Horb am Neckar
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Nach der Chronik des Heinrich von Dießenhofen kam es in der von den Pfalzgrafen von Tübingen gegründeten und von 1305 bis 1381 im Besitz der Grafen von Hohenberg befindlichen Stadt Horb am 20. Dezember 1348 zu einer Judenverfolgung.
1418 (Reichssteuerliste) und 1431 sind hier Juden genannt, die jedoch wohl bald vertrieben wurden.
Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zogen wieder Juden zu. Sie kamen meist aus den benachbarten jüdischen Gemeinden Dettensee, Mühlen am Neckar, Nordstetten und Rexingen. 1864 waren in Horb sechs Juden ansässig, 1886 86, 1900 134, 1910 135, 1925 109 und 1933 100. 1903 wurde eine jüdische Gemeinde gegründet, 1904 ein Friedhof außerhalb der Stadt angelegt. Die Gottesdienste fanden in einem gemieteten Betsaal in der Ihlinger Straße statt. In den zwanziger Jahren fasste die Gemeinde den Plan, eine Synagoge zu errichten. Die Stadt stellte kostenlos einen Bauplatz zur Verfügung. Ende 1926 lagen die von den Architekten Bloch und Guggenheimer gefertigten Baupläne vor. Zu einer Verwirklichung des Projekts kam es aber nicht. Die Gemeinde wurde im Juni 1939 aufgelöst.
Seit 1914 war Horb anstelle von Mühringen Sitz eines Rabbinats, das die israelitischen Religionsgemeinden Baisingen, Horb, Mühringen, Nordstetten, Rexingen, Rottweil und Tübingen umfasste. Als einziger Rabbiner wirkte hier von 1914 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1936 Dr. Abraham Schweizer (geb. 3. Februar 1875 in Schopfloch, deportiert am 22. August 1942 von Oberdorf aus nach Theresienstadt, ermordet nach dem 29. September 1942 in Maly Trostinec). Dr. Schweizer hatte von 1900 bis 1914 das Rabbinat Weikersheim versehen und war nach dessen Auflösung hierher versetzt worden. Das Rabbinat Horb blieb von 1936 an unbesetzt.
Im Ersten Weltkrieg fielen die aus Dettensee gebürtigen jüdischen Bürger Hugo und Siegfried Stern. Eugen Eßlinger starb als Soldat im Oktober 1918 an einer Rippenfellentzündung. Mit hohen Auszeichnungen kehrten die Leutnante Willy Gideon (1939 nach vielen Demütigungen nach den USA ausgewandert) und Theo Preßburger heim.
Die jüdischen Bürger spielten vor 1933 im wirtschaftlichen Leben der Stadt eine bedeutsame Rolle. Ihnen gehörten damals die folgenden Industrieunternehmungen, Handwerksbetriebe und Geschäfte: Bankhaus Weil, Textilhaus Gebr. Augsburger, Seifenfabrik/Dampftalgschmelze Gideon (seit 1840 Familienbesitz), Kleiderfabrik Stern, Kolonialwarenhandlung Adolf Landauer, Metzgerei Liebmann, Schneiderei Levi, Restaurant Blume-Levi. Außerdem praktizierten hier Sanitätsrat Dr. Joseph Rosenfeld und Tierarzt Dr. Wolf.
Vor der sogenannten Machtergreifung war das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Bürgern ausgesprochen gut. Man lebte nach dem Urteil von Horber Juden nicht nur nebeneinander, sondern miteinander. Die Juden waren Mitglieder sämtlicher Vereine. Fabrikant Willy Gideon saß jahrelang im Ausschuss des Veteranen und Militärvereins. David Gideon gehörte viele Jahre dem Bürgerausschuss und dem Stadtrat an. Als der Israelitische Frauenverein an Silvester 1927 im „Lindenhof" ein Fest zugunsten des Synagogenbaus veranstaltete, beteiligten sich hieran bezeichnenderweise nicht nur die jüdischen Gemeinden der Umgebung, sondern auch zahlreiche christliche Bürger. Oberamtsvorstand Bushart war persönlich anwesend. Die Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen, die durch Gottesdienste verhindert waren, hatten sich nicht nur entschuldigt, sondern auch größere Spenden übersandt. Ein namhaftes Geldgeschenk ließ der Bürgermeister übergeben.
Die nationalsozialistische Rassenhetze wirkte sich in Horb schlimm aus. Angehörige der nationalsozialistischen Partei beleidigten und schikanierten die jüdischen Bürger und terrorisierten die christlichen Einwohner, die gegen die Boykottmaßnahmen der Partei passiven Widerstand leisteten. Fabrikant Willy Gideon, schwerverwundeter und hochdekorierter Frontoffizier, wurde am 3. Januar 1934 von der Gestapo verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis verbracht, musste jedoch vier Tage später auf den Druck der empörten Bevölkerung wieder freigelassen werden. Am Morgen des 10. November 1938 demolierten Hitlerjungen unter Anführung eines Lehrers Grohnmaier den Betsaal. Bereits in der Nacht zuvor waren die Schaufenster jüdischer Geschäftshäuser eingeschlagen worden, in einem Geschäft war es zu Plünderungen gekommen. Die jüdischen Männer wurden verhaftet und zum Teil bis Januar 1939 in den Konzentrationslagern Welzheim und Dachau festgehalten. Heinrich Stern starb nach der Rückkehr aus Dachau an Herzmuskelschwäche. Die Lebensbedingungen für die jüdischen Einwohner waren seit Ende 1938 unerträglich. 1941 wurde die Stadt „judenrein" gemacht, die letzten jüdischen Einwohner nach Rexingen umgesiedelt. Von hier traten 25 Juden aus Horb den Weg nach Riga und Theresienstadt an. Als einzige Überlebende kehrte 1945 Frau Hedwig Schwarz geb. Schwarz aus Theresienstadt zurück. Sie starb am 6. November 1952 in Stuttgart an den Folgen der im Konzentrationslager erlittenen Misshandlungen.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Bild vom Friedhof, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 85.
- Neufeld, Siegbert, Das ehemalige Rabbinat Horb, in: Funkmanuskript Südwestfunk, Tübingen WK 1733.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Horb am Neckar, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Frank, Fritz, Verschollene Heimat, in: Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich, Stuttgart 1979.
- Germania Judaica, Bd.3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 573-574.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Högerle, Heinz, Die „Arisierung“ der Kleiderfabrik Stern K.H, in Horb am Neckar, in: Juden in der Textilindustrie. Dokumentation der Tagung des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb am 10. Oktober 2010 in Hechingen, hg. von Karl-Hermann Blickle/Heinz Högerle, Horb-Rexingen 2013, S. 123-145.
- Müller, Hans Peter, Die Juden in der Grafschaft Hohenberg, in: Der Sülchgau 25 (1981), S.36-43.
- Schattenrisse. Eine Annäherung an die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Horb am Neckar 2000, hg. von Martin-Gerbert-Gymnasium Horn/Otto-Hahn-Gymnasium Nagold.
- Staudacher, Barbara, Das nationalsozialistische Schächtverbot und seine Auswirkungen am Beispiel jüdischer Metzger in Rexingen, Horb und Baisingen, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 157-167.
- von Bremen, Benedict, Wirtschaftliche Ausplünderung von Textilgeschäften in Klein- und Mittelstädten. Die Beispiele Tübingen, Hechingen und Horb, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 127-142.
- Vom Leben in Horb am Neckar. Die jüdische Gemeinde und ihr Friedhof, in: Jüdischer Friedhof der Stadt Horb, Bd.3, hg. von Stadtarchiv Horb und vom Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen, 2019.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 76-79.