Hildenbrand, Karl Jakob Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 30.01.1864;  Pforzheim
Sterbedatum/-ort: 04.09.1935; Hamburg
Beruf/Funktion:
  • Journalist, SPD-Politiker, württ. Gesandter, MdL, MdR
Kurzbiografie: 1871–1873 Volksschule Pforzheim
1874–1879 Höhere Bürgerschule Pforzheim
1880–1883 Schriftsetzerlehre in Pforzheim
1891–1912 Redakteur der Schwäbischen Tagwacht
1900–1913 Landtagsabgeordneter in Württemberg
1903–1918 Reichstagsabgeordneter
1908–1913 Mitglied des Bezirksrats in Stuttgart
1911–1913 Landesvorsitzender der SPD Württemberg
1918–1924 Württ. Gesandter in Berlin
1919–1920 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung
1920–1932 Reichstagsabgeordneter
1920–1933 Mitglied im SPD-Parteivorstand
1920–1927 Reichsratsbevollmächtigter für Lippe
1922–1923 Mitglied des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik
1924–1927 Reichsratsbevollmächtigter für Schaumburg-Lippe
1933 Verhaftung, 5 Monate Haft
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Eltern: Vater: Christian Heinrich Hildenbrand († 1917), Goldarbeiter, Gemeindediener
Mutter: Regine, geb. Micol (1844–1907)
Geschwister: 4
GND-ID: GND/129972606

Biografie: Stefan Feucht (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 125-127

„Ich schätze Herrn Hildenbrand persönlich hoch. … Aber eines wird man doch auch sagen müssen: In politisch wichtigen Fragen hat der Gesandte niemals das Recht, von einer Instruktion abzugehen und aus der Erinnerung der letzten Jahre darf ich mitteilen, daß das Abgehen des Herrn Hildenbrand von Instruktionen in wichtigen Fragen mehr als einmal zu Debatten innerhalb des Staatsministeriums geführt hat, daß mehr als einmal die Frage eines Wechsels des Gesandten erwogen und nur aus politischen Rücksichten eine Entscheidung nicht herbeigeführt worden ist.“ So urteilte 1924 der damalige Innenminister Eugen Bolz über Hildenbrand, der von der neu ins Amt gekommenen württembergischen Regierung aus Zentrum und Deutschnationalen unter Ministerpräsident Wilhelm Bazille als Gesandter in Berlin und Bevollmächtigter für den Reichsrat entlassen wurde. In der Tat hatte der Sozialdemokrat Hildenbrand im Juli 1922 im Reichsrat wider die ihm erteilten Anweisungen gestimmt und damit das drohende Scheitern des Gesetzes zum Schutz der Republik abgewendet, das unter dem Eindruck des Mordes an Reichsaußenminister Walter Rathenau auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus zielte.
Der „Fall Hildenbrand“ schlug hohe Wellen und führte zu einer hitzigen Debatte im Landtag sowie zu staatsrechtlichen Abhandlungen über die Frage der Weisungsgebundenheit der Reichsratsbevollmächtigten. Zum Zeitpunkt seiner Entlassung war Hildenbrand bereits 60 Jahre alt und zählte zu den führenden Sozialdemokraten nicht nur in Württemberg, sondern auch in ganz Deutschland. Heute ist er weitgehend in Vergessenheit geraten. Es gibt keine Monographie über ihn, kein Straßennamen erinnert an diesen verdienten Politiker und Verfechter der Republik.
