The Truchsessian Picture Gallery
von Nikolas Maisch
Der Londoner Kunstmarkt: Sammler und Strategen
Um den Verkauf seiner Kunstsammlung voranzutreiben, ließ Graf Joseph eine genaue Aufstellung und Bewertung der Werke anfertigen. Sein neuer Plan, die Sammlung in England zu veräußern, sollte schnellstmöglich umgesetzt werden. Die Kunstwelt in London war geprägt von Institutionen, die vom Staat abgekoppelt waren und autonom agieren konnten. Die Royal Academy war nach ihrer Gründung 1768 die größte von ihnen und beeinflusste mit ihren Ausstellungen den Kunstgeschmack der Zeit. Somit hatte sie einen indirekten Einfluss auf Angebot und Nachfrage des Londoner Kunstmarktes.
Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren vor allem Gemälde aus den Niederlanden und Flandern beliebt. Die kurzen Transportwege aus Nordeuropa waren für die Händler mit weniger Kosten und weniger Risiko verbunden. Nach der Französischen Revolution änderte sich das: Viele Kunstwerke aus dem Besitz französischer Adliger gelangten nach Sammlungsauflösungen auf den englischen Markt. Dadurch wurden Gemälde aus südeuropäischen Ländern wie Italien oder Spanien, die zuvor auf dem englischen Markt selten waren, sehr begehrte Objekte. Besonders der aufsehenerregende Verkauf der Sammlung des Herzogs von Orléans, die ab 1792 kunsthistorisch bedeutende Gemälde nach England brachte, beeinflusste die Nachfrage der folgenden Jahre. Diese Entwicklungen suchte Graf Joseph zu nutzen. Wie schon in Wien plante der Graf, seine Sammlung als Ganzes zu verkaufen. England besaß zu dieser Zeit noch keine nationale Gemäldesammlung, weshalb er den gewagten Plan fasste, eine solche mit seinen Gemälden mitzubegründen.
Erste Schritte zur Vermarktung
Seit 1769 fand in der Royal Academy eine große jährliche Sommerausstellung statt. Dadurch entwickelte sich eine „Kunstsaison", an die sich die Auktionshäuser und Galerien anpassten. Ein Gros der Auktionen und Verkäufe fand infolgedessen zwischen den Monaten Mai und September statt, weil in dieser Zeit die größte Anzahl an potenziellen Käufern in der Stadt weilte, um Ausstellungen und andere Kulturveranstaltungen zu besuchen. Um diese Saison zu nutzen, reiste der Graf im Sommer 1802 ein erstes Mal nach Großbritannien. Dort angekommen, startete er sofort erste Werbemaßnahmen für sein Unternehmen.
Er stellte den englischen Kunstliebhabern und Sammlern ein Subskriptionsvorhaben zum Verkauf der gesamten gräflichen Sammlung vor, das durch einzelne Geldgeber finanziert werden sollte. Durch einzelne Aktien sollten die Interessenten jeweilige Anteile an der Truchsessen-Sammlung erwerben können. Beim Erreichen eines bestimmten Betrags sollten die Gemälde dann insgesamt an den britischen Staat übergeben werden, um eine englische National Gallery zu etablieren. Als Verkaufspreis hatte der Graf 65.000 Pfund Sterling vorgesehen. Um möglichst viele Sammler und Mäzene zu erreichen und ein Netzwerk zu errichten, suchte er den Kontakt zu den einflussreichsten Bürgern Londons – darunter auch Benjamin West (1738 –1820), Direktor der Royal Academy. Gleichzeitig wandte er sich direkt an die englische Aristokratie und stellte sein Vorhaben selbst dem Königshaus vor, wobei er vom Thronfolger, dem späteren König Georg IV. (1762 –1830), unterstützt wurde. In seinen Korrespondenzen appellierte Graf Joseph vor allem an den Nationalstolz und das Kulturbewusstsein der Briten und unterstrich stets die Notwendigkeit einer staatlichen Gemäldesammlung.
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Zitierhinweis: Nikolas Maisch, The Truchsessian Picture Gallery, in: art&market. Die Truchsessen-Galerie in London und der englische Kunstmarkt um 1800, URL: […], Stand: 02. Juni 2025.