Porträts jüdischer Menschen aus Buchen

von Tilmann Gempp-Friedrich

 

Die Vernichtung des europäischen Judentums durch die Deutschen und ihre Verbündeten während der Zeit des Nationalsozialismus, tötete oder vertrieb nicht nur das deutsche Judentum, sondern löschte auch die Zeugnisse eines fast zwei Jahrtausende alten Zusammenlebens aus. Materielle Güter, wie Synagogen, Mikwen, Privathäuser, Geschäfte und Betriebe wurden zerstört oder arisiert, aber auch Immaterielles wie die Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit wurden durch Schuld und Scham nach der Shoah nur in seltenen Fällen wieder aufgegriffen. Mit der Vertreibung und Vernichtung wurden auch die Habseligkeiten der jüdischen Bevölkerung in Deutschland in alle Winde zerstreut und auch wenn es natürlich viele überlieferte Fotografien gibt, so gibt es nur wenige Sammlungen, die fast die gesamte jüdische Gemeinschaft eines klar umrissenen geografischen Bereichs wie den Altkreis Buchen umfasst. Insofern ist die Sammlung Karl Weiß mit ihren vielen Bildern der jüdischen Menschen, den Außenaufnahmen der Geschäfte, einigen wenigen Grabsteinbildern und den vielen Gruppenfotografien, die das gesellschaftliche Leben in Buchen und Umgebung zeigen, ein wahrer Schatz für die historische Forschung.

Anhand dieser Porträts lassen sich einige wichtige Beobachtungen festhalten. Die Menschen auf den Bildern sind nicht als jüdisch erkennbar, auch die gewählten Requisiten und Kostüme unterscheiden sich nicht von den übrigen Aufnahmen von Karl Weiß. Erst die biografische Forschung macht es möglich, diese Personen als jüdisch zu identifizieren. Für die damaligen Betrachterlnnen sind zwischen den Aufnahmen von jüdischen und nicht-jüdischen Menschen keine Unterschiede zu entdecken, auch die heutigen können keine Unterschiede visuell erfassen und dennoch sind es nach der Shoah andere Bilder, die wir sehen. Ob wir es wollen oder nicht, retrospektiv nehmen wir diese Zuschreibung vor und kategorisieren die Menschen auf den Fotografien. Denn in den allermeisten Fällen sind es nicht einfach nur Erinnerungen, die sich an den Bildern manifestieren, sondern es ist ein Abschied, weder die abgebildeten Menschen noch ihre Nachkommen leben in ihrer damaligen Heimat, dem Altkreis Buchen. Ein solches Bild ist also nicht nur ein Denkanstoß an jemanden, sondern ein Gedenken für jemanden. Insofern schwingt bei all der Alltäglichkeit, die diese Bilder ausstrahlen, auch immer ein Gefühl des Verlustes, der Trauer und des Unbehagens mit.

In der Reflektion können wir nun aber auch einen Schritt weitergehen und uns den zuerst gemachten Umstand, dass die ZeitgenossInnen keinen Unterschied gesehen haben, in Erinnerung rufen. Hier wird deutlich wie das Zusammenleben und gemeinsame Leben funktioniert haben, nämlich in der Hauptsache unterschiedslos. Weder haben sie sich zum Zeitpunkt des Studiobesuches als Opfer gesehen und inszeniert, noch wählte Karl Weiß eine künstlerische Komposition, die eine solche Sichtweise nahelegen würde und auch die Betrachterlnnen damals konnten kaum etwas anders sehen als die Nachbarin, den Geschäftspartner oder den Wanderfreund aus dem Nachbarort. Selbstverständlich wusste man im kleinstädtischen Milieu im Altkreis Buchen, wer jüdisch war, nur spielte das eben keinesfalls in allen Lebensbereichen eine Rolle oder machte die Menschen unterscheidbar. Nicht zu vergessen, dass die meisten Studioporträtaufnahmen privaten Charakter hatten und kaum über den inneren Familienkreis hinausgingen. Erst mit dem Interesse an der Sozial-, Kultur- und Alltagsgeschichte verstärkte sich auch das Interesse an der privaten Fotografie und dieses Feld wird für die Forschung nutzbar gemacht.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus Gempp-Friedrich, Tilmann, Karl Weiß. Die Fotografie im Altkreis Buchen und ihr Nutzen als alltagsgeschichtliche Quelle, in: Wartturm 10 (2020), S. 9-15.

Zum Vergleich ein paar weitere Fotografien aus dem Fotoatelier Weiß:

Zitierhinweis: Tilmann Gempp-Friedrich, Porträts jüdischer Menschen aus Buchen, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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