Pflaumer, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 27.07.1896;  Rauenberg
Sterbedatum/-ort: 03.05.1971;  Rastatt
Beruf/Funktion:
  • NS-Politiker, badischer Innenminister (1933-1945)
Kurzbiografie: 1902-1910 Volksschule, 1910-1914 Lehrerseminar in Tauberbischofsheim und Ettlingen
1914 Kriegsfreiwilliger beim Leibgrenadierregiment 109 in Karlsruhe, ab Dezember 1914 an der Westfront (Reserve Infanterie-Regiment 40)
1915 Unteroffizier (Reserve Infanterie-Regiment 109), Offiziersausbildung in Sennelager, August 1915 Leutnant der Reserve (Infanterie-Regiment 80), August 1917 Kommandierung zur Fliegertruppe (Fliegerabteilung 20)
1918 (17.5.) Im Luftkampf abgeschossen, französische Kriegsgefangenschaft in Montoire-sur le-Loir bis 2.2.1920. Entlassung als Oberleutnant der Reserve
1920 (12.4.) Eintritt in die badische Polizei als Leutnant, 1922 Oberleutnant in Heidelberg
1929 Krankmeldung, nach ärztlicher Untersuchung Einleitung des „Zurruhesetzungsverfahrens“, 28.2. Polizeioberleutnant a. D., 1929-1930 SA-Standartenführer und Organisationsleiter des Gaustabes Baden der SA
1930 (1.1.) Eintritt in die NSDAP (Mitgl.-Nr. 182152), 1931-1933 Stadtrat in Heidelberg, Kreispropagandaleiter, stellvertretender Kreisleiter und Gauredner der NSDAP, 1.6.1932 Eintritt in die SS
1933 (6.3.) Kommissar zur besonderen Verwendung in der kommissarischen badischen Landesregierung
1933-1945 Badischer Innenminister, SS-Standartenführer, M.d.R., 1939 Major der Reserve der Luftwaffe, 1940 Teilnahme am Westfeldzug, SS-Brigadeführer
1938-1945 Mitglied des von Himmler gegründeten SS-Lebensborns
1941-1942 Berater für die Reorganisation der Verwaltung in Rumänien
1940-1944 Zusätzlich Leiter der Verwaltungs- und Polizeiabteilung beim Chef der Zivilverwaltung im Elsaß in Straßburg
1945-1948 Internierung in Lagern der französischen Besatzungsmacht, nach der Entlassung Handelsvertreter
1950 Entnazifizierungsverfahren in Karlsruhe, „Belasteter“
1953 Im Gnadenwege Bewilligung einer Unterhaltshilfe, 1958 im Gnadenwege Wiederverleihung der Versorgungsrechte aus Pflaumers früherem Beamtenverhältnis als Polizeioberleutnant
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., 1937 „gottgläubig“
Auszeichnungen: Eisernes Kreuz I. und II. Klasse, Orden vom Zähringer Löwen II. Klasse, Fliegerabzeichen, Verwundetenabzeichen (1914-1918)
Spange zum Eisernen Kreuz I. und II. Klasse (1940)
nach 1933: Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP, Goldenes Gauehrenzeichen, Totenkopfring, Ehrendegen und Julleuchter der SS
Verheiratet: 1920 Hertha, geb. Hauck
Eltern: Vater: Hans Georg Pflaumer, Hauptlehrer
Mutter: Lina, geb. Raab
Geschwister: 6
Kinder: 3
GND-ID: GND/130515175

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 266-271

Als der gerade erst ernannte Reichskommissar Robert Ragner am frühen Morgen des 9.3.1933 im Auto zum badischen Innenministerium in Karlsruhe fuhr, um dort die Einzelheiten der „Machtübernahme“ zu besprechen und damit seinen dreisten Staatsstreich einzuleiten, wurde er von zwei seiner engsten Gefolgsleute begleitet: dem Polizeioberleutnant a. D. Pflaumer und dem Chefpropagandisten Moraller. Er erklärte die Regierung für abgesetzt, ernannte sich selbst zum Staatspräsidenten und kommissarischen Innenminister und seine Parteigenossen Köhler, Wacker und Rupp zu kommissarischen Ministern und Pflaumer zum Kommissar zur besonderen Verwendung, wobei die „besondere Verwendung“ Pflaumers auf dem Gebiet der Polizei lag.
