mit der Nachricht zurückgekommen, sie hätten Weizen geladen. Dann solle er fragen, ob er schon verkauft sei und an wen. Wieder sei Paul schnell zurück gewesen mit der Nachricht, der Weizen sei noch nicht verkauft. Dann habe der Chef Weil herbeigerufen und hinter den drei Bauern hergeschickt. Nach einer Viertelstunde sei er zurückgewesen mit der Nachricht, die Bauern hätten guten Brotweizen geladen, der auch noch nicht verkauft gewesen sei und den sie der Firma Müller&Co hätten anbieten wollen. Da er wisse, dass die Getreidebörse mit 3 Talern 4 Groschen per Zentner eröffnet habe, habe er ihnen 3 Taler 3½ Groschen angeboten. Das hätten sie akzeptiert und sie seien eben dabei, ihren Weizen im Hof abzuladen. „Siehst du jetzt“, habe da der Chef zu Paul gesagt, „warum ich Hermann doppelt so viel zahle wie dir?“
Mit 18 Jahren wurde Weil Deutschlands jüngster Prokurist. Die niederländische Firma Mosco Z. Danon wurde auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Antwerpen. Sie ließ ihn Spanisch lernen und schickte den 20-jährigen zur Eröffnung einer Filiale nach Argentinien, das nach den USA und Kanada zu einem weiteren amerikanischen Getreideexportland zu werden versprach. Bevor er nach Buenos Aires abreiste, verlobte Weil sich mit Rosa Weismann, einer der Töchter seines einstigen Mannheimer Chefs, und versprach, sie zu heiraten und zu sich zu holen, sobald die Danon-Filiale, an der er mit 20 Prozent beteiligt war, erfolgreich in Argentinien Fuß gefasst habe.
Bei dem erstmaligen Anblick eines argentinischen Weizenfeldes soll Weil, von zu Hause an kleine und durch Erbteilung immer noch kleiner werdende Felder gewöhnt, überwältigt gewesen sein von den sich kilometerweit erstreckenden Getreidemeeren. Die Filiale machte große Gewinne. Doch Danon verspekulierte sich bei dem Versuch, den Getreidehandel zu monopolisieren und durch Aufkäufe in großem Stil und Zurückhaltung vom Markt die Preise extrem steigen zu lassen. 1898 machte Mosco Z. Danon Bankrott. Weil übernahm Teile der Konkursmasse, tat sich mit seinen Brüdern Samuel und Ferdinand, die ebenfalls nach Amerika ausgewandert waren, zusammen und gründete 1898 eine eigene Getreidefirma „Weil Hermanos&Cia.“, an der er mit 50 Prozent beteiligt war. Rosa Weismann hatte er inzwischen geheiratet und nach Argentinien geholt, und einen Monat vor der Gründung der Firma kam ein Sohn zur Welt: Felix. Nichts schien mehr zum Glück des 30-jährigen Unternehmers zu fehlen.
Eine Erfindung Weils steigerte die Konkurrenzfähigkeit argentinischen Getreides gegenüber dem geschätzteren US-amerikanischen und kanadischen, nämlich Verkauf nicht mehr laut Musterziehung, sondern laut garantiertem spezifischen Gewicht, kombiniert mit einer Gluten-Analyse und einem garantierten Maximalprozentsatz von Fremdkörpern. Weils Firma gehörte bald zu den drei „Großen“ im argentinischen Getreidehandel, die, von keinerlei Antitrust-Gesetzgebung eingeschränkt, den Exportmarkt beherrschten. Das Unternehmen wurde eine Weltfirma und blieb es bis Ende der 1920er-Jahre. Sie hatte Hunderte von Filialen in Argentinien und Niederlassungen in Rotterdam, Frankfurt am Main, Mannheim, Kopenhagen, Genua und London, beschäftigte um 1900 ca. 3000 Mitarbeiter, und unter eigener Flagge fuhren bis zu 60 Schiffe über die Meere.
