Wanderung in Sturm und Nebel

Das Engländerunglück am Schauinsland 1936

Schauinsland mit Sturmwolken. Vorlage LABW (StAF W 134 Nr. 019483, Bild ), Fotograf: Willy Pragher.
Schauinsland mit Sturmwolken. Vorlage LABW (StAF W 134 Nr. 019483, Bild ), Fotograf: Willy Pragher. Zum Vergrößern bitte klicken.

Eine Gruppe aus 27 Schülern zwischen 12 und 17 Jahren der Strand School in London kam in Begleitung ihres 27-jährigen Lehrers Kenneth Keast am 16. April 1936 frühmorgens mit dem Zug in Freiburg im Breisgau an. Die Gruppe wollte während einer insgesamt zehn­ tägigen Reise eine fünftägige Wanderung durch den südlichen Schwarzwald unternehmen, die am 17. April in Freiburg beginnen sollte. In fünf Etappen wollte die Gruppe über den Schauinsland nach Todtnauberg und von dort aus weiter über Todtmoos, Feldberg und Titisee nach Himmelreich wandern, von wo aus sie dann mit der Höllentalbahn zurück nach Frei­burg reisen wollten. Doch es kam alles anders.

Ohne sich über das Wetter in den höheren Lagen erkundigt zu haben, brach Keast am Morgen des 17. Aprils mit seinen Schülern auf. Bei ihrem Aufbruch in der Jugendherberge im Peterhof schneite es in Freiburg und viele der Schüler waren nur leicht bekleidet. Keast hatte eine Karte des südlichen Schwarzwaldes im Maßstab 1:100.000 mitgenommen, keine detaillierte Wanderkarte. In Nebel und Schneefall verirrte sich die Gruppe bald und lief über eine Stunde in die falsche Richtung. In der Gaststätte St. Valentin – hier lagen schon 30 cm Schnee – fragte Keast gegen 11.00 Uhr nach dem Weg auf den Schauinsland. Dort wurde ihm zu einem Abbruch geraten, da er durch den starken Schneefall die Wegweiser bald nicht mehr werde lesen können. Doch Keast ließ sich nicht abbringen und ging weiter. Gegen 15.15 Uhr – die Gruppe war inzwischen sechs Stunden im Schnee unterwegs – begegneten sie einem Postschaffner. Auch dieser riet nochmals eindringlich davon ab, weiterzuwandern.

Doch erst gegen 16.00 Uhr gab Keast als neues Tagesziel Hofsgrund aus. Dazu führte er seine entkräfteten Schüler abseits des Weges 300 Meter steil aufwärts durch den verschneiten Wald. Gegen 18.30 Uhr hörte die Gruppe die Glocken der Hofsgrunder Kirche läuten, woraufhin Keast die stärksten Schüler losschickte, um Hilfe zu holen. Um 20.00 Uhr erreichten die ersten Schüler den Dobelhof bei Hofsgrund und von dort aus startete eine Rettungsaktion der Dorfbewohner. Auf Skiern und mit Schlitten machten sie sich in der Dunkelheit auf die Suche nach den noch fehlenden Schülern und ihrem Lehrer. Die aus Freiburg angeforderten Rettungsmannschaften und Krankenwagen kamen aufgrund des starken Schneefalls mit ihren Autos gar nicht bis Hofsgrund und mussten ebenfalls mit Schlitten abgeholt werden. Um 23.30 Uhr waren alle Gruppenmitglieder geborgen, vier der Schüler waren bereits an Erschöpfung und Unterkühlung gestorben. Ein fünfter Schüler verstarb am nächsten Morgen.

Um die angespannten diplomatischen Beziehungen zu England nicht noch weiter zu strapazieren, stellte sich das Deutsche Reich in den Medien als Helfer in der Not dar und beutete das Unglück propagandistisch aus. Für die überlebenden Schüler wurde in Freiburg durch die örtliche Hitlerjugend ein Freizeitprogramm ausgearbeitet und eine Ehrenwache an den Särgen der verstorbenen Jungen abgehalten. Das Deutsche Reich kümmerte sich um die Rückfahrt der Schüler und die Überführung der Verstorbenen. Keasts Darstellung eines unvorhersehbaren Unglücks wurde von der politischen Führung Deutschlands übernommen.

Die Staatsanwaltschaft Freiburg leitete damals Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen den verantwortlichen Lehrer Kenneth Keast ein. Die Akte wird im Staatsarchiv Freiburg verwahrt. Die darin enthaltenen Zeugenaussagen zeichnen ein genaues Bild des Unglücks im Schneesturm am Schauinsland. Nach Rücksprache mit dem Reichsminister der Justiz stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen jedoch später ein.

Annika Ludwig

Quelle: Archivnachrichten 60 (2020) S. 28-29.

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