Buttenhausen 

Die Synagoge in Buttenhausen, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 268]
Die Synagoge in Buttenhausen, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 268]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

In dem reichsritterschaftlichen Ort Buttenhausen nahm 1787 Freiherr Philipp Friedrich von Liebenstein, der bereits 10 Jahre zuvor in Jebenhausen bei Göppingen 20 jüdischen Familien die Niederlassung ermöglicht hatte, Juden auf. Auch wenn den Freiherrn bei der Ansiedlung von Juden in Buttenhausen in erster Linie finanzielle Gesichtspunkte bestimmt haben mögen, so ist doch nicht zu verkennen, dass der Schutzbrief vom 7. Juli 1787 genau so wie der 1777 für Jebenhausen ausgestellte in einem aufgeklärten humanitären Geist gehalten ist, der in jener Zeit noch durchaus nicht selbstverständlich war: 25 jüdische Familien, jedoch nicht mehr, durften in Buttenhausen ihren Wohnsitz haben, solange im Römischen Reich Juden geduldet würden. Die Juden erhielten kostenlos Platz zum Häuserbau angewiesen, hatten außer der Steuer keine Abgaben an die Herrschaft oder die Gemeinde zu leisten, waren frei von Frondiensten, Einquartierungen, Wachen usw. Jede Familie bezahlte als jährliches Schutzgeld 12 Gulden, Witwen 6 Gulden, während Männer über 70 Jahre vom Schutzgeld befreit waren. Die Juden durften keine liegenden Güter besitzen und nur auf den von der Herrschaft angewiesenen Hofstätten bauen. In der Religionsausübung hatten sie völlige Freiheit. Zum Pfingst- und Laubhüttenfest erhielten sie unentgeltlich Laub aus den herrschaftlichen Wäldern. Außerdem war ihnen gestattet, sogenannte christliche Sabbatmägde zu dingen, eine Synagoge zu erbauen und die Toten nach ihren Gebräuchen zu bestatten. Die Herrschaft gestand ihnen „alle im Reiche erlaubten Commercia" zu, den Salzhandel allein ausgenommen. In ihrer Wirtschaft „Zum König David" durften sie einheimische und fremde Juden beherbergen und bewirten, jedoch keine Christen. Das Schächten war ihnen erlaubt, doch sollten sie von jedem Stück Vieh die Zunge oder 15 Kreutzer der Herrschaft abliefern. Sie bekamen Anteil an Weide, Wasser, Trieb und Tratt, dagegen standen ihnen keine Gemeindeteile zu. Für den ihnen überlassenen ½ Morgen großen Begräbnisplatz mussten sie jährlich 6 Gulden entrichten, außerdem bei der Beerdigung einer verheirateten Person 2 Gulden, bei der einer unverheirateten 1 Gulden. Die Herrschaft sicherte die Bestrafung von Grab- und Friedhofschändern zu. Für das Frauenbad hatten die Juden jährlich 4 Gulden zu zahlen. Ihre Rabbiner, Vorsänger und Schulmeister konnten sie frei wählen. Der Rabbiner brauchte kein Schutzgeld zu bezahlen, seine Familie war nicht in die Zahl der 25 Haushalte inbegriffen. Er musste aber für die Herrschaft das gewöhnliche Gebet in der Synagoge verrichten. Streitigkeiten zwischen den Juden, soweit sie nicht „in die herrschaftlichen Jura einschlugen", entschied der Judenvorsteher, der Strafen bis zu 5 Gulden verhängen durfte. Er konnte in Zweifelsfällen einen gelehrten und gesetzverständigen Landrabbiner beiziehen. Betrog ein Jude beim Geldwechseln, wurde er aus Buttenhausen verwiesen. Zwischen den Juden von Buttenhausen und denen von Jebenhausen galt „freier Zug". Wer jedoch in einen anderen Ort verzog, hatte 30 Gulden Nachsteuer zu entrichten, das Kind eines hiesigen Schutzjuden, das sich auswärts verheiratete, 15 Gulden. Die Bedingungen des Schutzbriefs für Buttenhausen stimmen im wesentlichen mit denen das Schutzbriefes für Jebenhausen überein. Doch waren die Abgaben in Buttenhausen im allgemeinen höher.

