Baur, Erwin 

Geburtsdatum/-ort: 16.04.1875;  Ichenheim/Baden
Sterbedatum/-ort: 02.12.1933; Berlin
Beruf/Funktion:
  • Pflanzenzüchter, Genetiker
Kurzbiografie: 1894-1900 Medizinstudium in Heidelberg, Freiburg, Straßburg und Kiel
1900 Promotion im Fach Medizin in Kiel, Thema: Über complicierende Bauchfelltuberkulose bei Lebercirrhose
1900-1902 Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik Kiel und an der Landesheil- und Pflegeanstalt Emmendingen
1903 Studium der Botanik an der Universität Freiburg und Promotion im Fach Biologie bei F. Oltmanns, Thema: Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Flechtenapothecien, Leipzig 1904
1903-1911 Assistent am botanischen Institut der Universität Berlin; 1904 Habilitation
1905 Privatdozent am Botanischen Institut der Universität Berlin
1908 Gründung der Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre (ZLAV)
1910 außerordentlicher Prof. für Botanik und Züchtungsforschung am Botanischen Institut der Universität Berlin
1911 ordentlicher Prof. für Botanik an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin-Friedrichshagen
1914 Direktor des Instituts für Vererbungswissenschaft der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin-Friedrichshagen
1921 Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft
1926 Vortrags- und Beratungsreise in die Türkei
1928 Erster Direktor des neugegründeten Instituts für Züchtungsforschung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Müncheberg
1928/1929 Botanische Studienreise durch Spanien, Portugal und die südfranzösischen Pyrenäen
1930 Gründung der Zeitschrift „Der Züchter“
1930 Vortragsreise nach Südamerika; anschließend botanische Studienreise durch Argentinien, Peru und Bolivien
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1905 (Berlin-Charlottenburg) Elisabeth, geb. Venedey (1884-1981)
Eltern: Vater: Wilhelm Baur (1839-1920) Apotheker
Mutter: Annemarie geb. Siefert (gest. 1911)
Geschwister: Richard
Kinder: 4:
Bernd (1905-1931)
Brigitte (geb. 1909)
Helga (geb. 1914)
Luitgard (geb. 1919)
GND-ID: GND/119276194

Biografie: Peter E. Fäßler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 16-19

Baur war zu Lebzeiten ein über die Grenzen seiner Forschungsdisziplin hinaus außergewöhnlich bekannter und populärer Wissenschaftler, was sicherlich auf die sein Lebenswerk kennzeichnende erfolgreiche Verknüpfung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung zurückzuführen ist. Als einer der führenden Pflanzengenetiker Deutschlands nach der Jahrhundertwende, verhalf er seiner Disziplin institutionell, organisatorisch und inhaltlich zu einem enormen Aufschwung. Seine wissenschaftlichen Erfolge auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtung haben der Landwirtschaft große Erleichterungen und Vorteile gebracht. Neben diesen unbestrittenen Verdiensten muß aber auch erwähnt werden, daß Baur durch mehrere anfechtbare Schriften dazu beigetragen hat, daß die Erkenntnisse der Vererbungslehre von den Nationalsozialisten in unzulässiger Weise politisch eingesetzt wurden.
Baur wuchs in gesicherten ökonomischen und sozialen Verhältnissen auf. Der Vater, als Apotheker ein profunder Kenner der heimischen Flora, hatte bei seinen Söhnen frühzeitig das Interesse an der Pflanzenwelt geweckt. So unternahm er mit ihnen unter anderem zwei botanische Studienreisen nach Skandinavien. Diese väterlichen Anregungen sollten Früchte tragen. Bereits im Gymnasium lernte Baur die Schriften Alexander von Humboldts, Charles Darwins und E. Haeckels kennen und wurde durch sie zum intensiven Studium der allgemeinen Natur- und Geowissenschaften angeregt. Das Abiturszeugnis belegt denn auch hervorragende Leistungen in den Fächern Physik, Chemie, Biologie und Geographie, was seine Interessen deutlich widerspiegelt.
Auf väterlichen Wunsch studierte Baur Medizin, zuerst in Heidelberg, anschließend in Freiburg, Straßburg und Kiel, wo er im Jahre 1900 zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Als Arzt wandte er sich der Psychiatrie zu und sammelte an Kliniken in Kiel und Emmendingen Berufserfahrung. Seine Neigung zum wissenschaftlichen Arbeiten und seine Freude an der Botanik veranlaßten ihn jedoch schon nach wenigen Jahren den Arztberuf aufzugeben, um in Freiburg Biologie zu studieren. 1903 wurde er bei dem bekannten Botaniker F. Oltmanns zum Doktor der Philosophie promoviert und wechselte anschließend als Assistent an das botanische Institut der Universität Berlin. Dort habilitierte er sich 1904 mit einer Arbeit über Myxobakterien und hielt seit 1905 als Privatdozent Vorlesungen.
