Stockfisch und Steuern

Ein königlicher Speisezettel des Weinsberger Archivs im Kontext von Wirtschaft und Politik

Rechnungsverzeichnis, angelegt durch Konrad von Weinsberg. Vorlage: Landesarchiv BW, HZAN GA 15, P Nr. 21 fol. 2 v. Zum Vergrößern bitte klicken.
Rechnungsverzeichnis, angelegt durch Konrad von Weinsberg. Vorlage: Landesarchiv BW, HZAN GA 15, P Nr. 21 fol. 2 v. Zum Vergrößern bitte klicken.

Am 24. Januar 1418 eilten Diener über die Märkte des Konstanzer Konzils. Sie kauften Hechte, Krebse, Stockfisch, Weine, Gewürze, Esskastanien, Birnen, Oblaten, Konfekt und andere Spezialitäten. Ausgaben von über 12 Gulden hatte Konrad von Weinsberg dafür zu verbuchen, das Nahrungsmittelbudget mehrerer Tage. Doch an jenem Tag galten andere Maßstäbe. Ein Vermerk in der abgebildeten Rechnung zeigt, dass die Speisen dem König persönlich vorgesetzt werden sollten. Und eines wusste Konrad aus Erfahrung: Wer den Kredit (lateinisch credere = neuhochdeutsch glauben, vertrauen) des Königs verdienen wollte, der musste investieren.

Dass sich König Sigmund von Luxemburg dazu herabließ, mit einem rangniederen Herren zu speisen, mag ungewöhnlich erscheinen. Doch Konrad suchte den politischen Aufstieg, war ehrgeizig und berechnend. Und Sigmund, der europapolitische Ziele verfolgte und Geld benötigte wie ein Verdurstender, öffnete die Türen seiner Kammer gezielt für zahlungswillige Untertanen. Während der König auf mehrjährigen Europareisen versuchte, die gespaltene, von drei Päpsten regierte Christenheit wieder zu vereinen, durfte Konrad seine Rechnungen bezahlen und erhielt immer wie der Zugang zum Inner Circle des Hofes. Einmal finanzierte er sogar Weihnachtsgeschenke für die Königin und ihre Hofdamen, ein königlicher Vertrauensbeweis. Konrad investierte viel Eigenkapital in das Unternehmen Königtum und erhoffte sich dafür die Übertragung geldwerter Königsrechte als Kreditsicherheiten, die seine Ausgaben ausgleichen und seine Karriere ebnen sollten.

Sigmunds unermüdlicher Einsatz trug maßgeblich dazu bei, dass in Konstanz mit Martin V. schließlich ein allgemein anerkannter Papst gewählt wurde. Das Ziel des Königs war erreicht. Seine Kassen aber waren leer und zahlreiche Gläubiger warteten auf ihre Bezahlung. Nun brauchte es kreative Maßnahmen, wie der politische Erfolg in Geld umgemünzt werden konnte.

Eine dieser Maßnahmen, mit der sich der neue Papst für seine Unterstützung revanchierte, wurde am 4. Februar 1418 verkündet. Der König verlangte von allen Juden des Reiches hohe Gebühren für eine päpstliche Urkunde (Bulle), die ihnen Rechte neu bestätigte, die allerdings hauptsächlich auf dem Papier existierten.

Dokumente des Weinsberger Archivs bezeugen nicht nur, dass diese als Bullengeld bekannt gewordene Sondersteuer erst auf Konrads persönliche bete und werbung hin angeordnet wurde und der König Konrad zum reichsweiten Kollektor erhob. Querverweise und Datumsangaben erlauben es auch, die im unmittelbaren Überlieferungsgefüge erhaltene Essensrechnung mit dieser Anordnung zu verknüpfen. Für sich alleine betrachtet gibt die Rechnung keine Auskunft darüber, warum sich der König dazu herabließ, mit Konrad zu speisen. Der Abgleich von Datierungen und Informationen aus anderen Dokumenten zeigt aber, dass das Essen kurz vor der Ausstellung der königlichen Ermächtigung erfolgte und dass Konrad schließlich die Kanzleigebühren für die päpstliche Bulle entrichtete. All dies legt den Schluss nahe, dass wir hier den seltenen Speisezettel eines konspirativen Abendessens vorliegen haben, das Konrad finanzierte, um für seinen Vorschlag zu werben. Dass er dazu, nach Ausweis seiner Rechnungen, mit frisch geschorenem Haar erschien, zeigt die mikrogeschichtliche Detailtiefe, die das im Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein verwahrte Weinsberger Archiv eröffnet, und damit eine komplexe Verquickung von Wirtschaft und Politik, die Europas Geschichte bis heute prägt.

Mathias Kluge

Der Autor ist Privatdozent an der Universität Augsburg

Quelle: Archivnachrichten 64 (2022), Seite 16-17.