Marguerre, Fritz Friedrich Karl 

Geburtsdatum/-ort: 17.02.1878; Gent (Belgien)
Sterbedatum/-ort: 13.10.1964;  Baden-Baden, 19.10. beigesetzt in Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Ingenieur und Elektrizitätswirtschaftler
Kurzbiografie: 1896 Abitur im Preußischen Kadettenkorps Berlin
1897-1902 Studium der Elektrotechnik an der TH Aachen und Karlsruhe
1902-1904 Assistent an der TH Karlsruhe und Promotion bei Hofrat Prof. E. Arnold zum Dr.-Ing.
1904-1909 Prüffeldingenieur bei Brown, Boveri&Cie, Schweiz
1909-1912 Chefingenieur bei Errichtung eines Wasserkraftwerkes/Norwegen
1913-1921 Direktor bei Kraftanlagen A.G. (später in Heidelberg)
1921-1952 Erster Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Großkraftwerkes Mannheim (GKM)
1927 Initiator der ersten Hochdruck-Dampfturbinenanlage in Europa und der ersten Fernwärmeversorgung
1936 Entwicklung eines Kraftwerkes in halbunterirdischer Bauweise
1932 Dr. Ing. e. h. der TH Karlsruhe
1950 Verleihung der Guillaume-Medaille durch VGB
1952 Großkreuz des Bundesverdienstkreuzes und Titel „Professor“ durch die Landesregierung von Baden-Württemberg
1954 Ehrenbürger der Stadt Mannheim
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1. 1905 Aachen, Mathilde, geb. Schmalhausen
2. 1934 Olga, geb. Meyrinck
Eltern: Karl Marguerre (1842-1915), Ingenieur
Fanny, geb. Kufferath (1850-1885)
Geschwister: 1
Kinder: Karl (1906-1979)
Wolfgang (geb. 1907)
Ferdinand (geb. 1909)
GND-ID: GND/137929439

Biografie: Wolfgang Wirth (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 310-312

Marguerre, geboren und aufgewachsen in Belgien, war trotz des französisch klingenden Namens deutschstämmig. Seine Eltern kamen aus dem Rheinland. Sein durch die Mutter geprägtes Bildungsstreben führte ihn von der belgischen Schule in das Preußische Kadettenkorps nach Berlin, wo er das Abitur ablegte. Der in späteren Jahren überzeugte Europäer verließ paradoxerweise diese Anstalt als Antimilitarist.
Nach dem Studium der Elektrotechnik an den Technischen Hochschulen in Aachen und Karlsruhe promovierte er nach zweijähriger Assistententätigkeit 1904 zum Dr.-Ing.
Seine erste Anstellung fand er bei Brown, Boveri in der Schweiz. Von dort ging der hochbegabte Ingenieur nach Norwegen, wo er an der Errichtung der Wasserkraftanlage Rjukanfos mitwirkte. Zurückgekehrt übernahm Marguerre in Mannheim die Leitung der von BBC gegründeten „Kraftanlagen A.G.“.
Sein Aufstieg begann 1921, als die Stadt Mannheim zusammen mit dem Badenwerk, den Pfalzwerken und den Neckarwerken die Großkraftwerk Mannheim A.G. ins Leben rief und Marguerre zum ersten Vorstand des neuen Unternehmens bestellt wurde.
Planungsvater des Großkraftwerkes Mannheim (GKM) war Dr. Bühring, Direktor der Rheinelektra A.G. und Mannheimer Stadtrat. Seine Idee war, die 3 kleinen und veralteten Kraftwerke im Mannheim-Ludwigshafener Gebiet durch ein modernes Großkraftwerk zu ersetzen.
Die Lebensgeschichte von Marguerre ist auch die Geschichte des GKM, von der Zeit des Aufbaues bis zur Reife einer hochmodernen Anlage der 50er Jahre. Hier fand er seine Lebensaufgabe und konnte seine umfangreichen Kenntnisse und Erfahrungen voll zum Einsatz bringen.
