Der Winterberg-Tunnel

 Vor dem Regimentsgefechtsstand am Winterberg-Tunnel (Foto aus RG, GLAK Cr 651, S. 321)

Das Reserveinfanterieregiment (RIR) 111 war im Frühjahr 1917 als Teil der 56. Reserveinfanteriebrigade und 28. Reservedivision der Gruppe Sissonne innerhalb der 7. Armee unterstellt. Es rückte am 21. April 1917 in seine neuen Stellungen um Craonne ein, die zuvor vom bayerischen Reserveinfanterieregiment 4 gehalten worden waren. Den Abschnitt Ost der fast 1.200 Meter langen Frontlinie übernahm das I. Bataillon, den Abschnitt West das II. Bataillon. Hinter dem Zentrum stand das III. Bataillon. Der Regimentsstab mit seinem erst am 1. Mai eingetroffenen neuen Major Karl Wilhelm Schüler, der III. Bataillonsstab mit Teilen der 10., 11. und 12. Kompanie sowie einige MG-Mannschaften suchten Schutz im bis zu 20 Meter unter der Oberfläche liegenden Winterberg-Tunnel bzw. -Stollen nördlich des Ortes, der etwa 250 Meter in den Berg hineinführte und noch nicht fertig gestellt war. Er erschien den Soldaten als eine Art Falle und diente vor allem als Ruheraum für die Reserven, mit denen dem erwarteten feindlichen Angriff begegnet werden sollte. Westlich des Regiments lagen das preußische 2. Gardegrenadierregiment „Kaiser Franz“, östlich das badische Reserveinfanterieregiment 109. Das in drei Gräben gestaffelte Verteidigungssystem war über weite Strecken durch den feindlichen Beschuss eingeebnet worden, so dass die Soldaten in verschiedenen Stollen ausharren mussten. Den Deutschen gegenüber stand die französische 10. Armee, deren 36. Division direkt auf Craonne und den Winterberg zielte.

Am 2. Mai schwoll das feindliche Artilleriefeuer stark an. Bereits am 3. Mai musste Major Schüler einen Offizier und 50 Soldaten als gefallen melden, von denen viele in den Gräben und Unterständen verschüttet worden waren. Direkt am Tunneleingang wurden Leutnant Karl August Zwiffelhoffer sowie Unteroffizier Jakob Knöpfle tödlich getroffen.

Das französische Trommelfeuer auch mit schwerstem Kaliber (37 cm) wurde durch Flieger zielgenau auf den Nordeingang des Winterberg-Tunnels gelenkt, in dem bereits qualvolle Hitze und große Atemnot herrschten, da die Luftschächte zerstört waren. Die Männer hatten sich weitgehend entkleidet und wirkten apathisch. Ein Volltreffer am 4. Mai um 11:45 Uhr brachte die im Eingangsbereich lagernde Infanteriemunition zur Explosion. Major Schüler, der sich sofort in die Mitte des Stollens begeben hatte, gab den Befehl zur Räumung durch die beiden seitlichen engen Notausgänge. In Rauch, Gas und Panik gelangten jedoch nur die beiden Stäbe sowie etwa 30 Soldaten ins Freie, wo sie sich durch den Geschosshagel retten konnten. Der Regimentskommandeur schlug sich zum I. Bataillonsstab weiter hinten durch, um seine Truppen neu zu organisieren und Verstärkung anzufordern. Die Masse der Soldaten hatte sein Befehl aber gar nicht erreicht bzw. war durch die Fehlentscheidung des Leutnants Lessing (Minenwerferkompanie 228), der den hinteren Stollenbereich vergeblich mit einer Sandsackbarrikade gegen die einströmenden Gase abdichten wollte, im Tunnel zurückgehalten worden. Laut einer ersten Schätzung konnten noch etwa 80 Mann im Schutz der Nacht von herbeieilenden Pionieren und Krankenträgern gerettet werden. Die anderen starben einen schrecklichen Erstickungstod, verdursteten oder töten sich in ihrer Verzweiflung schließlich selbst. Einige weitere Männer, hauptsächlich wohl aus der 11. Kompanie, konnten in den folgenden Tagen aus dem eingestürzten Stollen geborgen werden: u.a. die Unteroffiziere Heinz Hering und Friedrich Stein sowie der Soldat Adolf Riedmüller. Ergreifende Augenzeugenberichte liegen von den beiden verschütteten Soldaten August Berthold Kreiner und Karl Leopold Feßer vor.

In seinem Bericht an die 56. Reserveinfanteriebrigade vom 8. Mai 1917 musste sich Major Schüler für den feindlichen Einbruch in seine Stellungen und den Verlust von Craonne rechtfertigen. Tatsächlich hatte er am 4. Mai schon um 12:30 Uhr den Tunneleinsturz an die Brigade gemeldet und mitgeteilt, dass die verschütteten Mannschaften wahrscheinlich größtenteils nicht mehr zu retten seien. Der abschließende Bericht von Generalmajor Alfred Ziethen als Kommandeur der 28. Reservedivision an den Kommandierenden General der Gruppe Sissone, Graf Eberhard von Schmettow, vom 12. Mai 1917 attestierte dem Regimentskommandeur, dass seine Gefechtsführung den schwierigen Bedingungen Rechnung getragen habe und seine Entschlüsse richtig waren, ihre Durchführung jedoch an den unglücklichen Verhältnissen scheiterte. Der Krieg ging weiter.

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