Die meisten Ansiedler, die aus vielen Gemeinden Süddeutschlands kamen (u.a. aus Laupheim, Hechingen, Illereichen, Rexingen, Ichenhausen, Dörzbach), wiesen ein Vermögen von 200 bis 300 Gulden nach. Um sich vor zweifelhaften Elementen zu sichern, verlangte die Herrschaft von den Zuziehenden jeweils eine Bescheinigung, dass ihrem Wegzug aus ihrer Heimatgemeinde nichts entgegenstünde. Nachdem Buttenhausen 1805 württembergisch geworden war, fiel eine nach der anderen der den Juden auferlegten Beschränkungen weg.

Als erstes jüdisches Gebäude wurde auf Kosten der Herrschaft das Frauenbad errichtet, an dessen Stelle bereits 1804 ein größerer Neubau trat. 1808 besaßen die hiesigen Juden 10 Häuser, 1845 gehörten ihnen 46 von insgesamt 100 Gebäuden, 1937 noch 37. Im 19. Jahrhundert erwarben jüdische Einwohner auch Grundbesitz, der ihnen aber im allgemeinen zur Futtererzeugung für das untergestellte Handelsvieh diente. 1848 wies der jüdische Bürger Bernheimer, der sich als Ökonom bezeichnete, ein Vermögen von 6.000 Gulden nach; er besaß ein Hofgut von 140 Morgen. Die meisten hier ansässigen Juden betätigten sich im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert im Handel. Schon um 1800 kamen sie weit in Süddeutschland herum. Nachdem die Berufsbeschränkungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weggefallen waren, brachten sie es im Durchschnitt zu größerer Wohlhabenheit als ihre christlichen Mitbürger, auch wenn bis über die Jahrhundertmitte hinaus die Konkurrenz unter den handeltreibenden Juden recht stark war. Die Juden machten den kleinen Ort zu einem Mittelpunkt des Handels und Verkehrs, im Vergleich zu den umliegenden Dörfern zu einem wohlhabenden Gemeinwesen; noch 1937 besaß Buttenhausen bei seinen 516 Einwohnern nicht weniger als 5 Gasthäuser. Die Juden waren über 100 Jahre lang die wichtigsten Steuerzahler der Gemeinde. 1925 entrichteten die jüdischen Bürger, die damals nur noch 22 Prozent der Wohnbevölkerung ausmachten, 62,2 Prozent der Gemeindesteuern.

Die Zahl der jüdischen Einwohner nahm vom Beginn des 19. Jahrhunderts an rasch zu: 1807 146 Juden, 1824 190, 1831 260, 1847 334 = 52,1 Prozent der Bevölkerung, 1858 334 (= 52,43 Prozent), 1870 442 (= 52,99 Prozent). Von 1870 an war die Zahl der jüdischen Einwohner stark rückläufig infolge eines geradezu katastrophalen Rückgangs der Kinderzahl. Nach der Oberamtsbeschreibung Münsingen von 1825 hatte sich die israelitische Bevölkerung von Buttenhausen dreimal stärker vermehrt als die christliche: 1840 waren im Durchschnitt 7,4 Kinder auf eine jüdische Ehe gekommen, 1850 gar 10,3, 1860 8,8. Dagegen entfielen auf eine jüdische Familie 1900 3,5 Kinder, 1920 bloß noch 2,1. Zweifellos wirkte sich hier auch eine veränderte religiöse Grundhaltung aus: Während die jüdische Gemeinde der Anfangszeit ausgesprochen orthodox gewesen war, setzte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend ein liberaler Geist durch, unter dessen Einfluss die religiös bestimmte patriarchalische Auffassung von Ehe und Familie mehr und mehr schwand. Im Jahr 1886 lebten noch 312 Juden in Buttenhausen, 1900 229, 1910 164 (= 25,3 Prozent der Bevölkerung), 1933 89 und 1937 83.