Trotz Inflation, welche die beschafften Gelder mehrfach ins Nichts zerrinnen ließ, konnte das Werk im Herbst 1923 mit einer ersten Einheit an das Netz gehen.
Die Wettbewerbslage des GKM war jedoch von Anfang an schwierig, da im Zuge der aufkommenden Verbundwirtschaft andere Elektrizitätsgesellschaften vor allem den billigeren Braunkohlenstrom über Hochspannungs-Fernleitungen nahe an den Standort des GKM heranführten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, hieß das für Marguerre, den thermischen Prozeßwirkungsgrad seiner Anlage zu heben, um die Stromgestehungskosten soweit als möglich zu verringern. Auf einer Studienreise 1926 durch die USA reiften Marguerres Ideen zu dem Entschluß, die im Vergleich zu deutschen Verhältnissen weit fortgeschrittene amerikanische Hochdruck-, Dampfkessel- und Turbinentechnik in ‚seinem Werk‘ zum Einsatz zu bringen.
Seine Pionierleistung bestand nun darin, daß er die im Ausland angebahnte Entwicklung zu höheren Drucken und Temperaturen aufgriff, mit kühnen Gedankengängen weiterführte und neue Wege wies. Auf seinen Vorschlag hin wurden jetzt die weiteren Kessel des GKM als erste in Europa für 105 atü und 475 °C ausgelegt.
Eine solche Anlage ging Ende 1928 erstmalig in Betrieb. Doch der Fortschritt ließ sich nicht kampflos gewinnen. Manch schlaflose Nacht bereiteten Marguerre die technischen Probleme, die mit der hohen Materialbelastung verbunden waren und die sich erst nach Jahren durch bessere Werkstoffe und viele Erfahrungen beseitigen ließen. Auch mancher Vorwurf traf ihn, weil er es gewagt hatte, eine noch nicht ausgereifte Technik einzusetzen.
Jedoch als er es endlich geschafft hatte und die Anlage einwandfrei arbeitete, fanden sich bald Nachahmer, und er gewann als Wärmewirtschaftler große Bedeutung. Für diese Leistung wurde er 1932 von der TH Karlsruhe mit der Würde eines Dr.-Ing. e. h. ausgezeichnet. Seit dieser Zeit hat er immer wieder mit neuen Anregungen auf dem Gebiet der Wärmetechnik Erstaunliches geleistet und damit auch die Erweiterung „seines Großkraftwerkes“ vorangetrieben und gefördert, welches in dankbarer Anerkennung seit 1949 „Marguerre-Werk“ genannt wird.
Es war nicht immer leicht für Marguerre, seine großen Pläne gegenüber anderen Beteiligten durchzusetzen. Dennoch verstand er es, mit einer seltenen Überredungs- und Überzeugungskraft, seine gesteckten Ziele zu erreichen.
In den 30er Jahren hatte er erneut mit Absatzproblemen als Folge seiner Ausbaumaßnahmen zu kämpfen. Im Zusammenhang mit der damaligen Steinkohlenkrise war die Ansicht verbreitet, daß fern vom Ruhrgebiet liegende Steinkohlen-Kraftwerke unwirtschaftlich seien und nur minderwertige Kohle nahe dem Förderstandort verstromt werden dürfe. Hier sah sich Marguerre veranlaßt, mit einer großen Denkschrift den Gegenbeweis anzutreten.
Da auch die immer leistungsfähigeren Hochspannungsnetze den Stromabsatz des GKM beeinträchtigten, bekämpfte Marguerre zeitweise den Bau solcher Höchstspannungsleitungen im Nahbereich des GKM. Um in dieser Sache noch größere Resonanz zu erzielen, rief er die „Studiengesellschaft für verbrauchsnahe Stromerzeugung“ ins Leben.
