Heilbronn
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Juden haben schon früh in der von den Staufern zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegründeten Stadt Heilbronn gewohnt. Im Keller der Lohtorstraße 22 wurde ein Stein gefunden, auf dem in hebräischen Schriftzeichen die Worte NATIHAN HA PARNES (Nathan der Gemeindevorsteher) eingemeißelt waren. Das Leo-Baeck-Institut in Jerusalem hat nach eingehenden paläographischen Untersuchungen die Inschrift des Steins in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts verwiesen, das Kellergewölbe, das bislang als Katakombe galt, als Mikweh (rituelles Bad) gedeutet. Danach bestand wahrscheinlich bereits nach 1050 eine jüdische Gemeinde in Heilbronn; es gab also schon früh jüdische Siedlungen nicht nur am Rhein, sondern auch am Neckar. Die Geschichte der israelitischen Gemeinde in Heilbronn bleibt jedoch bis Ende des 12. Jahrhunderts im Dunkeln. Erst der Pogrom von 1298 ist durch das Nürnberger Memorbuch überliefert. Er forderte in Heilbronn allein 143 namentlich aufgeführte Opfer, unter ihnen den Rabbiner Jochanan, den Gemeindevorsteher Ascher, den Lehrer Isak und den Punktator [= Grammatiker] Abraham. Ausgelöst waren die Verfolgungen von dem fränkischen Ritter Rindfleisch, der zwei Jahre lang durch Franken zog und über zahlreiche Gemeinden Tod und Verderben brachte.
Bald nach der Katastrophe von 1298 ließen sich wohl wieder Juden in der Stadt nieder. 1316 war die israelitische Gemeinde so wohlhabend, dass König Ludwig der Bayer der verschuldeten Stadt für die nächsten sechs Jahre die ihm zustehenden Einkünfte von den Juden in Höhe von insgesamt 4.000 Gulden übergeben und alle an die Juden in der Stadt zu bezahlenden Schulden erlassen konnte. 1343 wird der Jude Moysse von Heilbronn als Gläubiger des Burggrafen Johann von Nürnberg erwähnt. 1349 brach eine neue Verfolgung über die Heilbronner Juden herein. Zahl und Namen der Opfer sind diesmal nicht bekannt. Nach einer Chronik soll damals auch die Synagoge abgebrannt worden sein. Bereits 1357 bestand eine neue Gemeinde, die wieder über eine Synagoge oder wenigstens über einen Betsaal in der Lohtorstraße verfügte. 1361 erteilte Kaiser Karl IV. den Befehl, alle Juden in die Stadt aufzunehmen, die darum bitten sollten. In der Folgezeit brachten es die jüdischen Einwohner Heilbronns nochmals zu Wohlstand. Nach dem Beet-Buch von 1387 entrichteten damals 15 Juden 279 Gulden oder 10 Prozent der Steuern, die 1350 Heilbronner Bürger aufbrachten. 1414 empfing König Sigmund von drei jüdischen Einwohnern 1.200 Gulden Judensteuer. Die in den Beet-Büchern der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aufgeführten jüdischen Steuerzahler stammten aus Straßburg und einer Anzahl südwestdeutscher Städte. 1399 bezahlte die israelitische Gemeinde an die Stadt für ihren Friedhof 8 Gulden. Es handelt sich hierbei wohl bereits um den Friedhof am Kieselmarkt („uff unserm wasen by den garten"), dessen Platz der Rat den Juden um einen jährlichen Zins von 8 Gulden, seit 1417 um 32 Gulden überließ. Der Friedhof lag dicht bei der Judengasse, in der die Juden vielleicht schon vor der Verfolgung von 1298 gewohnt hatten.
