Schwäbisch Hall
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Für die legendäre, von jüdischen Gelehrten des 15. und 17. Jahrhunderts überlieferte Nachricht, dass sich bereits im 7. Jahrhundert Juden in Schwäbisch Hall mit der Salzsiederei beschäftigt hätten, konnte ein historischer oder archäologischer Nachweis nicht erbracht werden. Doch lassen die Ergebnisse der neueren Stadtplanforschung vermuten, dass schon im 11. Jahrhundert eine Judensiedlung in der Haalstraße im Raum vom alten Schlachthof bis zum Kocher bestanden hat. Dort befanden sich später die jüdische Schule und das Frauenbad (beim Sulferturm). Urkundlich bezeugt sind aber die Juden in Schwäbisch Hall erst kurz vor Mitte des 13. Jahrhunderts. Nach der Reichssteuerliste von 1240/41 entrichteten die Haller Juden 8 von den 170 Mark, die die Stadt damals an den König abzuführen hatte. 1316 wurden die Juden wieder im Zusammenhang mit der Reichssteuer erwähnt. 1342 erlaubte Kaiser Ludwig der Bayer den Haller Juden, von 1 Pfund Heller wöchentlich 2 Heller Zins zu nehmen. Während der Pestepidemie 1348/ 49 kam es auch in Hall zu schweren Verfolgungen. Nach dem Bericht des Chronisten Widmann wurden die Juden unter der Beschuldigung, sie hätten im Weiler Hagenbach ein Christenkind gestohlen und umgebracht, in dem Neuburger oder Rosenbühlturm zusammengetrieben und verbrannt. Für diese Tötung der jüdischen Einwohner und für die Aneignung des Besitzes der toten wie der noch lebenden Juden erlegte Karl IV. der Stadt im April 1349 eine Buße von 800 Gulden auf, die sie an dieGrafen Eberhard und Ulrich von Württemberg, die Reichslandvögte von Niederschwaben, zu bezahlen hatte. Den Schutz über die Juden, die 1373 wieder in Hall wohnten, übertrug Kaiser Karl dem Grafen Kraft von Hohenlohe. Es wird berichtet, dass sie die Bürger der Reichsstadt, die eine Einmischung der Hohenlohe in ihre Angelegenheiten befürchteten, 1379 aus der Stadt vertrieben hätten. Sie hätten auf der Burg Bilriet Zuflucht gefunden, seien aber von dem Inhaber der Burg, einem hohenlohischen Dienstmann, nur ihres Besitzes beraubt und wieder vertrieben worden. 1393 waren erneut Juden in Schwäbisch Hall ansässig. 1401 erlaubte König Ruprecht der Stadt, Juden auf vier Jahre und von dann auf Widerruf gegen Ablieferung der halben Judensteuer und gegen Entrichtung des goldenen Opferpfennigs von jedem über 12 Jahre alten Juden aufzunehmen. 1402 forderte der König die Bezahlung der Judensteuer. Einzelne Juden lebten wohl auch hier noch bis Mitte des 15. Jahrhunderts. 1414 ist von einem Haller Juden die Rede, der 2.000 Gulden Steuer entrichtete. 1438 erteilte Konrad von Weinsberg Instruktionen wegen der hiesigen Juden.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Aufenthalt der Juden in Hall sehr erschwert. So ordnete der Rat 1611 an: „Von denen Juden, als die sich ohne Unterlass allhier aufhalten, soll hinführo alle Stund (damit sie desto eher draußen gehalten werden) ein Kreuzer eines Gulden genommen werden, und hierzu sondere Judenzahlbüchsen verordnet werden." 1629 verfügte er, dass die Juden künftig nur noch dienstags zu den Bedingungen von 1611 die Stadt passieren dürften. Doch musste er schon bald darauf diese Bestimmungen wieder lockern. 1646 setzte der Rat den Zoll für alle Juden ohne Unterschied des Alters und Geschlechts auf 5 Batzen fest. 1657 erhielt der Doktor der Medizin Hirsch Judäus „wegen seiner vortrefflichen Experienz und Kunst" die Erlaubnis, im ganzen Land zollfrei zu passieren, obwohl die Haller Geistlichen energisch dagegen Einspruch erhoben und erklärt hatten, es wäre besser, mit Christo zu sterben als per Judendoktor gesund zu werden.
