Exkurs: Die Geburtsstunde moderner Museumsdidaktik
von Nikolas Maisch
In den verschiedenen Ausstellungen der gräflichen Sammlung – zunächst in Wurzach, später in Wien und dann in London – wurde eine neue museale Anordnung von Gemälden ausprobiert. Die Werke wurden nicht nur nach Farben oder Bildformaten gehängt, sondern erstmals systematisch nach geografischen Schulen und chronologischen Gesichtspunkten. Eine solche Struktur war in mitteleuropäischen Galerien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch äußerst ungewöhnlich.
Bis dahin hatten sich Ausstellungen meist nach barocken Traditionen gerichtet. Wichtig war hier nur die Wirkung der Bilder im Raum. Der Prunkcharakter privater Kunstsammlungen spielte eine große Rolle, kunsthistorisches Verständnis war noch wenig ausgeprägt. Der Kunsthändler und Kupferstecher Christian von Mechel und dessen neue Überlegungen für öffentliche Ausstellungsräume und deren Aufgabe der Kunstvermittlung änderten dies grundlegend. Im Jahr 1778 erarbeitete er neue Pläne für die Düsseldorfer Gemäldegalerie. Ziel war es nun, Kunst in ihrer Geschichte und Entwicklung zu präsentieren. Kurz darauf gestaltete Mechel in den frühen 1780er Jahren die kaiserliche Sammlung im Oberen Belvedere in Wien ebenfalls neu und veröffentlichte 1783 ein zugehöriges Gemäldeverzeichnis. Dieses präsentierte wie in Düsseldorf Kunst systematisch und löste so den barocken Prunkraum durch einen Bildungsanspruch ab – ein früher Ansatz moderner Museumsarbeit.
Auch der Wiener Akademiedirektor Joseph von Rosa hatte bereits einige Jahre zuvor in der Sammlung Salzdahlum bei Braunschweig eine ähnliche Ordnung eingeführt. Er unterschied etwa italienische Meister nach ihren Schulen aus Venedig, Rom oder Florenz. Mechel und Rosa standen über die Jahre im Austausch – beide wollten Kunst nicht nur zeigen, sondern auch verständlich machen. Graf Joseph hatte zu beiden Kontakt, als er plante, Teile seiner Sammlung in die Österreichische Nationalsammlung einzugliedern.
Diese Veränderungen spiegeln auch den Einfluss der jungen Kunstgeschichte wider, die sich damals als eigenständige, wissenschaftlich arbeitende Disziplin zu etablieren begann. Mechel war mit dem berühmten Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) befreundet, der als einer der Begründer der modernen Kunstgeschichte gilt.
Beide versuchten, Kunst nicht nur nach ästhetischen Kriterien zu bewerten, sondern in ihren historischen Entwicklungen zu verstehen. Gleichzeitig ist sogar eine Verbindung des Kunsthändlers nach Baden nachzuweisen: eine Korrespondenz zwischen Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723–1783) und Christian von Mechel zeigt zum Einen dessen großes europäisches Netzwerk als auch seine Bedeutung für den zeitgenössischen Kunstmarkt.
Die enge Verbindung zwischen dem Grafen, Mechel und von Rosa ist durch Dokumente belegt. Letzterer etwa hatte die gräfliche Sammlung persönlich besichtigt und ein Gutachten für einen möglichen Ankauf erstellt. Mechels Ideen kannte der Truchsess aus seiner Zeit in Wien. Die Anpassung eigener kuratorischer Tätigkeiten an diese neuen Ausstellungssysteme zeigt: Der Graf war mit den aktuellen Ideen seiner Zeit vertraut und eng mit den Pionieren einer modernen Ausstellungskultur vernetzt.
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Zitierhinweis: Nikolas Maisch, Die Geburtsstunde moderner Museumsdidaktik, in: art&market. Die Truchsessen-Galerie in London und der englische Kunstmarkt um 1800, URL: […], Stand: 02. Juni 2025.