Bei dem starken Schwankungen unterworfenen Verhältnis der Könige und Kaiser zu den Juden gaben finanzielle Erwägungen den Ausschlag. König Wenzel annullierte 1385 alle Schulden, die an die Heilbronner Juden zu entrichten waren. König Ruprecht erhob im Jahr 1401 von ihnen 36 Gulden. Steuern und 8 Gulden Opferpfennig. Als König Sigmund auf dem Weg zum Konstanzer Konzil im Oktober 1414 in die Reichsstadt kam, erteilte er den Heilbronner Juden einen Schutzbrief, der in groß zügiger Weise ihre Rechte bestätigte, ja vermehrte. Der Schutzbrief legte u.a. fest, dass die finanziellen Forderungen der Juden befriedigt werden, dass die jüdischen Einwohner überall den gleichen Schutz für „ihr Leib und Gut" wie die Christen genießen, dass sie nicht zur Taufe gezwungen werden sollten. Mit der fortschreitenden Verschuldung der Bürger wuchs in der Stadt die Missstimmung gegen die „Fremdlinge", der wirtschaftliche Konkurrenzneid nahm zu. 1437 vertrieb der Rat die Juden, musste jedoch die Ausweisung zwei Jahre später auf Betreiben des Reichskämmerers Konrad von Weinsberg, an den der Kaiser die Judensteuern verpfändet hatte, wieder rückgängig machen. 1467 fand die Stadt für ihre judenfeindliche Politik die Unterstützung ihres mächtigen Nachbarn, des Kurfürsten Friedrich I. von der Pfalz, der den Juden Schirm und Geleit aufgekündigt und sie aus seinem Territorium ausgewiesen hatte. Heilbronn schloss sich dem Vorgehen des pfälzischen Kurfürsten an und wagte es, kaiserlichen Befehlen zu trotzen, die die Wiederaufnahme der Juden verlangten. 1476 beschloss der Rat, die Juden, die „der stat und gantzen gemeind zu verderblichem schaden" gewesen seien, die Niederlassung zu untersagen, den noch in der Stadt verbliebenen den Geldhandel zu verbieten. Der Beschluss fand später sogar Aufnahme in den Eid, den die Bürgermeister und die Mitglieder des kleinen Rats bei ihrem Amtsantritt abzulegen hatten: „Item dass sie auch zu ewigen tagen und zeiten khainen juden, der da wuchert, mit wesen in die stat einnehmen oder einkhommen lassen, sondern solches mit allem fleis verhüten sollen und wöllen." 1483 teilte der Rat den nach Neckarsulm geflüchteten Juden mit, dass kein Heilbronner Bürger verpflichtet sei, Juden Darlehen zurückzuzahlen. Kaiser Friedrich verlangte noch im Januar 1487 die Aufnahme von zwei Juden, die zehn Jahre in Heilbronn frei wohnen sollten. Doch schon einen Monat später sanktionierte er die durch den Rat verfügten Ausweisungen und gebot den jetzt oder künftig mit kaiserlicher Erlaubnis in der Stadt wohnenden Juden, dass sie „kein gesuch [= Zins] noch wucher mer nemen, noch dergleichenhandeln noch treiben sollen in kein weise". 1490 ließ er sich von der Stadt die Synagoge in der Lohtorstraße und den jüdischen Friedhof um 250 Gulden, zuzüglich 24 Gulden Kanzleigebühr abkaufen. Der Einspruch, den die Juden Abraham von Kaltenwesten und Natan von Talheim, wohl Bevollmächtigte der früheren jüdischen Gemeinde, beim Rat gegen diesen ungerechten Kauf einlegten, blieb unbeachtet.
Die Heilbronner Juden hatten im nahegelegenen Gebiet des Deutschordens (Neckarsulm, Sontheim und Talheim) sowie in einigen ritterschaftlichen Besitzungen (Bonfeld, Horkheim) Zuflucht gefunden. Von hier aus bemühten sie sich jahrelang um die Wiederaufnahme in die Stadt. Allein der Rat blieb unnachgiebig. 1529 verfügte er, dass kein Bürger mit Juden Geld- oder Handelsgeschäfte tätigen solle bei Verlust des Bürgerrechts, dass die Juden nur die das Heilbronner Gebiet durch ziehenden freien kaiserlichen Straßen benutzen dürften, ohne dabei mit Reichsstädtern Handelsgeschäfte abzuschließen, dass ihnen der Durchgang durch die Stadt bloß in Begleitung des Torwarts und gegen Entrichtung eines Zolls von 7 Pfennigen zu gestatten sei. Eine Ausnahme machte der Rat bei den Judenärzten Gumbrecht von Löwenstein und Seligmann von Wimpfen, zwei Brüdern, denen er den freien Zutritt in die Stadt erlaubte, „um Kranken Leibsarznei mitzuteilen, nicht aber um Wucherei und Commerz zu treiben".
