Langsdorff, Georg von 

Geburtsdatum/-ort: 14.07.1822; Rio de Janeiro/Brasilien
Sterbedatum/-ort: 26.12.1921;  Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Zahnarzt, „48er“
Kurzbiografie: 1830 Übersiedlung der Familie nach Freiburg; Schulbesuch und Abitur
1843-1848 Studium der Medizin in Freiburg und Heidelberg, kein Examen
1846 Gründung des Heidelberger Turnvereins 1846
1847 Gründung des Freiburger Turnvereins 1844 (FTV)
1848 Anführer der Aufständischen in Freiburg, Flucht in die Schweiz
1849-1862 Exil in USA, Studium der Zahnheilkunde
1862-1870 niedergelassener Zahnarzt in Mannheim
1870 Niederlassung als Zahnarzt in Freiburg, Ausbilder und inoffizielle Tätigkeit als Dozent und Examinator für Universitäten
1874-1879 Standespolitische Tätigkeit
1877 Antrag an Senat der Universität Freiburg zwecks Errichtung einer akademischen Ausbildungsstätte für Zahnärzte
1890 scheitert mit seiner Kneipp'schen Heilanstalt, Tod der Ehefrau. Pfründner im Evangelischen Stift, Freiburg
1895 Ehrenmitglied der Turnerschaft
1905-1910 Reise nach USA und Mexiko
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1848 Amalie, geb. Wischek
Eltern: Vater: Georg Heinrich von Langsdorff (1774-1852), Arzt, Naturforscher, russischer Staatsrat
Mutter: Wilhelmine, geb. von Langsdorff
Geschwister: 8
Kinder: 1
GND-ID: GND/143358995

Biografie: Gunda Wegner (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 178-179