Pflaumer, Wagner, Köhler und Wacker waren durch das gemeinsame Fronterlebnis und die demütigenden Erfahrungen des Zusammenbruchs im Jahre 1918 verbunden. Pflaumer war ein tapferer Infanterieoffizier und Flugzeugbeobachter, er wurde zweimal abgeschossen und geriet in französische Kriegsgefangenschaft, in der er, nach seinen Angaben, das Abitur nachholte. Mit Wagner verband Pflaumer auch eine nicht abgeschlossene Lehrerausbildung; beide hatten sie aus wichtigem Grund, wegen der Freiwilligenmeldung im Jahre 1914, abgebrochen, und beide setzten sie nach der Rückkehr aus dem Felde nicht fort. Pflaumer trat im Jahre 1920 als Polizeileutnant in die Dienste des Landes Baden und wurde nach zwei Jahren zum Oberleutnant befördert. Seine Polizeilaufbahn fand schon nach neun Jahren ein plötzliches Ende, als im Jahre 1928 eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet wurde „wegen Teilnahme an der geschlossenen Hitlerversammlung“ am 5.3.1928 in Heidelberg – den badischen Beamten war die Mitgliedschaft in der NSDAP verboten –; Pflaumer machte geltend, daß er nicht der NSDAP angehöre, sondern einer „Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung“, und wurde vom Bereitschafts- zum Revierdienst versetzt. Daraufhin meldete er sich krank. Die Untersuchung in einer Heidelberger Klinik ergab eine „endogene Depression auf dem Boden eines schon einmal schwer geschädigten Zentralnervensystems“, und nachdem in einer zweiten Untersuchung das Weiterbestehen „erheblicher Nervenschäden“ konstatiert worden war, wurde das „Zurruhesetzungsverfahren“ eingeleitet. Pflaumer schied mit dem 28.2.1929 als Oberleutnant a. D. aus dem aktiven Polizeidienst aus.
Der von Pflaumer in einem weitverbreiteten parteioffiziellen Lebenslauf genannte Entlassungsgrund „wegen nationalsozialistischer Betätigung“ ist lügenhaft. Der Vorgang, der Anlaß zu einem Disziplinarverfahren hätte geben können, spielte sich im Oktober 1929 ab, als Pflaumer in erster Instanz zu vier Wochen, in zweiter zu 2000 Mark Geldstrafe wegen übler Nachrede gegen den Minister Adam Remmele verurteilt wurde. In der Spruchkammerverhandlung im Jahre 1950 gab Pflaumer – auch nicht ganz wahrheitsgemäß – an, er sei freiwillig ausgeschieden, da ein Verfahren gegen ihn mit dem Ziel der Entlassung eingeleitet worden sei; von „nationalsozialistischer Betätigung“ war dabei nicht die Rede.
Was immer die „endogene Depression“ und die zur Pensionierung führenden „schweren Nervenschäden“ bedeuteten – der 33jährige Frühpensionär war jedenfalls in der Lage, sofort nach seinem Ausscheiden eine Vielzahl von Parteiämtern zu übernehmen – von denen er im Entnazifizierungsverfahren aussagte, er habe sie „nebenamtlich“ wahrgenommen, hauptamtlich sei er „in der Wirtschaft tätig“ gewesen –: als Standartenführer wurde er Organisationsleiter des Gaustabes der badischen SA, sammelte von 1931-1933 als Heidelberger Stadtrat Erfahrungen auf der kommunalpolitischen Ebene, und als Kreispropagandaleiter, stellvertretender Kreisleiter und Gauredner der NSDAP agitierte er emsig für die Ziele der Partei und betrieb vor allem die Unterwanderung der badischen Polizei erfolgreich, was darin seinen Ausdruck fand, daß am 4.3.1933, einen Tag vor der entscheidenden Reichstagswahl, 350 Polizeiangehörige aller Ränge im Karlsruher NS-Blatt „Der Führer“ kundtaten, daß sie die NSDAP unterstützten.