Nachdem 1530 Kaiser Karl V. den Juden in zwei Privilegien den kaiserlichen Schutz bestätigt und zugestanden hatte, dass sie allenthalben im Reich frei und sicher zu Wasser und zu Land handeln und wandeln dürften, schickten die Neckarsulmer Juden durch „einen kaiserlichen geschworenen Boten" ein Schreiben mit einer Abschrift der Privilegien an den Heilbronner Rat und ließen anfragen, ob er den kaiserlichen Mandaten nachkommen wolle oder nicht. Die Stadt war aber nicht gesonnen, ihre judenfeindliche Politik aufzugeben. Zusammen mit anderen Städten, die „ebenfalls nicht Juden bei sich haben", beschwerte sie sich beim Kaiser über die „unverschamt und gräulich Jüdischheit" und forderte, die Juden aus Deutschland zu verbannen oder wenigstens ihren Wucher zu unterbinden und sie zur Handarbeit anzuhalten. Die Eingabe blieb ohne Erfolg. Nach jahrelangen Verhandlungen er reichte der Heilbronner Rat schließlich, dass König Ferdinand der Stadt am 4. Februar 1543 einen Freiheitsbrief erteilte, der jeden Handel sowie jedes Darlehensgeldgeschäft zwischen Juden und Heilbronner Bürgern untersagte. Der Rat ließ den Brief durch den Druck vervielfältigen und in einem Umkreis von 215 Meilen in allen bedeutenderen Städten und Dörfern bekanntmachen und anschlagen. Da er aber auch damit den Handel der Juden mit Heilbronner Bürgern nicht gänzlich lahmzulegen vermochte, erschwerte er ihnen das Betreten der Stadt noch mehr, machte den Leihzoll zu einer ständigen Einrichtung (seit 1620 12 Kreuzer pro Person). Um 1620 verbot er jüdischen Ärzten, ihren Beruf in Heilbronn auszuüben. Die Neckarsulmer Juden, die in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges die Erlaubnis erhalten hatten, sich hinter den Mauern der Stadt in Sicherheit zu bringen, mussten nach Friedensschluss wieder abziehen. Die Heilbronner Judenordnungen von 1667 und 1737 gestatteten den Juden in beschränktem Umfang den Warenhandel. Das Niederlassungsverbot wurde jedoch nicht gelockert, die Erhebung des Leibzolles weiterhin streng gehandhabt. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte sich der Rat zu kleinen Konzessionen bereit. So sicherte er 1770 bei der Einrichtung von drei neuen Märkten allen Juden, die sie besuchten und dadurch zu ihrer Belebung beitrugen, die Befreiung vom Leib- und Brückenzoll zu.
Die Mediatisierung der Reichsstadt durch Württemberg im Jahr 1802 änderte an den bestehenden Verhältnissen nur wenig. Erst das „Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen" vom 25. April 1828 gestand den Juden auch die Niederlassung in Orten zu, in denen bis dahin keine israelitischen Gemeinden bestanden hatten. Voraussetzung war allerdings, dass sie sich als Handwerker oder Landwirte ihren Lebensunterhalt verdienten. 1831 erhielt als erster Jude der Tuchmacher Isidor Veit aus Sontheim das Heilbronner Bürgerrecht. Durch Zuzüge aus den benachbarten Landgemeinden wuchs im Lauf der nächsten Jahrzehnte die Zahl der jüdischen Einwohner an. Mit dem Rechtskonsulenten Moritz Kallmann kam 1849 der erste Jude in den Gemeinderat. 1857 wohnten in Heilbronn 20 jüdische Familien und Einzelpersonen. Die Juden betätigten sich meist als Händler oder Kaufleute, doch befanden sich unter ihnen auch schon zwei Handwerker, zwei Rechtsanwälte und ein Tuchfabrikant. Die Stadtverwaltung vermochte ihre Abneigung gegen die Aufnahme von Juden ins Bürgerrecht lange nicht zu überwinden. So suchte sie anfänglich häufig die Niederlassung von jüdischen Handwerkern mit der Begründung zu verhindern, das betreffende Handwerk sei übersetzt. Am ausgeprägtesten war wohl die judenfeindliche Stimmung beim Bürgerausschuss, der noch 1854 erklärte, „er wende sich aus Grundsatz gegen jedes Aufnahmegesuch von Israeliten".
