Schmalzbach, Leon Leopold 

Geburtsdatum/-ort: 13.10.1882; Jaroslau/Galizien
Sterbedatum/-ort: 01·1943-12-31.01.1941; Jungfernhof bei Riga
Beruf/Funktion:
  • Lehrer, Musiker und Rabbinatsverweser in Hechingen, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1888-1895 Volksschule und Realschule in München
1895-1898 Präparandenanstalt in Höchberg bei Würzburg
1898-1901 Königliches Schullehrer-Seminar in Würzburg
1901-1904 Lehrer in Pfungstadt bei Darmstadt
1904-1908 Studium an der Königlichen Akademie der Tonkunst in München (u. a. bei Max Reger)
1908 (provisorische) Anstellung als Lehrer und Vorsänger (Rabbinatsverweser) bei der israelitischen Gemeinde Hechingen
1912/1913 Erhalt der preußischen Staatsbürgerschaft; zweite Dienstprüfung und Festanstellung als Lehrer der israelitischen Volksschule Hechingen
1912/1915 Entdeckung und Erforschung der „Hohenzollernhöhle“ und der „Mackensenhöhle“ auf der Schwäbischen Alb
1915-1918 Kriegsteilnahme; Verleihung des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse
1925 Gründungsmitglied des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ in Hechingen
1933 Entlassung aus dem Staatsdienst
1938 Verhaftung im Zuge der „Reichspogromnacht“ und zeitweilige Internierung im KZ Dachau
1941 Deportation ins KZ Jungfernhof bei Riga
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: 1919 Mina, geb. Weil (5.5.1888-1942), geschieden 1926
Eltern: Vater: Rubin Josef Schmalzbach, Musiker und Malergehilfe (geb. 1856)
Mutter: Anna Chaje, geb. Käfer aus Tarnow (geb. 1859)
Geschwister: Hermann (geb. 1884)
Michael David (geb. 1886)
Karl Wilhelm (geb. 1887)
Franziska (Fanny) Charlotte (1890-1941)
Debora Gisela (geb. 1896)
Kinder: Ruth (geb. 3.11.1920)
GND-ID: GND/136809723

Biografie: Ines Mayer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 240-242