Seiner Frau und seinen Kindern konnte Weil ein Leben im Luxus bieten. Ein Schatten fiel darauf durch das zurückgezogene Leben Rosa Weils. Sie lernte nie Spanisch, und Einladungen der argentinischen Gesellschaft musste Weil oft allein folgen. „Der Mann verbirgt seine Juwelen“, hieß es dann. Auch die Kinder erlebten ihre Mutter nur einmal täglich zur Teestunde. Ansonsten kümmerte sich eine englische Gouvernante um sie. Erst recht trat Weil nach der Erinnerung des Sohnes selten in Erscheinung, da er „zu sehr mit Geldverdienen beschäftigt“ war. Familienleben gab es am ehesten für einige Wochen im Jahr während der Ferien auf der Estancia, einer Art Rittergut. Das alles habe er „ganz allein erarbeitet“, meinte Weil stolz zu seinem Sohn. Dessen Fragen, ob das denn nicht viel zu groß für sie sei und warum sie so viel Platz hätten und andere wie die Familie seiner Amme so wenig, erregten seinen Ärger.
Ein weiterer Schatten fiel auf Weils Leben, als sich 1903 Symptome einer Syphilis bemerkbar machten. 1907 schickte er seinen Sohn Felix, der keine Ahnung von der Krankheit des Vaters hatte, nach Frankfurt am Main. Er sollte dort die humanistische Ausbildung erhalten, die ihm selbst zu seinem Bedauern versagt geblieben war. Frankfurt war aber auch die Stadt, in der Paul Ehrlich (1854–1915), der Begründer der Chemotherapie, forschte und das Medikament Salvarsan zur Behandlung der Syphilis entwickelte und wo Weil für sich und für seine an Krebs erkrankte Frau Hilfe durch die besten Ärzte erhoffte. Den argentinischen Unternehmenszweig führte sein Bruder Samuel weiter, den Rotterdamer übernahm Ferdinand. Weil als Hauptverantwortlicher verlegte seinen Sitz nach Frankfurt. Bis zur Fertigstellung der Weilschen Villa 1913 lebte die Familie in einer Suite mit sechs Zimmern im Hotel Imperial gegenüber der Oper. Beim ersten Wiedersehen erlebte der Sohn eine Mutter, „schlanker, blasser denn je“ an der Seite ihrer Zofe, und einen Vater, der ihm mit schleppenden Schritten entgegenkam. Weils Frau starb, bevor die schlossartige Villa mit großem Garten von der Familie bezogen werden konnte.
Mit 44 Jahren Witwer und unheilbar krank, blieb Weil dennoch ein selbstbewusster und unternehmungsfreudiger Mann, der seine Talente, seine Kenntnisse und seinen Reichtum auf vielfältige Weise nutzte. Gut dokumentiert ist sein Engagement während des I. Weltkriegs. Im Briefwechsel mit immer einflussreicheren Militär- und Regierungsstellen betätigte Weil sich als Informant in Fragen der Ernährungslage der verschiedenen Länder und als Ratgeber in Sachen Handels-und Seekriegsführung. Seine Position vertrat er auch öffentlich in Zeitschriften-Beiträgen. „Nemesis“ war Weils erster im Oktober 1916 in der Wochenschrift Deutsche Politik erschienener Artikel überschrieben. Der Herausgeber der Zeitschrift stellte Weil als „hervorragende Autorität auf dem Getreidehandelsgebiet“ (P. Rohrbach zu: Weil, Nemesis, in: Dt. Politik, 1916, S. 1731) vor. Seine Informationen seien so wichtig, dass sie weitesten Kreisen zugänglich gemacht werden müssten. Sie stärkten nämlich die deutsche Siegeszuversicht und den Durchhaltewillen. Tatsächlich