Bad Wimpfen 

Im heutigen Haus Schwibbogengasse 5 war im 19. Jh. ein Betsaal für die kleine jüdische Gemeinde von Wimpfen eingerichtet. Spätestens zu Beginn der NS-Zeit musste dieser aufgegeben werden. [Quelle: Landesarchiv BW/Eva Maria Kraiss]
Im heutigen Haus Schwibbogengasse 5 war im 19. Jh. ein Betsaal für die kleine jüdische Gemeinde von Wimpfen eingerichtet. Spätestens zu Beginn der NS-Zeit musste dieser aufgegeben werden. [Quelle: Landesarchiv BW/Eva Maria Kraiss]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die im Anschluss an die staufische Kaiserpfalz entstandene Bergstadt Wimpfen erlangte im 14. Jahrhundert die Reichsunmittelbarkeit. In der Bergstadt ging im 15. Jahrhundert die Talstadt auf. Wimpfen fiel 1803 an das Großherzogtum Hessen und kam 1951 durch Abstimmung an Württemberg-Baden.

Sehr wahrscheinlich lebten hier schon im 13. Jahrhundert Juden. Der Name des reichen Süßkind Alexander Wimpfen aus Frankfurt, der 1307 den Leichnam des berühmten Rabbi Meir aus Rothenburg (gestorben 1293 in Ensisheim, wo er seit 1286 der Gefangene König Rudolfs von Habsburg gewesen war) loskaufte und auf dem jüdischen Friedhof in Worms beisetzen ließ, deutet darauf hin, dass die Familie Süßkind Alexanders aus Wimpfen stammte, zumindest jedoch längere Zeit hier wohnhaft war. 1324 gewährte die Reichsstadt Wimpfen der Witwe Frawelin und ihrem Sohn Schutz. 1327 werden hier eine Judengasse und ein Judenhaus erwähnt, das dem Dominikanerkloster Zins zahlte. 1332 erlaubte Ludwig der Bayer Rat und Bürgern, auch Juden ins volle Bürgerrecht (alle Freiheit wie die übrigen Bürger) aufzunehmen. 1343 kommen in einer Urkunde Kaiser Ludwigs neben Juden zahl­ reicher anderer Orte Wimpfener Juden als Gläubiger des Burggrafen Johann von Nürnberg vor. 1394 besaß der Jude Judelin von Wimpfen (wohl identisch mit dem im Heilbronner Bet-Buch von 1387 genannten Judelin) ein Vermögen von 5.000 Gulden. Im 14./15. Jahrhundert bestand eine Synagoge [Judenschule]. 1413 ordnete der Rat an, dass die Juden einen besonderen Eid zu leisten hatten, wobei sie ihre Hand auf ein geöffnetes Hummas [Chomesch = Thora] legen mussten. Der Eid lautete:

Ich Jude, der mir beschieden ist, dass ich recht schwöre, also helfe mir der Gott, der geschaffen hat Laub und Gras, Geheuer und Ungeheuer und alle Kreatur. Und daß ich die Wahrheit sage und recht schwöre, also helfe mir der Gott adonai und seine gewaltige Gottheit und all seine Heiligkeit. Und dass ich wahr und recht habe, also helfe mir der Gott Jakobs, Isaks, Abrahams und Moses. Und dass ich wahr und recht habe, also helfe mir das Gesetz, das Gott Mose gab auf dem Berge Sinai. Und so ich nicht wahr und recht habe, müssen die fünf Bücher Mose mir an Leib und Seele ewiglich ein Fluch sein und das jüngste Gericht möge über mich und meine Nachkommen ewiglich ergehen."