1665 erließ der Rat eine neue Judenordnung, die 1668 noch erweitert wurde. Danach sollten die Juden keine Kammer hier haben, höchstens 8 bis 10 Prozent Zins nehmen. Jeder wucherische Handel war ihnen verboten. Sie durften überhaupt nur an Jahrmärkten hier handeln, nicht hausieren, hatten als Kennzeichen gelbe Ringlein zu tragen, beim bloßen Passieren der Stadt, von einem Tor zum andern geleitet, für sich und ihre Waren Zoll zu entrichten. 1677 gewährte der Rat der Witwe von Jud Lämmlein von Steinbach unter der Bedingung, dass sie dem durch die Winterquartiere erschöpften Ärario etlich 1.000 Gulden vorstreckte, die Aufnahme im Keck'schen Haus in Unterlimpurg. Bei dem heftigen Widerstand vor allem der Geistlichkeit musste sie 2 Jahre darauf ihren Wohnsitz nach Ilshofen verlegen.
Anfang des 18. Jahrhunderts bildete sich unter dem Schutz des Haller Rats in Unterlimpurg eine kleine jüdische Gemeinde. Ihr Bethaus stattete 1738/39 Meister Lazarus Susmann, der Sohn des Salomon, Kantors aus Brod, mit holzgeschnitzten Wänden aus, die reich mit hebräischen Inschriften, mit Tiergestalten und Blumenarabesken bemalt waren. Der Künstler hatte bereits vorher in ähnlicher Weise die Synagogen in Kirchheim bei Würzburg und Bechhofen ausgeschmückt. Die Limpurger Holzsynagoge ist heute ein Schmuckstück des Keckenburgmuseums in Schwäbisch Hall.
In Hall wurde Juden erst im 19. Jahrhundert wieder der Zuzug erlaubt. Bis zur Mediatisierung im Jahr 1802 hatten sie nur in der Vorstadt Unterlimpurg wohnen dürfen. 1824 lebten in Hall 24 Juden, 1831 28, 1843 51, 1854 48, 1869 84, 1886 205, 1900 187, 1910 156, 1933 (zusammen mit Steinbach) 115.
Im Ersten Weltkrieg ließen von den 28 jüdischen Frontsoldaten aus Hall und Steinbach Julius Lehmann und Salo Wolff ihr Leben für ihr deutsches Vaterland.
1914 wurde der Sitz des Rabbinats Braunsbach nach Schwäbisch Hall verlegt. Als Rabbiner wirkte von 1915 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1934 Dr. Jakob Berlinger (geb. am 29. April 1866 in Braunsbach, 1894 bis 1914 Rabbinatsverweser bzw. Rabbiner in Braunsbach, ausgewandert 1939 nach Palästina, dort am 17. Januar 1945 gestorben). Die Haller jüdische Gemeinde besaß nur einen Betsaal in der Oberen Herrengasse. Friedhof und Synagoge befanden sich in dem 1930 eingemeindeten Steinbach.
Die jüdischen Bürger betätigten sich 1933 wie schon früher vorwiegend in Handel und Gewerbe. Neben einigen Viehhandelsbetrieben waren in ihrem Besitz eine Zigarrenfabrik (Heumann), mehrere Manufaktur- und Kurzwarengeschäfte (Flegenheimer, Moses Herz, Julius Kapp, Julius Pfeiffer), ein Kolonialwarengeschäft (Geschw. Wolff), ein Tuch- und Modewarengeschäft (Fa. Otto Maute, Inh. Hugo Oettinger), zwei Metzgereien und Gastwirtschaften (Louis Rothschild und Josef Pfeiffer), eine Lederhandlung (Maier Karl Pfeiffer), eine Reißwollfirma (Ludwig Wolff).