Nach der „Machtübernahme“ sah der Kommissar zur besonderen Verwendung und spätere Innenminister (6.5.1933) seine Hauptaufgabe darin, sein Ministerium, die Bezirks- und Kommunalverwaltungen und die Polizei von Nichtnationalsozialisten zu säubern. Von 28 höheren Beamten des Innenministeriums wurden 13 versetzt oder anderweitig verwendet. Nur 14 der 40 Landräte blieben in dieser Position, 11 wurden in andere Verwaltungsbereiche versetzt oder entlassen, und 15 weitere wurden in den Jahren 1934 und 1935 auf andere Landratsstellen versetzt, jedoch 1936 wieder in die 1933 eingenommenen Positionen zurückgeholt. Von 40 Landräten, die 1933 im Amt waren, blieben während der NS-Zeit 7 auf ihrem angestammten Platz, 9 wurden – bis 1942 – als Leiter verschiedener Bezirksverwaltungen eingesetzt, und 24 wurden entlassen oder anderweitig verwendet. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß zwischen 1933 und 1942 13 kleinere Landratsämter aufgehoben wurden.
Noch rabiater ging Pflaumer bei der Polizei vor. In den 13 Polizeipräsidien, Landespolizeiabteilungen und Bezirkspolizeidirektionen blieb ein einziger leitender Polizeibeamter im Amt, 12 wurden ausgewechselt. Auch die Belegschaft des Landespolizeiamtes – später Landeskriminalpolizeiamtes – wurde in den leitenden Funktionen völlig ausgewechselt; nur drei Beamte des mittleren Dienstes konnten ihre Tätigkeit nach 1933 fortsetzen. Die Ablösung ging oft unter entwürdigenden und schimpflichen Umständen vor sich; der bekannteste Fall auf diesem Gebiet ist der des Polizeiobersten Blankenhorn.
In den größeren Städten setzte Pflaumer am 15.3.1933 NS-Kommissare ein, die die Verwaltungen von Juden und Marxisten zu reinigen hatten. Die Stadträte wurden gleichgeschaltet, wodurch die Nationalsozialisten klare Mehrheiten erhielten. Die Wahl der Bürgermeister schaffte Pflaumer ab; er persönlich ernannte sie. Im September 1933 verkündete er, daß das Werk der Reinigung abgeschlossen sei; 127 Bürgermeister wurden entlassen, über 25 % der leitenden Funktionen in den Stadtverwaltungen wurden neu besetzt. 1935 waren 63,3 % der leitenden Stadtverwaltungsbeamten Parteimitglieder; in 87 der 104 badischen Städte regierten NS-Bürgermeister, 64 davon „alte Kämpfer“. Im April 1937 waren nur noch 17 leitende Stadtverwaltungsbeamte nicht in der NSDAP. Im gleichen Jahr waren 18 der 19 badischen Oberbürgermeister Parteimitglieder, aber nur 15 der 40 Landräte. Um die ideologische Indoktrinierung der neuen Bürgermeister zu sichern, richtete Pflaumer regelmäßig stattfindende Lehrgänge ein.
