Lauchheim
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Die Stadt Lauchheim war seit dem Spätmittelalter der Hauptort der Deutschordens-Kommende Kapfenburg und fiel 1806 an Württemberg. Im Jahr 1658 nahm der Deutschordens-Komtur Philipp von Gravenegg trotz des Protests des Stadtpfarrers Mühlich sechs jüdische Familien (Samuel, Koppel Rabin, Löw, Josef, Gabriel und Mosche) auf, die aus der Grafschaft Oettingen-Baldern vertrieben worden waren. Die Aufnahme wurde zunächst für sechs, später meist für zehn Jahre gewährt. Vor Ablauf dieser Frist mussten die Juden jeweils bei der Herrschaft um die Verlängerung des Schutzes einkommen (supplizieren). Samuel erhielt die Erlaubnis, einen offenen Laden zu halten, die anderen durften Handel aller Art treiben. Anfangs waren die Juden auf die Judengasse beschränkt, in der sie schon 1668 sechs Häuser besaßen. In diesem Jahr erreichte Stadtpfarrer Mühlich durch seine Beschwerden, dass drei neuzugezogene Judenfamilien wieder ausgewiesen wurden. Später erlaubte der Komtur jedoch weiteren Schutzjudenfamilien die Niederlassung in der Stadt. Die Juden betrieben einen lebhaften Vieh- und Güterhandel in der Umgebung, daneben auch viel „Mäklerei".
1658 hatte der Vorsänger Koppel Rabin ein Schutzgeld von 4 Reichstalern zu entrichten, die anderen mussten ein solches von 6 Reichstalern und ein Neujahrsgeld von 1 Reichstaler bezahlen. 1668 entrichteten die Hausbesitzer je 10 Reichstaler, die anderen 5 Reichstaler, der Vorsänger 3 Gulden. Das Neujahrsgeld, das 1668 je Familie auf 1 Dukaten erhöht wurde, war eine für den Komtur persönlich bestimmte Abgabe, die anfänglich nur zu bezahlen war, wenn dessen Stelle besetzt war. Später wurde es auch bei einer Sedisvakanz entrichtet und dann zur Anschaffung von Paramenten für die Pfarrkirche verwendet. Seit 1786 erhielt diese Abgabe nicht mehr der Komtur, sondern der Deutschordens-Oberamtmann zu Ellingen.
Die Juden hatten dem Lauchheimer Stadtpfarrer jährlich 3-4 Gulden als Ersatz für entgehende Stolgebühren zu leisten. Auf ihr Ansuchen wurde die Judenschaft 1691 von den Frondiensten, von Wachen und Botengängen befreit und ihr dafür eine Pauschalabgabe von 24 Gulden auferlegt. 1717 musste jeder Schutzjude für die schuldigen herrschaftlichen Botendienste jährlich 2 Gulden, für das bis dahin übliche Hundeführen auf der Jagd 4 Gulden 30 Kreutzer (der Gesamtbetrag diente dazu, zwei Männer für diese Dienste anzustellen), als Wachtgeld 6 Gulden, die zur Besoldung des Stadtwachtmeisters verwendet wurden, aufbringen. Außerdem war seit 1718 noch eine Martinigans abzuliefern.
1670 legte das Amt Lauchheim ein eigenes Judenprotokoll an, das der Herrschaft eine Kontrolle über die Schulden ermöglichte, die die Untertanen bei den Juden hatten. Nachdem 1676 ein Jude schlechtes Fleisch verkauft hatte, an dem viele Einwohner erkrankten, wurde den Juden bei einer Strafe von 10 Reichstalern verboten, an den vier christlichen Hauptfesten sowie an Fastnacht und Kirchweih zu schächten.
Wiederholt nahm die Herrschaft die Juden gegen Übergriffe der christlichen Untertanen in Schutz. So untersagte sie 1686 jede Belästigung der Schutzjuden bei Tag oder bei Nacht. Ein Lauchheimer Einwohner, der mit einer Pallester Fenster an der Synagoge eingeschossen hatte, wurde drei Tage in Band und Eisen geschlossen. Damals verbot die Herrschaft den Juden, wegen der grassierenden Krankheiten fremde Glaubensgenossen einzulassen.