Nach der Machtübernahme durch Hitler begann auch hier eine üble Hetzkampagne gegen die jüdischen Einwohner. 1937 schloss die Stadt die jüdischen Vieh- und Pferdehändler von den Märkten aus. In der Kristallnacht 1938 demolierten unter Anführung der örtlichen Parteifunktionäre Angehörige der SS, der SA und des NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) den Betsaal in der Oberen Herrengasse 8, zerschlugen dessen Inneneinrichtung und verbrannten die Kultgegenstände, Bücher und Gewänder auf dem Marktplatz. Sie steckten die Synagoge in Steinbach in Brand und zerstörten in der Stadt die Geschäfte des Louis Rothschild (Untere Herrengasse 4), des Josef Pfeiffer (Schwatzbühlgasse 11), der Geschw. Wolff (Schulgasse 12) und der Firma Flegenheimer und Schorsch (Lange Str. 18), ebenso die Wohnungen des Louis Rothschild, des Josef Pfeiffer, des Kaufmanns Moses Herz und des Viehhändlers Josua Schwab (beide Haalstraße 1), des Rabbiners Dr. Berlinger (Obere Herrengasse 1) und des Lederhändlers Pfeiffer (Klosterstraße 8). Dabei zerschlugen sie Türen, Fenster, Lampen, Möbel, warfen Bilder, Bücher, Radioapparate und Möbelstücke auf die Straße. Eine größere Menschenmenge war Zeuge dieses Zerstörungswerks. Im Banne der jahrelangen antijüdischen Hetze erhob sich keine Stimme für die Juden. Als besonders beschämend muss erscheinen, dass Rabbiner Dr. Berlinger und Kaufmann Moses Herz, die bei Juden wie bei Nichtjuden gleichermaßen beliebt waren, so übel mitgespielt wurde.
Zwischen 1933 und 1941, vor allem aber nach dem Geschehen der Kristallnacht, wanderten die meisten Juden aus. Sie bauten sich in Amerika, Palästina und anderen Ländern unter vielfach sehr ungünstigen Bedingungen eine neue Existenz auf. 16 von den 1933 hier ansässigen Bürgern und 6, die in der Folgezeit zugezogen waren, wurden 1941 und 1942 deportiert. Keiner der 22 Zwangsverschleppten hat das Kriegsende erlebt.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Bauer, Die Israeliten in wirt. Franken, in: Württ. Franken, Band 5, Heft 3, 1861.
- Beschreibung des Oberamts Hall, 1847.
- Bilder von der Holzsynagoge in Schwäbisch Hall - Unterlimpurg, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 81-83.
- Die Juden in Schwäbisch Hall und Steinbach, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württ., Jg. 2, Nr. 8, 15. Juni 1925, S. 199-207.
- Wunder, Gerd, Zur Geschichte der Juden in Schwäbisch Hall, in: „Der Haalquell", 15. Jg., Nr. 18, Dezember 1963, S. 70 f.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Schwäbisch Hall, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Däuber, Elke/Maisch, Andreas, Geachtet - Ausgegrenzt - Verfolgt. Jüdische Einwohner in Schwäbisch Hall 1933-1945, (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Hall 24), Schwäbisch Hall 2008.
- Eine Reise in die Vergangenheit. Dokumentation zum Besuch ehemaliger jüdischer Bürger von Schwäbisch Hall, 1985.
- Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 750-753.
- Germania Judaica, Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1340-1343.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Koziol, Michael Sylvester, „Das ist ein politischer Brand!“. Die „Reichskristallnacht“ in Schwäbisch Hall und Braunsbach, hg. von der Stadt Schwäbisch Hall, Schwäbisch Hall 1988.
- Maisch, Andreas/Stihler, Daniel, Schwäbisch Hall. Geschichte einer Stadt, Künzelsau 2006.
- Taddey, Gerhard, Kein kleines Jerusalem. Geschichte der Juden im Landkreis Schwäbisch Hall, 1992.
- Wendnagel, Ilse, Zur Geschichte der Juden in Schwäbisch Hall vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
- Wunder, Gerd, Die Bürger von Hall. Sozialgeschichte einer Reichsstadt 1216-1802, 1980, S. 94-99.