Hildenbrand stammt aus einfachen Verhältnissen. In Pforzheim, wo sein Vater als Goldarbeiter und später als Gemeindediener seinen Lebensunterhalt verdiente, besuchte er die Volksschule sowie die Höhere Bürgerschule und absolvierte anschließend eine Schriftsetzerlehre. Als Geselle ging er auf Wanderschaft durch Deutschland und die Schweiz. In dieser Zeit des Sozialistengesetzes bewährte er sich als Vertrauensmann der Arbeiterbewegung. 1884 ließ er sich in Stuttgart nieder und wohnte in der Alexanderstraße 170 (4. Stock). In den folgenden zwei Jahrzehnten stieg Hildenbrand zu einem der führenden sozialdemokratischen Redakteure auf und eroberte eine zentrale Position innerhalb der württembergischen Landespartei. Ab 1891 war Hildenbrand als freier Redakteur bei der Schwäbischen Tagwacht tätig, nachdem er dort schon zuvor als Schriftsetzergehilfe und Korrektor gearbeitet hatte. Seit 1895 betreute er als fest angestellter Redakteur das für die württembergische Landespolitik zuständige Ressort, nahm an der Berichterstattung über den Landtag teil und verfasste Theaterkritiken. 1899 übernahm er zusätzlich die Redaktion des „Schwäbischen Volksfreundes“. Wilhelm Keil, mit dem er zunächst in harter Konkurrenz stand, schildert ihn in seinen Erinnerungen als ausgesprochen redegewandt. Er sei oft auf Reisen gewesen und habe sich sehr gut auf den Umgang mit Menschen verstanden, daher sei er rasch ein beliebter Redner und Agitator geworden.
Am Beginn seiner politischen Laufbahn stehen 1893 und 1898 zwei erfolglose Kandidaturen für den Reichstag. Erst im Jahr 1900 zieht Hildenbrand für die SPD in den Stuttgarter Landtag ein, wo er eine aktive und innerhalb seiner Fraktion führende Rolle spielte. Bei den Reichstagswahlen 1903 gelingt ihm zusammen mit drei weiteren Sozialdemokraten der Sprung ins nationale Parlament. Im Stuttgarter Wahlkreis „Stadt und Amt“ war Hildenbrand Nachfolger von Karl Kloß, dem ersten württembergischen Sozialdemokraten, der in den Reichstag gewählt wurde. Bei der nächsten Wahl 1907, kurz zuvor war der Reichstag wegen der mangelnden Unterstützung der deutschen Südwestafrikapolitik aufgelöst worden, erlitt die SPD eine schwere Niederlage. Allerdings schaffte es Hildenbrand als einziger Sozialdemokrat aus Württemberg, seinen Sitz im Reichstag zu behaupten.
In politischer Hinsicht war Hildenbrand ein pragmatischer Reformer. In der 1899 in der Stuttgarter SPD heftig geführten Revisionismus-Diskussion über die Thesen von Eduard Bernstein hatte Hildenbrand noch zu dessen vehementen Gegnern gehört. In der politischen Praxis jedoch verfolgte er eine reformorientierte Politik, die auf Zusammenarbeit mit den liberalen bürgerlichen Kräften setzte. Unter Führung von Hildenbrand und Wilhelm Keil stimmte die württembergische SPD 1907 im Landtag für das von der Regierung vorgelegte Budget. Im selben Jahr spielte er gemeinsam mit Clara Zetkin eine Hauptrolle auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart. Sein politischer Kurs brachte ihn in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg jedoch in einen immer stärker werdenden Gegensatz zum linken Flügel in der württembergischen SPD um Clara Zetkin und Friedrich Westmeyer.
Inmitten des württembergischen Parteistreits wurde Hildenbrand 1911 auf einer turbulent verlaufenden Landesversammlung zum Landesvorsitzenden gewählt. Zudem trat er als Nachfolger von Keil in die Leitung der Schwäbischen Tagwacht ein, die er bis Juli 1912 übergangsweise leitete. Den Querellen in Stuttgart überdrüssig gab Hildenbrand 1913 den Landesvorsitz auf und übersiedelte nach Hamburg. Dort übernahm er die Leitung der literarischen Abteilung der gemeinnützigen Versicherungsgesellschaft Volksfürsorge. Damit beendete er auch seine Tätigkeit als Zigarrenhändler, der er mit einem eigenen Geschäft seit 1903 in Stuttgart nachgegangen war.