interpretierte Weil beispielsweise Rumäniens Aufgabe der Neutralität und Anschluss an die Entente als Zeichen dafür, dass eine verzweifelte Entente Rumänien die Erfüllung aller Wünsche verspreche. Denn ohne Öffnung der Dardanellen für den Transport russischen Getreides werde die Entente bald dort stehen, „wo sie uns haben wollte – vor der Hungersnot“. Die Sicht auf den Weltkrieg als einem Kampf der „Anglo-Sachsen gegen die Germanen“ mit dem Ziel der „politischen, handelspolitischen und materiellen Zerschmetterung Deutschlands“ machte Weil zum Verfechter eines uneingeschränkten U-Boot- Kriegs. Von der „wunderbaren Arbeit unserer U-Boote“ und der „systematischen Versenkung der Handelsschiffe“ erwartete er noch zuletzt, dass das die Alliierten zwingen werde, die Hand zu einem Verständigungsfrieden zu bieten (Die Wirkung von 5 Monaten U-Bootkrieg, in: Deutsche Politik, 1917, S. 963 u. 965). Dass Weils wiederholte Prophezeiungen eines baldigen Zusammenbruchs Englands sich nicht erfüllten, minderte nicht die Sympathien des Kaisers für ihn und seine Ansichten. Mehrfach war Weil nach Bad Kreuznach eingeladen, als sich dort 1917/18 das kaiserliche Hauptquartier befand. Während eines seiner Besuche wurde Weil das Angebot des Kaisers unterbreitet, die Familie Weil in den erblichen Freiherrenstand zu erheben. Darauf verzichtete er. Denn dazu hätten er und seine Kinder Deutsche werden und sich taufen lassen müssen. Beides wollte er nicht.
Mit dem Krieg endete auch Weils politisches Engagement. Da er die größenwahnsinnigen Kriegsziele und einen „Siegfrieden“ aktiv vertreten hatte, bedeutete für ihn der Versailler Friede eine unverdiente Schmach und Demütigung wie für den überwiegenden Teil der deutschen Öffentlichkeit. Doch zum Verfechter einer so schnell wie möglich zu erreichenden Revision wurde er nicht. Letztlich entsprach seinen Interessen eine funktionierende Weltwirtschaft. Nachteile hatte er weder durch die deutsche Niederlage noch durch seine verhängnisvolle Rolle als Verfechter des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Als argentinischer Staatsbürger erhielt er die in England beschlagnahmten Teile seines Vermögens zurück. Da Argentinien während des Krieges neutral geblieben war, entwickelten sich die Geschäfte von „Weil Hermanos&Cia“ günstig. Weil ergänzte sie nach dem Krieg noch durch wirtschaftliche Aktivitäten im Fleisch- und im Immobilienhandel. Eine rasch größer werdende und das Erscheinungsbild Weils dominierende Bedeutung gewann nach dem Krieg aber vor allem sein Engagement als Wohltäter und Förderer.
Dieses Engagement, dessen Anfänge in die Vorkriegszeit zurückreichten, galt zunächst der Heimat. Die drei Brüder, die 1898 die argentinische Getreidefirma gründeten, hatten bald auch Vereinbarungen zur Unterstützung ihrer in der Heimat gebliebenen Verwandten getroffen. Damit ihre Mutter wiederum Bedürftige in Steinsfurt unterstützen konnte, hatten sie einen „Joseph Weil Witwe-Fonds“ eingerichtet. Er wurde nach dem Tod der Mutter im Jahr 1914 von einer Verwandten fortgeführt und ermöglichte unter anderem die Unterstützung von Kriegerwitwen.