Als Hauptforschungsgebiet wählte Baur die Vererbungslehre, welche seit der Jahrhundertwende mit der Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsregeln einen bedeutenden wissenschaftlichen Aufschwung erfuhr. Im Jahre 1910 erhielt er eine außerordentliche Professur für Botanik an der Universität Berlin und im darauffolgenden Jahr folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Botanik an der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin-Friedrichshagen. Deren Institut für Pflanzenzüchtung übernahm Baur 1914 als Direktor. 1927 wurde auf sein Betreiben von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ein Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg gegründet. Baur entwarf als Leiter des Instituts ein umfassendes Forschungskonzept, dessen Schwerpunkte sich folgendermaßen umreißen lassen: 1. genetische Grundlagenforschung; 2. Entwicklung neuer Methoden in der Pflanzenzüchtung; 3. Lösung praktischer Probleme des Pflanzenanbaus in enger Zusammenarbeit mit Landwirten. Wie eingangs erwähnt, waren es Baurs Erfolge, insbesondere auf dem Gebiet der angewandten Genetik, der Pflanzenzüchtung, welche seinen Ruhm innerhalb, aber auch außerhalb der Wissenschaft, begründeten. Seine wissenschaftliche Karriere nahm allerdings ihren Ausgang in der genetischen Grundlagenforschung. Baur experimentierte anfangs vornehmlich mit dem heimischen Gartenlöwenmäulchen „Antirrhinum majus“, welches nicht zuletzt durch diese Studien zu einem klassischen Untersuchungsobjekt der Pflanzengenetik avancierte. Er erforschte an diesem Objekt grundlegende Vererbungserscheinungen, wie Kopplung, Spaltung, Neuauftreten oder Verlust von Erbmerkmalen. Weitere Arbeiten Baurs befaßten sich mit der Analyse von Sektorial- und Periklinalchimären bei „Pelargonium“ sowie mit Plastiden als pflanzlichen Zellorganellen, die über eigene Erbinformationen verfügen.
Im Laufe der Jahre forschte Baur zunehmend praxisorientiert auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtung. Dabei lag ihm stets daran, den Bedürfnissen der modernen Landwirtschaft entgegenzukommen. Ein großer Erfolg war die Züchtung einer alkaloidarmen Süßlupinensorte, die nicht wie bisher nur als Bodenverbesserer aufgrund ihrer Symbiose mit stickstoffanreichernden Bakterien im Ackerbau Verwendung finden konnte, sondern auch als Viehfutter. Die traditionellen bitteren Lupinensorten hatten sich wegen ihres hohen Gerbstoffgehalts hierfür nicht geeignet. Des weiteren gelang Baur die Züchtung einer Weizensorte, die auf den nährstoffarmen Sandböden Norddeutschlands gute Erträge erbrachte. Auch auf dem Gebiet der Resistenzzüchtung arbeitete Baur aktiv und erfolgreich. Mehltauresistente Weinreben, Stein- und Beerenfrüchte bedeuteten für die Obstbauern einen großen Fortschritt, ebenso wie die Entwicklung einer frostunempfindlichen Frühkartoffelsorte, welche die damals weit verbreitete Maltakartoffel schon bald verdrängen sollte. Von besonderer Bedeutung war auch die Züchtung eiweißreicher Leguminosen als Sojaersatz.
Diese Erfolgsbilanz zeigt zugleich die große volkswirtschaftliche Bedeutung seiner Arbeit, was Politiker im In- und Ausland erkannten. Baur wurde daher zu zahlreichen Vortragsaufenthalten eingeladen, so in die Türkei, nach Spanien und auch nach Südamerika. Er nahm diese Angebote gerne wahr, da sich für ihn damit zugleich die Möglichkeit bot, fremdländische Pflanzensorten zu sammeln. Aus dem Hochland der Anden stammen beispielsweise Wildformen der Kartoffel, deren frostresistente Eigenschaften Baur auf einheimische Kartoffelarten übertrug. Im Laufe der Jahre legte Baur sich eine in der Tat einzigartige und ungemein wichtige Saatgutbank an, die für seine Züchtungsprojekte ein nahezu unerschöpfliches Reservoir genetischer Vielfalt bot.
