Dipper, Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 20.01.1903;  Unterheinriet
Sterbedatum/-ort: 20.08.1969; Imperia (Italien)
Beruf/Funktion:
  • Pfarrer, Dekan
Kurzbiografie: 1921 Abitur am Evangelisch-theologischen Seminar in Blaubeuren
1921-1924 Studium der evangelischen Theologie (Tübingen, Evangelisches Stift)
1925 I. theologische Dienstprüfung und Vikariat (u. a. in Ebingen, Heilbronn und Stuttgart)
1929 II. theologische Dienstprüfung
1930 Pfarrer in Würtingen
1934 Vorsitzender des Landesbruderrats der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft
1935 2. Geschäftsführer des Evangelischen Gemeindediensts in Stuttgart
1938 Pfarrer in Reichenbach/Fils, 2 monatige Haft im „Schutzlager“ Welzheim
1945 Dekan in Nürtingen
1956 Vorsitzender des Bruderrats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
1959 Dekan in Ludwigsburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1930 Hildegard, geb. Gauß
Eltern: Richard (1866-1933), Pfarrer
Anna, geb. Fehr (1872-1937)
Geschwister: 3
Kinder: 2 (adoptiert)
GND-ID: GND/130854581

Biografie: Barbara Springer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 39-42

Dippers Leben und sein Wirken für die württembergische Landeskirche waren wesentlich durch den Kirchenkampf im Dritten Reich bestimmt. Nach der Katastrophe des I. Weltkriegs strebten verschiedene theologische Arbeitskreise in Württemberg vom Wort Gottes ausgehend eine Erneuerung der Kirche an. Nach dem Studium schloß sich der junge Dipper, ein Schüler von Schlatter und Heim, diesen Kreisen an, die sich 1930 zur Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft (KTA) vereinigten. Sie verstand sich als Lehr- und Lerngemeinschaft sowie auch als Bruderschaft von Theologen, der die Beschäftigung mit der Dialektischen Theologie Barths besonderes Anliegen war.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und das Auftreten der Deutschen Christen zwang die KTA in die geistige Auseinandersetzung mit dem Staat und dessen Ideologie. Von Schrift und Bekenntnis ausgehend stellte sie den Totalitätsanspruch des Staates in Frage und bekämpfte die Deutschen Christen. Ein wichtiger Schritt war die Stuttgarter KTA-Arbeitstagung im Juni 1933, die zu einer ersten Sammlung und Organisation des kirchlichen Widerstands in Württemberg führte. Dippers Referat auf dieser Tagung hieß „Gottes Ruf an die Kirche in dem heutigen völkischen Geschehen“.
Die KTA ging 1934 in der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft auf, einer halbamtlichen Einrichtung der Landeskirche. Nach ihrem Selbstverständnis sah sich die Bekenntnisgemeinschaft, der nicht nur Theologen, sondern auch Laien angehörten, als „Vortrupp einer württembergischen Bekenntnissynode“. Ohne jemals kirchenleitende Kompetenzen zu haben, galt sie als „Stimme der Bekennenden Kirche“ und als das „Gewissen der Kirchenleitung“ in Württemberg.
Sprach- und Leitungsorgan der Bekenntnisgemeinschaft war der Landesbruderrat, der von Vertrauensmännern der Kirchenbezirke gebildet wurde. Das Wirken des Landesbruderrats fand Niederschlag in Gutachten, Denkschriften, Rundschreiben und Tagungen, teilweise auch in der kirchlichen Presse, wie z. B. im „Evangelischen Kirchenblatt für Württemberg“. Dipper, Teilnehmer an allen Reichsbekenntnissynoden, wurde Ende 1934 zum Vorsitzenden des württembergischen Landesbruderrats gewählt. Bei ihm befand sich das Büro der Bekenntnisgemeinschaft.