Der sich zur damaligen Zeit anbahnenden europäischen Stromverbundwirtschaft stand er daher eher skeptisch gegenüber und war ein großer Befürworter der dezentralen Stromerzeugung durch verbrauchernahe Kraftwerke auf kommunaler Ebene.
Weitere Bemühungen Marguerres galten schon früh der später so bedeutsam gewordenen Strom-Wärme-Kopplung. Bereits 1937 hatte das GKM mit der Fernwärmeversorgung benachbarter Industriebetriebe begonnen. Auch die ersten Planungen für die Stadtheizung Mannheim wurden von Marguerre initiiert, denn er hatte schon nach dem Ersten Weltkrieg die Wirtschaftlichkeit der Fernwärme für ein Stadtnetz erkannt und entsprechende Untersuchungen eingeleitet.
Im übrigen zeigte er eine ständige und große Anteilnahme an der Entwicklung des Gemeinwesens der Stadt Mannheim, was 1954 durch die Ernennung zum Ehrenbürger gewürdigt wurde. Infolge des ansteigenden Strombedarfes sah er sich 1936 wiederum gezwungen, eine Werkserweiterung zu beantragen. Diese wurde aber wegen der exponierten Grenzlage in bezug auf Kriegseinwirkungen abgelehnt. Dieser Ablehnung begegnete Marguerre mit einer Vorlage für ein Dampfkraftwerk in bombengeschützter, halbunterirdischer Bauweise.
Neben seinem Wirken auf dem Kraftwerkssektor war Marguerre auch auf dem Gebiet der Elektrotechnik bedeutend tätig und hat dort umfangreiche Neuerungen und Verbesserungen bewirkt.
So war der Einsatz eines ersten Bahnstromgenerators in „seinem Werk“ die Voraussetzung für die Elektrifizierung der Strecke Mannheim-Stuttgart.
Zahlreiche Veröffentlichungen zeugen von seinem Wirken für die Elektrizitätswirtschaft. Sein überragendes Wissen und Können und seine beispiellose Energie haben seinen Namen in der gesamten Fachwelt bekannt gemacht.
Für seine Leistungen und großen Verdienste für die Elektrizitäts- und Volkswirtschaft sind Marguerre viele Ehrungen zuteil geworden.
1932 verlieh ihm die TH Karlsruhe die Würde eines Dr.-Ing. e. h. Der Aufsichtsrat ehrte ihn durch die Verleihung des Titels „Generaldirektor“. 1950 wurde ihm von der Vereinigung der Großkesselbetreiber (VGB) die Guillaume-Medaille verliehen. 1952 erhielt er das Großkreuz zum Bundesverdienstkreuz sowie den Titel „Professor“ durch die Baden-Württembergische Landesregierung.
Sein reiches Wissen und seine Erfahrungen konnte er nach seiner 1952 erfolgten Pensionierung noch als Aufsichtsratsmitglied einbringen.
Quellen: GLAK: 237/38208, 39540-541, 39594; Mitteilungen von Dr. Ferdinand Marguerre, Heidelberg; Stadtarchiv Mannheim: Unterlagen aus Sammelbeständen betreffend Fritz Marguerre und Großkraftwerk Mannheim
Werke: Experimentelle Untersuchungen an polycyklischen Stromverteilungssystemen von Arnold Bragstadt-la Cour, Stuttgart 1904, Union Deutsche Verlagsgesellschaft, auch bei Enke in Stuttgart als Sammlung elektrotechnischer Vorträge, Bd. 5, H. 11/12; Verbrauchsorientierte Stromerzeugung, 2. Aufl. 1951, Hg. Marguerre; Die Kohle in der Elektrizitätswirtschaft, 1953, Hg. Marguerre; Aus meinem Leben, Mannheimer Hefte 1954. Heft 1, 1-7
Nachweis: Bildnachweise: Bronzetafel in der Eingangshalle des GKM

Literatur: Hans Reschke, Karl Friedrich Marguerre, in: Mannheimer Hefte 1964 H. 3, 2-3
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