Hildenbrand blieb allerdings weiterhin Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Stuttgart. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs stimmte er in der Frage der Haltung zu den Kriegskrediten mit der Mehrheit innerhalb der SPD. Er war überzeugt, dass die Arbeiterbewegung ihren Beitrag zur Abwehr der „russischen Horden“ leisten müsse. Innerhalb der württembergischen Arbeiterbewegung blieb Hildenbrand in dieser Zeit weiter heftig umstritten, umso mehr als die SPD in der Haltung zum Kriege tief zerstritten war und sich 1915 spaltete.
In der Novemberrevolution 1918 übernahm Hildenbrand das Amt des württembergischen Gesandten in Berlin, eine Position, die er nicht zuletzt auch aufgrund seiner engen Freundschaft mit Friedrich Ebert erhalten hatte. Zugleich wurde er damit auch Bevollmächtigter Württembergs für den Bundesrat bzw. ab 1919 den Reichsrat. Hildenbrand wurde Anfang 1919 außerdem als Präsident der Weimarer Nationalversammlung gehandelt, lehnte jedoch eine Nominierung ab.
Als Gesandter setzte sich Hildenbrand für eine Stärkung der föderativen Elemente in der neuen Verfassung ein, allerdings bei gleichzeitiger Überwindung der klein- und obrigkeitsstaatlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts durch größere regionale Einheiten auf wirtschaftlich-rationaler Grundlage. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik war Hildenbrand daher ein Verfechter des Zusammenschlusses von Württemberg und Baden. Er erhoffte sich dadurch eine entsprechende Anziehungskraft von der Pfalz und Hohenzollern. Neben der Reichsreform und der Frage der Gliederung des Reichsgebietes beschäftigte sich Hildenbrand vor allem auch mit dem Thema der Verteidigung der Republik. Wie eingangs erwähnt, war es Hildenbrand zu verdanken, dass das sogenannte Republikschutzgesetz nicht im Reichsrat scheiterte. Hildenbrand wurde daraufhin 1922 für einige Monate nichtrichterlicher Beisitzer am neu eingerichteten Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik. Anfang 1923 schied er auf eigenen Wunsch aus diesem Amt wieder aus.
In seiner Partei war Hildenbrand nach dem Kapp-Putsch im Frühjahr 1920 auf Vorschlag des SPD-Parteivorsitzenden Otto Wels in den Parteivorstand aufgenommen worden. Dort war er aufgrund seines ausgleichenden Wesens hoch geachtet. Häufig wurden ihm schwierige Missionen anvertraut. Auf dem SPD-Parteitag in Kassel 1920 war Hildenbrand Berichterstatter der Reichstagsfraktion. Positiv stellte er den erfolgreichen Aufbau einer republikanischen Staatsform heraus, beklagte aber insbesondere, dass es bislang nicht ausreichend gelungen war, auch das Justizwesen zu reformieren. Auf dem Kieler Parteitag 1927 gehörte Hildenbrand der Kommission an, die ein Gutachten über die Schaffung des sogenannten „Einheitsstaates“ vorlegen sollte. Der Vorschlag, den Hildenbrand gemeinsam mit dem Vorsitzenden des ADGB Robert Schmidt präsentierte, sah die Auflösung der alten Länder und die Neugliederung des Reiches in 13 Verwaltungsbezirke vor. Dabei folgte man den bereits existierenden Bezirken der Reichsarbeitsämter, deren Gliederung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt war. Für Württemberg sah dieser Vorschlag die Zusammenlegung mit Baden und dem preußischen Regierungsbezirk Sigmaringen vor. In mehreren Artikeln in den „Sozialistischen Monatsheften“ führte Hildenbrand zudem seine Vorstellungen eines „föderalistischen Unitarismus“ aus, bei dem Einheitlichkeit in wirtschaftlicher Hinsicht mit Vielfalt auf kulturellem Gebiet verbunden werden sollten. Bis November 1932 blieb Hildenbrand im Reichstag. Die württembergische SPD hatte ihn in der Weimarer Zeit stets auf einen sicheren Listenplatz gesetzt. Jedoch fand ab 1930 eine langsame Entmachtung der „alten Garde“ um Hildenbrand und Wilhelm Keil statt. Kurt Schumacher und Erich Roßmann traten an deren Stelle. Schließlich verlor er Anfang Oktober 1932 in einer Kampfabstimmung im Landesvorstand seinen sicheren Listenplatz gegen Jakob Weimer.