Seit der Jahrhundertmitte nahm die israelitische Gemeinde rasch zu: 1855 65 Juden, 1864 369, 1871 671, 1885 994, 1900 815, 1912 855, 1925 900, 1933 790.
1864 löste sich die 1861 errichtete israelitische Gemeinde Heilbronn von ihrer Muttergemeinde Sontheim. Noch im gleichen Jahr fanden die ersten Vorsteherwahlen statt. Auch wurde damals der Rabbinatssitz vorläufig, 1867 endgültig von Lehrensteinsfeld nach Heilbronn verlegt. Als Rabbiner wirkten hier: Dr. Moses Engelbert (1864-89), Dr. Berthold Einstein (1889-92), Ludwig Kahn (1892-1914), Dr. Max Beermann (1915-35) und Dr. Harry Heimann (1935-38). Die Stadt sah von der Errichtung einer besonderen israelitischen Schule ab, ermöglichte vielmehr den jüdischen Kindern den Besuch der christlichen Schulen. 1868 konnte die israelitische Gemeinde nach längeren Verhandlungen von der königlichen Domänendirektion ein zwei Morgen großes Areal am Fuß des Wartbergs als Friedhof erwerben. Vordringlich wurde der Bau einer Synagoge, da der Betsaal im Deutschhof und dann im ehemaligen Klarakloster für die Bedürfnisse der wachsenden Gemeinde nicht mehr ausreichte. 1877 konnte nach fast sechsjähriger Bauzeit unter zahlreicher Beteiligung der städtischen und staatlichen Behörden sowie der Heilbronner Bürgerschaft die Synagoge in der oberen Allee eingeweiht werden, die bis zum November 1938 das Zentrum des Gemeindelebens blieb. Die Stadt hatte für den in maurischem Stil aufgeführten Synagogenbau ein Darlehen von 30.000 Gulden, der Staat einen Zuschuss von 5.000 Mark gewährt.
Die Struktur der israelitischen Bevölkerung, die sich bis zur Machtergreifung durch den Nationalsozialismus nur wenig änderte, charakterisierte ein Ministerialbericht der siebziger Jahre folgendermaßen: „Man findet in Heilbronn eine Kaufmannschaft, vor allem Bankgeschäfte, Landesprodukte, Wein- und Viehhandel, Fabrikstand, Advokaten, Handwerker... wenig Reiche, einen guten Mittelstand und manche gering Bemittelte..." Die jüdischen Bürger nahmen regen Anteil am öffentlichen Leben der Stadt. Wolf M. Wolf gehörte fast 30 Jahre dem Bürgerausschuss an, war verschiedentlich Deputierter bei den Amtsversammlungen und zeitweise stellvertretender Bürgermeister. Von 1885 an war Rechtsanwalt Dr. Jakob Schloss 9 Jahre Mitglied des Bürgerausschusses und 12 Jahre Mitglied des Gemeinderats. Von 1903 bis 1928 saß der spätere Ehrenbürger der Stadt, Rechtsanwalt Max Rosengart, im Gemeinderat, von 1932 bis 1933 Rechtsanwalt Dr. Siegfried Gumbel, der von 1936 bis 1939 Präsident des Oberrats der israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg war. Die meisten Heilbronner Vereine zählten jüdische Bürger zu ihren Mitgliedern. Juden gehörten auch in größerer Zahl den politischen Parteien an. Im Ersten Weltkrieg haben 128 Heilbronner Juden an der Front gestanden, unter ihnen 19 Kriegsfreiwillige; 27 sind gefallen.
