Rutenfest in Ravensburg

Von Felix Teuchert

Das Ravensburger Rutenfest [Quelle: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg]

Diese undatierten Filmaufnahmen aus Ravensburg zeigen einen festlichen Umzug mit geschmückten Wagen, Trommelgruppen und Menschen in historischen oder historisierten Kostümen. Auf den ersten Blick scheint es sich also um einen typischen Umzug zu handeln, wie sie in vielen Orten zu besonderen Anlässen abgehalten werden. Wenn man jedoch genau hinsieht, stellt man fest, dass zum großen Teil Kinder und Jugendliche zu sehen sind – es handelt sich hierbei nämlich um das Ravensburger Rutenfest, ein Schülerfest, das alljährlich vor Beginn der Sommerferien gefeiert wird. Das Wort Rutenfest leitet sich von der Redewendung „virgatum gehen“ ab und bezeichnete im Mittelalter eine Art Wandertag, an welchem Lehrer mit ihren Schülern zu Spiel und Spaß auszogen und mit belaubten Ruten zurückkehrten. Über den Sinn dieser Ruten gehen die Deutungen allerdings auseinander: Während die einen darin einen harmlosen Ausdruck der Festfreude sehen, behaupten andere, dass die Schüler die Züchtigungsinstrumente für das anstehende Schuljahr sammeln mussten. Möglicherweise rührt das Rutenfest aber auch aus der im Mittelalter stark rezipierten allegorischen Darstellung der septes artes iberales, der sieben freien Künste her, denn die Allegorie, die die Grammatik verkörperte, war mit einer Rute als Attribut ausgestattet. Welche dieser Varianten der Wahrheit entspricht, lässt sich schwer rekonstruieren, da diese Erklärungen – wie ein Großteil unserer Wahrnehmung des Mittelalters – aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der älteste Beleg für das Rutenfest stammt aus dem Jahr 1645, es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Tradition sehr viel älter ist. Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts erfuhr das Fest eine deutliche Aufwertung.

Höhepunkt des mehrtägigen Rutenfestes ist der große Festumzug, der zum überwiegenden Teil von den Schülergruppen aus Ravensburg bestritten wird. Die älteren Schüler tragen historische oder historisierte Kostüme, die die verschiedenen Zünfte, Berufsgruppen und sozialen Schichten repräsentieren. Viele der Schulklassen finden sich zu Blaskapellen und Trommelgruppen zusammen. Nach dem Umzug finden Wettspiele statt, darunter auch ein Armbrust- und Bogenschießen. Auch das Rutentheater ist fester Bestandteil des Festes. Schauspieler aus allen Schularten bieten dabei Märchenstücke im Konzerthaus. Bis zum Jahr 2013 wurden zudem die besten Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen ausgezeichnet und zum „Oberstfähnrich“ und zur „Oberstkönigin“ ernannt. Seit 2013 geht diese Auszeichnung nicht mehr an die Schulbesten, sondern sozial besonders engagierte Schülerinnen und Schüler. Auch heute stehen die Schülerinnern und Schüler im Mittelpunkt des Festes, auch wenn sich aus dem Schülerfest mittlerweile ein allgemeines Stadtfest entwickelt hat, das von über 5.000 Schülern und 50.000 Zuschauern besucht wird.

Literatur

  • Binder, Helmut/Lutz, Alfred/Glonnegger, Markus, Das Ravensburger Rutenfest in Geschichte und Gegenwart. Biberacher Verlagsdruckerei, Biberach 1997.
  • Schaaf, Karlheinz, Volkskundliche Skizzen, in: Der Landkreis Ravensburg, Aalen 1976, S. 202-218.

 

Zitierhinweis: Felix Teuchert, Rutenfest in Ravensburg, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 09.11.2020

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