Reinle, Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 01.11.1892;  Offenburg
Sterbedatum/-ort: 09.04.1945;  Sinsheim/Elsenz durch Selbstmord
Beruf/Funktion:
  • Oberlandesgerichtspräsident
Kurzbiografie: 1898 Eintritt in die Volksschule Offenburg
1911 Abitur am Gymnasium Offenburg
1911–1915 Studium d. Rechtswissenschaft
1915 Rechtspraktikant
1915–1916 Militärdienst
1920 Gerichtsassessor
1921 Staatsanwalt in Mannheim
1927 Amtsgerichtsrat in Philippsburg
1931 Amtsgerichtsrat in Wiesloch
1933 Oberregierungsrat im bad. Justizministerium
1933 Ministerialrat, Senatspräsident am Oberlandesgericht Karlsruhe
1937 Oberlandesgerichtspräsident in Karlsruhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ab 1936 gottgläubig
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer (1935); silb. Treudienstehrenzeichen (1938); Kriegsverdienstkreuz ohne Schwerter (1945)
Verheiratet: 1921 Elisabeth Berta, geb. Frey (1898–1975), Tochter des Fabrikanten Georg Frey u. d. Berta Frey, geb. Schneider
Eltern: Vater: Jakob (1860–1921), Lokomotivführer
Mutter: Marie, geb. Ritter (1866–1932)
Geschwister: unklar, ein Bruder ist sicher.
Kinder: 3
GND-ID: GND/136383742

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 309-312

Reinles Familie stammt aus Schwetzingen, seine beiden Großväter lebten dort als Landwirte. Aus beruflichen Gründen war Reinles Vater nach Offenburg gezogen, wo er bei der Reichsbahn arbeitete. In dieser Stadt wuchs Reinle auf. Nach dem Abitur am Großherzoglichen Gymnasium studierte er Rechtswissenschaft in München, Genf, Berlin, Freiburg und Heidelberg. Bei Beginn des I. Weltkriegs hatte Reinle sich freiwillig gemeldet, war jedoch zurückgestellt worden. Nun legte er in Heidelberg das I. Staatsexamen mit der Note „gut“ ab. Im Jahre 1915 wurde er zum Ersatzbataillon des Infanterieregiments 109 eingezogen, danach befand er sich bei der Ersatzabteilung des Feldartillerieregiments 50. An der Front kam er nicht zum Einsatz, vielmehr wurde er Anfang 1916 als „nur garnisonsdienstfähig“ entlassen. Jetzt verbrachte er seine Rechtspraktikantenzeit bei verschiedenen bad. Gerichten und Behörden. Im Jahre 1920 legte er das II. Staatsexamen als 3. von 24 Kandidaten ebenfalls mit der Note „gut“ ab. Im darauffolgenden Jahre wurde Reinle zum Staatsanwalt in Mannheim ernannt. Im Jahre 1927 ging er als Amtsgerichtsrat nach Philippsburg, im Zeitraum von 1928 bis 1931 hat man ihn viermal vorübergehend als Hilfsrichter beim Oberlandesgericht in Karlsruhe eingesetzt. Im Jahre 1931 kam er ans Amtsgericht in Wiesloch. Dort wurde er bei einer Dienstprüfung im November 1932 als „sehr befähigter, tüchtiger, gewissenhafter und sozialempfindender Richter“ gelobt.
Politisch gehörte Reinle 1918 der Vaterlandspartei, von 1921 bis 1923 dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund an, zugleich wirkte er im Vorstand dieser Vereinigung. Am 1. März 1932 trat er unter der Mitgliedsnummer 966 919 in die NSDAP ein. Nun fungierte er als Kreisrechtsamtsleiter und als Kreisschulungsleiter, ferner bis zum März 1933 als Ortsgruppenleiter von Wiesloch. Im Januar 1933 hielt er auf einer Versammlung der NS-Ortsgruppe Wiesloch ein Referat über die Rassenfrage, in dem er vor „Vermischung“ warnte und zugleich ankündigte, Hitler wolle wieder „ein gesundes Kernvolk schaffen.“ Wegen seines politischen Engagements hatte der demokratisch denkende Generalstaatsanwalt Dr. Karl Hafner schon früher den Reinle verwarnt. Doch eben diesem überzeugten parteilichen Einsatz verdankt Reinle einen ganz ungewöhnlichen beruflichen Aufstieg. Nach der NS-„Machtergreifung“ wurde er nämlich bereits am 20. März 1933 als Referent ins bad. Justizministerium berufen und Ende April zum Oberregierungsrat, Anfang November 1933 zum Ministerialrat befördert. Schon im nächsten Jahre sah sich Reinle mit der kommissarischen Vertretung des in den Ruhestand tretenden Ministerialdirektors betraut. Im Zuge der sog. „Verreichlichung“ ist das Landesjustizministerium auf den 1. April 1935 aufgelöst worden, die Justizverwaltungsgeschäfte gingen weitgehend auf die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts über. Gleichzeitig ist Reinle zum Senatspräsidenten und ständigen Vertreter des Chefs des Oberlandesgerichts ernannt worden. Doch Reinle übernahm keine richterlichen Aufgaben, sondern er leitete fortan die vergrößerte Verwaltungsabteilung des Gerichts.