Nach dem Krieg wollte Weil in einer Zeit ökonomischer Turbulenzen seinem Heimatort auf effektivere Art als nur durch Unterstützungszahlungen helfen, nämlich durch Bauprojekte, die dem Wohl aller dienten und zugleich Arbeitsmöglichkeiten boten. Er dachte an den Bau eines Schwimmbades, einer Parkanlage, eines Musikpavillons und eines Aussichtsturms und war auch bereit, den Bau einer Koch- und Fortbildungsschule zu finanzieren, zu dem die Gemeinde von der Schulbehörde aufgefordert worden war, wozu ihr aber die Mittel fehlten. Der Gemeinderat stimmte dem Vorhaben geschlossen zu und beschloss die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an den „verdienstvollen Wohltäter der Gemeinde Steinsfurt“ (Faksimile des Protokolls in: H. Appenzeller, Hermann Weil, 2012, S. 84). Auf die Bitte der Gemeindevertreter hin erhielt die Schule Vorrang, die „Luxusbauten“ wurden zurückgestellt, dann aufgegeben. Die Schule konnte zwei Jahre später in Betrieb genommen werden. Weil hatte es verstimmt, dass der Bürgermeister schwieg, als einer der Anwohner meinte: „Wenn der Jude die Schule nicht gebaut hätte, brauchten wir jetzt nicht die Straße zu bezahlen.“ Realisiert wurde jedoch in den Jahren 1925 bis 1927 ein anderes luxuriöses Bauprojekt: ein Mausoleum direkt neben dem jüdischen Friedhof für Waibstadt und Gemeinden der Umgebung, auf dem sich die Gräber von Weils Eltern befanden. In dem Mausoleum sollten nach Weils Tod die Urnen mit seiner Asche und der seiner Frau und seiner Pflegerin Steffi Krauth beigesetzt werden. Auf dem jüdischen Friedhof selbst war eine Urnenbestattung nicht zugelassen. Hinter einem großen Vorhof erhob sich ein Kuppelbau aus Muschelkalk, dessen Decke ein farbiges Keramik-Mosaik bildete, das den bestirnten Himmel darstellte, und dessen Fußboden mit verschiedenfarbigem Marmorintarsien belegt war. Nicht Prunksucht habe ihn zu solchem Aufwand bewogen, betonte Weil bei er Einweihungsfeier in seiner vom Krankenstuhl aus gehaltenen Ansprache, sondern die Pflicht, in Zeiten wirtschaftlicher Depression Arbeit zu schaffen. Darum dieser Bau wie schon der der Schule in Steinsfurt und der des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main.
Frankfurt, Weils Wahlheimat, war der andere Schauplatz seines Wirkens als Wohltäter und Förderer. Dort reichte sein Engagement nicht so weit zurück wie in Steinsfurt, es hatte aber auch schon vor dem I. Weltkrieg mit der Förderung medizinischer Forschung begonnen. Nach dem Krieg reichte das Spektrum der Spenden, die er im Februar 1923 in einem Brief an den Frankfurter Oberbürgermeister Voigt auflistete, von der Almosenkasse der Israelitischen Gemeinde und dem Armenverein über Kinderhilfe und Kriegskrüppelfürsorge bis zur Akademie der Arbeit und dem Biologischen Institut. Eine Spende für den „Mittagstisch armer Studenten“ erfolgte unter ausdrücklichem Ausschluss von „Mitgliedern des Hochschulrings, Deutsch-Völkischen und Antisemiten“. Er übe schon lange seine philanthropische Tätigkeit aus und hätte noch viel mehr getan, hätte ihn nicht „das Treiben der Antisemiten, Rathenau-&-Erzberger-Mörder und speciell die Haltung der Gerichte in den letzten Fällen angeekelt“. Doch das deutsche Volk werde jetzt „bedrückt, vertrieben und ausgeraubt, wie die Juden“, und da wolle er helfen und es nicht büßen lassen „für die Taten weniger Narren und Mordbuben“ (Weil an Frankfurts OB Voigt, Faksimile in: H. Appenzeller, Hermann Weil, 2012, S. 60).