Pflaumer begann sich – wie auch Köhler und Wacker – in schnell wachsendem Maße mit seinem Ministeramt zu identifizieren und sich zur gleichen Zeit graduell von den früheren Parteiverantwortlichkeiten abzusetzen. Obwohl Pflaumer und Köhler nach außen in den damals üblichen volltönenden Phrasen für die Zusammenarbeit von Partei und Staat eintraten, war mit diesem Prozeß der Identifizierung mit den Staatsämtern der Grund für die folgenden permanenten Konflikte zwischen Partei und Staat gelegt. Daß sich Pflaumer in vielen Fällen schützend vor seine Landräte und andere Mitarbeiter stellte und Übergriffen der örtlichen Parteidienststellen entgegentrat – in einem Fall wurde sogar ein Kreisleiter seines Postens enthoben –, wurde im Spruchkammerverfahren als eine Art Widerstandshandlung gegen das nationalsozialistische Regime darzustellen versucht. Davon kann keine Rede sein. Pflaumer und alle seine Kabinettsgenossen blieben bis zur letzten Minute des „Dritten Reiches“ ihrem Führer und dem Gauleiter ergebene Nationalsozialisten in der sich aus dem Führerprinzip ergebenden totalen Dienstbarkeit. Das ständige Gerangel der Partei- und Staatsdienststellen um Rechte und Zuständigkeiten war dem nationalsozialistischen Regime inhärent, und Pflaumer sah in der Beherrschung des ihm unterstellten Teils des Staatsapparats die Möglichkeit der Festigung seiner persönlichen Macht gegenüber den sich vordrängenden Parteidienststellen. Auch die Bestellung altgedienter hoher badischer Verwaltungsbeamter wie Jakob Bader und Friedrich Karl Müller-Trefzer zu verwaltungsmäßigen Leitern des Innenministeriums ist von daher zu erklären; nur mit einem gut funktionierenden Ministerialapparat konnte Pflaumer seine Position in der NS-Polykratie behaupten. Die Verteidigung seiner Machtstellung im Verwaltungsbereich wurde ihm um so wichtiger, als ihm durch die Ernennung Himmlers zum „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ am 17.6.1936 die Verfügungsgewalt über die badische Polizei weitgehend entzogen worden war. Eine weitere fühlbare Beeinträchtigung seiner Befugnisse vollzog sich mit der Ernennung Himmlers zum Reichsinnenminister im Jahre 1943. Ob Pflaumer, wie ihm Müller-Trefzer im Entnazifizierungsprozeß bescheinigte, „restlos auf dem Standpunkt eines sauberen Berufsbeamtentums“ stand, kann dahingestellt bleiben, Pflaumers Verhalten bei seiner Frühpensionierung und bei der gnadenlosen Säuberung der Polizei und der Kommunalverwaltungen von nichtnationalsozialistischen erfahrenen Berufsbeamten sprechen nicht gerade dafür.
Hervorgehoben sei, daß Pflaumer in mehreren Fällen Beamte, die in damaliger Terminologie „jüdisch versippt“ waren, wirkungsvoll in Schutz genommen hat – und dies, obwohl er im Spruchkammerverfahren gestand, „Antisemit“ gewesen zu sein. Einer seiner Spitzenbeamten hatte eine 81jährige jüdische Schwiegermutter, die nach Theresienstadt abtransportiert werden sollte. Es gelang Pflaumer, dies in letzter Minute zu verhindern. Die Tatsache, daß an der von ihm an eine französische Gesellschaft verpachteten Spielbank in Baden-Baden Juden beteiligt waren, störte ihn nicht weiter, auch nicht, daß der Spielbankdirektor Jude war. Als die Gestapo die Ausstellung von Pässen für auswanderungswillige Juden ablehnte, erklärte Pflaumer, daß es ihm „nicht angängig erscheint, ganz allgemein Angehörigen der jüdischen Rasse Auslandspässe wegen Unzuverlässigkeit