Die Synagoge wurde 1795 erbaut und 1870 restauriert. Ein Friedhof wurde bereits 1787 angelegt. Grund und Boden stellte jeweils die Herrschaft zur Verfügung. 1805 gab sich die hiesige jüdische Gemeinde besondere Statuten, die den Satzungen der israelitischen Gemeinde Hechingen glichen. Ihre Protokolle schrieb sie bis 1831 in hebräischer Schrift. Einen Rabbiner hatten die Buttenhäuser Juden schon seit Ende des 18. Jahrhunderts. Der erste von der württembergischen Regierung anerkannte Rabbiner war Salomon Levi. Auf ihn folgte 1835 Marx Kallmann, der bis 1858 in Buttenhausen im Amt war. Weitere Rabbiner: Samson Gunzenhauser (1859-67), Dr. Michael Silberstein (1868-74), Dr. Jakob Stern (1874-80) und Jonas Laupheimer (1880-87). Von 1887 an war das Rabbinat Buttenhausen, das nur die hiesige jüdische Gemeinde umfasste, nicht mehr besetzt, später mit dem Rabbinat Buchau in Personalunion vereinigt.

Schon 1795 war ein jüdischer Lehrer und Schulmeister in Buttenhausen, der den Kindern einige Elementarkenntnisse im Lesen, Schreiben und im Hebräischen vermittelte. Eine freiwillige israelitische Volksschule bestand seit 1826. Sie wurde 1840 in eine öffentliche umgewandelt und behauptete neben Rexingen als einzige israelitische Volksschule in Württemberg ihren öffentlichen Charakter bis 1933. Seit 1908 unterrichtete an ihr Lehrer Naphtali Berlinger, der sehr beliebt war und viele Jahre lang die Junglehrerfortbildung im Schulbezirk Münsingen leitete. Berlinger ist am 22. August 1942 nach Theresienstadt deportiert worden und dort am 20. Februar 1943 verstorben.

Bis zur Auflösung im Jahr 1939 bestanden in der jüdischen Gemeinde die folgenden vier zum Teil sehr alten Wohltätigkeitsvereine: Chewra Kadischa (Israelitischer Bruderverein), Chewra Aniim (Israelitischer Armenverein), Mattan Baseisser (Wohltätigkeitsverein für verschämte Arme), Chewra Noschim (Israelitischer Frauenverein). Die Buttenhäuser Juden haben für ihre Armen ebenso für die Ausbildung ihrer Kinder stets Opfer gebracht.

Im Jahre 1903 stiftete der aus Buttenhausen stammende bayerische Kommerzienrat Lehmann Bernheimer in München eine vierklassige Realschule und stellte 110.000 Mark als Grundstock für die Lehrerbesoldung zur Verfügung. Die Schule sollte nach dem Willen des Stifters von Buttenhäuser Kindern aller Konfessionen unentgeltlich besucht werden. Die Schule musste 1923 geschlossen werden, nachdem das Stiftungskapital durch die Inflation entwertet worden war. Bestrebungen in den zwanziger Jahren, die Schule wieder zu errichten, führten nicht zum Ziel. Kommerzienrat Bernheimer verdankt die Gemeinde Buttenhausen außerdem den Park hinter der Schule und das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, auf dem auch die Namen von Moritz Isaak Levi (gef. 1917), Samuel Levi (gest. 1916) und Sigmund Feigenheimer (gest. 1917) verzeichnet sind. Jüdische Stiftungen waren die Gemeindebibliothek und die Kleinkinderschule.

Das Verhältnis zwischen den christlichen und jüdischen Einwohnern blieb bis 1933 unverändert gut. Die Juden nahmen regen Anteil am Gemeindeleben. Stets saßen einer oder mehrere jüdische Einwohner im Gemeinderat. So gehörte der langjährige Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde, Salomon Pfeiffer, über 30 Jahre dem Gemeinderat an, Josef Thannhauser (gestorben 1935) 20 Jahre. Als 1933 die israelitische Volksschule ihren öffentlichen Charakter verlor, beschloss der Gemeinderat, ihr die Benützung des Schulzimmers auch weiterhin zu gestatten und wie bisher die Kosten für Heizung und Reinigung zu übernehmen.