Das Engagement Weils, der seinen Sohn gedrängt hatte, nach dem Abitur nicht gleich in die Firma einzutreten, sondern erst die Bildung zu erwerben, die ihm selbst von seinem Vater nicht gewährt worden war, ging über das Philanthropische hinaus. Bereits Ende 1920 hatte er eine Stiftung gegründet, in deren Satzung es hieß, der Stifter sehe seine Absicht erfüllt, wenn aus Mitteln seiner Stiftung „sozialwissenschaftliche Institute sowie befähigte Studierende und junge Gelehrte, die soziale Probleme im Sinne des sozialen Friedens wissenschaftlich zu klären streben“ (ebd. S. 69), angemessenen Beistand erführen. Diese Stiftung wurde bereits Anfang 1921 wieder aufgelöst. Das geschah zu einer Zeit, da Weils Sohn Felix nach seiner Promotion zusammen mit seiner Frau für ein Jahr nach Argentinien gereist war. Er wollte sich über die Verhältnisse im Land und besonders die Situation der Arbeiter und der Arbeiterbewegung informieren und sich gleichzeitig um die Geschäfte der Familie kümmern. Das war auch eine Gelegenheit, Klarheit über die eigenen Neigungen und Fähigkeiten zu gewinnen. Nach der Rückkehr fiel dann die Entscheidung für die Stiftung eines eigenen sozialwissenschaftlichen Instituts an der Frankfurter Universität.
Weil, „einer der größten Gönner der Universität“ (Senckenbergische Naturforschende Ges. am 22.8.1922 an das Kuratorium d. Universität, in: sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer/content/pageviews/6623622), wolle für seinen Sohn ein Institut im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät einrichten, war der erste Eindruck auf Seiten der Universität. Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass Weil seinem Sohn weitgehend freie Hand bei den Verhandlungen über die Details der Stiftung ließ. Noch während diese Verhandlungen in Gang waren, wurde Weil die Ehrendoktorwürde der Frankfurter Universität verliehen. Seinem Sohn gelang es, mit Unterstützung des von sozialdemokratischen Hochschulreformern um Carl Heinrich Becker geleiteten Kultusministeriums in Berlin die Bedingungen für ein Institut mit dem neutral klingenden Namen „Institut für Sozialforschung“ zu schaffen, das nahezu autonom war und mit dem marxistische Theorie eine akademische Heimstatt erhielt. Der Sohn stiftete aus seinem mütterlichen Erbe das Geld für den palazzoartigen Bau des Instituts, Weil die Mittel für die Personalausstattung und den Unterhalt sowie den Lehrstuhl, den der Institutsleiter an der Universität innehaben sollte. Als das Institut am 22. Juni 1924 eingeweiht wurde, konnte Weil seiner Krankheit wegen an der Feier nicht teilnehmen. So erlebte er den von seinem Sohn mit Spannung erwarteten Augenblick nicht mit, in dem Carl Grünberg, der 63-jährige Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften und erste Direktor des Instituts, sich in seiner Rede zum wissenschaftlichen Marxismus bekannte. Abends aber gab Weil in seiner Villa ein Bankett für Regierungs- und Behördenvertreter, führende Persönlichkeiten der Stadt und Angehörige der Universität. Im flackernden Lichtschein großer silberner Kerzenleuchter zog die lange Reihe der Gäste an Weil im Rollstuhl vorbei, um ihn zu begrüßen oder ihm vorgestellt zu werden. Der Sohn wurde Zeuge, wie einer der Honoratioren, der dem Stifter im Rollstuhl gerade versichert hatte, dass die Universität ihm einen historischen Fortschritt zu verdanken habe, im nächsten Augenblick seinem schwerhörigen Nachbarn laut ins Ohr sagte, mit Geld könne man eben alles kaufen.
Ein Tag wie der der Institutseinweihung war charakteristisch für Weils Lebensweise. Vieles war ihm verwehrt, doch er verstand es, seinen Reichtum für glanzvolle Auftritte und erhebende Eindrücke zu nutzen. Es gab oft Einladungen mit festlichen Diners in seiner Villa. Er veranstaltete Soireen, die Malern, Sängern und Schauspielern Gelegenheit gaben, sich bekannt zu machen. Außer Geselligkeit schätzte Weil das Reisen. Vier Automobile und zwei mit ihren Frauen auf seinem Grundstück wohnende Chauffeure standen ihm zur Verfügung. In den letzten Jahren vor dem Krieg war er gerne zu Kaisermanövern der Armee gefahren. Es hatte ihn amüsiert, wenn er, im offenen Wagen von elfenbeinerner Farbe unterwegs, die eigentlich kaiserlichen Fahrzeugen vorbehalten war, mit dem Kaiser verwechselt und entsprechend behandelt wurde. Er genoss Ausflüge – noch zuletzt nach einer beinahe tödlich verlaufenen Verschlimmerung der Krankheit „eine vierwöchige Autoreise durch die schönsten Gaue Europas“ (Weil, Bericht, 1927, S. 2).