Obwohl er als Rabbinatsverweser ein geistliches Amt bekleidete, verkörperte Schmalzbach den Typ des assimilierten und patriotischen deutschen Juden der späteren Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Wie unzählige seiner Glaubensgenossen nahm er als Frontsoldat am Ersten Weltkrieg teil, wurde verwundet und im April 1918 mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet. Noch zuvor hatte er seine Heimatverbundenheit in besonderer Weise demonstriert, indem er zwei Höhlen beim Hangenden Stein am Albtrauf bei Hechingen entdeckte und erforschte und ihnen die Namen „Hohenzollernhöhle“ und „Mackensenhöhle“, nach dem preußischen Generalfeldmarschall und „Befreier Galiziens“, gab.
Seine größten Verdienste erwarb sich Schmalzbach um das deutsche Volkslied. Nach seinem Lehramtsstudium und drei Jahren Berufstätigkeit hatte er den Schuldienst 1904 unterbrochen, um sieben Semester lang an der Münchener Akademie der Tonkunst zu studieren. Er belegte Kurse bei Sachs, Günzburger, Beer-Waldbrunn und Max Reger. Noch vor seiner Übersiedlung nach Hechingen waren von ihm mehrere Kompositionen erschienen und u. a. in München aufgeführt worden. Aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben als Rabbinatsverweser und Lehrer in Hechingen – Schmalzbach erhielt als österreichischer Staatsbürger 1908 zunächst nur eine provisorische, nach seiner Naturalisation 1913 dann eine Festanstellung –, Kriegsteilnahme und Eheschließung ruhte sein musikalisches Schaffen für mehrere Jahre. Erst als 1926 die israelitische Volksschule wegen rückläufiger Schülerzahlen geschlossen und Schmalzbach damit seiner dortigen Lehrtätigkeit enthoben worden war – er unterrichtete allerdings weiterhin israelitische Religion an der Volksschule, der höheren Töchterschule und am Gymnasium – konnte er sich wieder verstärkt der Musik zuwenden. Er leitete mehrere Gesangvereine, dirigierte Chor und Orchester des Musikvereins, vertonte Heimatgedichte, komponierte den Narrenmarsch für die Fasnachtsgesellschaft „Narhalla“ und zahlreiche „Neue Volkslieder“ für Männerchöre. Dabei wandte er sich in zahlreichen musiktheoretischen Aufsätzen gegen die damalige Tendenz, das Volkslied künstlich zu reaktivieren, indem man „alte Leichen“ wieder lebendig mache. In seiner anonym erschienenen Satire „Musikalische Phantasie“ beschuldigt Schmalzbach die Musikwissenschaft, „die unmöglichsten Sammlungen“ nach alten Melodien durchzustöbern, zu bearbeiten und zu drucken, und den Verlegern wirft er vor, sie würden lieber eine schlechte Bearbeitung eines alten Liedes als ein gutes Lied eines strebsamen neuzeitlichen Künstlers kaufen. Er forderte dagegen, „neue Lieder mit neuen Melodien“ zu schaffen, die „dem heutigen Empfinden des deutschen Volkes entsprechen“. Hierin sei er, wie ein Musikredakteur 1931 schrieb, selbst mit gutem Beispiel vorangegangen. „Man wird erkennen, dass hier echtes deutsches, für alle Verhältnisse passendes Liedgut geschaffen wird.“
Die mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten einsetzende Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung hatte Schmalzbach wohl nicht vorausgeahnt. Noch bei der Einweihung der Hechinger Kriegergedächtnisstätte im Oktober 1932 hatte er in seiner Ansprache das gute Verhältnis zwischen Juden und Christen in der Stadt hervorgehoben: „Schaut hin auf die Namen auf den zwei steinernen Gedenktafeln! Es sind darauf verzeichnet die Kriegsopfer der drei Gottesgemeinden. Im Kleinen sind diese Tafeln ein getreues Abbild der Volksverbundenheit, die ihr Höchstes, das Leben, hingab, als das Vaterland in Not war. Und wie hier so überall im großen Vaterlande! Alle diese Tafeln in Nord und Süd, in Ost und West predigen uns durch den Augenschein die innere Einheit des deutschen Volkes. Wir in Hechingen wussten das von jeher. Hier hat sich immer ein friedliches Zusammenleben, gegenseitiges Einstehen und menschenfreundliche Hilfsbereitschaft bei allen Glaubensbekenntnissen gezeigt. Und wir Juden, die seit vielen Jahrhunderten in dieser Stadt ansässig sind, haben das schöne Verhältnis der Volksverbundenheit so selbstverständlich gefunden wie unsere Mitbürger.“
Bereits im April 1933 wurde Schmalzbach als „nichtarischer Beamter“ aus dem Staatsdienst entlassen und in der Folgezeit auch seine Mitwirkung in den örtlichen Vereinen unterbunden. 1938 wurde er im Gefolge der „Reichspogromnacht“ verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Dachau interniert. Nach seiner Freilassung bemühte er sich um eine Ausreise nach Paraguay, die jedoch an der Nichterteilung eines Transit-Visums für Argentinien oder Uruguay scheiterte. Im November 1941 wurde Schmalzbach zusammen mit dem Großteil der Hechinger Juden, darunter auch seine geschiedene Frau Mina, – die gemeinsame Tochter Ruth konnte noch im März nach England entkommen – ins Sammellager auf den Stuttgarter Killesberg gebracht und von dort am 1. Dezember ins Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga deportiert, wo er 1942 umkam.
Werke: Berichte über die „Hohenzollern-“ und „Mackensenhöhle“ in den Blättern des Schwäbischen Albvereins (BlSAV) sowie mehrere Kompositionen und Aufsätze zur Musik, nachgewiesen bei Werner (vgl. Lit.).
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: Werner (vgl. Lit.) und (mit Tochter) in: Juden in Hechingen. Geschichte einer jüdischen Gemeinde in neun Lebensbildern aus fünf Jahrhunderten. Text und Zusammenstellung der Dokumente von Casimir Bumiller, 1991, 54; Otto Werner, Synagogen und jüdischer Friedhof in Hechingen, 1996, 162 und 179; Porträt (Ölgemälde) in der Alten Synagoge Hechingen.

Literatur: Otto Werner, L. Schmalzbach (1882-1942), Lehrer und Rabbinatsverweser in Hechingen, in: ZHG 16 (1980), 116-195.
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