Unter großer Einsatzfreudigkeit vorwärtsstrebend, zudem intelligent, breit interessiert, diszipliniert, souverän und wortgewandt, Sohn eines weltweit anerkannten Universalgelehrten – so läßt sich knapp der Erfolg Langsdorffs erklären. Langsdorff erwarb sich nicht nur Bewunderung seiner Umgebung, sondern auch deren engagiertes Mittun. Bereits als 18jähriger erteilte er in Freiburg Turnunterricht und erarbeitete 1841 ein eigenes Trainingsprogramm für Individual- und Massenübungen. Während seiner Semester in Heidelberg gründete Langsdorff dort mit anderen den Turnverein 1846 und wurde in das Vorstandsgremium gewählt. Nach Freiburg zurückgekehrt, initiierte er die Gründung des Freiburger Turnvereins 1844. Dem Ziel der körperlichen Ertüchtigung stand zunehmend das der Wahrhaftigkeit und politische Forderungen gegenüber: sie sollten in der 48er Revolution ihren vehementen Ausdruck finden. Langsdorffs exponierte Stellung in den Kreisen derer, die sich für die gleichen Ziele einsetzten, sein kompromißloses, kämpferisches Naturell führten dazu, daß er am 26. März 1848 auf einer Massenversammlung auf dem Freiburger Münsterplatz von den 8 000-10 000 Aufständischen zu deren Anführer gewählt wurde. Aus diesen Tagen der ersten Volkserhebung in Baden stammt Langsdorffs Beiname „Münstergeneral“. Nach der Niederlage gegen reguläre Armeeverbände floh der steckbrieflich Gesuchte über Straßburg in die Schweiz, wo er politisch aktiv blieb und mit Struve im Frühjahr 1849 an der 2. Volkserhebung in Südbaden teilnahm. Abermals erfolglos entschied sich Langsdorff zum Verlassen Europas; eine Republik dem kaiserlichen Brasilien vorziehend, ging er nach USA. Dort war er anfangs ärztlich tätig und studierte dann Zahnmedizin in Cleveland.
Etwas entscheidend voranbringen, dieser Aufgabe stellte sich Langsdorff nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil. Während der folgenden 15 Jahre setzte er sich in außerordentlichem Maße für die Entwicklung und Stärkung dieses noch sehr jungen medizinischen Faches ein. Zwischen 1866 und 1884 publizierte er, anfangs unter den Pseudonymen Heimann und Zanginsky, in „Der Zahnarzt“ und der „Deutschen Vierteljahresschrift für Zahnheilkunde“ über 140 Artikel ganz unterschiedlichen Umfanges und alle fachlichen Teilbereiche abdeckend. Sein 1862 veröffentlichtes kieferorthopädisches Lehrbuch ist eines der ersten im deutschsprachigen Raum. Langsdorff war schon damals Befürworter einer integrativen Sicht in der Medizin: die Mundhöhle war in seinem Denken immer ein wesentlicher Bestandteil der Verdauungsorgane und des Gesamtorganismus.
Langsdorffs Wunsch, den Zahnarzt dem Mediziner ebenbürtig zu sehen, ließ ihn im „Central-Verein deutscher Zahnärzte“ standespolitisch aktiv werden: von 1874-1876 bekleidete er das Amt des dritten Vorsitzenden, zum zweiten Vorsitzenden wählte man ihn in den Jahren 1876-1879. Seine Hauptforderung war und blieb die nach staatlichen, akademischen zahnärztlichen Bildungsanstalten. Eine zu dieser Realisierung gebildete Kommission arbeitete ohne greifbare Ergebnisse. So versuchte es Langsdorff im Alleingang: er richtete 1877 ein Schreiben an den Senat der Universität Freiburg mit der Bitte um Errichtung einer zahnärztlichen Klinik. Bis dahin gab es in Deutschland nur drei private Ausbildungsstätten. Da Langsdorff inoffiziell bereits als Dozent und Examinator in Freiburg tätig gewesen war, kannte er den Bedarf und auch die technischen Voraussetzungen, die die Universität nur sehr eingeschränkt bot. Darauf aufbauend stellte er sein Gesuch, ergänzt durch einen eigenen, sinnvollen exemplarischen Studienplan. Vorausschauend fand sich Langsdorff bereit, für mancherlei notwendige Ausstattung privat Sorge zu tragen, sowie auf eine Honorierung seiner Tätigkeit zu verzichten. Sein Antrag wurde ablehnend beschieden: zum einen würden die Mittel fehlen, zum anderen mangele es Langsdorff an der wissenschaftlichen Befähigung, sprich Habilitation. Sein zunehmend engagierteres Eintreten für die Idee des Spriritualismus und auch sein wenig diplomatisches Auftreten mögen bei der Entscheidung mit eine Rolle gespielt haben.
Waren Langsdorffs Bemühungen anfangs auf den Körper (Turnen, Medizin, Zahnmedizin) ausgerichtet, änderten sie sich über eine umfassendere Sicht des Menschen (Ernährungsfragen, Farbtherapie, Homöopathie, Versuch, 1891 eine erste Kneipp'sche Heilanstalt in Freiburg zu errichten) hin zu einer geistig-seelischen Sicht (Spiritualismus). Nur letztere könne der Menschheit eine sinnvolle Weiterentwicklung bieten. In den Jahren 1879-1917 veröffentlichte er in der einschlägigen Presse mehr als 800 Beiträge. Als Langsdorff 1921 fast hundertjährig verstarb, würdigten allein die Turner seine Verdienste.
Werke: Unvollständige Autobiographie, in: Stadtarchiv Freiburg; 140 Veröffentlichungen, in: Der Zahnarzt, 1862-1872 u. Dt. VjS. f. Zahnheilkunde, 1871-1884; Das Entstehen d. Turnens in Freiburg in Baden u. s. Bedeutung im Jahre 1848, in: Dt. Turnzeitung, Leipzig Nr. 48, 40 (1895) Teil I u. Nr. 49, 40 (1895) Teil II; 800 Veröffentlichungen, in: a) Psychische Studien (1879-1899), b) Der Sprechsaal (1881, 1882), c) Neue Spiritualist. Blätter (1883-1898), d) Zs. f. Spriritismus (1897-1914), e) Zs. f. Seelenleben (1915, 1917); Katechismus über die Frage: was muß f. d. Erhaltung d. Zähne geschehen? Mannheim 1863, 41 S.; Kurze Anleitung z. Erlernung d. Psychometrie, 1911 3. Aufl.; Leipzig, 1898, 40 S., Ein Wegweiser f. d. Magnetisiren u. Massage. Leipzig, 1883, 53 S., 1915 6. Aufl.; Wie kann ich ein Medium werden? Leipzig, 1897, 31 S. 19214; Riga, 1933, 39 S. (Ka var tapt mediju?).
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde von Unbekannt im Konferenzsaal des FTV 1844, Freiburg.

Literatur: Ludwig Langsdorff: Gesch. d. Familie Langsdorff, Naumburg, 1931; Gerhard Diezemann: Dr. G. v. Langsdorff; das Leben e. Vorkämpfers f. d. Entwicklung d. dt. Zahnheilkunde u. d. Zahnärztestandes, in: Zahnärztliche Welt, Bd. 8 (1953) 454-457; Gunda Wegner: G. v. Langsdorff (Personalbiographie und Werkverzeichnis, Freiburg 1989, Diss.; Wolfgang Herterich, Freiburg entdeckt den Sport, in: Freiburger Almanach 41 (1900), 75-84.
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