In der Wirtschaft der aufstrebenden Stadt spielten jüdische Bürger eine bedeutsame Rolle. Bereits 1865 gab es in Heilbronn 48 jüdische Gewerbebetriebe und Geschäfte. 1931 befanden sich 149 von insgesamt 634 handelsgerichtlich eingetragenen Firmen im Besitz von Juden. Dies war, gemessen am jüdischen Bevölkerungsanteil, ein erstaunlich hoher Prozentsatz. Doch handelte es sich bei den jüdischen Firmen zu einem großen Teil um kleine Geschäfte, Vieh-, Pferde- und Weinhandlungen. Auch Handwerksbetriebe befanden sich darunter. An größeren jüdischen Unternehmen sind u.a. zu nennen: die bereits 1862 gegründete Brennerei Landauer Macholl, die auf der Pariser Weltausstellung von 1900 eine Goldene Medaille gewann; die im Besitz der Familie Würzburger befindliche Adler-Brauerei, die als Brauerei wie als Restaurationsbetrieb im Jahr 1933 zu den größten derartigen Betrieben im württembergischen Unterland gehörte; die in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als Leinenwarenfabrik gegründete Firma M. Oppenheimer Söhne, die auf der Wiener Weltausstellung eine Auszeichnung erhielt; die Zigarrenfabriken Anselm Kahn, S. A. Kahn und Max Strauß; die Likör- und Spirituosenfabrik Steigerwald; die Seifenfabrik „Madaform" (Inhaber: Karl Heilbronner); die Weinbrennerei und Likörfabrik Löwengardt und Wollenberger; die Schuhfabrik Siegler; die Stockfabrik Marschall; die Möbelfabrik Heinrich Kern; die Putzwollefabrik Lothar Schwarzenberger; die Lederfabrik Gebrüder Victor; die Stoffabfallsortieranstalt W. M. Wolf; die Schrott- und Metallfabrik M. Dreifuß und Söhne; die Silberfabrik M. Gumbel Co.
Die jüdische Gemeinde entfaltete auf religiösem und karitativem Gebiet ein reges Leben. Bereits 1857 war der Israelitische Wohltätigkeitsverein, 1872 der Israelitische Jugendverein gegründet worden. Zu ihnen traten später noch ein Unterstützungs- und ein Frauenverein. Mehr der Geselligkeit dienten die seit 1877 bestehenden Vereine „Alliance" und „Einklang". Die vor dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufene Herder-Loge des Unabhängigen Ordens B'ne B'rith wurde in den Jahren der Weimarer Republik mit zunehmendem Antisemitismus ein geistiges Zentrum für die Heilbronner Juden. Nach dem Krieg entstanden hier Ortsgruppen des Centralvereins der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens und des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten. Die zionistische Bewegung spielte nur eine unter geordnete Rolle. Die orthodoxen Juden hatten sich um 1910 zu einer besonderen Gemeinde, der Israelitischen Religionsgemeinschaft „Adass Jeschurun", zusammen geschlossen. Ihre Mitgliederzahl schwankte zwischen 40 und 60.
Die aus reichsstädtischer Zeit stammende Judenfeindschaft verlor mit der Zunahme der jüdischen Gemeinde immer mehr an Gewicht. Der moderne Antisemitismus auf politisch-rassischer Grundlage fand in der Stadt mit ihrer starken demokratischen Tradition lange nur wenig Eingang. Einer im Jahr 1880 von antisemitischen Kreisen ausgehenden und anscheinend in ganz Deutschland verbreiteten Petition an den Reichskanzler, die die Beschränkung des Einflusses der Juden forderte, verweigerte der Heilbronner Gemeinderat seine Zustimmung. Oberbürger meister Wüst verteidigte die Belange der jüdischen Bürger. Gemeinderat Herrmann nannte die von dem Berliner Hofprediger Stoecker und anderen ausgehende judenfeindliche Bewegung, die auch in Heilbronn Anhänger fand, „eine Schande für das deutsche Volk". Die nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt entfachte Agitation gegen die Juden blieb in der Stadt ohne nachhaltiges Echo. Der Nationalsozialismus gewann nur langsam an Boden. Als Hitler 1926 in Heilbronn sprach, war die Reaktion der Bevölkerung überwiegend ablehnend. 1928 entstand eine Ortsgruppe des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Im Jahr 1930 beschloss der Gemeinderat bei nur zwei Stimmenthaltungen, Rechtsanwalt Max Rosengart aus Anlass der Vollendung des 75. Lebensjahres in Anerkennung seiner Verdienste um die Stadt das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Die Rechtsanwälte Dr. Siegfried Gumbel und Dr. Emil Meyer, aber auch andere wagten die öffentliche Diskussion mit den Nationalsozialisten. Auf den Einladungen, die sie zu den Veranstaltungen verteilen ließen, war zu lesen, dass in einer Zeit, in der das deutsche Volk unter schweren wirtschaftlichen Sorgen leide, jeder, der den Wiederaufbau des Vaterlands erstrebe, bemüht sein müsse, wirkliche oder vermeintliche Gegensätze im deutschen Volk, soweit möglich, zu beseitigen. Der antisemitischen Hetze widersetzten sich in Heilbronn auch die SPD, die Demokraten und die Katholiken. Als 1932 Dr. Siegfried Gumbel als Ersatzmann für den verstorbenen Stadtarzt Dr. Ludwig Heuss in den Gemeinderat eingeführt wurde, protestierten dagegen nur die drei nationalsozialistischen Gemeinderäte, die Gumbel ablehnten, weil er einer fremden Rasse angehöre und kein Deutscher sei.