zu versagen“, und wies die Gestapo an, die Pässe auszustellen. Während seiner Tätigkeit im Elsaß stand er in Opposition zu der radikalen Germanisierungspolitik seines Gauleiters. Mehrere französische höhere Beamte bekundeten, daß sie ihr Leben der menschlichen Gesinnung und Hilfsbereitschaft Pflaumers verdankten. In schroffem Gegensatz hierzu steht das Verhalten Pflaumers in den Fällen Marum und Walther. Der sozialdemokratische jüdische Reichstagsabgeordnete und badische Staatsrat Ludwig Marum war am 16.5.1933 auf Befehl Wagners – gegen den Pflaumer aufgetreten sein will; der ihn zum Verzicht auf die öffentliche Überführung bittenden Tochter Marums erklärte er, „das sei jetzt nicht mehr möglich“ – in einem vom Geschrei des aufgehetzten Pöbels begleiteten Zug zusammen mit Remmele und anderen in das von Pflaumer gegründete Konzentrationslager Kislau verschleppt worden. Marum vertrat Remmele in dem von diesem gegen Pflaumer angestrengten Prozeß im Jahre 1929. Pflaumer ließ sich den billigen Triumph nicht entgehen, sich Marum vorführen zu lassen und ihn mit „Heil Hitler!“ zu begrüßen; er verlangte von Marum, den Gruß in gleicher Weise zu erwidern. „Aber Herr Pflaumer, Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich Sie mit ‚Heil Hitler‘ begrüße.“ Pflaumer: „Ich werde es Sie noch lehren.“ – Die Szene ist gut beglaubigt. – Der Sozius Marums, Albert Nachmann, berichtete, daß Marum „die Fülle seines Spotts“ über die badischen NS-Führer ausgeschüttet habe; „er hat diese Führer, wie den späteren Reichsstatthalter Wagner und den Innenminister Pflaumer, immer als das hingestellt, was sie wirklich waren, geistige Nullen mit einer nicht einwandfreien Vergangenheit. Das haben sie ihm nie verziehen.“
Der Kriminalinspektor Gustav Walther, Sozialdemokrat und einer der von den Nationalsozialisten bestgehaßten Beamten, wurde sofort nach der „Machtübernahme“, am 10.3.1933, in das Innenministerium zitiert, wo ihm Pflaumer eröffnete, daß er auf Anordnung des Reichskommissars Wagner in Schutzhaft genommen werde. Walther, der schon vor dem kurzen Gespräch mit Pflaumer von anwesenden SA- und SS-Rabauken mißhandelt worden war, sagte im Pflaumer-Prozeß im Jahre 1950 aus, daß Pflaumer zu ihm gesagt habe: „Sie sind mir zu dreckig, daß ich mich an Ihnen vergreife; das werden andere besorgen.“ So hörten es auch andere Zeugen. Danach wurde Walther so zusammengeprügelt, daß er nicht mehr gehen konnte – „ich blutete aus allen Löchern, die der menschliche Körper aufweist“ –, anschließend lag er mehrere Wochen im Krankenhaus. Pflaumer erklärte in seinem Prozeß, bei den Mißhandlungen, die er nicht angeordnet habe, nicht anwesend gewesen zu sein. Als seine Parteigenossen anfingen zu prügeln, habe er es ihnen verwehrt und gesagt: „Das gibt es nicht, daß hier geschlagen wird, das ist mir zu dreckig.“ In den von der Verteidigung beigebrachten 32 Entlastungserklärungen findet sich keine Bestätigung dieses Wortlauts.
1941 siedelte Pflaumer mit Familie nach Straßburg über und leitete dort die Verwaltungs- und Polizeiabteilung beim Chef der Zivilverwaltung; die von Reichsinnenminister Frick befohlene Verlegung des gesamten Ministeriums nach dort verhinderte er. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit im Elsaß wurde er vom SD überwacht – im SS-Staat des Jahres 1944, in dem jeder „Parteigenosse“ jeden bespitzelte, mehr oder weniger alltäglich.
