Vor 400 Jahren: Das Herzogtum Württemberg zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges

Festung Hohenasperg, Zuflucht der pfälzischen Kurfürstin-Mutter Luise Juliane, Zeichnung von Matthias Weickler, 1669, Vorlage: HStAS N 200 P 44
Festung Hohenasperg, Zuflucht der pfälzischen Kurfürstin-Mutter Luise Juliane, Zeichnung von Matthias Weickler, 1669, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS N 200 P 44

Am 29. September 1620 wandte sich König Jakob I. von England in einem französischen Schreiben an den württembergischen Herzog Johann Friedrich. Der englische Monarch dankte dem deutschen Fürsten, dass seine in Heidelberg zurückgebliebenen Enkel, die Kinder Kurfürst Friedrichs V. von der Pfalz und seiner Gemahlin Elisabeth Stuart, während der gefährlichen Verheerung und Brandschatzung der Pfalz in Württemberg Zuflucht und Schutz gefunden hatten.

Wie war es zu dieser auch für das Herzogtum Württemberg bedrohlichen Lage gekommen? Seit dem Prager Fenstersturz, am 23. Mai 1618, hatte ein Großteil der böhmischen Stände ein Bündnis mit dem pfälzischen Kurfürsten gesucht, der das Oberhaupt der 1608 gegründeten protestantischen Union war. Ungeachtet habsburgischer Thronansprüche bot ihnen der Tod des Kaisers Matthias 1619 die Gelegenheit, dem Heidelberger Kurfürsten die Wenzelskrone anzubieten. Obwohl die defensiv ausgerichtete Union diese riskanten Pläne nicht teilte und der englische König den Ambitionen seines Schwiegersohnes mit Skepsis begegnete, nahm Friedrich die Wahl an und wurde im November 1619 im Prager Veitsdom zum König gekrönt.

Kaum ein Jahr später wurde jedoch sein böhmisch-pfälzisches Heer in der Schlacht am Weißen Berg von den Truppen der katholischen Liga vernichtend geschlagen. Von seinen Gegnern als Winterkönig verspottet, floh der vom Kaiser Geächtete über Schlesien und Brandenburg ins niederländische Exil. Friedrichs tiefer Fall endete in einer Katastrophe – nicht nur für Böhmen, auch für die Pfalz, ja für weite Teile des Reiches.

Noch vor der entscheidenden Niederlage bei Prag hatten sich spanische Truppen weiter Teile des rheinpfälzischen Territoriums bemächtigt. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung sah sich die in Heidelberg zurückgebliebene Kurfürstin-Mutter Luise Juliane, eine Tochter Wilhelms von Oranien, Anfang September 1620 gezwungen, ihre Zuflucht im benachbarten Herzogtum Württemberg zu suchen. Begleitet von nicht weniger als 64 Personen, darunter ihr kaum dreijähriger Enkel Karl Ludwig, der spätere Kurfürst von der Pfalz, und dessen Schwesterchen Elisabeth, die dereinst eine kluge Gesprächspartnerin von René Descartes werden sollte, machte sie sich auf den Weg nach Stuttgart. Bis dorthin gelangte sie freilich nicht, denn der in Worms weilende Herzog Johann Friedrich ließ rasch Vorkehrungen treffen, der verwitweten Kurfürstin im Neuen Bau auf der Festung Hohenasperg eine vorübergehende Bleibe einzuräumen. Rund drei Wochen scheint sie dort zugebracht zu haben, ehe ihr das Wasserschloss in Großsachsenheim zugewiesen wurde, wo sie bis Mitte April 1621 samt Hofstaat und einem Tross von 38 Pferden verweilte. Als ihr das Kriegsglück noch einmal für kurze Zeit hold war, kehrte Luise Juliane im Sommer 1621 nach Heidelberg zurück, musste aber von September 1621 bis August 1622 erneut – diesmal in der Festung Schorndorf – den Schutz Württembergs in Anspruch nehmen.

Die pfälzische Kurfürstin-Mutter gehörte zu den ranghöchsten Adeligen im Reich. Zweifellos hätte sie es vorgezogen, nicht auf dem Asperg, in Sachsenheim oder in Schorndorf, sondern näher beim württembergischen Hof, also in Stuttgart, untergebracht zu werden. Doch Herzog Johann Friedrich musste vorsichtig agieren, wollte er nicht die kaiserliche Ungnade auf sich ziehen. Immerhin warnte Kaiser Ferdinand II. den Württemberger, sich nicht zu unßern Rebellen, Achtern und allgemainen Landtsverderbern zu schlagen, und befahl ihm, den Aufständischen mitnichten beyzupflichten, ihnen keine Päß noch anders zu gestatten.

Vor dem Hintergrund der konfessionellen Polarisierung im Reich hatte Herzog Johann Friedrich 1608 zu den Mitbegründern der protestantischen Union gehört. Wiederholt hatte er in Stuttgart die lutherischen und calvinistischen Verbündeten empfangen, um über Fragen der Politik, über die gemeinsame Rüstung und die Aufstellung eines Heeres zu beraten. Die aufgeheizte Krisenstimmung wurde bei den Feiern zum hundertjährigen Jubiläum der Reformation besonders spürbar, die 1617 in allen Städten, Flecken und Dörfern Württembergs begangen wurden und die einstige Befreiung vom unerträglichen Joch des Papsttums zum Gegenstand hatten. Um zur Landtsrettung gefaßt zu sein, ordnete Johann Friedrich bereits im Februar 1619 die Musterung aller wehrfähigen Männer und die Erfassung der in den Ämtern vorhandenen Waffen an.

