Neckarsulm 

Bereich um die in der Karte so eingetragene Judengasse links, mit dem Standort der Synagoge in der Rathausgasse rechts, auf der Württembergischen Flurkarte, Blatt NO LXVI 12 von 1834. Die Gemeinde wurde in den 1870er Jahren nach dem Wegzug der meisten Mitglieder aufgelöst. Die verkaufte und als Scheune genutzte Synagoge fiel 1945 den Kriegshandlungen zum Opfer. [Quelle: Landesarchiv BW, StAL EL 68 VI Nr 5539]
Bereich um die in der Karte so eingetragene Judengasse links, mit dem Standort der Synagoge in der Rathausgasse rechts, auf der Württembergischen Flurkarte, Blatt NO LXVI 12 von 1834. Die Gemeinde wurde in den 1870er Jahren nach dem Wegzug der meisten Mitglieder aufgelöst. Die verkaufte und als Scheune genutzte Synagoge fiel 1945 den Kriegshandlungen zum Opfer. [Quelle: Landesarchiv BW, StAL EL 68 VI Nr 5539]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

In der 1310 von den Herren von Weinsberg gegründeten, seit 1484 im Besitz des Deutschen Ordens befindlichen Stadt Neckarsulm lebten schon früh Juden. Bereits am 19. Ok­tober 1298 wurden während der von dem fränkischen Edelmann Rindfleisch aus­ gelösten Verfolgungen Rabbi Vives von Sulmen, seine Frau Meitin und seine gleichnamige Enkelin ermordet. Ihre Namen sind in der Heilbronner Märtyrerliste überliefert. Im Jahr 1349 kam es auch in Neckarsulm zu blutigen Ausschreitungen gegen die jüdischen Einwohner. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fanden hier wieder Juden, Flüchtlinge aus Heilbronn, Aufnahme. Die Reichsstadt Heil­bronn hatte 1469 ihre Juden vertrieben und eine vom Kaiser zunächst geforderte Wiederzulassung verweigert. Bekannt sind die Namen von Samson, der bei Graf Eberhard im Bart eine Vertrauensstellung hatte, und von Jakob von Sulm. Für Samson legte Graf Eberhard im Jahr 1474 Fürsprache beim Heilbronner Rat ein.

Viele Jahre bemühten sich die Juden von Neckarsulm, Talheim, Sontheim und anderen Orten aus um die Wiederaufnahme in die Reichsstadt Heilbronn. Nachdem Kaiser Karl V. 1530 der „Jüdischheit" im Reich alle ihre Privilegien, insbesondere freien Handel und Wandel, bestätigt hatte, übersandten die damaligen Wortführer der Neckarsulmer Juden, die Großkaufleute Hirsch und Michel, eine Abschrift dieses Privilegs an den Heilbronner Rat und forderten ihn zur Stellungnahme auf. Der Rat antwortete nicht, beschwerte sich jedoch beim Kaiser über die „unverschamt und gräulich Jüdischheit" und erlangte schließlich 1543 von König Ferdinand einen Freiheitsbrief, der den Juden untersagte, ohne Erlaubnis des Rats Heilbronner Bür­ger auf Pfänder bzw. Güter Geld zu leihen oder mit ihnen Handel zu treiben. Dieser Freiheitsbrief wurde im Umkreis von 215 Meilen in allen Städten und größeren Dörfern verkündigt und angeschlagen. So auch in Neckarsulm.

Der Deutsche Orden hat den hier ansässig gewordenen Juden nie seinen Schutz entzogen. Während des 30jährigen Krieges haben in der Stadt wohl auch Juden aus den Landorten der Umgebung Zuflucht gefunden. 1650 forderten die Bürger mit der Begründung, dass das Land jetzt sicher genug sei, um auch dort zu wohnen, die Deutschordens-Regierung solle die fremden Juden ausweisen, nicht länger meh­rere Judenfamilien beisammenwohnen lassen, sondern jeder berechtigten Familie ihr eigenes Haus wieder ganz einräumen.

