Creglingen mit Waldmannshofen
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Im 14. Jahrhundert befand sich der Ort Creglingen im Besitz der Hohenlohe-Brauneck. 1349 verlieh Karl IV. Creglingen auf Ansuchen Gottfrieds von Hohenlohe-Brauneck Stadtrecht. 1448 gelangte die Stadt an die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, 1791 wurde sie preußisch, 1807 bayerisch und 1810 württembergisch.
Nach dem Nürnberger Memorbuch wurden hier im Jahr 1298 Juden erschlagen. Zahl und Namen sind nicht bekannt. 1532, 1534 und 1536 wurden wieder Juden erwähnt, die wohl spätestens 1560 Creglingen verlassen mussten, nachdem ein fürstlicher Befehl die „Abschaffung" aller Juden in der Markgrafschaft Ansbach mit Ausnahme von Fürth angeordnet hatte. 1620 ließen sich erneut Juden in der Stadt nieder, die hier eine Synagoge errichteten. 1714 waren in Creglingen 12 jüdische Familien wohnhaft. Die Schutzaufnahmegebühren betrugen im 18. Jahrhundert in einer ansbachischen Landstadt wie Creglingen 75 Gulden, das jährliche Schutzgeld pro Familie im Höchstfall 18 Gulden, ehe es Markgräfin Christiane Charlotte im Jahr 1724 allgemein auf 7 Gulden 8 Kreutzer beschränkte. Die Creglinger Juden gehörten zur ansbachischen Landjudenschaft (siehe Crailsheim, Beitrag Crailsheim). Die Gemeinde legte wohl noch im 17. Jahrhundert einen Friedhof an: Der älteste, 1930 noch zu entziffernde Grabstein trug die Jahreszahl 1696. Auf dem Friedhof fanden bis herein ins 19. und 20. Jahrhundert auch die Juden von Craintal, Archshofen und anderen benachbarten Orten ihre letzte Ruhestätte. 1799 erbaute die israelitische Gemeinde eine neue Synagoge, die 1836 renoviert wurde. Die Vorgängerin dieses Gotteshauses, die alte Judenschule, befand sich in der Badgasse, deren Name vom jüdischen Frauenbad herrührte.
1808 wohnten hier 76 Juden (17 Familien), 1824 105, 1831 127, 1843 108, 1854 130, 1869 116, 1886 112, 1900 95, 1910 84, 1933 73. Zur israelitischen Gemeinde Creglingen gehörten seit 1832 auch die Juden in Waldmannshofen, die noch im 19. Jahrhundert abwanderten. Das zuständige Rabbinat war von 1832 bis 1914 Weikersheim, von 1914 bis 1939 Mergentheim. Eine israelitische Volksschule bestand von den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bis 1924. Unter den an ihr angestellten Lehrern ragen hervor Ludwig Stern, Verfasser des „Amerdei Haogolath", der wegen Differenzen mit der Israelitischen Oberkirchenbehörde in Stuttgart den württembergischen Schuldienst verließ und am israelitischen Lehrerseminar in Würzburg eine neue Wirkungsstätte fand, sowie Josef Preßburger, der im April 1938 fast achtzigjährig in Creglingen starb. Preßburger hatte zeitweise den Vorsitz im Verein württembergischer israelitischer Lehrer inne (zuletzt Ehrenvorsitzender). Er spielte auch im Verband der israelitischen Lehrer Deutschlands eine wichtige Rolle. Von 1924-30 gehörte er als Vertreter der Lehrer der Israelitischen Landesversammlung an. Seit 1877 in Creglingen tätig, leitete er als Vorsänger die israelitische Gemeinde, deren Mitgliederzahl damals sehr zurückzugehen begann. Mit sein Verdienst war es, dass sich in der kleinen Gemeinde ein tiefreligiöser Geist bis in die Zeit des Nationalsozialismus erhielt, der sich u. a. in einem regen Vereinsleben (Israelitischer Frauenverein, Wohltätigkeitsverein, Ohawei Thora-Verein, Chewra Kadischa-Bruderschaft) und in einigen Stiftungen äußerte (Brautaussteuerstiftung, Jahrtagsstiftungen, Krankenfürsorgestiftung).
Im 19. Jahrhundert waren die jüdischen Bürger meist im Handel tätig. Nach der Mergentheimer Oberamtsbeschreibung besaßen um 1880 alle jüdischen Einwohner eigene Wohnungen, doch nur wenige Grundbesitz; viele lebten wie ein guter Teil der christlichen Bevölkerung in bescheidenen Vermögensverhältnissen. In eben jener Zeit mussten in größerem Umfang Gaben von Nachkommen von Creglinger und Archshofer Juden, die in größeren Städten Deutschlands wie im Ausland (USA, England, Frankreich) lebten, in Anspruch genommen werden, damit der hölzerne Lattenzaun, der bis dahin den Creglinger Friedhof umgeben hatte, durch eine steinerne Umfassungsmauer ersetzt werden konnte.
Im Ersten Weltkrieg hatte die israelitische Gemeinde einen Gefallenen, Heinrich Stern, zu beklagen. In den Jahren der Weimarer Republik gehörten Juden den örtlichen Vereinen an. Kaufmann Emil Lißberger (geb. 1873) war bis 1933 Mitglied des Gemeinderats, ebenso Vorstandsmitglied des Fußball- und des Gesangvereins. Den jüdischen Bürgern kam trotz Abwanderung bis zur Machtergreifung durch den Nationalsozialismus im wirtschaftlichen Leben der Stadt einige Bedeutung zu. 1933 gab es hier folgende jüdische Geschäfte und Handwerksbetriebe: Mehl- und Landesproduktenhandlung Salomon Ehrenberger, Tabakgroßhandlung Emil Gutmann, Aussteuerhaus Gutmann und Landauer, Manufakturwarengeschäft Rudolf Sinsheimer, Großhandlung mit Hülsenfrüchten und Sämereien sowie Manufakturwarengeschäft Hugo Stein, Gemischtwarenhandlung Justin Oberndörfer, Manufakturwarengeschäft Emil Lißberger. Mehrere jüdische Bürger waren als Viehhändler tätig: Julius und Siegfried Güthermann, Max Gutmann, Adolf Kahn, Arnold Rosenfeld, Hermann Stern und Emil Wolf.
Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme am 30. Januar 1933 bekamen die jüdischen Bürger Creglingens schon bald zu spüren: Emil Lißberger musste schriftlich seinen Austritt aus dem Gemeinderat erklären. Am 25. März 1933 erschienen im Zuge der vom württembergischen Innenministerium angeordneten Waffendurchsuchungen bei Gegnern des neuen Regimes Heilbronner SA-Leute und Polizeibeamte unter Führung eines SA-Standartenführers Klein in Creglingen, holten sechzehn jüdische Männer während des Gottesdienstes aus der Synagoge und vollzogen auf dem Rathaus an ihnen ohne jede Veranlassung mit Polizeiknüppeln ein barbarisches Strafgericht. Anschließend zerschnitten sie ihnen Bart- und Kopfhaare. Zwei Juden wurden zu Tode geprügelt: der 67jährige Hermann Stern starb noch am gleichen Tag, der 53jährige Arnold Rosenfeld acht Tage später an den erlittenen Misshandlungen. Die nichtjüdischen Einwohner Creglingens hatten mit Ausnahme des damaligen Ortsgruppenleiters keinen Anteil an dem Verbrechen, im Gegenteil war die Empörung allgemein. Der Mergentheimer Landrat beschwerte sich beim Württembergischen Innenminister über die Ausschreitungen, zu denen es, wenn auch in minder drastischer Form, außerdem in Niederstetten, Mergentheim und einigen anderen Orten gekommen war. Er drohte für den Wiederholungsfall seinen Rücktritt als Landrat an. Das gegen SA-Standartenführer Klein und seine Leute eingeleitete Verfahren wegen Körperverletzung wurde von Gauleiter und Reichsstatthalter Murr am 23. Januar 1935 „im Wege der Gnade" niedergeschlagen. Das Verbrechen fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sühne. 1935 wurde nur ein SA-Mann vom Sondergericht Stuttgart zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die Gelegenheit in Creglingen dazu benutzt hatte, um von einer jüdischen Frau Geld zu erpressen.
Der Vorfall vom 25. März 1933 bewirkte, dass eine größere Anzahl jüdischer Bürger schon kurz darauf im Ausland Zuflucht suchte. Die jüdischen Geschäfte, die sich noch behaupteten, wurden von der eingeschüchterten christlichen Bevölkerung immer mehr gemieden, bis 1938 auch die letzten schließen mussten. Zwei jüdische Kinder hatten die hiesige Realschule, die sie besuchten, 1934 bzw. 1935 aus rassischen Gründen zu verlassen. 1935 richtete die jüdische Gemeinde für ihre Kinder eine Privatschule ein, die bis 1938 bestand (Lehrer Harry Katzenstein). Während der sogenannten Kristallnacht im November 1938 kam es weder zu Ausschreitungen noch zur Zerstörung jüdischen Eigentums. Eine größere Zahl jüdischer Männer befand sich aber mehrere Wochen in „Schutzhaft" im Konzentrationslager Dachau. Im Juli 1939 wurde die nur noch wenige Familien umfassende israelitische Gemeinde Creglingen aufgelöst. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs fanden zwölf jüdische Bürger in der Deportation den Tod. Unter den Umgekommenen war auch der frühere Gemeinderat Emil Lißberger, der bereits bei der SA-Aktion im März 1933 misshandelt worden war. Er war zusammen mit seiner Frau im August 1942 von Stuttgart aus nach Theresienstadt verbracht worden, wo er am 23. September 1942 starb. Frau Klara Lißberger überlebte in Theresienstadt die Schreckensjahre und wanderte nach ihrer Befreiung zu ihrem Sohn in die USA aus. Ein tragisches Geschick traf die Familie Lazarus genannt Emil Wolf: Emil Wolf, der zu Unrecht, wie sich später herausstellte, der Rassenschande bezichtigt worden war, beging 1937 Selbstmord. Seine Frau und seine beiden 1917 und 1920 geborenen Söhne wurden am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert und später ermordet. Nur die Tochter, die bereits 1933 in die Schweiz ausgewandert war, entging dem Tod.
Im Treppenaufgang des Rathauses erinnert eine Gedenktafel an die beiden jüdischen Bürger, die 1933 dem SA-Terror zum Opfer fielen.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Archiv Yad Washem/Jerusalem, Gemeindefragebogen 304, Creglingen.
- Beschreibung des Oberamts Mergentheim, 1880.
- Bilder vom Friedhof und von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 69f.
- Preßburger, Josef, Der Jüdische Friedhof in Creglingen, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 7, Nr. 14, 16. Oktober 1930, S. 159f.
Ergänzung 2023:
Die Synagoge, die sich an den Faulturm anlehnt, diente zunächst als Jugendherberge, später als Lagerfläche. 1987 wurde die ehemalige Synagoge restauriert und seither ist in dem Gebäude ein Restaurant untergebracht.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Creglingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Behr, Hartwig/Rupp, Horst F., Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen, 1999.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Heuwinkel, Claudia, Jüdisches Creglingen. Ein Gang durch die Stadt, 2001.
- Lebenswege Creglinger Juden. Das Pogrom von 1933, hg. von Gerhard Naser, 1999.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 122-123.