Trotz der Agitation der herrschenden Partei saß noch bis 1935 - ein wohl einmaliger Fall - ein Jude im Gemeinderat. Bürgermeister Hirrle setzte sich sehr für die jüdischen Bürger ein, war ihnen bei der Auswanderung behilflich und ließ im Krieg den Juden, die zur Deportation bestimmt waren, jede amtliche und private Unterstützung zukommen. Buttenhausen galt damals vielen Juden als noch einigermaßen ruhiger Zufluchtsort. In der Kristallnacht 1938 erhob sich hier keine Hand gegen die entrechteten jüdischen Einwohner. Der erste Synagogenbrand, den SA-Leute aus Münsingen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 legten, wurde von der Ortsfeuerwehr gelöscht, wobei Bürgermeister Hirrle einen Teil der wertvollen Kultgegenstände in Sicherheit bringen ließ. Am 10. November im Laufe des Vormittags kamen Münsinger SA-Leute ein zweites Mal hierher, setzten den Bürgermeister auf dem Rathaus fest, zündeten die Synagoge nochmals an und verhinderten jeden Löschversuch. Einige SA-Männer aus Buttenhausen mussten ihnen dabei Hilfsdienste leisten. Die jüdische Gemeinde wurde im August 1939 aufgelöst. Im Jahr darauf kam ein Teil der vertriebenen Insassen des Altersheims Heilbronn-Sontheim nach Buttenhausen. 1940 und 1941 wurden zahlreiche Juden aus Stuttgart und einigen anderen Städten hierher zwangseingewiesen. Sie alle hatten von Buttenhausen aus den Weg in die Deportation nach Riga und Theresienstadt anzutreten. Insgesamt sind von hier mindestens 109 Juden zwangsverschleppt worden, darunter 22, die bereits 1933 hier gewohnt hatten. Zurückgekehrt ist nur eine Frau. An die Juden, denen die Gemeinde so viel verdankt, erinnern heute noch das Rabbinatshaus, das Gebäude der Bernheimer'schen Realschule, eine Anzahl in einem uniformen Stil erbaute Häuser aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts und der Friedhof. Ein Mahnmal für die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Bürger befindet sich seit 1960 im Zentrum des Dorfes. Ein von Boris Grünwald in Stuttgart geschaffener Gedenkstein für die Synagoge wurde am 4. September 1966 in Anwesenheit von Prof. Dr. Karl Adler, New York, dessen Vorfahren zu den ersten jüdischen Ansiedlern Buttenhausens gehörten, feierlich enthüllt.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Alfred, Fritz, Die Geschichte und Entwicklung der Juden in Buttenhausen, Dissertation der Landwirtsch. Hochschule Stuttgart-Hohenheim, 1938.
  • Beschreibungen des Oberamts Münsingen, 1825 und 1912.
  • Bilder von der Synagoge und vom Friedhof, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 66f.
  • Zur Geschichte der Juden in Buttenhausen, in: Gemeindezeitung für die israelit. Gemeinden Württ., Jg. 5, Nr. 17, 1. Dezember 1928, S. 214f.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Buttenhausen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Gustav Landauers Briefe an Clara Tannhauser 1892, hg. von Irmtraut Betz-Wischnath, (Documenta suevica, Bd. 22), Konstanz/Eggingen 2013.
  • Jahn, G., Alltag im Nationalsozialismus, dargestellt am Schicksal der Juden von Buttenhausen. Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte (Klasse 10b der Freibühlschule Engstingen), 1980/81.
  • Juden in Buttenhausen. Ständige Ausstellung in der Bernheimer'schen Realschule Buttenhausen, hg. Stadt Münsingen, (Schriftenreihe des Stadtarchivs Münsingen Bd. 3), 1994.
  • Juden und ihre Heimat Buttenhausen, hg. von der Stadt Münsingen, 1987.
  • Knüppel, Christoph, Von Buttenhausen nach Palästina. Briefe der schwäbischen Jüdin Fanny Levi an ihre Kinder und Enkelkinder, in: Münsinger Jahrbuch, Jg. 5/6, (2012/13), S. 79-141.
  • Sauer, Paul, Zweihundert Jahre Judenschutzbrief Buttenhausen, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 47 (1988), S. 309ff.
  • „Wir als Juden können diese Zeit nie vergessen“. Die Juden von Buttenhausen - Vom Leben und Untergang einer Landgemeinde in Württemberg, hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 2013.
  • Zacher, E./Kreye, M., Die Juden von Buttenhausen. Materialien zur Landeskunde und Landesgeschichte, Heft 13, hg. vom Oberschulamt Tübingen.
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