Schwäbisch Gmünd

Gmünd um 1720, Kupferstich nach Merian von Joseph Frideric Leopold. Die alte Synagoge wird im Gebäude der heutigen Imhofstr. 9 vermutet, auf der Abbildung das Haus mit dem später entfernten Staffelgiebel, nahe der Stadtmauer rechts. [Quelle: Württembergische Landesbibliothek, graphische Sammlung Schef.fol.7040]
Gmünd um 1720, Kupferstich nach Merian von Joseph Frideric Leopold. Die alte Synagoge wird im Gebäude der heutigen Imhofstr. 9 vermutet, auf der Abbildung das Haus mit dem später entfernten Staffelgiebel, nahe der Stadtmauer rechts. [Quelle: Württembergische Landesbibliothek, graphische Sammlung Schef.fol.7040]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die ersten Juden ließen sich in Schwäbisch Gmünd wohl schon bald nach der um 1160 erfolgten Stadtgründung nieder. 1241 entrichteten die Gmünder Juden eine Steuer von 12 Mark Silber. Gmünd dürfte damals nach Esslingen, das 30 Mark Silber aufbringen musste, die größte jüdische Gemeinde im Gebiet des heutigen Württemberg gehabt haben. 1315 verzichtete König Friedrich der Schöne zugunsten der Stadt für ein Jahr auf die Judensteuer. Im Jahr 1349 wurden während der furchtbaren Pestepidemie die jüdischen Einwohner erschlagen. Die Stadt hatte für diesen Frevel eine Buße an die Reichslandvögte in Niederschwaben, die Grafen Eberhard und Ulrich von Württemberg, zu entrichten.

Seit Beginn des 15. Jahrhunderts bestand wieder eine jüdische Gemeinde. Engelhart und Konrad von Weinsberg, des Reichs Erbkämmerer, forderten zwischen 1412 und 1427 von der Stadt wiederholt die Entrichtung der Judensteuer oder stellten Quittungen darüber aus. 1433 musste die Reutlinger und Gmünder Judenschaft anlässlich der Kaiserkrönung von König Sigmund 600 Gulden Krönungssteuer entrichten. Mehrmals stellte sich Kaiser Friedrich III. schützend vor die Gmünder Juden. So gebot er 1464 und 1465 der Stadt, die Zölle und Beschwerungen abzutun, die sie widerrechtlich der durch ihr Gebiet ziehenden, wandernden oder daselbst ihre Wohnung habenden Judenschaft auferlegte, da diese im Reich ohne Mittel dem Kaiser zugehöre. 1469 scheint es zu einer teilweisen Vertreibung der Juden gekommen zu sein, da in jenem Jahr der kaiserliche Kammerprokurator Dr. Ehinger mit Erlaubnis des Kaisers die Synagoge an die Stadt verkaufte. Doch auch in den folgenden Jahren haben hier Juden gewohnt, so Salomon von Schaffhausen, der der Stadt viel Ungelegenheiten bereitete. 1480 nahmen Bürgermeister, Rat und Zunftmeister den Juden Simon aus Tainbach (wohl das heutige Großdeinbach) und dessen Familie für fünf Jahre in den städtischen Schutz auf. Simon durfte als Geldausleiher tätig sein. Er hatte jährlich 7 Gulden Steuer, das Hausungelt für Wein, Met und Bier, einen Zins für die Benutzung der im städtischen Besitz befindlichen Synagoge usw. zu bezahlen, durfte gegen eine besondere Gebühr mit fremden Juden seinen „langen Tag" halten. 1486 erhielt David, der Sohn Simons, die Erlaubnis, in der Stadt ein Haus zu kaufen und darin mit seiner Familie zu wohnen. Bald darauf kam es zu Streitigkeiten zwischen der Bürgerschaft und den Juden, die Kaiser Maximilian I. im Jahr 1498 zu schlichten suchte. 1501 erlangte die Stadt jedoch vom Kaiser die Zustimmung zur Ausweisung ihrer Juden zunächst für die Dauer von zehn Jahren. 1521 erteilte Karl V. der Stadt ein Privileg, nach dem sie künftig überhaupt keine Juden mehr aufzunehmen brauchte. Bis zur Mediatisierung der Reichsstadt durch Württemberg im Jahr 1802 durften sich jüdische Händler und Kaufleute allenfalls noch vorübergehend in der Stadt aufhalten.