Einen Rabbiner besaß die Gemeinde bereits 1716. 1728-33 wirkte als solcher Schmul Bloch, 1744-51 Josef Isaak. Die Rabbiner übten eine Art Vorsänger-Funktion aus. Bis 1806 unterstanden die Lauchheimer Juden dem Rabbinat Ellingen, von 1806-32 dem Rabbinat Wallerstein und von da an dem Rabbinat Oberdorf am Ipf. Eine Synagoge wird bereits 1686 erwähnt. Als diese 1743 durch Fahrlässigkeit abbrannte, wurde die Judenschaft mit einer Strafe von 10 Reichstalern belegt. 1768/70 erbaute die Gemeinde mit Erlaubnis der Herrschaft ein neues Gotteshaus, das 1856/59 erneuert und vergrößert wurde. Ihre Toten beerdigten die Juden von Anfang an auf dem Friedhof bei Aufhausen. 1716 erteilte ein Judenmeister den jüdischen Kindern Unterricht, später waren es wohl Wanderlehrer. 1775 werden eine Schulstube und ein Judenschulmeister Liebmann Weyl aus Treuchtlingen genannt.
Nachdem Lauchheim 1806 württembergisch geworden war, besserten sich allmählich die bis dahin im allgemeinen recht kümmerlichen Lebensverhältnisse der Juden. Sie durften Häuser und Liegenschaften erwerben. Einige jüdische Bürger gelangten zu größerem Wohlstand. Die Zahl der jüdischen Einwohner wuchs beträchtlich, um dann allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederum rasch abzusinken: 1678 55 Juden (7 Familien), 1717 61, 1788 88 (18 Familien), 1807 78, 1823 97, 1843 124, 1854 122, 1869 143, 1886 108, 1900 47, 1910 32, 1925 11und 1933 7. 1822 nahmen die Lauchheimer Juden Familiennamen an. 1829 erhielten sie eine eigene Schule, die aber infolge der starken Abwanderungen schon vor dem Ersten Weltkrieg geschlossen wurde (Lehrer: Joseph Wassermann, Maison, Pappenheimer, Uhlmann). 1849 erbauten sie mit einem Kostenaufwand von 5.000 Gulden ein Schulhaus, in dem auch das rituelle Bad untergebracht wurde. Seit der Revolution von 1848/49 gehörte lange Zeit stets ein Jude dem Gemeinderat an.
Im Ersten Weltkrieg standen sieben Lauchheimer jüdische Bürger an der Front. Von ihnen kehrte Sigmund Freimann nicht in die Heimat zurück. In Lauchheim wurde am 26. Mai 1789 der Buchhändler und Antiquar Isaak Heß geboren (gest. 1866 in Ellwangen), der sich um das israelitische Schul- und Armenwesen in Württemberg große Verdienst erwarb.
Die israelitische Gemeinde Lauchheim wurde im November 1922 aufgelöst und ihre Mitglieder der Gemeinde Oberdorf am Ipf zugewiesen. Die Synagoge war schon im Jahr zuvor verkauft worden.
Von den sieben jüdischen Bürgern, die 1933 noch in Lauchheim ansässig waren, starb der Kaufmann Otto Maier (Inhaber eines Textilgeschäfts, Leiter der Nebenstelle Lauchheim der Volksbank Aalen) 1935 hier, während seine Frau Berta geb. Weil, die Schwestern Anna (geb. 1876) und Pauline Freimann (geb. 1894), ebenso die Schwestern Adelheid (geb. 1855), Auguste (geb. 1868) und Pauline Neumeyer (geb. 1860) den Tod in der Deportation fanden.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Beschreibung des Oberamts Ellwangen, 1886.
- Gerlach, August, Chronik von Lauchheim, 1907.
- Schweizer, Beiträge zur Geschichte der Juden in Württemberg. Die Juden in Lauchheim, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 2 Nr. 4, 15. Mai 1925, S. 90 f.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Lauchheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.