Weikersheim
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Nach dem Nürnberger Memorbuch wurden in Weikersheim bereits während der Verfolgungen im Jahr 1298 Juden erschlagen. Zu neuen Ausschreitungen kam es in der von den Grafen von Hohenlohe gegründeten Stadt 1336 und während der Pestepidemie von 1349. Auf eine mittelalterliche Judensiedlung weist die im 16. Jahrhundert vorkommende Ortsbezeichnung „Judengerch" oder „Judenkirch" hin. Die hohenlohische Erbeinigung von 1455 untersagte die Aufnahme von Juden in der Grafschaft. 1475 und 1511 wurden besondere Verbote für die Stadt Weikersheim erlassen.
Im Jahr 1622 baten zwei Juden aus Hanau, ein Geschäft für den Hof und die Bürgerschaft einrichten zu dürfen. Sie erboten sich für den Fall, dass ihrem Gesuch stattgegeben würde, 3.000 Reichstaler vorzustrecken. Im Jahr 1637 übergab der Kaiser die sequestrierte Grafschaft Hohenlohe-Weikersheim dem Deutschorden, der in Weikersheim, Hollenbach, Hohebach und Elpersheim Juden aufnahm. Den Weikersheimer Bürgern war zuvor die Frage vorgelegt worden, ob einer von ihnen bereit wäre, das Städtchen mit notwendigen und nützlichen Waren zu versorgen, und als sich darauf niemand gemeldet hatte, gestattete der Deutschmeister zwei Familien die Niederlassung in Weikersheim, machte jedoch zur Bedingung, dass sie nicht vom christlichen Glauben redeten, an Sonn- und Feiertagen während des Gottesdienstes nicht auf den Gassen herumliefen, sich von Palmsonntag bis Ostern in ihren Häusern zurückgezogen hielten, für ihre Kinder keine christlichen Säugammen in Anspruch nahmen, in einem Haus beisammen wohnten, keinen fremden Juden länger als acht Tage beherbergten, mit keinen verdächtigen Waren handelten, keinen Wucher trieben, sich an allen bürgerlichen Lasten beteiligten usw. Am 11. November 1637 stellte der Deutschordenskomtur Hans Joachim von Eyb, der als Oberamtmann seinen Sitz in Weikersheim hatte, den Juden Moses und Manns (wohl Manasse) von Mergentheim einen entsprechenden Schutzbrief auf drei Jahre aus.
1648 wurde die Stadt an die Grafen von Hohenlohe zurückgegeben, die auch die in Weikersheim und anderen Orten ansässig gewordenen Juden übernahmen. Am 3. Dezember 1649 erlangte Jud Liebmann einen Schutzbrief. Außer ihm lebten damals hier die Juden Veit, Mayer, Nathan und Seligmann. Die Grafen von Hohenlohe mussten ihre jüdischen Hintersassen gegen die Bürgerschaft verteidigen, die sich durch das laute Singen bei den „Sabbatischen Zusammenkünften" beschwert fühlte. Die Weikersheimer Juden betätigten sich als Viehhändler und Weinlieferanten. Liebmann richtete eine Branntweinbrennerei ein, die sein Sohn Hirsch fortführte. Nathan, „Burgere und Schutzverwandter allda", betrieb ein Bankgeschäft. In seinen Händen lag auch der Zolleinzug in Stadt und Amt. Seit 1673 waren Seligmann und Mäntel seine Nachfolger als Zollpächter.
