Ludwig Marum (1882-1934)

von Clemens Rehm

 Ludwig Marum, Foto als Abgeordneter des Badischen Landtags [Quelle: GLAK 231, Nr. 2937 (825)]
Ludwig Marum, Foto als Abgeordneter des Badischen Landtags [Quelle: GLAK 231, Nr. 2937 (825)]

Ludwig Marum wird im pfälzischen Frankenthal in eine nicht unbegüterte Handelsfamilie hineingeboren. Der Vater ist Schriftführer im Kriegerverein und stellvertretender Feuerwehrkommandant. Nach dessen frühem Tod zieht die Witwe mit den kleinen Kindern zu Verwandten ins badische Bruchsal. Hier legt Ludwig – gefördert von seinem Onkel – am humanistischen Gymnasium ein gutes Abitur ab und entscheidet sich für ein Jurastudium.

Als Mitglied der jüdischen Verbindung „Badenia“ wehrt er sich 1901 mit einer Ohrfeige gegen judenfeindliche Beleidigungen von Verbindungsstudenten und muss dafür eine 14-tägige Karzerstrafe abbüßen. Seine Widersacher gehen straffrei aus, aber die Verbindung „Badenia“ wird verboten und anschließend zwangsaufgelöst.

Sein Referendariat beendet er 1908 am Oberlandesgericht Karlsruhe, das ihm eine „sehr gute Befähigung im öffentlichen Dienst“ bescheinigt.

Marum startet in Karlsruhe seine berufliche Karriere als Anwalt und gründet eine Kanzlei, die Ende der 20er-Jahre zu den führenden Kanzleien in Karlsruhe zählt.

Noch eine zweite frühe Entscheidung hat das Leben Ludwig Marums geprägt, seine Liebe zu Johanna Benedick. Er hat diese Tochter eines pfälzischen Fabrikanten schon 1904 kennengelernt und – man kann es nicht anders sagen – intensiv um sie geworben. 1910 heiraten sie. Johanna Marum ist gebildet und literarisch interessiert. Drei Kinder werden ihnen geboren: 1910 Elisabeth, 1913 Hans und 1919 Brigitte. Abweichend vom autoritären Zeitgeist erzieht das Ehepaar seine Kinder nach reformpädagogischen Grundsätzen.

Ludwig Marum hat sich da längst von der jüdischen Gemeinde getrennt und bei den Freireligiösen seine spirituelle Heimat gefunden. Im Reichstagshandbuch von 1930 steht später „freireligiös (jüdischer Abstammung).“ Dieser Zusatz in der Klammer wäre nicht nötig gewesen, aber er ist Marum wichtig.

Bei der Planung seiner politischen Karriere zeigt sich das langfristige, strategische Denken Marums. In München kommt er in Kontakt mit der Sozialdemokratie, in die er dann 1904 in Karlsruhe eintritt.

Seine politische Karriere ist steil, 1911 wird er in Karlsruhe Bürgerausschussmitglied („Stadtverordneter“ – das bleibt er bis 1921) und 1914 mit knapp 32 Jahren wird er als einer der jüngsten Abgeordneten in den badischen Landtag gewählt. Schon 1915 erhält er als Mitglied des Haushaltsausschusses großen Einfluss. Zudem übernimmt er den Vorsitz der Kommission für Justiz und Verwaltung. Er bleibt bis 1928 im Karlsruher Landtag und wechselt dann in den Reichstag in Berlin.

In der Karlsruher Stadtverordnetenversammlung gilt Marums Kampf zum Beispiel der Öffnung von Bildungseinrichtungen für Kinder aus Arbeiterfamilien. Ein Thema ist der – vergebliche – Versuch, Lehrmittelfreiheit als ein sichtbares Signal für Chancengleichheit durchzusetzen.

In Baden besteht während des Kaiserreichs auf kommunaler Ebene noch das Drei-Klassen-Wahlrecht, das die Besitzenden bevorzugt. Marum setzt sich im Landtag für Reformen zur Demokratisierung des Landes ein.

Im Reichstag wird die schwierige finanzielle Situation der einfachen Reichsbahnmitarbeiter in ihrem Ruhestand angesprochen. Marum plädiert für höhere Versorgungsleistungen mit den Worten: „Ich hoffe, dass es gelingt, in Verhandlungen mit dem Reichsverkehrsministerium durchzusetzen, dass diese armen Leute endlich einmal ihr Recht bekommen. Es ist eigentlich ein Skandal – anders kann man es nicht sagen – wie diese Rentner behandelt werden.“

Republik ist für Ludwig Marum am Ende des Ersten Weltkriegs kein Wert an sich. Ganz in der Tradition der reformorientierten badischen SPD ist für Marum selbst im Herbst 1918 die Frage „Monarchie oder Republik“ nachrangig: „Für uns Sozialdemokraten handelt es sich darum, dass wir einen Rechtsstaat bekommen – die Frage mit oder ohne Monarchie ist von untergeordneter Bedeutung.“ schrieb Marum noch am 31. Oktober 1918 im Volksfreund.

