Was bedeutet „koscher“?

Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 19. Januar 2023 in der Synagoge in Lörrach

Können Sie erklären, was „koscher“ genau bedeutet und auf was sich der Begriff bezieht?

Moshe Flomenmann: Dieser Begriff „koscher“ bedeutet „gültig“ oder „geeignet“. Er wird hauptsächlich für Essen verwendet, aber auch Kleidungsstücke können koscher oder unkoscher sein. Gebäude können koscher oder unkoscher sein, eine Torarolle kann koscher oder unkoscher sein.

„Koscher“ bedeutet „geeignet für etwas“. Entweder „für den Verzehr“, wenn es um Essen geht, oder bei der Torarolle „für die öffentliche Vorlesung in einer Synagoge“. Oder Kleidungsstücke: In der Tora steht geschrieben, dass man keine Mischgewebe anziehen soll, ein Sakko oder etwas Anderes, das eine Mischung aus Leinen und Wolle enthält. Andere Mischungen sind in Ordnung, nur diese nicht: Leinen und Wolle. Warum? Das versteht kein Mensch.

Wir haben in der Tora mindestens zwei Kategorien von Gesetzen: Mischpatim und Chukim. Mischpatim, das sind die Rechtsvorschriften, die man auch ohne Tora versteht: Du sollst nicht morden, Du sollst nicht stehlen, Du sollst andere Sachen nicht machen, die moralisch nicht zu vertreten sind. Andererseits gibt es wiederum Gesetze, die man nicht nachvollziehen kann. Trotzdem sollen wir diese weiterhin ausüben, auch ohne rationale Erklärung dafür. Genau das gilt auch für Kaschrut, die Speisegesetze. Man versteht nicht, warum man nur koschere Speisen essen muss. Aber wir machen es, weil Gott das für uns so angeordnet hat.

Es gibt einen klassischen Fehler, etwas, was viele Menschen immer falsch verstehen. Viele probieren die Kaschrut-Gesetze, Speisegesetze, irgendwie auf eine logische, rationale Art zu erklären. Das ist schon falsch. Viele sagen, naja, das ist auch gut für die Gesundheit. Es mag sein, dass es gut für die Gesundheit ist, aber in erster Linie verzehren wir Juden nicht deshalb nur koschere Speisen, weil das gut für die Gesundheit ist, sondern weil es Gott in unserer Satzung Tora so geschrieben hat. Es mag sein, dass es außerdem gut für die Gesundheit ist, aber das ist nicht der Grund, warum wir Juden das so machen.

Oder es gibt Sachen wie zum Beispiel Schatnes, ein Mischgewebe aus Leinen und Wolle. Man weiß nicht, warum es verboten ist. Viele probieren das so zu erklären, dass ein Mensch somit nicht schwitzt und das besser ist. Mag alles sein, aber das ist nicht der Grund, warum wir das machen. Es gibt in der Tora einige Gesetze, die wir nicht nachvollziehen können und trotzdem müssen wir sie ausüben, weil das keine Wissenschaft ist, die Beweise braucht. Es ist Glaube, Religion, wir glauben. Wenn Gott, unser bester Arzt in der Welt, uns etwas sagt, dann glauben wir, vertrauen ihm und machen es so, wie er uns gesagt hat.

Lebensmittel, die koscher sind: Das ist ein sehr vielfältiger Bereich. Es gibt zwei Kriterien für koschere Tiere: gespaltene Hufe und Wiederkäuer. Aber das ist nicht alles. Wenn wir zum Beispiel Rindfleisch nehmen: Die Kuh ist koscher, aber bevor das Fleisch auf unserem Tisch tatsächlich koscher wird, muss es sehr viele Prozesse durchlaufen.

Es muss koscher geschächtet werden. Was heißt schächten? Töten, ohne dass ein Tier dabei Leid verspürt. Das heißt, Gott sagte uns, die Tiere dürfen konsumiert werden. Man darf Tiere essen, also die, die gegessen werden dürfen, die koscher sind. Aber die Tiere sollen dabei nicht leiden, wenn man sie tötet. Und Schechita, Schächten, das ist die humanste Methode, die Tiere ohne sie leiden zu lassen, sofort zu töten.

Wenn ein Tier getötet wird, wird auch geprüft, ob ein Tier gesund ist. Es soll kein Risiko für unsere Gesundheit darstellen. Die Organe werden geprüft und „glatt koscher“ bedeutet, dass die Lungen zum Beispiel glatt sind und keine Narben haben. Das heißt: Ein Tier ist gesund. Aber heute in der Umgangssprache bedeutet „glatt koscher“ „super koscher“. Das heißt „von allen Bereichen abgedeckt“: Alles ist koscher.

Von daher ist es eine sehr vielfältige Sache mit dem koscheren Essen. Das soll auch gesalzen werden. Der ganze hintere Teil der Kuh wird komplett entfernt und nicht verzehrt, sondern verkauft, zum Beispiel an Nichtjuden, die so etwas essen dürfen. Es ist viel komplizierter als nur gespaltene Hufe und Wiederkäuer. Wir dürfen überhaupt kein Blut konsumieren, keinen Tropfen. Von daher muss mit grobem Salz das Blut komplett entfernt werden. Es ist sehr kompliziert. Daher zahlen wir auch mehr für koscheres Fleisch, weil das mit viel mehr Aufwand verbunden ist.

Und natürlich muss man, egal ob koscher oder nicht koscher, Fleisch auch bewusst essen. Nicht einfach massenweise Tiere schlachten, die man nicht braucht, sondern nur so viel, wie viel ein Mensch für seinen Verzehr braucht. Das ist auch wichtig. Ich kenne sogar viele Rabbiner, die heutzutage auch wegen falscher Tierhaltung kein Fleisch verzehren. Aber man muss klar sagen: Die Tora verbietet den Fleischverzehr nicht, sondern bevorzugt ihn sogar, weil Tiere für den Menschen geschaffen sind. Man muss die Tiere jedoch auch sehr akkurat und sehr human behandeln. So viel zu „koscher“.

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Moshe Flomenmann ist seit 2012 Landesrabbiner der IRG Baden und seit 2021 Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den badischen Landesteil.

Zitierhinweis: Moshe Flomenmann/Eva Rincke, Interview mit dem Landesrabbiner der IRG Baden, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 15.05.2023.

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