Deportationen und finaler Raub

Beitrag aus der Ausstellung „Ausgrenzung - Raub – Vernichtung“ des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb e. V.

 Gepäckdurchsuchung im Sammellager auf dem Killesberg vor der Deportation nach Riga [Foto: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1712 Bild 1]  
Gepäckdurchsuchung im Sammellager auf dem Killesberg vor der Deportation nach Riga [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1712 Bild 1]

Der für die Organisation der Deportationen zuständigen Gestapoleitstelle Stuttgart war die sorgfältige Auflistung des Vermögens der Juden besonders wichtig. In ihrem Schreiben vom 18. November 1941 an die Landräte und Polizeidirektoren hieß es: „Um etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, wird das Vermögen der abzuschiebenden Juden in seiner Gesamtheit staatspolizeilich beschlagnahmt. [...] Aufgabe ist es also die Juden rechtzeitig zu sammeln, im Benehmen mit den Finanzbehörden das Vermögen sicherzustellen, die Wohnungen zu versiegeln, evtl. Hausverwaltungen zu bestellen, die einzelnen Personen durchsuchen zu lassen, das Gepäck zu kontrollieren und mit einer entsprechenden Anzahl von Beamten die Juden am 27. bzw. 28.11.41 [...] im Sammellager in Stuttgart einzuliefern.“

Vermögenserfassung

Zur Vorbereitung der Beschlagnahmung musste Mitte November 1941 für jede Person – auch für Kinder – eine gesonderte Vermögenserklärung abgegeben werden. Die Jüdische Kultusvereinigung Württemberg hatte den betroffenen Menschen mitzuteilen, dass sie „zu einem Evakuierungstransport nach dem Osten eingeteilt worden sind“, und ihnen das Formular zur „Vermögenserklärung“ auszuhändigen.

Leibesvisitationen und Wohnungsversiegelungen

In ihren Heimatorten mussten die Menschen Leibesvisitationen über sich ergehen lassen, bevor sie mit der Eisenbahn nach Stuttgart gebracht wurden. Dabei wurden ihnen alle persönlichen Wertgegenstände außer den Eheringen und das gesamte Bargeld abgenommen. Finanzbeamte verglichen die Wohnungseinrichtungen mit den Vermögenslisten und ließen die Wohnungen im Anschluss versiegeln.

Der Oberfinanzpräsident in Stuttgart organisierte und leitete den Raub des Vermögens der jüdischen Bevölkerung. Er war der Ansprechpartner für die NSDAP und stand in direktem Kontakt zu den Reichsbehörden in Berlin. Den ersten Zugriff auf das Raubgut hatten das Oberfinanzpräsidium und der Höhere SS- und Polizeiführer in Stuttgart.

Das Oberfinanzpräsidium bedient sich selbst

Das Oberfinanzpräsidium nutzte seinen Sitz in der Landeshauptstadt und sicherte für die „Reichfinanzverwaltung zum eigenen Dienstgebrauch“ große Teile des Eigentums der deportierten Stuttgarter Jüdinnen und Juden. Der Bedarf des Oberfinanzpräsidiums ging von Kleinmöbeln über Büromaterialien und Schreibmaschinen bis zu wertvollen Teppichen, Ölgemälden und Klavieren.

Die Finanzämter der Landeshauptstadt fordern ihren Anteil

Sofort nach der ersten Deportation im Dezember 1941 meldeten die Stuttgarter Finanzämter ihre Wünsche an beschlagnahmten Möbeln, Teppichen und Bildern beim Oberfinanzpräsidenten an; sie wurden möglichst gut versorgt.

Das Oberfinanzpräsidium als Zentrale der Kommunikation und Entscheidung

Die einzelnen Finanzämter hatten dem Oberfinanzpräsidium zu melden, was an Raubgut angefallen war. Der Oberfinanzpräsident und seine Beamten gaben den Leitungen der Finanzämter generelle Anweisungen und entschieden in Einzelfällen, wer welchen Teil des Raubguts erhalten sollte. Von besonderem Interesse war neben der Befriedigung der Wünsche der Amtsvorsteher die Versorgung der Reichsfinanzschule in Sigmaringen, der Zollschule in Bregenz-Lochau und des Hauptzollamts in Friedrichshafen.

Die einzelnen Finanzämter machten die Arbeit vor Ort: die Verwaltung und Verwertung der Grundstücke und Gebäude, die Sortierung des Hausrats, die Befriedigung der örtlichen NS-Organisationen und schließlich die Versteigerungen von Hausrat und Kleidungsstücken an die Bevölkerung.

Das Finanzamt und die lokalen NS-Organisationen greifen zu

Am Beispiel des Finanzamts Horb, dessen Akten weitgehend erhalten sind, lässt sich der Raubzug besonders gut nachvollziehen: Zunächst konnten der Höhere SS- und Polizeiführer Südwest in Stuttgart und der Oberfinanzpräsident aus dem Raubgut, das dieses Finanzamt beschlagnahmt hatte, die besten Stücke auswählen. Dann bekamen das örtliche Finanzamt und die lokalen NS-Organisationen das Recht auf den Zugriff.

Auswärtige Interessenten wissen vom Raubgut

Aber auch aus dem weiterem Umkreis meldeten sich oftmals Kaufinteressenten für das Hab und Gut der Deportierten direkt beim Finanzamt Horb.

Verwertung der Immobilien am Beispiel von Rexingen

Die größten Vermögenswerte, die an das Deutsche Reich fielen, waren die Grundstücke, Wohnungen und Häuser der deportierten Familien. Man konnte sie vermieten, verkaufen oder für öffentliche Zwecke verwenden.

Literatur

  • Behr, Hartwig, „Kein Reißnagel hätte ich weggenommen“. Der Mergentheimer Finanzbeamte Gottlob Belzer. Ein Exekutor der Ausplünderung, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 455-462.
  • Högerle, Heinz, Die Finanzbehörden als Schaltstellen der finalen Ausraubung bei den Deportationen der jüdischen Bevölkerung 1941/1942, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 439-454.

Zitierhinweis: Staatsarchiv Ludwigsburg/Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb, Deportationen und finaler Raub, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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