Baurs Rolle als Wegbereiter einer modernen Pflanzengenetik in Deutschland zeigt sich in besonderem Maße in seinen organisatorischen Aktivitäten. 1908 begründete er mit der Herausgabe der Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre das weltweit erste Publikationsorgan ausschließlich für die noch junge genetische Disziplin. 1921 rief Baur gemeinsam mit C. Correns und R. Goldschmidt die Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft ins Leben. In den darauffolgenden Jahren drängte er die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, ein Institut für Pflanzenzüchtung zu errichten, das 1928 verwirklicht wurde. Mit der Zeitschrift Der Züchter gab Baur seit 1930 ein Organ heraus, das sich besonders um die Verbindung von genetischer Grundlagenforschung, praktischer Pflanzenzüchtung und deren Umsetzung in der Landwirtschaft bemühte.
Ein problematischer Aspekt in Baurs wissenschaftlichem Werk sind seine fragwürdigen Schriften zur Humangenetik. Das Lehrbuch „Grundlagen zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“, welches Baur gemeinsam mit dem renommierten Anthropologen Eugen Fischer und dem Rassenhygieniker Fritz Lenz bereits 1921 verfaßte, avancierte zum Standardwerk der Humangenetik im „Dritten Reich“. Einige Aufsätze aus den frühen dreißiger Jahren belegen, daß Baur aus einer kulturpessimistischen Grundeinstellung heraus dazu neigte, gesellschaftliche Phänomene unter biologischen Gesichtspunkten zu interpretieren. Damit überschritt er die Grenzen seiner Kompetenz als Naturwissenschaftler. Den Mißbrauch der Genetik durch den Nationalsozialismus, dem Baur mit seinen Äußerungen wissentlich oder unwissentlich Vorschub geleistet hatte, erlebte er nicht mehr in seiner ganzen schrecklichen Konsequenz, da er bereits Ende 1933 einem Herzinfarkt erlag.
Als Mensch war Baur alles andere als ein weltfremder Stubengelehrter. Neben seinen intensiven Forschungen betrieb er stets vielerlei Sportarten, wie Schwimmen, Segeln, Rudern oder Reiten. 1896 gelang ihm die winterliche Erstbesteigung des 3000 m hohen Oberalpstocks auf Skiern. Außergewöhnliche Sprachbegabung erleichterte seine zahlreichen Auslandsaufenthalte, er sprach fließend englisch, norwegisch, französisch, italienisch und neugriechisch sowie ein wenig spanisch. Er galt als vorzüglicher Redner und seine Vorträge hielt er zumeist ohne Manuskript. Die Verbindung von Theorie und Praxis war einer der Hauptwesenszüge in Baurs Leben; ihr verdankte er zum großen Teil seinen beruflichen Erfolg und seine persönliche Vielseitigkeit.
Werke: Einführung in d. experimentelle Vererbungslehre. Verlag Bornträger, Berlin 1911; Die wissenschaftl. Grundlagen d. Pflanzenzüchtung: Ein Lehrbuch f. Landwirte, Gärtner u. Forstleute. Verlag Bornträger, Berlin 1921; Untersuchungen über d. Wesen, die Entstehung u. Vererbung d. Rassenunterschiede bei A. majus, in: Bibliotheca Genetica 4 (1924) 1-170; Artumgrenzung u. Artbildung in d. Gattung Antirrhinum Sektion Antirrhinastrum, in: ZIAV 63, (1932) 256-302; Der Untergang d. Kulturvölker im Lichte d. Biologie, in: Volk u. Rasse 7, (1932) 3-191; E. Baur/Eugen Fischer/Fritz Lenz, Grundlagen der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Verlag Lehmann, München 1921.
Nachweis: Bildnachweise: Archiv z. Gesch. d. Max-Planck-Gesellschaft. Ilse Jahn et al., Geschichte der Biologie. Jena 1985; Jonathan Harwood, Styles of Scientific Thought. The German Genetic Community 1900-1933. The University of Chicago Press, Chicago, London 1993.

Literatur: Eugen Fischer, Zum Tode E. Baurs, in: Der Züchter 5, 1933, H. 12, 265-267; Max Hartmann, E. Baur in: Die Naturwissenschaften 22, 1934, H. 17/18, 258-260; O. E. Heuser, E. Baur, in: NDB 1, 1953, 669 f.; Hans Stubbe (1959), Gedächtnisrede auf E. Baur, in: Der Züchter 29. 1-6; Wilhelm Rudorf, Über die Entwicklung d. von Baur aufgezeigten Ziele d. Züchtungsforschung, in: Jb. d. Max-Planck-Ges. z. Förderung d. Wissenschaften 1959, 120-134; Emil Ell, Vor 50 Jahren starb Züchtungsforscher E. Baur, in: Der Altvater 41 (1983) 90-91; W. Plesse, D. Rux, Große Biologen. Volk u. Wissen, Volkseigener Verlag, Berlin 1986, 315-321.
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