Judenhass als Mittel der politischen Intrige

Der Prozess gegen Joseph Süß Oppenheimer

Aus der Ausstellung „Beschlagnahmte Briefschaften“ des Hauptstaatsarchivs Stuttgart

 Fragen zur Befragung der Zeugen, 1737 [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 48/14 Bü 66]  
Fragen zur Befragung der Zeugen, 1737 [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 48/14 Bü 66]

Am 12. März 1737 starb der württembergische Herzog Karl Alexander. Unmittelbar danach wurde Joseph Süß Oppenheimer, der Geheime Finanzienrat des Herzogs, unter Hausarrest gestellt, um erst auf dem Hohenneuffen und dann auf dem Hohenasperg inhaftiert zu werden. Eine Inquisitionskommission bereitete einen Kriminalprozess gegen ihn vor, der am 22. Mai 1737 eröffnet wurde. Am 4. Februar 1738 wurde auf dem Stuttgarter Galgenberg das Todesurteil an Joseph Süß Oppenheimer vollstreckt.

Mehr über Joseph Süß Oppenheimers Leben und seine Tätigkeit für den württembergischen Herzog erfahren Sie im Artikel „Der Fall des Joseph Süß Oppenheimer. Ein Justizskandal in Württemberg im 18. Jahrhundert“. In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf dem Vorgehen der politischen Gegner Herzog Karl Alexanders, die den in der Bevölkerung weit verbreiteten Judenhass geschickt nutzten, um ihre machtpolitischen Interessen durchzusetzen. Der Artikel basiert auf der Ausstellung „Beschlagnahmte Briefschaften“ des Hauptstaatsarchivs Stuttgart.

 

 

 

 

 

Warum wurde Joseph Süß Oppenheimer wirklich angeklagt?

 

 Handschriftlicher Entwurf für Schmähgedichte gegen Joseph Süß Oppenheimer aus den Unterlagen württembergischer hoher Regierungsbeamter [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 48/14 Bü 126]  
Handschriftlicher Entwurf für Schmähgedichte gegen Joseph Süß Oppenheimer aus den Unterlagen württembergischer hoher Regierungsbeamter [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 48/14 Bü 126]

„Süß‘ Festnahme am 13. März 1737 war Teil eines gewaltsamen Vorgehens von Amtsträgern und führenden Ständevertretern, welche die letzten Verfügungen des Herzogs zu boykottieren entschlossen waren und die bereits getroffenen Vorkehrungen für eine Übernahme der Regentschaft durch die Herzoginwitwe Maria Augusta von Thurn und Taxis (1706-1756) und Bischof Karl Friedrich von Schönborn (1674-1746) außer Kraft zu setzen antraten. An ihrer Statt wurde ein Regent von der Aufständischen Gnade installiert, ein Angehöriger des protestantischen Zweiges des württembergischen Herrscherhauses.“[1]

Mit dem Prozess gegen Joseph Süß Oppenheimer verfolgten die Gegner des verstorbenen Herzogs das Ziel „die absolutistischen Bestrebungen aus der Regierungszeit Karl Alexanders zu diskreditieren und hingegen umgekehrt die nun zu treffenden Gegenmaßnahmen mit der entsprechenden Legitimation zu versehen.“[2] Die umfangreichen Aktenbestände zum Prozess vermitteln noch heute das detaillierte Bild eines Schauprozesses.

So wurden nach der Verhaftung Joseph Süß Oppenheimers sein Vermögen und sämtliche Unterlagen beschlagnahmt und inventarisiert. Sichergestellt wurde alles, was in seinen Dienst- und Wohnräumen in Stuttgart, Ludwigsburg, Frankfurt und Heidelberg angetroffen wurde.

Eine Inquisitionskommission bereitete die beschlagnahmten Unterlagen systematisch auf, um sie als Beweismaterial gegen Oppenheimer zu verwenden. Die Dokumente wurden in Akteneinheiten zusammengefasst und in Inventaren dazu aufgelistet. Ziel dabei war, Unterlagen zu finden und zusammenzustellen, die zur „Begründung“ des Todesurteils, das von Anfang an feststand, dienen konnten. Entsprechend hoch war die Zahl der Anklagepunkte: Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Aussaugung des Landes, Gründung neuer Ministerien und Ämter, Beraubung der Kassen, Dienstkauf, Ämterhandel, Bestechlichkeit, Errichtung von Pachtunternehmen, Münzverschlechterung und Kränkung der Landesreligion.