Die Erinnerung an das mittelalterliche Judenviertel hat bis ins 20. Jahrhundert der „Judenhof" bewahrt. Die aus dem 14. oder 15. Jahrhundert stammende Synagoge wurde im Jahr 1788 wegen Baufälligkeit abgetragen. In der Flur „Judenkirchhof" südwestlich von Straßdorf am Neidlingwald vermutete man schon einen alten Begräbnisplatz der Gmünder Juden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich wieder Juden in Gmünd an, die aus Oberdorf und anderen Orten zugezogen waren. 1861 2, 1869 22, 1886 67, 1900 81, 1910 73, 1933 (Juni) 90 jüdische Einwohner. Im Jahr 1890 wurde die israelitische Gemeinde Schwäbisch Gmünd begründet, die 1924 auch die wenigen jüdischen Familien in Aalen und Schorndorf umfasste. Das zuständige Rabbinat war Oberdorf. Die Gemeinde hielt ihre Gottesdienste zunächst in einem Betsaal in der Schmalzgrube ab, dann in einem Raum in der Alten Kaserne. Beide Betsäle hatte ihr die Stadt zur Verfügung gestellt. Schließlich kaufte die Gemeinde die Zweiglische Fabrik in der Katharinenstraße und ließ sie durch die Stuttgarter Architekten Regierungsbaumeister Bloch und Guggenheimer zu einer Synagoge umbauen. Die Weihefeier fand am 16. Mai 1926 unter zahlreicher Beteiligung der israelitischen Gemeinden der Umgebung sowie der Bürgerschaft statt.

Im Ersten Weltkrieg musste die Gemeinde einen hohen Blutzoll bezahlen. Vier ihrer Söhne kehrten aus dem Feld nicht mehr zurück: Wilhelm Fuchs, Alfred Kahn, Hugo Lehmann und Fritz Mayer (Kriegsfreiwilliger, Leutnant).  Die Mutter von Alfred Kahn wurde 1942 deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinec umgebracht, der Vater starb auf dem Weg in die Deportation im Zwangsaltersheim Dellmensingen. Von patriotischer Gesinnung und sozialem Verwaltungsbewusstsein zeugt die Stiftung, die David Gutmann in Höhe von 20.000 Mark im Jahr 1916 zugunsten bedürftiger Kriegsinvaliden und deren Angehörigen errichtete. Das Stiftungskapital entwertete die Inflation der zwanziger Jahre.

Im öffentlichen Leben der Stadt spielten die jüdischen Bürger nie eine größere Rolle, da sie nur einen sehr kleinen Bruchteil der Einwohnerschaft ausmachten (1910 73 Juden bei einer Gesamteinwohnerschaft von 21.312). Sie waren Geschäftsleute, kaufmännische Angestellte, Vertreter, Fabrikanten und Händler. Unter den Geschäften und Unternehmen, die 1933 im Besitz von Juden waren, sind zu nennen: Bankgeschäft Gutmann und Naschold, Damenkonfektions- und Textilwarenhandlung Sofie und Ludwig Heimann, Handel mit Holzwaren Martha Heß, Schuhfabrik Mayer, Kleiderhaus Samuel Fuchs (Inh. Max Marberg), Silberwarenfabrik Käser und Uhlmann (Teilhaber Max Uhlmann), Kaufhaus Meth. David Heimann unterhielt bis 1938 eine Rechtsanwaltspraxis. Das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Bürgern war vor 1933 gut. Auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme hatten die jüdischen Geschäfte zunächst noch beachtliche Umsätze, da die Boykotthetze erst allmählich ihre Wirkung tat. Immer wieder wurden in der nationalsozialistischen Presse Einwohner angeprangert, die bei Juden kauften. Im November 1935 rügten die „Flammenzeichen" den Direktor der Technischen Werke der Stadt, weil er sich mit Juden auf der Straße unterhalten und sie mit festem Händedruck begrüßt habe; das sei keine nationalsozialistische Haltung. Zwischen 1936 und 1938 kamen die jüdischen Geschäfte zum Erliegen: sie wurden verkauft oder Ende 1938 „zwangsarisiert". Bereits 1934 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge demoliert. Die katholische und die evangelische Kirchengemeinde sprachen der israelitischen Gemeinde ihre Anteilnahme aus und verurteilten die Übergriffe. In der Kristallnacht 1938 kam es erneut zu einer Schändung des Gotteshauses.

