Die Überfahrt

Dieser Beitrag stammt von der Webseite www.auswanderer-bw.de, die 2002 vom Landesarchiv Baden-Württemberg eingerichtet wurde. Die Datenbanksuche und weitere Informationen zur Auswanderung wurden nach LEO-BW überführt.

Auswandererschiff, um 1910. Die Aufnahme könnte in Bremen oder Hamburg entstanden sein. Der Fotograf Karl Weiß bekam möglicherweise den Auftrag von einer Agentur oder einer Auswandererfamilie. Weitere Details konnten bislang nicht in Erfahrung gebracht werden. [Quelle: Bezirksmuseum Buchen, Bildarchiv Karl Weiß 129]
Auswandererschiff, um 1910. Die Aufnahme könnte in Bremen oder Hamburg entstanden sein. Der Fotograf Karl Weiß bekam möglicherweise den Auftrag von einer Agentur oder einer Auswandererfamilie. [Quelle: Bezirksmuseum Buchen, Bildarchiv Karl Weiß 129]

Einen Eindruck über die Verhältnisse an Bord vermittelt ein Bericht Moritz von Fürstenwärthers aus dem Jahr 1818 über die Passagebedingungen und Reiseverhältnisse auf der Fahrt von Holland nach den Vereinigten Staaten:[1]

Es werden dort vor der Abfahrt zwischen den Passagieren und den Entrepreneurs förmliche Kontrakte geschlossen, gegenseitig unterzeichnet, und ausgewechselt. [...] Die Hauptbedingungen sind folgende. Eine erwachsene Person, sie sei männlichen oder weiblichen Geschlechts, zahlt für die Überfahrt oder Fracht 170 holländische Gulden, wenn sie gleich erlegt werden, und 190, wenn sie erst bei Landung bezahlt werden sollen. Kinder unter vier Jahren sind frei. [...] Ferner wird die Art der Verpflegung genau bestimmt. Dies sind die wesentlichen Bestandteile solcher Kontrakte. [...] Der Vorteil bei Schließung dieser Kontrakte ist überhaupt zu sehr auf Seiten der Entrepreneurs [...] Allein, so wie diese Kontrakte sind, werden sie in der Regel nicht gehalten, die Schiffe sind gewöhnlich nicht mit hinlänglichen Provisionen versehen, und diese sind von der schlechtesten Qualität; dabei werden gleich Anfangs ohne alle Not die Portionen verkürzt, und viele von den stipulierten (= ausgemachten) Artikeln gar nicht gereicht. Ärzte, im Fall sich deren an Bord befinden, sind die unwissendsten Menschen, Barbiere und dergleichen, und sind kaum mit den notwendigsten Arzneimitteln versehen. Man trägt nicht genugsame Sorge für Bequemlichkeit und Reinlichkeit. Der Raum ist zu beschränkt. Ursachen, warum die Sterblichkeit auf den Schiffen bisher so außerordentlich groß war.

Dieselbe zeigt sich vorzüglich bei Kindern von einem zarten Alter, welche die Schiffskost nicht vertragen können, und solchen, welche noch von der Muttermilch leben. Man kann annehmen, daß bisher der zehnte Teil von denen, die sich einschifften, unterwegs und noch nach der Landung starben. Im vergangenen Jahr war es vielleicht der sechste Teil. Wechselfieber und Diarrhöen sind die gewöhnlichsten Krankheiten. Die Ursachen, woraus sie entstehen, sind zum Teil unvermeidlich, aber ließen sich doch vermindern, und würden bei besserer Pflege und ärztlicher Hilfe keine so große Sterblichkeit erzeugen, und wenn nicht alles vernachlässigt würde, wovon das Wohl und die Gesundheit der Menschen abhängt, und wenn nicht Kummer und Verzweiflung vielen das Leben raubten. Ein großer Teil stirbt bloß aus Entkräftung und Mangel oder schlechter Beschaffenheit der Lebensmittel. [...] Vieles hängt von der Behandlung ab. Diese ist fast durchgängig schlecht, hart, ja nicht selten unmenschlich und empörend grausam.

Solche und ähnliche Berichte bewogen z.B. die württembergische Regierung, sich intensiver mit dem Massenproblem der Auswanderung und ihren Begleitumständen zu befassen. Seit den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Auswanderung unter staatliche Kontrolle gestellt, Auswanderungsagenten zugelassen und mit der Einrichtung württembergische Konsulate in New York, Philadelphia und Baltimore die Interessenvertretung der württembergischen Auswanderer in ihrer neuen Heimat staatlicherseits wahrgenommen. Dies war dringend nötig, wie diese Bittschrift einer Rückkehrerin illustriert:

Im August mit unseren zwei erst ein und drei Jahre alten Töchterchen nach Nordamerika auswandernd, verloren wir das jüngste durch den Tod schon auf der Reise; ein schmerzlicher Verlust, der sich um so höher steigert, als uns, während unserer Abwesenheit viele Liebe durch den Tod entrissen wurden - mir starb der vielgeliebte Vater und meinem Mann die unvergeßlichste Mutter und Schwester. In Cincinatti, unserem Aufenthalte in Amerika, konnten wir nur vier Jahre verweilen, weil nicht nur Kohlreuer mit Krankheiten viel zu kämpfen hatte, sondern auch die unterthänigst unterzeichnete Bittstellerin von heftigem Brustleiden und insbesondere von einem unbezwinglichen Heimweh gequält keine Ruhe in jenem fernen Weltteil zu finden vermochte.[2]

Anmerkungen

[1]Fürstenwaerther, Moritz von, Der Deutsche in Nord-Amerika, Stuttgart und Tübingen 1818, S. 33-42. Orthographie angeglichen.

[2]Bittschrift einer Rückkehrerin, Landesarchiv, GLAK 234, Nr. 1807.

Zitierhinweis: Die Überfahrt, in: Auswanderung aus Südwestdeutschland, URL: …, Stand: 20.11.2023.

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