Bereits im Würtinger Pfarramt fiel Dipper als „politisierender Pfarrer“ auf. Sein Widerstand gegen die Gleichschaltung der kirchlichen Jugendarbeit Ende 1933 und sein Eintreten für den Bekenntnisgottesdienst lösten Beschwerden parteinaher Stellen beim Oberkirchenrat aus. 1935 wechselte Dipper aus dem Pfarrdienst zum Evangelischen Gemeindedienst, einer Institution, die volksmissionarische Aufgaben wahrzunehmen hatte. Als 2. Geschäftsführer dieser Einrichtung war er für Laienschulung und Männerarbeit zuständig. Einerseits begünstigte diese personelle Konstellation die Arbeit der Bekennenden Kirche in den Gemeinden, andererseits führte Dippers Vortragstätigkeit im Auftrag des Gemeindediensts zu Konflikten mit staatlichen und parteiamtlichen Stellen. Die Geheime Staatspolizei verhängte über ihn ein Redeverbot. Hinzu kamen Hausdurchsuchungen beim Evangelischen Gemeindedienst, in dessen Räumen das Büro der Bekenntnisgemeinschaft untergebracht war. Auf ausdrücklichen Wunsch von Landesbischof Wurm kehrte Dipper 1938 ins Gemeindepfarramt zurück. Dippers Dienst in der Gemeinde Reichenbach/Fils wurde bereits Ende 1938 durch eine fast zweimonatige Haft, u. a. im Schutzlager Welzheim, unterbrochen. Anlaß der Verhaftung waren Vorgänge im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im April 1938 in Neckartailfingen. Als Seelsorger hatte sich Dipper hinter ein Gemeindeglied gestellt, dessen Wahlverhalten durch die NSDAP in aller Öffentlichkeit mit existenzbedrohenden Repressalien geahndet wurde.
Im Ringen um den richtigen Weg der württembergischen Landeskirche in den Auseinandersetzungen des Kirchenkampfes gab es zwischen Kirchenleitung und Bekenntnisgemeinschaft unterschiedliche Auffassungen. Während die Kirchenleitung die Volkskirche mit ihrer hergebrachten Ordnung aufrecht zu erhalten trachtete, erstrebte die Bekenntnisgemeinschaft gemäß der Theologischen Erklärung von Barmen die Bekenntniskirche. Das Kernproblem bestand in der Frage nach der Verbindlichkeit der Barmer Erklärung und der Anerkennung der Organe der Bekennenden Kirche. Von seiner national geprägten Haltung her war Landesbischof Wurm anfangs auch zu Kompromissen mit der staatlichen Obrigkeit bereit; er wollte die Verbindung der Kirche zur Öffentlichkeit, die im Staat sich darstellte, nicht ohne weiteres abreißen lassen. So löste sich z. B. der Württembergische Pfarrernotbund Anfang Februar 1934 unter staatlichem Druck und auf Drängen Wurms auf. Kompromisse dieser Art bereiteten dem Landesbruderrat manche Not. Er äußerte stets seine Bedenken und Einwände gegenüber dem Landesbischof, respektierte aber die Entscheidungen der Kirchenleitung. Die Haltung Wurms wird auch darin deutlich, daß er den Bruderrat mit der Erarbeitung eines Gutachtens zur bekenntniswidrigen Irrlehre der Deutschen Christen beauftragte. Zur Umsetzung des Gutachtens kam es aber nicht; die Möglichkeit eines Lehrzuchtverfahrens gegen deutsch-christliche Pfarrer gab es nach dem damaligen landeskirchlichen Recht nicht.
Unterschiedliche theologische Betrachtungsweisen über die Einheit von Lehre, Ordnung und Amt der Kirche existierten auch innerhalb der Bekennenden Kirche. Nach der Reichsbekenntnissynode von Oeynhausen kam es zum Auseinanderbrechen der Bekenntnisfront innerhalb der Bekennenden Kirche. Die Spaltung der Bekennenden Kirche im Reich Anfang 1936 war für den Landesbruderrat eine schwere Belastung. Auf Grund des von der 2. Bekenntnissynode im Herbst 1934 in Berlin-Dahlem proklamierten kirchlichen Notrechts bildete sich die vom Staat nicht anerkannte 2. Vorläufige Kirchenleitung der Bekennenden Kirchen, die für die sogenannten zerstörten, unter der Herrschaft von Deutschen Christen stehenden Landeskirchen kirchenleitende Funktionen in Anspruch nahm. Im Gegensatz dazu schlössen sich die sogenannten ,intakten‘ Landeskirchen Bayern, Hannover und Württemberg im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zusammen und waren teilweise zu einer Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen weiterhin bereit. Darin sah der Landesbruderrat eine Schwächung der Bekennenden Kirche; Dipper war an den schwierigen, spannungsreichen Besprechungen beteiligt. Entschiedene Barthianer, die sich aus der KTA heraus zur Sozietät zusammengeschlossen hatten, sprachen schließlich der Kirchenleitung das Recht der geistlichen Führung ab und drängten den Landesbruderrat zur Wahrnehmung des kirchlichen Notrechts, d. h. zur Übernahme und Ausübung kirchenleitender Funktionen. Dieses Ansinnen lehnte der Landesbruderrat ab, der sich trotz aller Differenzen stets der Autorität der Kirchenleitung untergeordnet hatte. Mit der Handreichung „Der Leib Christi. Zur innerkirchlichen Lage in Württemberg“ erläuterte Dipper die Haltung des Bruderrats.