Anfang des 16. Jahrhunderts erhielten der jüdische Arzt Gumprecht von Löwen­stein und sein Bruder Seligmann von Wimpfen, offenbar ebenfalls Arzt, vom Rat der Reichsstadt Heilbronn, der nicht lange vorher alle jüdischen Einwohner ver­trieben hatte, die Erlaubnis, in Heilbronn ihren Beruf auszuüben. Es dürften dem­ nach auch damals Juden in Wimpfen ansässig gewesen sein. 1582 gestattete der Rat dem Juden Abraham auf Fürsprache des Pfälzer Kurfürsten und gegen eine Auf­nahmegebühr von 50 Gulden, sich mit seiner Frau und einer Magd hier niederzulassen. Das Almosenhaus beim Roten Turm wurde Abraham gegen einen jährlichen Zins zur Wohnung eingeräumt. Nach der 1598 erlassenen, 1626 erneuerten Judenord­nung durften vier Schutzjuden (nicht Bürger), die der Rat auswählte, in der Stadt in zwei Häusern wohnen. Sie hatten den Judeneid zu leisten. Es war ihnen verboten, den christlichen Glauben zu lästern. Bei Geldgeschäften durften sie 5 Prozent Zins neh­men, hingegen keinen Wucher treiben, auch keinen Grundbesitz erwerben. Gestattet war ihnen der Handel mit Gold, Silber und Kleinodien, das Geldwechseln und der Rosstausch. Sie hatten als Kennzeichen gelbe Ringe an Kleidern und Mänteln zu tragen. An christlichen Feiertagen war ihnen untersagt, zu arbeiten, zu reiten, zu fahren oder sich auf der Straße zu zeigen. Ebenso war ihnen verboten, eine Synagoge oder Schule zu errichten; doch durften sie zu gemeinsamen Gebeten zu­sammenkommen. Sie wurden zu Kontribucionen und Kriegslasten herangezogen und hatten für den Rat zwei Pferde auf der Streu zu halten. Als Abgabe entrichteten sie ein jährliches Paktgeld (1630 20-30 Gulden für einen Erwachsenen im Jahr), waren aber damit frei von den üblichen bürgerlichen Lasten. Mahlgeld, Wegzoll und Nachsteuer bezahlten sie wie die Bürger. Die Paktverträge, die der Rat mit ihnen schloss, wurden alle drei Jahre erneuert. Ein fremder Jude, der das städtische Gebiet betrat, hatte bei Tag an „Judenglaydt" 8-12 Kreutzer, bei Nacht die doppelte Summe zu entrichten. 1608 lehnte der Rat die Bitte eines Schutzjuden ab, der für seine Kinder einen Schulmeister halten wollte. 1625 zeigte er sich zugänglicher.

1617 mussten die Wimpfener Juden zur Krönung von Kaiser Matthias eine Ver­ehrung geben. Sie hatten außerdem von jedem Haus an die kaiserliche Kasse all­ jährlich 1 Goldgulden als Opferpfennig abzuführen. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden sie noch erheblich mehr als die Bürgerschaft durch Kontributionen bedrückt. 1631 hatte jeder Jude wöchentlich 1 Gulden, ein Taglöhner jedoch nur 1 Batzen zu leisten. 1632 wurde den Juden eine Brandschatzung von 1.400 Gulden mit der Begrün­dung auferlegt, sie hätten Güter, die aus katholischen Orten in die Stadt geflüchtet worden waren, massenweise versteckt und nicht abgeliefert. 1637 mussten sie ihre Steuern im voraus bezahlen. Wer sich weigerte, wurde in den Turm gesperrt. 1649 nahm die Reichsstadt, um die hohen von Schweden geforderten Satisfaktionsgelder aufbringen zu können, eine Anleihe bei den Juden in Anspruch, die offenbar trotz der schweren finanziellen Belastungen der vorhergegangenen zwanzig Jahre noch über Geldreserven verfügten. Die Juden gewährten die Anleihe aber nur unter der Bedingung, dass man ihnen eine Gnade und Freiheit verspreche. Dies geschah denn auch. 1653 bewohnten sie fünf Häuser in der Stadt. Streng ging der Rat immer noch gegen Schutzjuden vor, die die christliche Religion beschimpften. In einem Fall (1666) verhängte er eine Geldstrafe von 50 Gulden.

1672 wies der Rat die Juden aus der Stadt aus, erlaubte ihnen aber schon zwei Jahre darauf die Rückkehr. 1696 verbot er ihnen den Hausierhandel in der Stadt, im Tal und zu Hohenstadt. Seit 1653 konnten ihre Handelsgeschäfte im städtischen Bereich nur noch Rechtsgültigkeit beanspruchen, wenn ihnen der jeweilige Bürger­ meister zugestimmt hatte. Nach der 1756 erneuerten Judenordnung, die im wesent­lichen die Bestimmungen von 1598 (1626) wiederholte, war ihnen erlaubt, einen Präzeptor [=Lehrer] gegen 5 Gulden Paktgeld zu halten. Vier jüdische Familien durf­ten in einem Haus wohnen. Das Verbot, in der Stadt eine Synagoge oder Schule zu erbauen, blieb bestehen. Die Wimpfener Juden nahmen an den Gottesdiensten in der Heinsheimer Synagoge teil. Der Viehhandel war den Juden jetzt freigegeben. Der Rat verzichtete darauf, dass sie für seine Bedürfnisse Pferde auf der Streu hielten. 1785 wurde ihnen der Getreidehandel zugestanden. Das Schächten von Vieh und den Verkauf von Fleisch durch die Juden empfanden die Wimpfener Metzger im 17. und 18. Jahrhundert als eine lästige Konkurrenz, über die sie sich häufig beim Rat beschwerten. Im Februar 1766 ordnete der Rat zum Schutz der Metzgerzunft an, dass die Juden das ihnen zugestandene Vieh nur noch von Herbst bis Martini schlachten durften, im Dezember 1766 verbot er ihnen das Schlachten überhaupt. Sie mussten künftig beim Metzger schlachten lassen und eine bestimmte Summe dafür zahlen, die zur Hälfte der Rechenstube und zur anderen Hälfte dem Metzger zugute kam. 1785 gab es zwei Judenhäuser in der Stadt. 1794 waren hier 7 jüdische Familien ansässig, 1795 und 1804 jeweils 5.

