Hochberg
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Die Herrschaft Hochberg, zu der die Orte Hochberg, Hochdorf und Kirschenhardthof gehörten, war von etwa 1300 bis 1684 im Besitz der Nothaft von Hochberg, württembergischer Ministerialen, und gelangte dann an die Herren von Gemmingen. 1779 erwarb Herzog Friedrich Eugen von Württemberg die Herrschaft, verkaufte sie aber bereits 1781 an seinen Bruder, den regierenden Herzog Karl Eugen, der sie dem herzoglichen Hofkammergut einverleibte.
Die Freiherren von Gemmingen siedelten in dem reichsritterschaftlichen Ort Hochberg um 1750 gegen eine Aufnahmegebühr und ein jährliches Schutzgeld die ersten jüdischen Familien an. 1774 begründeten vornehmlich aus Nordstetten stammende Juden eine jüdische Gemeinde. Herzog Friedrich Eugen sicherte nach der Besitzergreifung Hochbergs den Juden seinen Schutz zu und erließ 1780 eine „Ordnung und Instruktion", die als Hochberger Judenordnung bekannt geworden ist. Diese Ordnung ist in ihren Bestimmungen strenger als die „Freudentaler Judenordnung", die ihr zum Vorbild gedient hatte. Der Erziehungsgedanke ist unverkennbar: Den Juden wurde in Fragen ihrer Religion eine gewisse Freiheit zugestanden, sie waren aber in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Die Strafgewalt der beiden von der Herrschaft bestimmten Vorsteher war auf kultische Angelegenheiten beschränkt. An Abgaben hatte jeder Jude jährlich 15 Gulden Schutzgeld, 1 Gulden 30 Kreutzer für eine Martinsgans und, soweit er kein Haus besaß, 2 Gulden als Ersatz für Fronen, Einquartierungen, Soldatendurchmärsche und dergleichen der Herrschaft zu entrichten, außerdem dem Bürgermeisteramt 2 Gulden 30 Kreutzer für Wasser und Weide sowie für das Bad zu bezahlen. Damit sich die Judenschaft in Hochberg „nicht zu stark vermehrte", durften weitere Juden nur mit Erlaubnis der Herrschaft aufgenommen werden. Söhne, die einen eigenen Handel trieben, und Töchter, die sich verheirateten, waren in den ihren Vätern gewährten Schutz nicht mehr inbegriffen, sondern hatten selbst um Aufnahme in den herrschaftlichen Schutz nachzusuchen. Kein Jude durfte mehr als zwei unverheiratete jüdische Bediente (1 Knecht und 1 Magd) haben. Beim Tode eines Schutzjuden musste dessen Familie spätestens nach drei Monaten Hochberg verlassen, wenn nicht ein Sohn oder Schwiegersohn den Schutz erlangt hatte. Fremden Juden wurde der Aufenthalt in Hochberg sehr erschwert, Betteljuden gar verboten: Übernachtung und Beherbergung eines fremden Juden während der Sabbate oder der jüdischen Feiertage nur gegen eine Gebühr und mit ausdrücklicher Genehmigung der Herrschaft. Ehrlichkeit bei Handelsgeschäften mit württembergischen Untertanen der umliegenden Orte wie mit Hintersassen der Herrschaft war eine Voraussetzung für die Weitergewährung des Schutzes. Alle Kontrakte, Verschreibungen und Obligationen zwischen Juden und christlichen Untertanen über 10 Gulden musste das herrschaftliche Oberamt genehmigen.
1805 lebten in Hochberg 112 Juden. Die jüdische Gemeinde, die anfänglich dem Rabbinat Freudental, seit 1832 dem Rabbinat Stuttgart zugeteilt war, besaß bis 1828 eine gewisse Selbständigkeit. Im 19. Jahrhundert hatte die Gemeinde einen Vorsteher, dem der aus drei Mitgliedern bestehende israelitische Kirchenkonvent beigegeben war. Den Gottesdienst leitete ein Vorsänger. 1781 wurde die erste Synagoge eingerichtet, an deren Stelle 1829 ein Neubau trat (die heutige Methodistenkirche). Eine israelitische Schule unter der Aufsicht des evangelischen Kirchenkonvents bestand von etwa 1828 bis 1872. 1808 wurde auf einer Hochterrasse über dem Neckar ein Friedhof angelegt. Auf ihm fanden auch die Aldinger Juden und anfänglich die Ludwigsburger Juden ihre letzte Ruhestätte.