Die Juden, deren Zahl sich rasch mehrte, hatten Anteil an allen bürgerlichen Pflichten wie Rechten, die sogenannte Gütz (= Bürgergutsteile) allein ausgenommen. Sie durften ihr Vieh auf die städtische Weide treiben, nicht aber ihr Handelsvieh. Es war ihnen erlaubt, je Woche zwei große und drei kleine Stück Vieh für ihren Gebrauch zu schächten, doch sollten sie nicht mehr als die Hälfte des Fleisches verkaufen. Der Wachdienst, zu dem sie verpflichtet waren, wurde 1719 gegen ein jährliches Wachgeld von 1 Gulden abgelöst. In ihren religiösen Angelegenheiten hatten sie völlige Freiheit. Nur war ihnen untersagt, Hochzeiten an christlichen Sonn- und Feiertagen abzuhalten. Noch 1809 mussten sie die Stolgebühren an den christlichen Geistlichen in Form einer jährlichen Pauschale von 4 Konventstalern entrichten. Einige Juden traten im 18. Jahrhundert zum Christentum über, so 1743 Seligmann Löw, dessen Taufpaten Graf Ludwig und Gräfin Eleonore von Hohenlohe-Langenburg waren.
Als erste Vorsteher wählte die israelitische Gemeinde Seligmann und Simon, die beiden angesehensten Juden der Stadt. Ihnen folgten 1697 Hone (Elchanan) und Lämmlein. 1688 erbaute die Gemeinde eine Synagoge. 1730 legte sie zusammen mit den Juden in Niederstetten und Laudenbach auf dem Kappelberg einen Friedhof an, auf dem seit 1741 auch die Juden aus Tauberrettersheim ihre letzte Ruhestätte fanden. Zuvor hatten die Weikersheimer ihre Toten auf dem im Deutschordensgebiet gelegenen jüdischen Friedhof Unterbalbach beerdigt. 1740 wurde der Verein Chewra Kadischa gegründet, der sich der Krankenpflege und der Totenbestattung widmete.
Die reichsten Männer der Gemeinde waren nach einer Vermögensliste von 1739 Lämmlein (Vorsteher) mit 2.300 Gulden, Hohne mit 1.775 Gulden, Moses mit 1.050 Gulden und Seligmann (Vorsteher) mit 900 Gulden. Eine bevorzugte Stellung in der Gemeinde nahm die Hoffaktoren-Familie Marx ein. Der Stammvater der Familie, die den Namen Pfeiffer annahm, im 19. Jahrhundert nach Stuttgart übersiedelte und dort eine bedeutsame Rolle spielte, war der als fromm und bescheiden gerühmte Marx Anschel, der, seit 1743 am Weikersheimer Hof tätig, dort 1761 zum „Hofjuden" ernannt wurde. Ihm war der Bau der neuen Synagoge von 1768 zu verdanken, die er reich ausstattete. Sein zweiter Sohn Marx Aaron übernahm seine Stellung am fürstlichen Hof in Weikersheim. Bedeutender war sein dritter Sohn, Marx Ezechiel Pfeiffer (1766-1827), der 1824 als Vorsteher der israelitischen Gemeinde das Rabbinatshaus erbaute. Dessen Sohn Marx heiratete in die bekannte Hoffaktorenfamilie Kaulla aus Hechingen ein und starb hochangesehen 1842 in Stuttgart als königlich württembergischer Hofrat, als Kommerzienrat und Mitglied der Israelitischen Oberkirchenbehörde. Letzter Hoffaktor der Familie in Weikersheim war der zweite Sohn von Marx Ezechiel Pfeiffer, Aaron (1792-1837). Neben der Familie Marx-Pfeiffer stand die hier um 1730 zugezogene Familie Sontheimer in großem Ansehen.
Weikersheim war schon früh Sitz eines Rabbinats. Seit 1697 wirkte hier Rabbi Jakob, später Rabbi Ischah. 1748 berief die Gemeinde Moses Feis (gest. 1788), den Verfasser des 1785 in Fürth gedruckten Talmudtraktats Schekalim (Darbone Sahab). 1819-25 versah Moses Lazarus aus Mainbernheim, der 1840 als Rabbiner in Trier starb, das Rabbinat. Seine Nachfolger waren Mayer Mainzer, der seine Ausbildung auf der Universität Würzburg erhalten hatte (1825-61), und Dr. Israel Heilbronn (1862-1902). 1914 wurde das Rabbinat Weikersheim aufgelöst, das zuletzt die israelitischen Religionsgemeinden Weikersheim, Laudenbach, Hohebach mit Hollenbach und Dörzbach, Creglingen und Niederstetten umfasst hatte, die israelitische Gemeinde Weikersheim dem Rabbinat Mergentheim zugewiesen. Dem letzten Rabbiner Dr. Abraham Schweizer, der von 1902-1914 hier gewirkt hatte, wurde das neugebildete Rabbinat Horb übertragen.
