Edelfingen
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Edelfingen war seit dem Spätmittelalter zwischen dem Deutschen Orden (5/s), den Herren von Hohenlohe (2/s) und Würzburg (1/s) geteilt. Den würzburgischen Anteil hatten seit 1503 die Herren von Adelsheim als Lehen inne, den hohenlohischen seit 1639 die Grafen und späteren Fürsten von Hatzfeld. Da das adelheim'sche Achtel 1806 an Baden, die übrigen Teile an Württemberg fielen, war das Dorf ein badisch-württembergisches Kondominat, bis es 1846 durch Staatsvertrag ganz an Württemberg kam.
Der Deutsche Orden erlaubte schon im 16. Jahrhundert Juden die Niederlassung in Edelfingen. 1590 bestand hier eine kleine jüdische Gemeinde. Mitte des 17. Jahrhunderts trieben die Edelfinger und die Mergentheimer Juden einen ausgedehnten Handel, den die Deutschordensregierung auf Betreiben der Bürgerschaft der Stadt Mergentheim einzuschränken suchte. 1680 richteten die hiesigen Juden einen Betsaal ein. Ihre Toten begruben sie vom 16. bis ins 20. Jahrhundert stets auf dem jüdischen Friedhof in Unterbalbach. Nach dem Schutzbrief des Hoch- und Deutschmeisters Franz Ludwig von 1705 hatte die israelitische Gemeinde Edelfingen zwei herrschaftliche Jagdhunde zu halten und später dafür jährlich einen bestimmten Geldbetrag an die Kasse des Deutschen Ordens abzuführen. Im 18. Jahrhundert nahmen auch die beiden anderen Dorfherrschaften Juden auf. 1728 gehörte Edelfingen für die Deutschordensregierung zu den mit fremdherrischen Juden durchsetzten Orten. 1812 wohnten im Dorf (wohl nur im württembergischen Teil) 108 Juden, 1824 116, 1831 121, 1843 128, 1854 (in dem nunmehr ganz zu Württemberg gehörenden Ort) 172, 1886 154, 1900 156, 1910 98 und 1933 86. Die am häufigsten hier vertretenen jüdischen Familiennamen waren Adler, Bierig, Frank, Heß und Schloss. Von 1832 bis zu ihrer Auflösung im Juli 1939 unterstand die israelitische Religionsgemeinde Edelfingen dem Rabbinat Mergentheim. Die 1791 erbaute Synagoge blieb bis zum Jahr 1938 der religiöse Mittelpunkt der Gemeinde. Eine israelitische Volksschule bestand von den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Im Jahr 1880 unterrichteten an der christlichen und der jüdischen Schule zwei ständige evangelische und ein israelitischer Lehrer, der zugleich Vorsänger in der Synagoge war. Hauptsächlich karitative Aufgaben erfüllten die im Rahmen der Synagogengemeinde bestehenden Vereine: Chewra Kadischa, Chewro Gemilus Chasodim und Frauenverein. Im Ersten Weltkrieg ließen vier jüdische Bürger Edelfingens ihr Leben für ihr deutsches Vaterland: die Brüder Gabriel und Salomon Adler, Samuel Siegbert Bierig und Sigmund Frank.
Die 1933 hier wohnhaften Juden waren vornehmlich Händler, Geschäftsleute und Metzger: Benjamin Schloss betrieb zusammen mit seinen Söhnen Berthold und Heinrich eine Großschlächterei, in der mehrere Metzger beschäftigt waren. Kleinere Metzgereien hatten Adolf Adler und Bernhard Heß inne. Ascher Adler besaß ein Geschäft für Mehl, Getreide- und Manufakturwaren, Lina Bierig eine Spezereiwarenhandlung, Jette David einen kleinen Krämerladen und einen Hausierhandel, Isaak Rosenheimer ein Kolonialwarengeschäft mit Manufakturwaren, Elias Schorsch ein kleines Spezereihandelsgeschäft. Im Viehhandel betätigten sich Ascher Adolf Adler (er betrieb daneben auch eine kleine Landwirtschaft), David Adler, Moses Adler, Isaak, Samuel und Sigmund Bierig, Hermann, Jakob, Julius (I), Julius (II), Moses und Salomon Frank. Max Bamberger unterhielt eine kleine rituelle Gastwirtschaft. Außerdem betrieben noch mehrere Juden Wanderhandel mit verschiedenen Gegenständen oder waren Reisende bzw. Vertreter.
Ein jüdischer Bürger gehörte vor 1933 dem Gemeinderat an, mehrere Juden waren Mitglieder des Sportvereins. Das gute Verhältnis zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung überdauerte die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus. Erst allmählich wirkten sich die zerstörerische antijüdische Hasspropaganda, die ständige Überwachung, Bespitzelung und Anprangerung aus. 1935 richtete die israelitische Gemeinde für ihre wenigen Kinder eine Privatschule ein, die bis 1938 bestand. Während der sogenannten Kristallnacht im November 1938 wurden von Parteidienststellen auch hier Ausschreitungen inszeniert, die aber kaum das Maß von grobem Unfug überschritten. Die Synagoge entging nach Mitteilung des Bürgermeisteramts damals der Zerstörung. Sie wurde während der Kämpfe im Frühjahr 1945 schwer beschädigt und daher später abgebrochen.
Die meisten jüdischen Bürger vermochten sich bis Sommer 1941 ins Ausland zu retten. Acht Juden verstarben während der Verfolgungszeit hier und fünfzehn wurden deportiert. Von den Deportierten kehrte nur David Markus zurück. Er war als polnischer Staatsangehöriger bereits im Oktober 1938 zusammen mit seiner Mutter nach Polen ausgewiesen worden. Während die Mutter im Lager Treblinka ermordet wurde, überstand er in mehreren Lagern die Schreckenszeit. Unter den in der Deportation Umgekommenen befanden sich die Eltern von Samuel Siegbert Bierig, der 1918 gefallen war, sowie Berta Frank mit ihren Kindern Gertrud (geb. 1926), Ruth (geb. 1928) und Salomon (geb. 1936). Ihr Mann, Jakob Frank, war 1939 nach den USA ausgewandert, hatte aber seine Familie nicht mehr nachkommen lassen können.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Beschreibung des Oberamts Mergentheim, 1880.
- Bild von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 72.
- Renz, Gustav Adolf, Die Juden in Mergentheim, Bad Mergentheim 1943.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Edelfingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Goez, Wolfgang, Einwohner- und Familienbuch Edelfingen bis 1876, Plaidt 2006.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 30-31.