1824 waren 192 Juden ansässig, 1831 234, 1843 264 und 1852 (bei 490 Christen) 305 Juden. Die meisten Juden waren Händler und Kaufleute, die weit im Land herumkamen. Dem Charakter der Dorfeinwohner schrieb die Waiblinger Oberamtsbeschreibung von 1850 wegen des jüdischen Bevölkerungsteils „eine eigene Geschmeidigkeit" zu. Nach 1828 wandte sich eine Anzahl junger Judenhandwerklichen Berufen zu (Metzger, Glaser, Bäcker usw.), einige nach Auflösung der Staatsdomäne Hochberg auch der Landwirtschaft. Das Verhältnis zu den christlichen Dorfbewohnern war mit Ausnahme der Revolutionszeit von 1848/49, wo sich Spannungen bemerkbar machten, gut. 1845 wurde Abraham Herz in den Gemeinderat gewählt (nach der Oberamtsbeschreibung Waiblingen war dies der erste Jude in Württemberg, der ein solches Ehrenamt bekleidete) und kurz darauf Abraham Seligmann. Vor 1828 machte die Ortsgemeinde Schwierigkeiten beim Zuzug von fremden Juden. So wollte man 1824 einem sehr wohlhabenden auswärtigen Juden zur Bedingung für die Aufnahme in die Gemeinde machen, dass er ein armes ortsansässiges Judenmädchen heirate. Die jüdische Gemeinde sorgte im übrigen durch Wohltätigkeitsstiftungen für ihre Armen, so dass diese nur selten der bürgerlichen Gemeinde zur Last fielen.
Bereits vor Mitte des 19. Jahrhunderts setzte bei der verkehrsungünstigen Lage des Ortes die Abwanderung in die benachbarten Städte ein, insbesondere nach Ludwigsburg und Stuttgart. Nicht wenige Juden wanderten auch nach Nordamerika aus (zwischen 1850 und 1870 allein 36). 1869 war die Zahl der jüdischen Bürger auf 186 zurückgegangen, 1886 auf 39 und 1910 auf 10. Die jüdische Gemeinde wurde 1914 aufgelöst, die Synagoge geschlossen. Im Jahre 1933 lebten hier nur noch der Metzger und Viehhändler Adolf Falk und seine Haushälterin Sophie Neumann. Adolf Falk war 1939 als 81jähriger gezwungen, nach England auszuwandern. Er starb 1943 in London.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Beschreibung des Oberamts Waiblingen.
- Bilder von der Synagoge mit Schulhaus und vom Friedhof, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 86 f.
- Ders., Die Juden in Hochberg, in: Ebenda, 8. Jg., Nr. 4, 20. April 1957.
- Tänzer, Paul, Die Rechtsgeschichte der Juden in Württemberg, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1922.
- Streng, Wilhelm, 490 Christen und 305 Juden anno 1852 in Hochberg, in: Hie gut Württemberg, Beilage zur Ludwigsburger Kreiszeitung, 8. Jg., Nr. 3, 23. März 1957.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Hochberg, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Bickhoff-Böttcher, Nicole/Bolay, Gertrud/Theiner, Eduard, 200 Jahre jüdisches Leben in Hochberg und Aldingen. 1730-1930, 1990.
- Bolay, Gertrud, Jüdischer Alltag in Hochberg, Remseck 2001.
- Breuning, Arno, „Erneuert von seinen Söhnen“. Beobachtungen und Gedanken zum alten Israeliten-Friedhof in Hochberg.
- Hahn, Joachim, Jüdisches Leben in Ludwigsburg, Karlsruhe 1998.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Reinhardt, Brigitte/Weyrauch, Sabine, Bauten jüdischer Dorfgemeinschaft im Kreis Ludwigsburg (Freudental, Hochberg und Aldingen), in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 8 (1979), S. 70-76.
- Sill, Ulrike/Hüttenmeister, Gil/Bolay, Gertrud/Theiner, Eduard, Der jüdische Friedhof in Remseck-Hochberg. Eine Dokumentation, Remseck 2003.
- Streng, Wilhelm, Hochbergs Vergangenheit, Vortragsreihe an der Schiller-Volkshochschule Ludwigsburg, 1984.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 76.