Diese Haltung schafft parteiübergreifend Vertrauen. Unter dem maßgeblichen Einsatz von Ludwig Marum gelingt nach der Novemberrevolution am 10. November die Bildung einer vorläufigen Volksregierung unter Einschluss aller Parteien von den Nationalliberalen über das katholische Zentrum bis zur USPD. Auf ihrem Kongress Ende November 1918 in Mannheim kann er auch die Rätebewegung trotz deren Kritik in den Weg der Reform einbinden. In Baden erfolgt der Macht- und Systemwechsel 1918, von der Monarchie zur Republik, unblutig. Das ist auch und vor allem Marums Werk.

vorlaeufige Regierung Baden 1918
Die vorläufige badische Regierung (1918/1919) [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK J-Ac B 116, Bild 1, Foto: Oscar Suck]

Ludwig Marum hat 36-jährig sein politisches Meisterstück geschafft. Er ist auf andere zugegangen, hat vermittelt, koordiniert und ausgeglichen. Er wird erster Justizminister der Republik Baden. Er bleibt bis 1929 als Staatsrat in der badischen Regierung und wird damit zu einer Art „grauer Eminenz“ der Regierungskoalition – der sogenannten Weimarer Koalition aus katholischem Zentrum, Sozialdemokraten und Liberalen, die in Baden bis 1933 regelmäßig wiedergewählt wird.

Anlässlich des Mordes an Walther Rathenau, 1922, formuliert Marum: „Nur, wenn wir rücksichtslos und entschlossen dafür sorgen, dass in den Schulen der Geist der neuen Zeit durchdringt, nur dann werden wir dazu kommen können, dass in Zukunft die Republik nicht untergeht, sondern sie bestehen bleibt.“

Am 5. März 1933 hält Marum eine immer wieder von Beifallsstürmen unterbrochene Wahlkampfrede in Freiburg. Adolf Hitler ist da seit fünf Wochen Kanzler. Und Marum ruft: „Der erfolgreiche Kampf um die Freiheit erfordert Geduld und Disziplin. Auch unsere Zeit kommt wieder … Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

Diese Rede, die Marum unter die Alternative „Freie Menschen oder Sklaven?“ gestellt hatte, ist wohl der letzte Tropfen, der für die Nazis das Fass zum Überlaufen bringt.

Fünf Tage nach der Reichstagswahl werden Mitglieder der Arbeiterbewegung in Baden verhaftet, unter Bruch der parlamentarischen Immunität auch Ludwig Marum.

Am 16. Mai 1933 nutzen die Nazis die Überführung von diesen „Schutzhäftlingen“ aus Karlsruhe in das KZ Kislau bei Heidelberg als Schaufahrt durch die Stadt. Ludwig Marum, der ehemalige Staatspräsident Adam Remmele und fünf weitere führende badische Sozialdemokraten werden auf einer offenen Ladefläche eines LKW in entwürdigender Weise dem Geschrei und Gepöbel der – organisierten – Menge ausgesetzt. Man fährt am Landtag vorbei, der an dem Tag „gleichgeschaltet“ eröffnet wird. Ludwig Marum kommt als einziger nicht wieder frei und wird am 29. März 1934 in Kislau ermordet.

Ludwig Marum hat an Rechtsstaat und Republik geglaubt, an seine Immunität als Reichstagsabgeordneter. Eine Möglichkeit zur Flucht ließ er ungenutzt. Seine Tragik ist, dass er Recht und Gesetz noch vertraut, als das in Deutschland schon nicht mehr Grundlage und Richtschnur staatlichen Handels ist. Aber auch da bleibt Marum sich und seinen Werten bis zum Ende treu.

Ludwig Marum hat über die Haftzeit hinausgedacht: „Auch unsere Zeit kommt wieder.“ In seinem letzten Brief an seine Frau Johanna, der wie in einem Brennglas sein Leben, Wirken und Wollen sichtbar macht, schreibt er:

Mein Lebensmut ist ungebrochen! Ich will mit Dir alt werden; ich fühle noch die Kraft zur Arbeit für Dich und die Kinder in mir, und ich hoffe nur, dass man mich arbeiten lässt. – Also Geliebte! Wenn wir auch getrennt sind, im Geiste sind wir vereinigt; ich drücke Deine Hand, ich schaue in deine Augen; ich nehme Deinen Kopf in meine Hände und küsse Dich. … Ich bin und bleibe bis zum Tode Dein Ludwig

Zitierhinweis: Clemens Rehm, Ludwig Marum (1882-1934), in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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