Bei der Einführung des staatlichen Treuegelöbnisses für die Pfarrer und Beamten der Landeskirche kam es 1938 auch innerhalb Württembergs zur Trennung der Bekennenden Kirche. Als gemäßigter Vertreter der Bekennenden Kirche konnte der Landesbruderrat trotz vieler Bedenken dieses Gelöbnis akzeptieren, der radikale Flügel der Sozietät lehnte es ab. Die Sozietät stellte die Autorität der Kirchenleitung in Frage und verließ den Landesbruderrat.
Während des II. Weltkriegs wurde deutlich, daß es kein friedliches Verhältnis zum NS-Staat geben konnte, daß die nationalsozialistische Weltanschauung konsequent auf die Zerstörung und Ausrottung von Kirche und Christentum zielte. Der Landesbischof protestierte gegen Unrecht und Verbrechen des NS-Regimes; er entwickelte sich zum Vertrauensmann aller nicht deutsch-christlichen kirchlichen Kreise und konnte 1941 sein kirchliches Einigungswerk beginnen, das 1945 in der Evangelischen Kirche in Deutschland vollendet wurde.
Nach dem Untergang des Dritten Reiches stand Dipper mit seinen vielfältigen Erfahrungen aus dem Kirchenkampf sowohl seiner Landeskirche als auch der sich im Werden befindlichen Evangelischen Kirche in Deutschland mit Rat und Tat zur Seite. In der Überzeugung, daß kirchliche Arbeit nicht nur von offiziellen Organen der Kirche getragen werden kann, führte die Bekenntnisgemeinschaft ihre theologische Arbeit fort. Zum Dekan ernannt, wurde Dipper Mitglied der Synode der Württembergischen Landeskirche und der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. In diesen Funktionen sowie weiterhin als Vorsitzender des Württembergischen Landesbruderrats und ab 1956 auch als Vorsitzender des Bruderrats der Evangelischen Kirche in Deutschland war er praktisch an allen Entscheidungen seiner Kirche beteiligt.
Anläßlich seines 65. Geburtstags sollte Dipper 1968 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden. Noch aktiv im kirchlichen Dienst stehend, war es ihm verwehrt, diese Auszeichnung anzunehmen. Dipper starb ein Jahr später unerwartet auf einer Urlaubsreise in Italien. Die Bekenntnisgemeinschaft ging nach seinem Tod unter der Bezeichnung „Evangelium und Kirche“ als mittlere Gruppierung in der württembergischen Landessynode auf.
Quellen: LKA Stuttgart, D 31 (Nachlaß Dipper); OKR Stuttgart, Personalakte
Werke: Aufsätze etc., in: Evangelisches Kirchenblatt für Württemberg, 1933 ff.; Das Amt der Kirche, 1947; Evangelische Gewissensberatung für Wehrpflichtige, Calwer Hefte 1957; Evangelium und Kirche, Rundbriefe der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft, 1959 ff.; Die Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg 1933-1945, 1966
Nachweis: Bildnachweise: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg Nr. 3/1968

Literatur: H. Hermelink, Geschichte der Evangelischen Kirche in Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart, 1949; Landesbruderrat der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg (Hg.), Evangelische Freiheit und kirchliche Ordnung, 1968; Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg Nr. 3/1968 und Nr. 36/1969; G. Schäfer, Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus, Bde. 2-6, 1972 ff.
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