Der größte Teil der Gmünder Juden konnte bis 1941 trotz sehr erschwerter Umstände auswandern. Die zurückgebliebenen jüdischen Bürger wurden zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in besondere Judenhäuser (Königsturmstraße 18, Becherlehenstraße 1/2) umquartiert. Mindestens 15 Juden, die 1933 hier ansässig waren und in den Jahren 1940-42 von Gmünd und anderen Orten zwangsverschleppt worden waren, kamen in der Deportation ums Leben. Der langjährige Vorstand der israelitischen Gemeinde, Alfred Meth, und seine Frau Flora, 1940 von Baden-Baden aus nach Südfrankreich deportiert, wurden 1944 befreit. Als einzige der nach dem Osten zwangsverschleppten Juden überlebte Nanette Rothschild; sie wanderte nach Kriegsende von der Schweiz aus nach Palästina aus (ihr Mann war am 3. Juni 1944 in Theresienstadt gestorben). Erschütternd ist das Schicksal der Eheleute Wochenmark. Dr. Joseph Wochenmark, 1934-40 Religionslehrer in Schwäbisch Gmünd, machte seinem Leben am 8. März 1943 in Stuttgart unmittelbar vor der Deportation ein Ende. Bei seiner Frau misslang der Selbstmordversuch: sie starb 1944 in Auschwitz.

Die israelitische Gemeinde wurde im Juli 1939 aufgelöst. Die Synagoge, die in den Besitz der Kreissparkasse übergegangen war, fiel nach dem Krieg der Spitzhacke zum Opfer.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Beschreibung des Oberamts Gmünd (1870), Synagogen-Einweihung in Schwäbisch Gmünd, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 3, Nr. 5, 1. Juni 1926.
  • Bild von der Synagoge (Innenraum), in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 77.
  • Deibele, A., Zur Geschichte der Juden in Gmünd, in: Gmünder Heimatblätter, 10. Jg., Nr. 6 und 7.
  • Ders., Aus der Geschichte der Gmünder Juden, in: Ebd . Nr. 2 und 4, Juli und August 1965.
  • Ders., Das Schicksal der Juden von Schwäbisch Gmünd, in: Stuttgarter Zeitung Nr . 131, 11. Juni 1966, S. 33.
  • Lämmle, Ernst, Schicksale der Gmünder Juden im Dritten Reich, in: Heimat im Stauferland, Nr. 3, Dezember 1964 und Nr. 1, März 1965.
 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Schwäbisch Gmünd, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Germania Judaica, Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S.1332-1340.
  • Geschichte der Stadt Gmünd, hg. vom Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, 1984.
  • Graf, Klaus, Kein Judenghetto in Gmünd. Wo lag die älteste Synagoge der Stadt, in: Remszeitung vom 7. April 1983.
  • Graf, Klaus, Schwäbisch Gmünd im 14. Jahrhundert, Vortrag am 7. Juni 1999.
  • Graf, Klaus, Zur Topographie der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd. Leinecker Hof, Himmelreich und Judenhof, in: Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2001, S. 191-201 (Teil I) und 2002, S. 141-156 (Teil II).
  • Grimm, Joachim-Albrecht, Zur Geschichte der Juden in Schwäbisch Gmünd, Zulassungsarbeit zur ersten Dienstprüfung für das Lehramt an Volksschulen in Baden-Württemberg, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, 1962.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Hammes, Barbara, „Materieller Wert: keinen“. Neues Material zur Pogromnacht am 9./10. November 1938 in Schwäbisch Gmünd, in: Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd (2013).
  • Herrmann, Klaus Jürgen, Zur Geschichte der Juden in Schwäbisch Gmünd im Mittelalter, Einhorn-Jahrbuch 1995.
  • Jüdische Wohnstätten und Geschäftsgebäude in Schwäbisch Gmünd. Gmünder Juden. Eine Dokumentation der Realschule Leinzell.
  • Lämmle, Ernst, Die Gmünder Juden. Wege und Schicksale 1861-1945, hg. vom Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, 1979.
  • Museum im Prediger Schwäbisch Gmünd, Museumskatalog Nr. 16.
  • Seidel, Ortrud, Mut zur Erinnerung. Geschichte der Gmünder Juden, 1991. (Neubearbeitung 1999)
  • Shavua tov! Eine gute Woche! Jüdische Türme aus Schwäbisch Gmünd. The Jewish Towers from Schwäbisch Gmünd. Ausstellungskatalog, Schwäbisch Gmünd 2001.
  • Strobel, Richard, Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwäbisch Gmünd 3 (1995), S. 110f.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 134-138.
Suche