lm 19. Jahrhundert fielen nach und nach die Beschränkungen, die den Juden in reichsstädtischer Zeit auferlegt gewesen waren. Die jüdische Gemeinde blieb aber stets recht klein. 1829 lebten hier 42 jüdische Bürger, 1840 37, 1860 32, 1890 65, 1900 59 und 1933 22. Um 1850 stiftete ein jüdischer Bürger namens Dreifuß das Haus Schwibbogengasse, alte Nr. 151, der israelitischen Gemeinde, die darin einen Betsaal einrichtete. Hier erhielten die jüdischen Kinder durch den Heinsheimer israelitischen Lehrer zweimal in der Woche Religionsunterricht. Der Betsaal wurde am Ende des Ersten Weltkriegs geschlossen. Um 1896 legten die Wimpfener Juden auch einen eigenen Friedhof an. Zuvor hatten ihre Toten auf dem Heinsheimer Friedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Im Ersten Weltkrieg hatte die israelitische Gemeinde einen Gefallenen zu beklagen: Friedrich Kahn. Die Wimpfener jüdische Gemeinde gehörte sehr wahrscheinlich zum Rabbinat Michelstadt/Odenwald.

Die wenigen 1933 noch hier wohnhaften jüdischen Bürger waren wirtschaftlich für die Stadt kaum von Bedeutung: Simon Strauß hatte eine Manufakturwarenhandlung inne, Adolf Baer betätigte sich im Antiquitäten- und Ludwig Adler im Vieh­handel. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen scheint in den Jahren der Weimarer Republik gut gewesen zu sein, verschlechterte sich aber wie anderwärts mit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus. Die Juden wurden zu­nehmend gesellschaftlich diskriminiert, die jüdischen Händler und Geschäftsleute boykottiert. Während der sogenannten Kristallnacht im November 1938 kam es zu Aus­schreitungen: Jüdische Geschäfts- und Wohnungseinrichtungen wurden demoliert, zwei jüdische Bürger misshandelt. Ludwig Adler wurde als Schutzhäftling für einen Monat ins Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen, Adolf Baer kam ins Kon­zentrationslager Dachau. Baer ist am 11. Dezember 1938 in Prittlbach bei Dachau gestorben. Die meisten jüdischen Bürger vermochten bis zum Sommer 1941 auszu­wandern. Die Stadt selbst war wohl schon 1940 „judenfrei" gemacht worden (Zwangsumsiedlung mehrerer Juden 1939/40 nach Mainz). Nachweisbar kamen zwei jüdische Bürger in der Deportation um (Hedwig Baer und Karl Kahn), zwei überlebten sie (Sofie Mannheimer, die 1940 von Mannheim aus nach Gurs deportiert, und Simon Strauß, der von Mainz aus nach dem Osten zwangsverschleppt worden war).

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Frohn­häuser, Ludwig, Geschichte der Reichsstadt Wimpfen, Darmstadt 1870.
  • Heid, A., Die Geschichte der Stadt Wimpfen, Heilbronn 1866.
  • Jülch, Rüdiger, Die Entwicklung des Wirtschaftsplatzes Wimp­fen bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Veröffentlichungen der Kommission für geschicht­liche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 14. Bd., Stuttgart 1961.
  • Lorent, A. von, Wimpfen am Neckar, Stuttgart 1870.
  • Rosen­thal, Berthold, Heimatgeschichte der badischen Juden, Bühl 1927.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Bad Wimpfen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 31-45.
  • Böcher, Otto, Eine hebräische Bauinschrift in Wimpfen, in: Forschungen und Berichte der Archäologie des MA in Baden-Württ. 8 (1983), S. 473-476.
  • Germania Judaica, Bd. 2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 90f.
  • Germania Judaica, Bd. 3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1646ff.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
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