Der Fall des Joseph Süß Oppenheimer

Ein Justizskandal in Württemberg im 18. Jahrhundert

von Nicole Bickhoff

»Wahre Abhandlung«. Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738 vor den Toren Stuttgarts. Kupferstich von Lucas Conrad Pfandzelt und Jacob Gottfried Thelot, 1738 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlungen]
»Wahre Abhandlung«. Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738 vor den Toren Stuttgarts. Kupferstich von Lucas Conrad Pfandzelt und Jacob Gottfried Thelot, 1738 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlungen]

Nur wenige Figuren aus der württembergischen Geschichte dürften so bekannt sein wie Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß; und kaum eine andere Person wird so überlagert von den Bildern, welche die Mit- und Nachwelt über sie und die Geschehnisse verbreitete. Um die reale Persönlichkeit zu erfassen und den historischen Kern der Ereignisse freizulegen, muss man auf die überlieferten Akten, die sich zum großen Teil im Hauptstaatsarchiv Stuttgart befinden, zurückgreifen.

Joseph Süß Oppenheimer wurde wohl im Februar oder März 1698 in Heidelberg geboren. Zwischen 1717 und 1735 betätigte er sich von Frankfurt und Mannheim aus als Privatbankier und Großkaufmann und wurde Münzproduzent des Landgrafen von Hessen-Darmstadt. Im Herbst 1732 lernte er in Wildbad den Prinzen Karl Alexander von Württemberg (1684–1737) aus der Seitenlinie Württemberg-Winnental kennen. Dieser hatte in kaiserlichen Diensten gestanden und es bis zum Statthalter in Belgrad gebracht. Bereits im November 1732 ernannte er Oppenheimer zu seinem Hof- und Kriegsfaktor und stellte ihn unter seinen persönlichen Schutz. Als Karl Alexander ein Jahr später auf den württembergischen Thron gelangte, weil sein Vetter Eberhard Ludwig ohne Erben verstarb, bedeutete dies die Wende im Leben Oppenheimers.

Die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Herzog und seinem Hoffaktor wurden nun ausgeweitet. Oppenheimer war jetzt nicht mehr nur für Versorgungs- und Beschaffungsangelegenheiten wie der Ausstattung des Militärs oder Geldgeschäfte zuständig, sondern entwickelte sich mehr und mehr zum engen finanzpolitischen Berater des Herzogs. In dieser Rolle entfaltete er eine erfolgreiche Tätigkeit zur Besserung der herzoglichen Finanzen. Mit dem Titel des Geheimen Finanzienrats ausgestattet, trat Oppenheimer als Pächter der Stuttgarter Münze auf und übernahm weitere Ämter, darunter zwei in der Bevölkerung besonders verhasste: das Gratialamt, das Titel, Ämter und Stellungen gegen eine Abgabe an die herzogliche Schatulle vergab, sowie das Fiskalamt, das aufgrund von Denunziationen angebliche Verbrechen untersuchte und den Beschuldigten ermöglichte, gegen Zahlung einer Geldsumme dem Gerichtsverfahren zu entgehen.

Die Stimmung im Land wurde zunehmend feindseliger. Die Maßnahmen merkantilistischer Wirtschaftsförderung belasteten die Untertanen finanziell und liefen den Privilegien der württembergischen Führungsschicht zuwider. Joseph Süß Oppenheimer personifizierte die unliebsamen Reformen und entwickelte sich zum Sündenbock für die Politik des Herzogs. Dass er Jude war, verstärkte diese Wahrnehmung zusätzlich.

Oppenheimer war sich bewusst, dass ihn, sollte die schützende Hand des Herzogs eines Tages entfallen, die Rache seiner Gegner treffen würde, und bat wiederholt um seine Entlassung.

Als Herzog Karl Alexander in der Nacht vom 12. März 1737 völlig unerwartet im Schloss Ludwigsburg verstarb, reagierte die Führungsschicht sofort: Oppenheimer wurde unter Hausarrest gestellt, dann auf den Hohenneuffen verbracht und schließlich auf dem Hohenasperg inhaftiert. Von Anfang an schien das Ende des Verfahrens, das im Mai 1737 aufgenommen wurde, bereits festzustehen. Rechtswillkür kennzeichnete den Prozess: So wurden Oppenheimers alte Feinde aus der Regierung in das Gericht berufen und fällten das Urteil über ihn. Man gewährte ihm weder den von ihm gewünschten unabhängigen, auswärtigen Rechtsbeistand noch gestand man ihm eine Berufungsmöglichkeit zu. Zudem wurde nicht, wie sonst bei schweren Kriminalfällen üblich, die juristische Fakultät einer Universität um ein Gutachten angegangen. So war das Todesurteil, das am 31. Januar 1738 verkündet und am 4. Februar auf dem Stuttgarter Galgenberg vollstreckt wurde, keine Überraschung. Die Leiche sollte noch sechs Jahre zur Schau gestellt werden, bis die sterblichen Überreste verscharrt wurden.

Der Prozess und die Hinrichtung waren von Anfang an von hoher Publizität begleitet. Insbesondere nach der Hinrichtung kam eine große Zahl von Flugschriften in Umlauf, die, reich illustriert, die Skandalgeschichte des Joseph Süß Oppenheimer erzählten – tendenziös, schadenfroh und hämisch. Sein Schicksal wurde bis heute immer wieder neu beschrieben, literarisch oder filmisch verarbeitet; die zumeist populären Darstellungen beeinflussen noch immer das Bild Oppenheimers und erschweren den objektiven Zugang zum Thema.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in den Archivnachrichten 62 (2021), Seite 20–21 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Nicole Bickhoff, Der Fall des Joseph Süß Oppenheimer, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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