Künzelsau

Die Synagoge in Künzelsau, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 996]
Die Synagoge in Künzelsau, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 996]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Während der Verfolgung des Jahres 1298 fanden auch in Künzelsau Juden den Tod. Es ist nicht bekannt, wie groß die Zahl der Erschlagenen war. Um 1550 nahm Balthasar von Stetten, einer der Ganerben, in deren Besitz sich das Dorf Künzelsau damals befand, Juden auf. 1580 beschlossen die Ganerben Mainz, Würzburg, Schwäbisch Hall und Hohenlohe, die Stetten'schen Juden wieder aus dem Flecken zu vertreiben. Als die Erben Balthasars, die Brüder Ludwig Casimir und Johann Georg von Stetten, dagegen Einspruch erhoben, versuchten die übrigen Ganerben, die Juden mit Gewalt fortzuschaffen. Obwohl aber die beiden Brüder einen Prozess vor dem Reichskammergericht anstrengten und sogar die Unterstützung von Kaiser Rudolf II. gewannen, lenkten die anderen Ortsherrschaften erst 1599 ein, nachdem die Juden, um weiteren Bedrückungen zu entgehen, das Dorf verlassen hatten.

In der seit 1806 württembergischen Stadt Künzelsau zogen nach 1850 aus den benachbarten Gemeinden Nagelsberg, Hohebach, Braunsbach, Ernsbach und Berlichingen wieder Juden zu: 1869 waren es 30 jüdische Bürger, 1880 119, 1886 112, 1900 114, 1910 92, 1933 (Juni) 65. Anfänglich gehörten die hiesigen Juden zur israelitischen Gemeinde Nagelsberg. 1876 wurde eine Filialgemeinde begründet und in der Schnurgasse gegenüber dem Gasthaus zum „Hirsch" ein Betsaal eingerichtet.

1907 fand die feierliche Einweihung der in der heutigen Konsul-Uebele-Straße errichteten Synagoge statt. An die Stelle der aufgelösten Gemeinde Nagelsberg trat die israelitische Religionsgemeinde Künzelsau.

Ehe der Nationalsozialismus in Deutschland zur Macht kam, waren die Künzelsauer Juden geachtete Mitbürger. Dem Gemeinderat gehörten Lazarus Baer, Max Löwenthal und Lehrer Wissmann an. Unter den Gefallenen des Ersten Weltkriegs befanden sich auch drei jüdische Bürger: David Neumann, Eduard und Isaak Stern. Max Löwenthal stiftete einen größeren Geldbetrag für die evang. Schwesternstation. Im wirtschaftlichen Leben der Stadt nahmen die Juden noch 1933 einen nicht unwichtigen Platz ein: Die Familien Baer und Löwenthal besaßen eine Getreide-, Mehl- und Futtermittelgroßhandlung. Max Ledermann war Inhaber eines Textilgeschäfts (Wertheimer), ebenso David Furchheimer. Hermann Neumann betrieb ein Manufakturwarengeschäft, Rosa Neumann eine Stoff- und Schuhhandlung, Eugen Adler eine Bäckerei und Gastwirtschaft (Gasthaus zur „Kanne"), Adolf Stern eine Metzgerei, Fellhandlung und Gastwirtschaft. Außerdem waren einige jüdische Bürger im Viehhandel tätig.

Schon kurz nach der sogenannten Machtergreifung kam es zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Einwohner: Am 20. März 1933 führten SA-Leute und Schutzpolizei eine Waffensuchaktion bei Gegnern des neuen Regimes und bei Juden durch. Der israelitische Religionslehrer Julius Goldmann wurde auf das Rathaus gebracht und dort schändlich misshandelt. Den Kaufmann Max Ledermann erschütterte der Anblick des halbtot geschlagenen Lehrers so, dass er an einem Herzschlag starb. David Furchheimer beging Selbstmord. Die Proteste der Bevölkerung gegen diese Gewaltakte taten die örtlichen Parteiführer in einem Presseartikel mit der Bemerkung ab:

„Wo gehobelt wird, fallen Späne". In den folgenden Jahren steigerte sich die antisemitische Hetze: Die jüdischen Geschäfte wurden boykottiert, jüdische Kinder von ihren Mitschülern misshandelt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckten SA-Leute unter Leitung der örtlichen Parteifunktionäre die Synagoge in Brand und hinderten die Feuerwehr am Eingreifen. Die jüdischen Männer wurden verhaftet und ins KZ Dachau eingeliefert. Die letzten jüdischen Geschäfte fielen der Auflösung bzw. der „Arisierung" anheim. Einzelne Bürger machten aus ihrer Sympathie für die Verfolgten kein Hehl, vermochten aber gegen den Terror nicht viel auszurichten.

Die Juden, die nicht auswanderten, mussten für 20 Pfennig Stundenlohn 10 Stunden täglich im städtischen Steinbruch arbeiten. Sie hatten einen Teil ihrer Häuser für „arische" Einwohner freizumachen und sich mit engen Wohnungen in wenigen sogenannten Judenhäusern zu begnügen. Die meisten jüdischen Bürger konnten sich noch rechtzeitig im Ausland in Sicherheit bringen, ehe im Jahre 1941 die Zwangsverschleppungen nach dem Osten einsetzten. Den Deportationen sind 19 Juden, die 1933 in Künzelsau wohnhaft waren (unter ihnen zwei Nagelsberger), zum Opfer gefallen, und 2, die nach dem 30. Januar 1933 noch zugezogen waren. Nur ein in einer Mischehe lebender jüdischer Bürger überstand die Verfolgungszeit in Künzelsau. Die jüdische Gemeinde hatte der Israelitische Oberrat in Stuttgart bereits am 12. Juli 1939 aufgelöst.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Beschreibung des Oberamts Künzelsau, 1883.
  • Bild von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 92.
  • Dürr, Günther, Das Schicksal der Juden in Stadt und Kreis Künzelsau, in: Hohenloher Chronik 10. Jg., Nr. 11, 30. November 1963, 11. Jg. Nr. 1, 11. Januar 1964 und 11. Jg. Nr. 2, 8. Februar 1964.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Künzelsau, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Bamberger, Naftali Bar-Giora, Die jüdischen Friedhöfe im Hohenlohekreis, Künzelsau 2002.
  • Dürr, Günther, Das Schicksal der Juden in Stadt und Kreis Künzelsau, in: Feiertagsschrift Rosch Haschana 5729 (1968), S. 22-26.
  • Frey, Martin/Kraut, Stefan, …und lebten unter uns. Juden in Künzelsau, 1993 (Erweiterter Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Historischen Vereins für Württembergisch Franken, Bd. 77), 1993.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Koch, Heinz-Wilhelm, Dokumentation „Vierte Stolpersteinverlegung in Künzelsau - 3. März 2020“, Künzelsau 2022.
  • Rauser, Jürgen Hermann, Künzelsauer Heimatbuch. Erstes Buch: Stadtgeschichte, (Heimatbücherei Hohenlohekreis, Bd. 8) 1981, S.126, S. 130, S. 323, S. 492-493, S. 574-575.
  • Rauser, Jürgen Hermann, Künzelsauer Heimatbuch. Zweites Buch: Dörfergeschichte. (Heimatbücherei Hohenlohekreis, Bd. 15), 1984, S. 502 und S. 535.
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