Emigration trotz Warnungen

Vielfältig waren die Warnungen vor der Auswanderung und den Zuständen in der Neuen Welt. Unbegründet waren sie keineswegs, da sich viele Auswanderer für die Bezahlung der Überfahrtkosten heillos verschuldeten und die Schulden in jahrelanger Fron tilgen mussten. Der Schulmeister Gottlieb Mittelberger von Enzweihingen, der einige Jahre in Pennsylvanien lebte, berichtete über dieses Elend der Auswanderer in seiner 1756 in Stuttgart erschienenen Reisebeschreibung.

Titelseite der 1756 erschienenen Schrift: Gottlieb Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750. [Quelle: Bibliotheksservice-Zentrum BW]
Titelseite der 1756 erschienenen Schrift: Gottlieb Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750. Sie enthält ausführliche Darstellungen der widrigen Umstände für Auswanderer vor, während und nach der Überfahrt in die Neue Welt. [Quelle:Bibliotheksservice-Zentrum BW]

Gottlieb Mittelberger wurde 1715 in Eberdingen bei Vaihingen an der Enz geboren. Nachdem er seine Stelle als Lehrer verloren hatte, bekam er Gelegenheit eine Orgel zu begleiten, die nach Nordamerika geliefert werden sollte. 1750 reiste er über Rotterdam nach Philadelphia. Seine realistischen Schilderungen handeln von den Schrecken, die schon vor der Überfahrt begannen. Den Reisenden wurde von „holländischen Menschen-Händlern“ das letzte Geld abgepresst. Schon in den Hafenstädten waren sie in elenden Unterkünften zusammengepfercht. Mittelberger schildert ausführlich übelste hygienische Zustände und Krankheiten, die an Bord zu vielen Todesfällen führten. Wer schließlich mittellos oder ohne Bürgen in der neuen Welt ankam, wurde in sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse gesteckt. Gottlieb Mittelberger hatte Glück. Nach der mehrmonatigen Reise bekam er eine neue Anstellung als Lehrer und Organist. Seine Eindrücke vom Leben in Pennsylvania flossen ebenfalls in den Bericht ein. So staunte er über die lockeren religiös-moralischen Sitten. Heimisch wurde er nicht an seinem neuen Aufenthaltsort, denn schon 1754 kehrte er nach Deutschland zurück. 1756 erschien in Stuttgart bei Jenisch sein Reisebericht „Gottlieb Mittelbergers Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750. Und Rückreise nach Deutschland im Jahr 1754. Enthaltend nicht nur eine Beschreibung des Landes nach seinem gegenwärtigen Zustande, sondern auch eine ausführliche Nachricht von dem unglückseligen und betrübten Umständen der meisten Teutschen, die in dieses Land gezogen sind und dahin ziehen.“

Die Schrift: Ruf des armen Jakobs der genug hat an seine verirrte Landsleute, die nach Preussisch-Pohlen auswandern wollen, erschienen in Stuttgart 1803. [Quelle: UB Tübingen urn:nbn:de:bsz:21-dt-19244]
"Ruf des armen Jakobs der genug hat an seine verirrte Landsleute, die nach Preussisch-Pohlen auswandern wollen", erschienen in Stuttgart 1803. [Quelle: UB Tübingen]

Nicht nur ehemalige Auswanderer warnten vor den Verhältnissen, die ihren reisewilligen Schicksalsgenossinnen und –genossen bevorstanden. Die Haltung der Obrigkeit in den Heimatländern war gespalten. Einerseits unterstützten Gemeinden die Abreise armer Einwohner, die den Kassen nicht mehr zur Last fallen sollten. Andererseits bedeutete die Abwanderung gesunder, kräftiger und arbeitssamer Menschen auch einen Verlust, der mit Besorgnis betrachtet wurde. 1803 erschien in Stuttgart die Schrift „Ruf des armen Jakobs der genug hat an seine verirrte Landsleute, die nach Preussisch-Pohlen auswandern wollen". Darin werden die materiellen Verlockungen den Schwierigkeiten und Bedrohungen gegenübergestellt, die eine Auswanderung mit sich bringen kann. Der Text rühmt die Errungenschaften und Vorzüge der Heimat mit einem „Landesherrn, Der seine Bürger schützt“, wo jeder „Wofern er nicht die Arbeit scheut, Sein Brod verdienen kann“ und appelliert an „Die Liebe zu dem Vaterland“.

Über Träume und Albträume der Emigration informiert die Online-Präsentation: Hin und weg - Auswanderungen aus Baden im 19. Jahrhundert. [Quelle: Landesarchiv BW]
Über Träume und Albträume der Emigration informiert die Online-Präsentation: Hin und weg - Auswanderungen aus Baden im 19. Jahrhundert. [Quelle: Landesarchiv BW]

Auswanderung war ein Schicksal, welches im 19. Jahrhundert allein aus Südwestdeutschland über eine Million Menschen teilten. Doch ist das Thema mit vielen Facetten verbunden. Abenteuerlust und das Streben nach Reichtum fielen dabei weniger ins Gewicht als Hunger und die Bedrohung der Existenz sowie politische Unterdrückung und Verfolgung. Neben Mut und Durchhaltewillen brauchte es Glück, um an den neuen Orten bestehen zu können. Und der Weg führte nicht immer nach Nordamerika, sondern auch in den Süden des Kontinents, nach Nord- und Südafrika oder nach Osteuropa. Vielfach waren die Ankömmlinge entsetzt, denn sie standen buchstäblich vor dem Nichts: einem wilden Stück Land, dem der Lebensunterhalt mühsam abgerungen werden musste. Ein weit verbreiteter Spruch lautete: Den ersten der Tod, den zweiten die Not, den Dritten das Brot. Von prekären Arbeitsverhältnissen an anderen Orten war bereits die Rede. Wenig bekannt ist darüber hinaus, dass eine größere Zahl der Auswanderer zurückkehrte. Diese gehörten zu den Glücklicheren. Von anderen verloren sich die Spuren in den Zielländern. Über Träume und Albträume informiert die Online-Präsentation „Hin und weg - Auswanderungen aus Baden im 19. Jahrhundert“.

Zitierhinweis: Emigration trotz Warnungen, in: Auswanderung aus Südwestdeutschland, URL: …, Stand: 20.11.2023.

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