Gleichwohl gehörte der württembergische Herzog zu denjenigen Mitgliedern der Union, die zu politischer Besonnenheit rieten und im böhmischen Konflikt vor dem gefährlichen Aktionismus der Pfälzer warnten. Schon frühzeitig hatte er sich aus der aktiven Bündnispolitik zurückgezogen und sich einer vermittelnden Neutralität verschrieben. An dieser Position hielt er auch fest, als die Kämpfe um die Kurpfalz das württembergische Territorium berührten, ja selbst dann, als sein jüngerer Bruder Magnus als badischer Offizier in der Schlacht bei Wimpfen (1622) gegen die Truppen Tillys tödlich verwundet wurde.

Dessen ungeachtet musste es Johann Friedrich hinnehmen, dass Württemberg während der frühen 1620er Jahre immer wieder unter Truppendurchzügen, Einquartierungen und Kontributionen zu leiden hatte. Als das Kriegsvolk der Union Ende Juni 1620 mit großem Verlust und Schaden der Unterthanen das Remstal herabzog, um der Kurpfalz militärischen Entsatz zu bringen, sahen sich die württembergischen Amtsstädte allenthalben dazu genötigt, ihre Mauern und Befestigungen zu reparieren und zu verstärken. Auch wurden die Landesgrenzen durch den Ausbau des Landgrabens gesichert.

Erschwerend kam hinzu, dass die bereits schwelende Währungskrise im Reich zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges außer Kontrolle geriet. Um die hohen Rüstungsausgaben zu finanzieren, gingen die meisten Landesherren dazu über, den Edelmetallgehalt der Münzen zu verringern. Die drastische Münzverschlechterung der sogenannten Kipper- und Wipperzeit (1621–1623) bescherte den Landeskassen zwar erhebliche Gewinne, lähmte aber die Wirtschaft und führte zu einem sprunghaften Preisanstieg. Auch Herzog Johann Friedrich beteiligte sich an den Münzmanipulationen. In großem Stile ließ er die berühmt-berüchtigten ganzen und halben Hirschgulden prägen, deren Silbergehalt teilweise nur noch zehn Prozent des Nominalwerts ausmachte. Das Nachsehen hatte der gemeine Mann, der die inflationären Lebensmittelpreise kaum mehr zahlen konnte. Und als Johann Friedrich im August 1623 ein Münzmandat erließ, das dem Währungselend ein Ende setzte, waren es erneut die Handwerker und Tagelöhner, die ihr Barvermögen größtenteils einbüßten. Nicht von ungefähr lebte ein nicht geringer Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums und war auf die Unterstützung durch örtliche Armenkästen angewiesen.

Zu allem Überfluss brach, von durchziehenden Soldaten und herumstreichenden Bettlern eingeschleppt, 1626 eine große Pestepidemie aus, der in Württemberg rund 28.000 Menschen zum Opfer fielen. Um die Ausbreitung der Seuche unter Kontrolle zu bekommen, befahl der Landesherr die Isolierung ansteckungsverdächtiger Personen, die Einschränkung des Verkehrs mit den von der Pest befallenen Orten und die Abschaffung öffentlicher Tanzveranstaltungen.

Als der erst 46-jährige Herzog Johann Friedrich im Juli 1628 in Stuttgart starb, befand sich das hochverschuldete, von Missernten und Hungerkrisen geschwächte Land in einer prekären Lage: Gestützt auf die kriegerischen Erfolge, die Wallenstein und Tilly in Norddeutschland erfochten hatten, holte Kaiser Ferdinand zum entscheidenden Schlag gegen den deutschen Protestantismus aus, indem er mit dem Restitutionsedikt vom 6. März 1629 die Rückgabe aller seit 1552 eingezogenen Klöster, Stifte und Kirchengüter verlangte. Damit war Württemberg, dessen Gebiet zu fast einem Drittel auf ehemaligem Klosterbesitz basierte, in seinem territorialen Gefüge aufs Schwerste getroffen.

Und dennoch erlebte das Herzogtum im ersten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges nur eine Vorahnung dessen, was das Land und seine Bewohner in der Folgezeit an Zerstörung, Drangsal und Not erdulden mussten. Als 1648 in Münster und Osnabrück endlich Frieden geschlossen wurde, glich Württemberg einem Trümmerfeld. Ganze Städte und Dörfer, so etwa Waiblingen und Calw, waren nach der Schlacht bei Nördlingen (1634) niedergebrannt worden. Landesweit war die Hälfte der Häuser zerstört, ein Drittel aller Äcker, Wiesen und Weinberge lag brach, die Zahl der Menschen war von 450.000 auf nur noch 150.000 geschrumpft. Jahrzehnte sollte es dauern, bis die wüst liegenden Felder wieder bebaut und die gewaltigen Bevölkerungsverluste ausgeglichen waren.

Albrecht Ernst

Quelle: Rundbrief des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins 24 (2017), S. 3-7

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