Die israelitische Gemeinde Weikersheim erlebte ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1830 wurde nochmals eine neue Synagoge erbaut, 1835 eine israelitische Volksschule (Konfessionsschule) eingerichtet, deren erster Lehrer Jakob Adler war. Aber schon damals begann die Zahl der jüdischen Bürger durch Aus- und Abwanderungen zurückzugehen. 1807 lebten in Weikersheim 158 Juden, 1824 135, 1831 137, 1843 131, 1854 121, 1869 78, 1886 88, 1900 82, 1910 57, 1925 35 und 1933 (Juni) 16. Im Ersten Weltkrieg starb Arnold Adler den Soldatentod.
Das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Bürgern war vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus gut. Wohlhabende Juden machten wiederholt namhafte finanzielle Zuwendungen für kulturelle und karitative Zwecke. Im Jahr 1933 traten die wenigen jüdischen Einwohner im Leben der Stadt längst nicht mehr hervor. Der später in der Deportation umgekommene Sigmund Emrich betrieb eine Landesproduktenhandlung, Ferdinand Selz ein Manufaktur-, Kurz- und Schuhwarengeschäft, Max Wolfsheimer eine Großhandlung in Landesprodukten (er war der zweitgrößte Steuerzahler der Stadt), Jakob Ascher ein Textilgeschäft, ebenso Sara Königsberger mit ihrer Tochter Thekla.
Nach 1933 scheinen hier einige fanatische Nationalsozialisten den Ton angegeben zu haben. 1938 soll einem Weikersheimer Einwohner (nach seiner eigenen Aussage), bei dem eine jüdische Mitbürgerin ihre Habseligkeiten abgestellt hatte, bis sie vollends auswandern konnte, zwei Schilder mit folgender Aufschrift an die Tür gehängt worden sein: „Hier finden heute noch Juden Schutz und Unterkunft, Volksgenossen, zieht hieraus die Schlüsse!" Der Angeprangerte habe die Kosten für die Schilder bezahlen müssen. Einem alten Mann, der der Jüdin behilflich gewesen sei, ihre Sachen mit dem Handwagen wegzubringen, sei vier Wochen die Unterstützung durch das Winterhilfswerk entzogen worden. In der Kristallnacht wurde die Synagoge durch auswärtige SA-Leute beschädigt. 10 jüdische Bürger wanderten zwischen 1933 und 1941 aus, 2 verstarben am Wohnort, die Eheleute Wolf und Ida Emrich (geb. 1855 und 1858) im „Altersheim" Eschenau auf dem Weg in die Deportation. Jakob Ascher und Sigmund Emrich wurden am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert und ermordet. Die Synagoge wurde verkauft. Sie dient heute als Schreinerei.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Beschreibung des Oberamts Mergentheim, 1880.
- Bilder vom Friedhof und vom Innenraum der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 133-135.
- Ders., Die Geschichte der Juden in Weikersheim, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 1, Nr. 2, 15. Mai 1924, S. 19 ff.
- Mayer, Dekan, Zur Geschichte der Juden in Franken, in: Wirtembergisch Franken VI, 1. Jg., 1862, S. 167 f.
- Schweizer, Abraham, Die Gründung eines alten, nun verschwundenen württembergischen Rabbinats, in: Festschrift zum 70. Geburtstage des Oberkirchenrats Dr. Kroner, Stuttgart 1917.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Weikersheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 867.
- Hermann, H., Zur Geschichte der Juden in Weikersheim. Vier Teile, in: Weikersheimer Wochenspiegel September 1987.