Die Juden galten als einfache Hintersassen (accolae) und Schutzleute des Deutsch­meisters. Sie hatten ein jährliches Schutzgeld von 12 Reichstalern pro Familie zu entrichten und mussten beim Amtsritt die Pferde stellen. Ihre Wohnungen erhielten sie in einem besonderen Viertel, dem Judenviertel. Nur ausnahmsweise durften sie im 18. Jahrhundert Häuser kaufen, die im Besitz von Christen waren. Die Anträge der Brüder Abraham und Nathan Maron, ein Haus in der Hauptstraße zu erwerben, wurden 1748 und 1749 von der Herrschaft ablehnend beschieden: Die beiden sollten in der Nebengasse bleiben. Doch erreichte Abraham Maron bereits im Jahr darauf sein Ziel. 1758 wurde ihm verboten, neben seinen schon zwei besitzenden Christenhäusern noch ein drittes, das Freudenberg'sche Haus, zu erwerben, da ja gegenwärtig zwei jüdische feilstehen". Die Juden hatten schon im 17. Jahrhundert jeden Handel schriftlich aufzusetzen und bei Geldanlehen die dazu gegebenen Waren zu spezifizieren. 1745 untersagte ein Dekret in- wie ausländischen Juden, zu Geldvorschüssen noch Waren, Branntwein usw. abzugeben und den allzu hoch angesetzten Preis zur Kapitalschuld zu schlagen. 1752 wurde angeordnet, dass wegen Betrugs, Wuchers und Übervorteilung jeder Kontrakt und Handel der Juden im Wert von über 20 Gulden untersucht und ratifiziert werden solle. Im Pferdehandel waren sie, wie eine von ihnen erhobene Beschwerde vom Jahr 1690 wegen der Stellung von Pferden zum Amtsritt zeigt, schon im 17. Jahrhundert tätig. Da die Neckarsulmer Bürger sich Mitte des 18. Jahrhunderts über den sie wirtschaftlich schädigenden Weinhandel der Juden beschwerten, verfügte die Regierung, dass künftig keine jüdische Familie mehr als 5 Fuder Wein zum Keschern (d.h. Zube­reitung nach den jüdischen Speisegesetzen) und zum Einlegen kaufen dürfe. 1760 wurde den Juden das Aufkaufen und Koschern von Most im Herbst untersagt, 1761 der Verkauf von Getreide im Ausland, damit es daheim nicht verteuert würde. Die Deutschordens-Regierung schützte andererseits ihre jüdischen Hintersassen gegen auswärtige Konkurrenz. So verbot sie 1738 den vom Freiherrn von Bautz in Oedheim aufgenommenen Judenfamilien jeden Handel mit Deutschordensunter­tanen bei Strafe der Vermögenskonfiskation und beschränkte 1739 Geldgeschäfte von Kochendorfer Juden in ihrem Gebiet.

Die kleine jüdische Gemeinde besaß schon früh eine Synagoge oder Schule, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestand, dann verkauft, in eine Scheune umgewandelt und 1945 durch Kriegseinwirkungen zerstört wurde. Ebenso hatte sie ein Frauen­bad. Am Fuß des Scheuerbergs legten die hiesigen Juden um 1550 ihren Friedhof an, auf dem auch die Kochendorfer, die Oedheimer und andere Israeliten der Umgebung ihre letzte Ruhestätte fanden. Bis 1832 gehörten die Neckarsulmer Juden zum Rabbinat Kochendorf, danach zum Rabbinat Lehrensteinsfeld.

Im Lauf des 19. Jahrhunderts verminderte sich nach anfänglicher Zunahme die Zahl der Neckarsulmer jüdischen Einwohner durch Abwanderung vornehmlich in das benachbarte Heilbronn, das den Juden nach mehr als 300 Jahren wieder seine Tore öffnen musste. Angehörige der alteingesessenen Familien Rosenfeld und Rhein­ganum machten sich in Zürich bzw. Göppingen als Großindustrielle einen Namen. 1797 lebten hier 37 Juden, 1802 43, 1810 40, 1824 36, 1831 44, 1843 51, 1854 51, 1869 54, 1886 18, 1900 24, 1910 14 und 1933 17. Unter den Neckarsulmer Gefallenen des Ersten Weltkriegs befand sich Richard Rheinganum.

Bei der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus betrieb David Strauß eine Viehhandlung, der in allen Vereinen sehr beliebte Hermann Rheinganum war Inhaber eines 1883 gegründeten Textilgeschäfts, David Stern besaß ein Kaufhaus, die als Ostjüdin bereits 1933 mit ihrem Mann ausgewiesene Rebekka Nadelreich geb. Bleicher seit 1930 das führende Schuhgeschäft der Stadt, die „Schuhzentrale Neckarsulm". Die meisten jüdischen Bürger wanderten bis 1941 aus. Amalie Boden­heimer wurde von hier aus, Sophie Jacob von Stuttgart aus deportiert. David Strauß war 1938 nach Holland ausgewandert, wurde 1943 dort verhaftet und über das Lager Westerbork nach Auschwitz zwangsverschleppt, wo er wie die beiden anderen Deportierten den Tod fand. Werner Römmele, ein sogenannter jüdischer Mischling, starb im Mai 1942 im Konzentrationslager Dachau.

Der alte jüdische Friedhof wurde während der Herrschaft des Nationalsozialismus verwüstet, die Grabsteine zerschlagen. Nach dem Krieg hat die Stadt den Fried­hof wieder herrichten und die Trümmer der Grabsteine zu einzelnen Hügeln auf­schichten lassen.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Beschreibung des Oberamts Neckarsulm, 1881.
  • Bilder vom Friedhof, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 106.
  • Geschichte der Juden in Neckarsulm, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Ge­meinden Württembergs, Jg. 1, Nr. 10, 15. Januar 1925, S. 194 f.
  • Kulb, Oberlehrer, Zur Geschichte der Juden in Neckarsulm, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 8, Nr. 7 und 10, 1. Juli und 15. August 1931.
  • Maucher, Geschichte Neckarsulms, 1901.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Neckarsulm, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 165-176.
  • Baumann, Ansbert, „...das wir sie nie so lang gehalten hetten“. Die Vertreibung der Heilbronner Juden im 15. Jahrhundert und ihre Niederlassung in Neckarsulm, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 16 Jg., Heft 2 (2006), S. 439-460.
  • Baumann, Ansbert, Die Neckarsulmer Juden. Eine Minderheit im geschichtlichen Wandel 1298-1945, Ostfildern 2008.
  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 571-572.
  • Hantsch, Lothar, Von den Juden in Neckarsulm, in: Historische Blätter des Heimatvereins Neckarsulm, September/Oktober 1985.
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