Erst nach der Machtergreifung durch Hitler nahm der Antisemitismus in Heilbronn bedrohliche Ausmaße an. Im März 1933 wurde Dr. Siegfried Gumbel aus dem Gemeinderat ausgestoßen, Max Rosengart das Ehrenbürgerrecht aberkannt. Wie anderwärts setzte eine massive Presseagitation ein, die vor den böswilligsten Verleumdungen nicht Halt machte. Übergriffe gegen Juden wie gegen andere Gegner des Regimes waren an der Tagesordnung. Immer mehr litten die jüdischen Betriebe und Geschäfte unter Boykottmaßnahmen. 1936 musste die israelitische Religionsgemeinde im Adlerkeller eine eigene Schule für ihre Kinder einrichten. Am 27./28. Oktober 1938 wurden die in der Stadt ansässigen polnischen Juden verhaftet und gewaltsam nach Polen abgeschoben. Während der sogenannten Kristallnacht im November 1938 steckten unbekannte Täter die Synagoge in Brand. In der Nacht darauf (10./11. November) fanden von Kreisleiter Drautz wohlorganisierte Ausschreitungen gegen jüdische Bürger statt: Wohnungen wurden demoliert, die Schaufenster der jüdischen Geschäfte zertrümmert. Eine größere Zahl von Juden wurde in das Konzentrationslager Dachau verbracht. Die meisten jüdischen Bürger vermochten bis 1941 auszuwandern. Die Zurückgebliebenen wurden vornehmlich in den Jahren 1941 und 1942 zum Teil von Heilbronn, zum Teil aber auch von anderen Gemeinden aus wie Haigerloch, Eschenau, Buttenhausen, in die sie wenige Monate zuvor zwangseingewiesen worden waren, nach dem Osten deportiert. Einige machten ihrem Leben vor der Zwangsverschleppung ein Ende. Mehr als 200 Juden kamen in der Deportation und durch Euthanasie um. Die israelitische Gemeinde war bereits im August 1939 aufgelöst worden.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Bilder von der Synagoge (Innenraum) und vom Denkmal für die Gefallenen 1914-1918, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 84 f.
- Die Juden in Heilbronn, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 2, Nr. 5, 1. Juni 1925, S. 124-134.
- Franke, Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, in: Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn Heft 11, Heilbronn 1963.
- Krusemarck, Götz, Die Juden in Heilbronn, in: Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn a. N., Heft 1, Heilbronn 1938.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Heilbronn, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 91-101.
- Franke, Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, 1963.
- Germania Judaica, Bd.2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 346-350.
- Germania Judaica, Bd.3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 531-540.
- Jüdisches Leben in Heilbronn. Skizzen einer tausendjährigen Geschichte, hg. von Christhard Schrenk, Heilbronn 2022.
- Jung, Norbert, Von Kahn zu Kult. Unsere Nachbarin. Die Zigarre. Ein Beitrag zur Geschichte der Heilbronner Bahnhofsvorstadt, 2009.
- Kleemann, Claudia, Die Zwangsverkäufe/Übernahmen der Kauf- und Warenhäuser Hermann Tietz, Schocken (Stuttgart) und Landauer (Stuttgart, Ulm, Heilbronn), in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S.115-126.
- Mayer, Oskar, Die Geschichte der Juden in Heilbronn. Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Synagoge in Heilbronn, 1927.
- Ritter, Martin, Die Adler-Brauerei von Nathan und Alfred Würtburger in Heilbronn, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 361-370.
- Zürger, Steffen, Die Synagoge in Heilbronn (1877-1938), Arbeit der 12. Klasse des Robert-Mayer-Gymnasiums Heilbronn im Rahmen des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte, 1992/93.