Wiedergründung der jüdischen Gemeinde

Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 23. Dezember 2022 in der Synagoge in Baden-Baden

 Oben auf dem Tora-Schrein in der Synagoge in Baden-Baden liegen Zweige vom letzten Sukkot-Fest [Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Foto: Eva Rincke]  
Oben auf dem Tora-Schrein in der Synagoge in Baden-Baden liegen Zweige vom letzten Sukkot-Fest [Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Foto: Eva Rincke]

Noch mal zurück zu heute und zur neuen Geschichte der jüdischen Gemeinde in Baden-Baden. Wir sind ja hier in der Werderstraße 2, der heutigen Synagoge. Der Betsaal wurde in den 90er-Jahren wieder eingeweiht. Können Sie etwas dazu erzählen, wie die Gemeinde sich in den 90er-Jahren neu gegründet hat?

Rabbiner Surovtsev: Vor kurzem habe ich das Zentralarchiv des Zentralrates der Juden in Heidelberg besucht und habe versucht, Informationen über die Nachkriegszeit bis in die 90er-Jahre über Baden-Baden zu finden. Ich habe viele interessante Sachen gelesen: Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Gebäude, das eigentlich vom Großherzog Friedrich I. für den Künstler Joseph von Kopf als künstlerisches Atelier gebaut worden war, im Jahr 1946 oder 1947 von der französischen Militärregierung als Synagoge umgebaut wurde. Wir wissen nicht genau warum oder wer der Initiator war. Vielleicht gab es unter den französischen Besatzungssoldaten Soldaten jüdischen Glaubens. Das wissen wir nicht genau. Auf jeden Fall wurde dieses Gebäude umgebaut und als Synagoge benutzt. Für Soldaten, aber auch für die vereinzelten Juden, die nach dem Krieg hierher zurückgekehrt waren. Aber das waren wirklich nur zwei, drei Familien, fünf bis sieben Menschen. Nach dem Krieg bis in die 60er-Jahre gab es mehrere Juden, die durch Baden-Baden weiter nach Palästina, später nach Israel, nach England oder in die USA auswanderten und dann teilweise für ein paar Monate oder sogar Jahre hierblieben.

Diese Synagoge, dieses Gebäudes wurde bis in die 80er-Jahre genutzt. Ich habe im Archiv in Heidelberg Anzeigen gefunden, dass es hier ständig Gottesdienste gab, nicht nur an Feiertagen, sondern auch samstags. Ende der 70er-Jahre oder Anfang der 80er-Jahre konnte man dann nicht mehr die zehn Männer, die man für einen Gottesdienst braucht, zusammenbringen. Auf Hebräisch heißt das Minjan. Die Synagoge wurde geschlossen und nicht mehr genutzt. Im Jahr 1990, als erste jüdische Emigranten aus den ehemaligen GUS-Staaten nach Baden-Baden kamen, auch in die Nachbarstädte wie Bühl und Rastatt, wollte eine Gruppe von lokalen Menschen dieses Gebäude wiedereröffnen und schon bevor die Gemeinde neu gegründet wurde, wurde dieses Gebäude restauriert und als Synagoge von uns benutzt.

Irina Grinberg: Voriges Jahr haben wir 30-jähriges Jubiläum gefeiert.

Rabbiner Surovtsev: Ja. Das heißt, vor 30 Jahren wurde das Gebäude wieder als Synagoge benutzt und dann ein bisschen später sechs Monate oder rund sieben Monate später, wurde die jüdische Gemeinde hier neu gegründet. Ab dieser Zeit wird die Synagoge von unserer Gemeinde genutzt. Obwohl das Gebäude nicht uns gehört. Früher war es das künstlerische Atelier von Joseph von Kopf, und gehörte der Stadt. Ich glaube, in den 60er-Jahren wurde dieses Gebäude von der Stadt an die Kurverwaltung, das Kurhaus, verkauft und später wurde das ganze Kurhaus an den Staat Baden-Württemberg verkauft. Jetzt gehört dieses Gebäude zum Kurhaus-Komplex.

Irina Grinberg: Frau Barbara Hoffs ist die ehemalige Vorsitzende der DIG. Ich möchte gerne vorlesen, was sie zum 30. Jubiläum an uns geschrieben hat:

„Hallo liebe Frau Grinberg, mit großer Freude habe ich den Bericht aus der Baden-Badener Gemeinde gelesen. Ehre, wem Ehre gebührt. Ich möchte aber einiges zur Geschichte der Wiedereröffnung für Ihr Archiv beisteuern. Im September 1991 bekam ich die Schlüssel für die ungenutzte Synagoge aus den Händen des damaligen Vorsitzenden des Oberrats, Georg Stern, aus Mannheim. Mit der Erlaubnis, die Räume für die kulturellen Veranstaltungen der neugegründeten Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) zu nutzen. Nach einem ersten Vortrag mit Dr. A. Steinberg über Jüdische Feste stellten wir fest, dass die Elektrik, die Heizung und die sanitären Einrichtungen marode waren. Die Stadt Baden-Baden in Absprache mit dem Eigentümer BKV übernahm den Hauptteil der Renovierungskosten (noch in Deutschen Mark, 45.000), die Malerkosten 15.000 Mark wurden gedeckt durch eine anonyme Spende. Das Engagement der Stadt sollte nicht unter den Tisch fallen. Am Lag baOmer 1992 wurden die Räumlichkeiten mit einem Vortrag über die Emanzipation der Juden in Deutschland von Professor Grab aus Jerusalem eröffnet. Erst danach, im Sommer 1992, gründete sich die Gemeinde neu und wuchs ab 1993 mit dem Kontingent der Juden aus der ehemaligen SU. Ich persönlich bin immer noch mit einigen der ersten Immigranten befreundet. Das sind die Fakten, die nicht verloren gehen sollen. Shabbat Shalom Barbara Hoffs.“

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Daniel Naftoli Surovtsev ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden und Irina Grinberg ist Büroleiterin und Assistentin des Vorstands.

Zitierhinweis: Irina Grinberg/Eva Rincke/Daniel Naftoli Surovtsev, Interview in der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.