Nach dreijähriger Internierung in Lagern der französischen Besatzungsmacht – vom 17.5.1945-26.5.1948 – stand Pflaumer am 14.1.1950 vor der Kammer III der Zentralspruchkammer Nordbaden, die ihn in die Gruppe der „Belasteten“ einreihte und ihm vier Wochen Sonderarbeit auferlegte, die durch die dreijährige Internierung als verbüßt angesehen wurden. 10 % seines Vermögens, mindestens 500 DM, wurden zugunsten eines Wiedergutmachungsfonds eingezogen. Pflaumer wurde für schuldig befunden, die Mißhandlung Walthers geduldet zu haben und für die Inschutzhaftnahme und Verbringung der politischen Gegner des Nationalsozialismus nach Kislau verantwortlich zu sein. Er habe in Wort und Tat eine äußerst gehässige Haltung gegen Gegner des Nationalsozialismus eingenommen. Am Mord an dem sozialdemokratischen Politiker Marum war Pflaumer nach Feststellung der Kammer nicht beteiligt. Die vom öffentlichen Kläger am 8.3.1950 eingelegte Berufung mit dem Ziel, Pflaumer als „Hauptschuldigen“ einzustufen, und ein Antrag Pflaumers vom 17.5.1950, ihn als „Minderbelasteten“ einzugruppieren, wurden von der Zentralberufungskammer Württemberg-Baden am 12.2.1951 zurückgewiesen.
Nicht im Entnazifizierungsverfahren behandelt wurden zwei schwerwiegende Unrechtstaten Pflaumers, seine Erlasse vom 1.10.1935 und vom 29.10.1940. 1935 veranlaßte er die Erstellung der badischen Judenkartei, in die nach seiner Verfügung auch die getauften Juden aufgenommen wurden. Dieses „unentrinnbare Spinnennetz einer lückenlosen Überwachung“ (Josef Werner) war die unentbehrliche buchhalterische Grundlage für die Massendeportation der badischen Juden nach Gurs am 22.10.1940. Das Vermögen der deportierten Juden wurde nach Pflaumers Erlaß von 1940 als „Volks- und reichsfeindliches Vermögen“ betrachtet, über das zugunsten des NS-Staats rücksichtslos verfügt werden konnte.
Mit der Einstufung als Belasteter verlor Pflaumer seinen Pensionsanspruch als Polizeioberleutnant a. D. und mußte sich mühsam als Handelsvertreter durchschlagen. Am 23.1.1953 bat er in einem Gnadengesuch an das Justizministerium von Baden-Württemberg um Wiederverleihung seiner Pensionsrechte. Der demokratische Staat, vertreten durch die Ministerpräsidenten Reinhold Maier und Gebhard Müller, billigte dem hohen NS-Funktionär im Gnadenwege eine Unterhaltsbeihilfe in Höhe seines erdienten Ruhegehalts als Polizeioberleutnant zu. 1958 wurden ihm auf seinen erneuten Antrag im Gnadenwege die Versorgungsrechte aus seinem früheren Beamtenverhältnis als Polizeioberleutnant wiederverliehen, und die Hälfte der im öffentlichen Dienst zwischen 1933 und 1945 verbrachten Zeit wurde bei der Berechnung der Versorgungsbezüge berücksichtigt. Darüber hinaus wurde ihm am 18.12.1963 die Möglichkeit der Nachversicherung bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eröffnet, wodurch er zusätzlich eine kleine Rente erhielt. Viel Wohlwollen für einen Mann, der als einer der Totengräber der Weimarer Republik bezeichnet werden muß.