Nach der Machtergreifung glaubte Hildenbrand zunächst von den Nationalsozialisten verschont zu werden, schließlich wurde er aber am 14. Juli 1933 in Berlin verhaftet. Bei einer Hausdurchsuchung seiner Berliner Wohnung wurde seine 2000 Bände umfassende Bibliothek beschlagnahmt. Nach der Vorführung vor ein Sondergericht blieb er bis Dezember 1933 in Haft. Erst am 17. Februar 1934 sprach ihn das Landgericht Berlin vom Vorwurf des Vergehens gemäß § 2 des Gesetzes gegen die Neubildung von Parteien frei. Im September 1935 starb der schwer kranke Hildenbrand in Hamburg an den Folgen der Haft.
Quellen: StadtA Pforzheim; HStAS E 50/03 Bü 210 Berichte der Gesandten in Berlin von Varnbüler und Hildenbrand; StA Bückeburg, L 4, Nr. 117; StA Detmold, L 75, X. Abt. Tit. 4 Nr. 11, Bd. III.; H. Potthoff/H. Weber, Die SPD-Fraktion in der Nationalversammlung, 1919–1920 (QGPP, Dritte Reihe, 7), 1986, passim.
Werke: Die Kriegssitzungen des Deutschen Reichstages, in: Zwei Reden, 1915, 4–19; Die Volksfürsorge im Krieg, Sozialistische Monatshefte (SM), 21 (1915) H. 15, 755–758; Für eine parlamentarische Arbeitsgemeinschaft, in: ebda. 32 (1926) H. 9, 591–593; Für deutsche Neugestaltung, in: ebda. 33 (1927) H. 4, 257–260; Zur 5. Wahl der Deutschen Republik, in: ebda. 34 (1928) H. 4, 375–378; Der Heimgang, in: Friedrich Ebert und seine Zeit, 1928, 53–70; mit Robert Schmidt, Die Gestaltung der Wirtschaftsgebiete, in: Der Weg zum Einheitsstaat, 1929, 51–62; Zur Vereinheitlichung Deutschlands, in: Sozialistische Monatshefte 35 (1929) H. 6, 475–477; Bildet endlich die Deutsche Republik, in: ebda. 35 (1929) H. 12, 1085–1089; Eduard David, in ebda. 37 (1931) H. 1, 28–30; Reichseinheit durch Reichsführung, ebda. 37 (1931) H. 7, 635–637.
Nachweis: Bildnachweise: Handbuch der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 1919, 303; Schwäbische Tagwacht, 30.1.1929; Raberg, Biogr. Handbuch, 357.

Literatur: (Auswahl) Karl Bilfinger, Der Fall Hildenbrand, in: Archiv des öffentlichen Rechts 8 (1925) 174–192; Karl Weller, Die Staatsumwälzung in Württemberg 1918–1920, 1930, 22, 77, 139, 171, 222–224; Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 1, 1947 und Bd. 2, 1949, passim; Franz Osterroth, Biographisches Lexikon des Sozialismus, 1. Teil, 1960, 131; Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, 1970, 29, 109, 115–126, 264–265, 315–318; Jürgen Heideking, Volksstaat oder Reichsprovinz. Die württ. Sozialdemokratie und das Reich-Länder-Problem in der Revolution von 1918/19, in: ZWLG 40 (1981), 603–616; Raberg, Biogr. Handbuch, 357–358; Jürgen Mittag, Wilhelm Keil (1870–1968). Eine politische Biographie, 2001, 65–77, 103–116, 315–321; Joachim Lilla (Bearb.), Der Reichsrat, Ein biographisches Handbuch, 2006, 123–124.
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