Es gefiel Weil, dass die Einweihung seines Mausoleums während des ersten Waibstädter Heimatfestes stattfand. In seiner Ansprache vertraute er das Mausoleum der Obhut der Stadt an. Er sei überzeugt, dass an dieser Stelle „Schändlichkeiten“, von denen man in letzter Zeit oft höre, unvorstellbar seien. Den Vorhof übergab er dem Bürgermeister mit der Bestimmung, ihn für alle zu öffnen, die die Natur und das Schöne, Wahre und Gute liebten, aber auf keinen Fall für politische Vereine, weder linke noch rechte. Während der Novemberpogrome des Jahres 1938 wurde auch das Weilsche Mausoleum geschändet; das Schicksal der entwendeten Urnen ist bis heute ungeklärt. Doch in seiner inzwischen mehrfach restaurierten Gestalt ist es heute das beeindruckendste Zeugnis von Weils Existenz und Wirken. Die Steinsfurter Schule und die Frankfurter Villa existieren nur noch als Gebäude ohne Aura. Das Frankfurter Institut für Sozialforschung, von Weils Sohn Felix dank des väterlichen Erbes noch im US-Exil lange finanziell unterstützt, existiert in einem neuen Bau weiter, doch auf den bemerkenswerten Ursprung – den enormen Reichtum eines argentinischen Getreidegroßhändlers, der stets seiner badischen Heimat verbunden blieb – wird wenig Wert gelegt.
Quellen: Archivzentrum d. UB Frankfurt am M., Na 1, 656, Dokumente zur Geschichte des Instituts für Sozialforschung; Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am M., Magistratsakte S. 1694, Chroniken S5/421; PrivatA Carlos Weil, Buenos Aires. Siehe auch in: H. Appenzeller, Hermann Weil 1912.
Werke: Besprechung von C. Turnor, Our Food Supply. Perils and Remedies, in: Weltwirtschaftl. Archiv, H. 1, 1916, 177f.; Nemesis?, in: Dt. Politik, H. 40, 1916, 1731-1737; Besprechung von A. D. Hall, Agriculture after the War, in: Weltwirtschaftl. Archiv, H. 1, 1917, 100-103; Götterdämmerung, in: Dt. Politik, H. 14, 1917, 434-444; Dem Siege entgegen, ebd. H. 20, 1917, 623-628; Die Wirkung von 5 Monaten U-Bootkrieg, ebd. H. 30, 1917, 958-967; Der Getreidehandel, in: J. Hellauer (Hg.), Argentinien, 1921, 150-160; Bericht über das Heimatfest in Waibstadt am 3. u. 4. Sept. 1927 u. die feierl. Übergabe meines Mausoleums in den Schutz d. Stadt Waibstadt, 1927.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (Anfang d. 1920er-Jahre), in: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), S. 494, mit Genehmigung d. UB Frankfurt. – Büste, abgebildet in: H. Appenzeller, 2012, 102 u. Portrait, Pastellzeichnung, ebd. Einband.

Literatur: U. Migdal, Die Frühgeschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, 1981; H. Appenzeller, Dr. h. c. Hermann Weil, 2012; Die Gebrüder Weil, Pioniere des argentinischen Getreidehandels, Argentinisches Tageblatt vom 29.4.1984; Vergessen in Argentinien u. Deutschland: Hermann u. Felix Weil, Pioniere des Getreidehandels u. d. Wissenschaft, Argentinisches Tageblatt vom 29.4.1989.
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