Reinles Aufgabenkreis umfasste die Personalangelegenheiten der Richter. Wie schon als Ministerialrat übte er auf diesem Gebiete eine unheilvolle Tätigkeit aus. So hat er dem bei der Staatsanwaltschaft Freiburg tätigen Gerichtsassessor Karl Siegfried Bader (BWB IV 8) unter Schimpfworten die Übernahme auf eine Planstelle verweigert, da Baders Ehefrau jüdischer Abstammung war. Dem in Karlsruhe tätigen Gerichtsassessor Julius Federer (BWB IV 75) hat er die Versetzung auf eine Planstelle verwehrt, da dieser den Eintritt in die Partei aus Gewissensgründen standhaft ablehnte. Es gibt eine Reihe glaubwürdiger Zeugnisse, so etwa des während der Weimarer Zeit amtierenden Ministers Erwin Umhauer, wonach Reinle auf Bewerber für den höheren Justizdienst Druck ausübte, indem er den Eintritt in die Partei oder ihre Gliederungen zur Voraussetzung machte. Viele junge Juristen, die um der Erreichung ihres Berufsziels willen nachgaben, sind nach Kriegsende in politische Säuberungsverfahren verstrickt worden. Ebenso hat Reinle seit seinem Eintritt ins Ministerium aktiv an der Entlassung jüdischer Richterkollegen mitgewirkt. Auf Befehl des Gauleiters und Reichskommissars Robert Wagner (➝ II 297) wurden Ende März 1933 die jüdischen Richter gezwungen, ihre Beurlaubung zu beantragen. Lediglich ehemalige Frontkämpfer und vor August 1914 Eingestellte durften einstweilen noch Dienst tun, doch auch sie mussten Ende Dezember 1935 aus dem Amte scheiden. Insgesamt sind damals in Baden 24 Richter, dazu eine Reihe von Staatsanwälten und Notaren jüdischer Abstammung, aus dem Beruf gedrängt worden.
Reinle engagierte sich zeitweise auf konfessioneller Ebene. Im September 1934 wurde ihm gestattet, ein Nebenamt im erweiterten Oberkirchenrat der ev. Landeskirche Badens auszuüben und die anfallenden Entschädigungen entgegenzunehmen. Recht bald schon zeigte Reinle an, dass dieses Amt Ende Dezember 1934 sein Ende gefunden habe. Nach Angaben seiner Ehefrau ist Reinle um das Jahr 1936 aus der Kirche ausgetreten, er selbst bezeichnete sich später als „gottgläubig“. Parteipolitisch hatte sich Reinle seit 1933 im NS-Rechtswahrerbund als Gauführer und Gauorganisationsleiter betätigt, 1934 war er in den Reichsluftschutzbund und die NS-Volkswohlfahrt eingetreten. Er war weiterhin Mitglied in NS-Kriegsopferversorgung und Kriegsgräberfürsorge, in den Akten wird er als Träger der Regierungsuniform bezeichnet. Berufliche Nebenämter bildeten der Vorsitz beim Berufungsgericht der Presse und der stellvertretende Vorsitz im Justizprüfungsamt. Doch Reinles Aktivitäten wurden häufiger von Krankheit unterbrochen: Bereits im Jahre 1921 hatte der junge Assessor drei Monate Erholungsurlaub wegen nervöser Erschöpfung beantragt, ein paar Jahre später traten Magengeschwüre auf, danach kam es zu Gallenblasenentzündung und Kropfoperation, nach Kriegsbeginn zu nervöser Erschöpfung und Bronchitis, obendrein bedurfte es einer Badekur wegen Rheuma und Gelenkarthrose, schließlich trat eine Herzneurose auf.
