Affaltrach
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Der Johanniterorden hatte hier schon früh Fuß gefasst. Um 1600 verlegte er den Sitz der Kommende Hall nach Affaltrach. Der Ort fiel 1805 an Württemberg, das hier schon vorher in beschränktem Umfang landesherrliche Rechte geltend gemacht hatte.
Um 1660 nahm der Johanniterorden in Affaltrach einige jüdische Familien auf, deren Zahl sich in den nächsten hundert Jahren kaum erhöhte (Mitte 18. Jahrhunderts 9-12 Familien). Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts scheint der Orden etwas großzügiger bei Schutzaufnahmen verfahren zu sein. 1807, zwei Jahre nach der Säkularisierung der Kommende, waren 110 Juden ansässig. Bereits 1701 wird „der Juden Schul" erwähnt, bei der es sich aber wohl um keine Synagoge, sondern nur um einen Betsaal handelte.
Der Orden erlaubte seinen Schutzjuden kleinere Geldgeschäfte, Hausierhandel sowie den Handel mit Vieh, Leder und Gütern. Die Juden durften aber Güter, die sie von Christen gekauft hatten, nicht länger als acht Tage besitzen, da sie sonst der Orden an sich zog. Nach dem Lagerbuch der Kommende Affaltrach von 1794 hatten sie von „handlöhnigen" Gütern beim Kauf wie beim Verkauf die Handlohngebühr zu entrichten. Sie mussten an Abgaben ein Schutzgeld, Martinigänse, sogenannte Zölle bei Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen, ebenso Pauschalbeträge für die Befreiung von Militär- und Quartierlasten leisten. Sie wurden auch je nach Vermögen zur Ordinari- und Extraordinaristeuer herangezogen. Die Komture erneuerten oder bestätigten die Schutzbriefe jeweils beim Amtsantritt.
Bis herein ins 19. Jahrhundert lebten die Affaltracher Juden zumeist in armseligen Verhältnissen. Um 1860 hatten es erst wenige zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Seit 1832 gehörten der israelitischen Religionsgemeinde Affaltrach auch die Juden von Eschenau an. Das zuständige Rabbinat war Lehrensteinsfeld, später Heilbronn. 1824 wohnten in Affaltrach 127, 1831 144, 1843 164, 1854 190 Juden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl durch Abwanderungen und Geburtenrückgang wieder rasch: 1869 151, 1886 79, 1900 59, 1910 28, 1933 19 jüdische Bürger.
1851 erbaute die israelitische Gemeinde in Affaltrach eine eigene Synagoge. Zuvor hatten die hiesigen Juden das Gotteshaus in Eschenau mitbenutzt. 1849 wurde eine israelitische Konfessionsschule eingerichtet, 1854 die Stelle eines israelitischen Lehrers geschaffen, der zugleich als Vorsänger den Gottesdienst in der Synagoge leitete. 1856 besuchten 41 Kinder die Schule. 1860 betätigten sich die Affaltracher Juden in Handel, Handwerk (2 Metzger, 1 Bäcker und 1 Tuchmacher) sowie in der Landwirtschaft. Die drei Schildwirtschaften des Dorfes gehörten jüdischen Einwohnern, ebenso zwei Handlungshäuser und zwei von drei Krämereien.
Im Ersten Weltkrieg hatte die israelitische Religionsgemeinde drei Gefallene zu beklagen: David Kaufmann, Heinrich Levi (der mit seinen sechs Brüdern an der Front gestanden hatte) von hier und Hugo Rothschild von Eschenau. Hugo Rothschild war Vizefeldwebel gewesen, Träger des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse sowie der sehr angesehenen Württ. Goldenen Verdienstmedaille. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Namen der jüdischen Gefallenen aus der Ehrentafel des Affaltracher Kriegerdenkmals entfernt.
Bis 1933 waren die wenigen Juden, die damals noch in Affaltrach ansässig waren, angesehene Mitbürger. Heinrich und Hugo Levi besaßen ein gutgehendes Manufaktur- und Aussteuergeschäft, Heinrich und Aaron Levi betrieben eine Viehhandlung. Die Nationalsozialisten des Dorfes erreichten nach der sogenannten Machtübernahme durch entsprechenden Terror, dass die jüdischen Geschäfte gemieden, dass Einkäufe nur heimlich und bei Nacht getätigt wurden. Die jüdischen Einwohner waren vielen Schikanen (beim Postholen und so weiter) ausgesetzt. Am 8. November 1938 wurde den Juden der Zutritt zu ihren Geschäften verboten, die Schlüssel beschlagnahmt. Am Tag darauf inszenierten vornehmlich Weinsberger SA-Leute schlimme Ausschreitungen: Die Fensterscheiben und Einrichtungen der jüdischen Wohnungen wurden zerschlagen („Keine Tasse war mehr ganz!"), jüdische Männer verprügelt, verhaftet und wochenlang im Konzentrationslager Dachau festgehalten. Schulkinder warfen die Fensterscheiben der Synagoge ein. Die jüdischen Einwohner mussten ihre Geschäfte und Häuser unter Zwang verkaufen und, soweit sie nicht auswanderten, in das Haus von Hugo Levi ziehen. In den Jahren 1941-43 wurden sechs jüdische Bürger deportiert, von denen nur zwei, die nicht-deutscher Staatsangehörigkeit waren, überlebten. Zu den Ermordeten zählen der beliebte und stets hilfsbereite Kaufmann Hugo Levi und seine nicht minder beliebte Frau sowie der allgemein geachtete Ernst Seiz (der als mehrfach ausgezeichneter Unteroffizier aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war und sehr an seiner Heimat hing) und seine Frau. Eine jüdische Einwohnerin fiel 1940 den Euthanasiemorden in Grafeneck zum Opfer.
Die Synagoge ist heute im Besitz der Gemeinde Affaltrach, die sie zum Teil als Wohnung, zum Teil als Lager benutzt. Auf dem jüdischen Friedhof, der wohl bald nach den ersten Judenaufnahmen durch den Johanniterorden angelegt wurde, haben seit dem 18. Jahrhundert auch die Juden von Eschenau, Lehrensteinsfeld und Talheim ihre letzte Ruhestätte gefunden. Hier hat die israelitische Gemeinde ihren im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhnen ein Denkmal errichtet. Am Nordende des Friedhofs liegen einige Gräber von Insassen des Zwangsaltersheims Eschenau aus den Jahren 1941 und 1942.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Beschreibung des Oberamts Weinsberg, 1861.
- Bilder vom Friedhof und von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 51f.
- Spatz, S., Zur Geschichte der Juden in Rexingenin. Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 1, Nr. 3.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Affaltrach, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 17-24 und S. 311-321.
- Angerbauer, Wolfram, Synagoge Affaltrach. Museum zur Geschichte der Juden in Kreis und Stadt Heilbronn, 1989.
- Angerbauer, Wolfram, Zum Bau der Affaltracher Synagoge, in: Schwaben und Franken, Heimatgeschichtliche Beilage der „Heilbronner Stimme“, Mai 1985.
- Familienblatt - family sheet Moritz Krailsheimer of Affaltrach and Stuttgart, hg. von Rolf Hofmann.
- Hahn, Joachim, Synagogen in Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S. 83ff.
- Koegel, Ebbe, Oifach nemme komma - Weg und Schicksal der Winnender Viehjuden.
- Ritter, Martin, Der jüdische Friedhof Affaltrach, 1995.
- Ritter, Martin, Die Synagoge in Affaltrach, 2001.
- Ritter, Martin, Dokumentation jüdischer Friedhof Affaltrach.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 46-48.