Mit der Auswertung des beschlagnahmten Materials waren erklärte Gegner Oppenheimers betraut. So wurde beispielsweise der württembergische Hofrat Dr. Heinrich Ehrenfried Luther mit der Zusammenstellung der Schriftstücke mit finanziellen Forderungen Oppenheimers an die Herzogin beauftragt. Oppenheimer hatte ihn 1733 aus dem Amt des Residenten in Frankfurt verdrängt. Nach der Verhaftung Oppenheimers wurde Luther wieder als württembergischer Resident in Frankfurt bestellt.

Die Protokollbände mit den Aussagen der vereidigten Zeugen im Prozess gegen Oppenheimer sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Die durchnummerierten Aussagen, die verschiedenen „Zeugen“ vorgelegt wurden, waren nicht als ergebnisoffene Fragen formuliert, sondern suggestive Behauptungen, die eine Schuld des Angeklagten voraussetzten. Die erste Frage lautete beispielsweise, ob es wahr sei, „daß der Jud Sus Oppenheimer vor seiner Ankunft in Hochfürstlichem Württembergischen Lande wenig Vermögen und Credit gehabt.“

Landesweiter Aufruf zur Denunziation

 

Wie wichtig es für die Gegner des verstorbenen Herzogs von Beginn an war, mit dem Prozess die öffentliche Meinung in ganz Württemberg zu beeinflussen und so eine Rücknahme der von Karl Alexander durchgeführten Reformen zu legitimieren, bezeugen die Landberichte.

Bald nach der Verhaftung Oppenheimers wurden alle Beamten und Untertanen Württembergs aufgefordert, der Inquisitionskommission alle Beschuldigungen gegen Oppenheimer mitzuteilen. Mit dieser Aufforderung zur Denunziation, die öffentlich verlesen und an den Rathäusern angeschlagen wurde, erhielt die Prozessvorbereitung öffentlichen Charakter, gewann der „Fall Oppenheimer“ breite Publizität. Erhalten sind 607 sogenannte „Landberichte“, in denen zwischen Ende März und Juni 1737 „landesverderbliche Manipulationen des Juden Süß“ angezeigt wurden. Man hat sie dann wiederum in Zeugenbefragungen weiterverfolgt.

Indem sie Süß durch den Prozess zum Sündenbock stilisierten, bemühten sich die Gegner des verstorbenen Herzogs Karl Alexander, ihre persönlichen Motive für den Widerstand gegen dessen Politik zu verschleiern. Tatsächlich wandten sie sich „gegen eine strengere Kontrolle und gegen die Zerstörung traditioneller Patronage-Netzwerke“.[3] Es gelang ihnen, Karl Alexander als schwachen Charakter darzustellen, der sich von Oppenheimer habe lenken lassen.

Den Tatsachen entsprach das nicht: „Karl Alexander war insgesamt ein starker Charakter, hitzig und ungeduldig, der im eigentlichen Sinne des Wortes im kaiserlichen Militärdienst großgeworden war, im zarten Alter von elf Jahren seine Feuertaufe erhalten hatte und bis zum österreichischen Feldmarschall und Gouverneur von Serbien avanciert war, bevor er schließlich Herzog von Württemberg wurde. Wenn Zeitgenossen ihn beschrieben, legten sie besonderes Gewicht auf sein martialisches Wesen: Seine Anordnungen waren Befehle, die unverzüglich und ohne jede Nachfrage oder Widerspruch auszuführen waren.“[4]

Prozess von Rechtsbrüchen geprägt

 

Spottmedaille auf Joseph Süß Oppenheimer  
Spottmedaille auf Joseph Süß Oppenheimer [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Indem sie sich den Judenhass in der öffentlichen Meinung zu Nutze machten, gelang es der Gruppe von Gegnern Karl Alexanders, ungestraft einen Prozess gegen Joseph Süß Oppenheimer durchzuführen, der von Rechtsbrüchen geprägt war:

„Über ihn richteten nicht unabhängige Richter, sondern seine alten Feinde aus der Regierung; man gewährte Süß nicht den von ihm gewünschten und ihm zustehenden auswärtigen unabhängigen Rechtsbeistand; dem von der Kommission bestellten Pflichtverteidiger Michael Andreas Mögling, obschon dieser gar keine Ambitionen hatte, sich für Süß allzu sehr zu verkämpfen, wurde die Arbeit erschwert. Jede Berufungsmöglichkeit wurde Süß genommen (als Jude hätte er sich an das Reichskammergericht in Wetzlar und an den Reichshofrat in Wien wenden dürfen); eine Klage seines Bruders Daniel Süßkind Oppenheimer beim Reichskammergericht auf sofortige Haftentlassung wurde niedergeschlagen, weil die Stuttgarter Regierung vorzeitig davon erfahren hatte und intervenieren konnte; eine juristische Fakultät einer Universität wurde nicht um ein Gutachten angegangen - Aktenversendung an unvoreingenommene Juristen war sonst in Württemberg bei schweren Kriminalfällen üblich gewesen - ; Zeugen wurden manipuliert, und so weiter und so fort.“[5]

Propagandistische Darstellung der letzten Nacht und der Hinrichtung

 

Die Hinrichtung wurde als Spektakel inszeniert und vor einem massenhaften Publikum vollzogen. Zahllose Flugschriften, die ihre Käufer fanden, berichteten darüber. Namhafte Kupferstecher wie Elias Baeck aus Augsburg schufen Illustrationen vom Geschehen. Sie waren zum Teil eigens nach Stuttgart gereist, um ihm beizuwohnen. Als Schmähschriften waren die Flugblätter voller Schadenfreude über den Sturz des „Juden“, dessen Aufstieg und Fall oft auch allegorisch dargestellt wurde.

In den Texten und Bildern wird häufig auf amouröse Beziehungen Oppenheimers zu verschiedenen Frauen abgehoben. Seine Lebensgefährtin Luciana Fischer steht hinter ihm in einem Bildnis, seine „drei Hauptmaitressen“ streiten sich um sein „Erbgut“, seine Geliebten erscheinen ihm als „fatales Traumgesicht“, und am Fuße des Galgens platzierte man ein „Lamentierendes Jud Süssisches Frauenzimmer“.

Bericht des Gefängniswärters

 

Liest man den Bericht des Wärters über Joseph Süß Oppenheimer am Tag und in der Nacht vor seiner Hinrichtung, entsteht ein anderes Bild. Man sieht einen Verzweifelten vor sich, der keine Einflussmöglichkeiten mehr auf sein Schicksal hatte. Nach dem Tod Karl Alexanders war er der Intrige der politischen Gegner des Herzogs schutzlos ausgeliefert.

Joseph Süß Oppenheimer beteuerte, so der Wärter, immer wieder seine Unschuld und „ging in der Stuben auf und ab“.[6] Seine kostbaren Kleidungsstücke schenkte er den Wächtern und Soldaten, die ihn im Gefängnis bewacht hatten. Er selbst kleidete sich in Trauerkleidung und betete bis tief in die Nacht.

Quellen zum Prozess gegen Joseph Süß Oppenheimer

 

Ein Teil der umfangreichen Aktenbestände zum Prozess gegen Joseph Süß Oppenheimer befindet sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, dieser Bestand ist teilweise digitalisiert:

  • Onlineangebot des Landesarchivs

  • Die Sammlung Friedrich Knilli im Hauptstaatsarchiv Stuttgart enthält Material zur Mediengeschichte des Antisemitismus, Unterlagen zur Forschung über Joseph Süß Oppenheimer und die Rezeption des Justizmords an ihm – mit besonderem Schwerpunkt auf der Rezeption des antisemitischen NS-Propagandafilms „Jud Süß“ aus dem Jahr 1940. Das Online-Findbuch zu dieser nicht digitalisierten Sammlung finden Sie hier: Sammlung Friedrich Knilli.

Anmerkungen

[1] Wilson, Peter H., Favorit, S. 155.

[2] Wilson, Peter H., Favorit, S. 155.

[3] Wilson, Peter H., Favorit, S. 175.

[4] Wilson, Peter H., Favorit, S. 159.

[5] Emberger, Gudrun, Joseph Süß Oppenheimer, S. 39 f.

[6] Bericht des Wärters, Hauptstaatsarchiv Stuttgart A48/14, Bü 12.

Literatur

  • Emberger, Gudrun, Joseph Süß Oppenheimer. Vom Günstling zum Sündenbock, in: Politische Gefangene in Südwestdeutschland, hg. von Haus der Geschichte (Stuttgarter Symposion Schriftenreihe 9), Stuttgart 2001, S. 31-52.
  • Wilson, Peter H., Der Favorit als Sündenbock. Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), in: Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, hg. von Michael Kaiser/Andreas Pečar (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 32), Berlin 2004, S. 155-176.

Zitierhinweis: Judenhass als Mittel der politischen Intrige, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 30.03.2023.

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