Gegenüber dem Oberlandesgerichtspräsidenten Karl Buzengeiger (vgl. S. 53) gebärdete sich der Senatspräsident Reinle als linientreuer Sachwalter des NS-Regimes. Buzengeiger, der nicht der Partei angehörte und um seine Position bangte, reagierte mit gefügiger Anpassung. Bei Heranrücken der Pensionierung des Präsidenten ließ der Karlsruher Gauleiter Wagner dem Stellvertreter des Führers in München mitteilen, man habe Reinle als Nachfolger in Aussicht genommen. Zur Begründung wurde angeführt, dass Reinle sich schon früh „im Kampf gegen das Judentum sehr stark eingesetzt“ und als alter Parteigenosse große Verdienste um die nationale Erhebung erworben habe. „Er war längere Zeit vor der Machtergreifung Wahlredner und hat sich später in seiner Eigenschaft als Richter jederzeit rückhaltlos für die Partei eingesetzt.“ Nachdem die Münchner Parteistelle ihre Zustimmung signalisiert hatte, konnte der Reichsminister der Justiz den Bewerber Reinle mit Wirkung vom 1. Juni 1937 zum Karlsruher Oberlandesgerichtspräsidenten ernennen. In seiner Antrittsrede beteuerte Reinle, er werde auch im neuen Amt Nationalsozialist sein und bleiben.
Diese Ankündigung hat Reinle bei seiner richterlichen Arbeit immer wieder in die Tat umgesetzt. So hat er etwa bei einem Antrag jüdischer Brautleute auf Erteilung des Ehefähigkeitszeugnisses die Ablehnung angeordnet und vermerkt, „[…] dass ich grundsätzlich gegen jede Eheschließung und Erleichterung und daraus sich ergebende Vermehrung der jüdischen Rasse in Deutschland bin.“ Zweideutig war die Haltung Reinles bei Vorwürfen gegen Richter, die in Zivilprozessen zugunsten von Angehörigen jüdischer Konfession entschieden hatten. Zuweilen stellt er sich vor die angegriffenen Richter, in vielen Fällen aber hat er auf solche Anwürfe schwach oder gar nicht reagiert, um Reibungen mit der Partei zu vermeiden. Ähnlich verfuhr Reinle bei Versuchen von Parteifunktionären, Gerichtsverfahren zu beeinflussen, an denen Parteigenossen beteiligt waren. Zwar nahm Reinle solche Fälle öfter zum Anlass, die Beschwerdeführer auf die richterliche Unabhängigkeit hinzuweisen, doch dürfte es ihm dabei in erster Linie um die Abgrenzung seines eigenen Zuständigkeitsbereichs gegangen sein. So scheute er denn auch nicht davor zurück, hinterher die betroffenen Richter mit kollegialer Miene nachdrücklich darüber zu belehren, dass sie sich bei ihrer Rechtsprechung den Parteizielen unterzuordnen hätten. Vor allem bei Beförderungswünschen hat Reinle die Richter zum Eintritt in die NSDAP und zur Übernahme von Parteiämtern gedrängt.
Nachdem das benachbarte Elsaß 1940 von deutschen Truppen erobert worden war, hatte Gauleiter Wagner als Chef der Zivilverwaltung Reinle beauftragt, die Geschäfte der Justizverwaltung in diesem besetzten Gebiet zu führen. Allerdings wertete Reinle das deutsche Vorgehen im Elsaß realistischer als die Parteidienststellen. Er beanstandete, dass die leitenden Justizpositionen allein mit Reichsdeutschen besetzt worden waren, wandte sich gegen die Einrichtung von Konzentrationslagern und protestierte gegen die 1944 erlassene Standgerichtsordnung, die einen Freibrief für die Polizei bedeutete und die Justiz ausschaltete. Bei all dem verlor Reinle nicht seinen eigenen Vorteil aus dem Auge: Mit Hilfe eines elsässischen Justizbediensteten erwarb er bei einem Händler in Sulz im Elsaß 140 Flaschen Burgunderwein, die er ohne Ausfuhrgenehmigung mit dem Dienstwagen in seine Karlsruher Wohnung schaffte.
Am Dienstort Karlsruhe war durch Luftangriffe das Dienstgebäude der Verwaltungsabteilung in der Herrenstraße zerstört, das Gerichtsgebäude in der Hoffstraße beschädigt worden. Nach dem Einmarsch der Alliierten ins nahe Straßburg und einem weiteren schweren Luftangriff auf Karlsruhe entschloss man sich, Teile des Oberlandesgerichts im Dezember 1944 per Eisenbahntransport in das Amtsgerichtsgebäude in Sinsheim zu verlegen. Beim Einrücken amerikanischer Truppen hat sich Reinle dort am 9. April 1945 im Zimmer des Dienstvorstands erschossen. Die Leiche wurde auf dem Sinsheimer Friedhof beigesetzt, sechs Monate später umgebahrt auf den Hauptfriedhof in Karlsruhe. Das Grab besteht heute nicht mehr.