„Ich habe nie bestritten, Nationalsozialist gewesen zu sein“, erklärte er in der Spruchkammerverhandlung, und das blieb er auch bis in die allerletzte Phase des „Dritten Reiches“. Dies bezeugt u. a. auch seine Mitgliedschaft in dem Himmlerschen „Lebensborn“, einer Vereinigung mit dem Fernziel der NS-Menschenzüchtung. Auf heftige Klagen des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber wegen der bekanntgewordenen Euthanasiefälle antwortete er ausweichend oder überhaupt nicht. Auch Pflaumers Antisemitismus steht außer Frage. 1936 ordnete er an, daß die Schilder „Juden unerwünscht“ vor Restaurants und Geschäften für die Dauer der Olympiade eingezogen wurden; danach wurden sie wieder aufgestellt. Seine häufigen Konflikte mit dem Gauleiter beeinträchtigten seine weltanschauliche Überzeugung nicht, und er hat auch niemals daran gedacht, die Autorität Wagners in Frage zu stellen. Immer ging es bei Pflaumer um die Behauptung seiner Position innerhalb der sich befehdenden antagonistischen Kräfte des „Dritten Reiches“. Ob überhaupt und inwieweit die vielfach erfolgreichen Aktionen Pflaumers, in denen er seine schützende Hand über seine Mitarbeiter hielt und sie gegen Übergriffe von Parteidienststellen abschirmte, neben der bezeugten Hilfsbereitschaft durch das Motiv der Sicherung seines persönlichen Machtapparats bestimmt waren, ist schwer zu entscheiden; die Dankbarkeit der in Schutz Genommenen erstreckte sich bis in deren Aussage in der Spruchkammerverhandlung. Dagegen sind Pflaumers Akte der Menschlichkeit im Elsaß eindeutig als Zeugnisse der Einsicht in die verheerenden Auswirkungen der Volkstumspolitik seines Gauleiters anzusehen. Auch seine Hilfsbereitschaft in den erwähnten Fällen der „jüdisch versippten“ Mitarbeiter – unter eigentlich nur noch Zeitzeugen vorstellbaren Risiken – ist ein seltener Ausweis menschlicher Gesinnung eines NS-Machthabers. Dem trug die Spruchkammer dadurch Rechnung, daß sie von der an sich unumgänglichen und vom öffentlichen Ankläger beantragten Einstufung der unumstrittenen Nummer Drei in der badischen Partei- und Staatshierarchie als Hauptschuldiger absah. Ob Pflaumer eingesehen hat, daß er dadurch schwere persönliche Schuld auf sich geladen hat, daß er in seiner hohen Parteifunktion die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit ihren furchtbaren Folgen erst mit herbeigeführt und dann stabilisiert hat? Haarsträubende Äußerungen wie die seines Ministerpräsidenten Köhler, der als Achtzigjähriger erklärt hat, „er würde alles noch einmal tun“, sind von Pflaumer jedenfalls nicht bekanntgeworden.
Quellen: PersAkten Pflaumer im GLAK; NSDAP-Akten im BDC; Langs Badischer Geschäftskalender, 56.-65. Jahrgang (1932-1942), Karlsruhe; Behörden u. Dienststellen im Elsaß, 3. Ausgabe, Karlsruhe 1942.
Nachweis: Bildnachweise: In: Eberbacher Geschichtsblatt 1992; PersAlakten GLAK; NSDAP-Akten BDC.

Literatur: Otto Ebbecke, Die deutsche Erhebung in Baden, 1933; Horst Rehberger, Die Gleichschaltung des Landes Baden 1932/33, 1966; Ernst Otto Bräunche, Die Entwicklung der NSDAP in Baden bis 1932/33, in: ZGO 1977, 331-375; Johnpeter Horst Grill, The Nazi Movement in Baden, 1920-1945, 1983; Bruno Schwalbach, Erzbischof Conrad Gröber und die nationalsozialistische Diktatur, 1985; Hans-Georg Merz, Beamtentum und Beamtenpolitik in Baden, Studien zu einer Geschichte vom Großherzogtum bis in die Anfangsjahre des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, 1985; Klaus Tellenbach, Die Badische Innere Verwaltung im Dritten Reich. Von Erlebnissen eines Landrats, in: ZGO 1986 377-412; Josef Werner, Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, 1988; Ludwig Marum, Briefe aus dem Konzentrationslager Kislau, ausgewählt und bearb. von Elisabeth Marum-Lunau und Jörg Schadt, 1988; Das Dritte Reich in Baden und Württemberg, hg. von Otto Borst, 1988; Horst Ferdinand, Die Misere der totalen Dienstbarkeit: Robert Wagner (1895-1946), NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter von Baden, Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, in: Eberbacher Geschichtsblatt 1992, 97-209; ders., Nachlese zu Die Misere der totalen Dienstbarkeit ... in: Eberbacher Geschichtsblatt 1993, 208-222.
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