Nach dem Kriege wurde ein Entnazifizierungsverfahren eingeleitet. Für das württemberg-badische Justizministerium erklärte OLG-Vizepräsident Wilhelm Martens (BWB IV 218) im April 1947, es stehe fest, dass Reinle ein überzeugter Anhänger und Verfechter der NS-Ideologie und NS-Methoden war und seine Personalpolitik diesen Gesichtspunkten entsprechend einrichtete. Martens betonte: „Besonders hervorstechend war seine Unterstützung der rassischen Ziele des Nationalsozialismus und seine Feindseligkeit gegenüber kirchlichen und insbesondere katholischen Bindungen.“ Folgerichtig beantragte der öffentliche Kläger die Einstufung Reinles in die Gruppe der Hauptschuldigen. Der Vertreter der Ehefrau Reinles legte mehrere schönfärberische Erklärungen früherer Mitarbeiter oder Kollegen vor, die Reinles Verhalten abzuschwächen suchten. Überraschend hat die Spruchkammer Karlsruhe daraufhin am 15. Juli 1948 den Betroffenen in die Gruppe der Minderbelasteten eingereiht, allein die entlastenden Darstellungen zugrunde legend. Im Übrigen wurde das Verfahren eingestellt, da der Betroffene verstorben war. Es ist offenkundig, dass man auf diese Weise der Witwe und den drei Kindern die Pensionsansprüche erhalten wollte. Bei der anschließenden Festsetzung dieser Versorgungsbezüge der Hinterbliebenen ist das Justizministerium davon ausgegangen, dass Reinle unter normalen Verhältnissen lediglich die Stelle eines Landgerichtsdirektors hätte erlangen können. Seine weiteren Beförderungen blieben unberücksichtigt, da sie wegen der engen Verbindung des Beamten zum Nationalsozialismus vorgenommen worden waren. Allemal ändert die allzu milde Entscheidung der Spruchkammer nichts daran, dass Reinle zu den führenden Trägern der NS-Diktatur zu zählen ist.
Quellen: BA R 3001/71924, R 3001/53324, Buzengeiger; GLA Karlsruhe 240, Zug. 1999–66, Nr. 69, 465a/ 51/4/5010, 465 a/51/12/7880, 465 c/908, 551/157; StadtA Sinsheim Nr. 35/1945 Sterbeurkunde; Auskunft Bauverwaltungsamt Sinsheim vom 4.8.2006.
Nachweis: Bildnachweise: Münchbach, 2003, 170 (vgl. Literatur).

Literatur: Karl Stiefel, Baden 1648–1952, 1977, 898; Ortwin Henssler, 100 Jahre Gerichtsverfassung, Oberlandesgerichte Karlsruhe u. Stuttgart 1879–1979, 1979, 52; Michael Sunnus, Der NS-Rechtswahrerbund (1928–1945), 1990, 118; Hermann Schäfer (Hg.), Geschichte in Verantwortung, FS für Hugo Ott, 1996, 224; Christof Schiller, Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich, 1997, 86, 129, 138, 241, 301; Michael Kißener u. a. (Hgg.), Die Führer d. Provinz, 2. Aufl. 1999, 219; Angela Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, 2000, 170, 209; Michael Stolle, Die Geheime Staatspolizei in Baden, 2001, 102; Werner Münchbach (Hg.), 200 Jahre Bad. Oberhofgericht/Oberlandesgericht Karlsruhe, 2003, 14, 170, 358, 388; Michael Kißener, Zwischen Diktatur u. Demokratie, Bad. Richter 1919–1952, 2003, 212; Angela Borgstedt, Bad. Juristen im Widerstand, 2004, 147; Detlev Fischer, Rechtshistorische Rundgänge durch Karlsruhe, 2005, 38, 59; Reiner Haehling von Lanzenauer, Heinrich Reinle, in: Journal d. Jurist. Zeitgeschichte 2007, 88–93, 2009, 115. – Zeitungen: Die Volksgemeinschaft Heidelberg, 3. Jg., Nr. 26 vom 31. 1. 1933, 4; Der Führer vom 3. u. 7. 6. 1937.
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