Sinner, Robert 

Geburtsdatum/-ort: 10.01.1850;  Grünwinkel
Sterbedatum/-ort: 20.03.1932;  Karlsruhe-Grünwinkel, begraben auf dem Hauptfriedhof
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant und Brauereibesitzer
Kurzbiografie: 1856–1864 La Fontainsche Privatlehranstalt in Karlsruhe
1864–1868 Ausbildung zum Kaufmann im väterlichen Betrieb
1868–1869 Einjährig Freiwilliger im 1. Bad. Leib-Grenadier-Reg. Nr. 109
1970–1971 Teilnahme am deutsch-französischen Krieg, Verwundung am 18. 12. 1870 bei Nuits
1883–1932 Übernahme d. Leitung des Unternehmens, Generaldirektor
1885 XI. 2 Umwandlung des Unternehmens in eine AG
1902 Kommerzienrat
1914 Geheimer Kommerzienrat
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Ritterkreuz II. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen (1895), I Klasse (1899); Königl. Preuß. Roter Adler Orden IV. Klasse (1904); Friedrich-Luisen-Medaille u. Südwestafrika-Denkmünze aus Stahl (Baden) durch Kaiser Wilhelm II. (1906); Dr. h. c. d. TU Karlsruhe (1920)
Verheiratet: 1877 (Karlsruhe) Luise, geb. Stoffleth (1855–1945)
Eltern: Vater: Georg (1823–1883), Fabrikant
Mutter: Sofie, geb. Kist (1822–1894)
Geschwister: 8
Kinder: 3; Robert (1878–1914), Luise (1881–1962) u. Rudolf (1884–1950)
GND-ID: GND/1012363767

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 377-379

Zu Anfang der 1820er Jahre hatte Sinners Großvater Anton (1786–1861), der aus Waldshut stammte und zuletzt als Direktor einer Saline in Hall tätig gewesen war, pachtweise das Hofgut in Grünwinkel übernommen und im gewerblich genutzten Teil eine Farbenfabrik eingerichtet. 1845 übernahm sein Sohn Georg die Leitung des Betriebs, erwarb das Objekt und wandelte es in eine Stärkemittelfabrik sowie eine Brauerei und Presshefefabrik um. Das Familienunternehmen mit etwa 100 Beschäftigten expandierte; bald kamen Presshefefabriken in Durmersheim bei Rastatt und in Augenstein in der Schweiz hinzu. Nach seinem Tod 1883 führten es die Erben zunächst als OHG weiter, bis es 1885 mit 2 Mio. Mark Grundkapital als „Gesellschaft für Brauerei, Spiritus- und Pressehefeproduktion vorm. G. Sinner“ in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.
Sinner, der den Posten des Generaldirektors einnahm, zeichnete sich vor allem durch zielbewusstes und tatkräftiges Handeln und ein hohes Maß an geistiger Beweglichkeit aus. Seine Ziele waren Expansion durch Erschließung neuer Märkte und Autarkie, wo immer möglich. Er reagierte rasch auf die Wandlungen des Marktes und nahm sich schnell verfahrenstechnischen Neuerungen an. So errang er für das Unternehmen eine führende Position in Deutschland.
Zu seinen frühen Erwerbungen gehörte 1888 die Mälzerei und Brennerei Pflug in (Mannheim-)Käfertal, die Sinner zu einer Hefefabrik umbaute. Weitere Anlagen im Deutschen Reich und im Ausland kamen bald dazu: 1898 Presshefefabriken und Spirituosenbrennereien in Stettin und Danzig-Neufahrwasser, 1904 in Luban in Polen, 1906 in Groß Massow. Zur Aktiengesellschaft gehörten ab 1905 auch drei Rittergüter mit 18 000 Morgen Land in Pommern, die Sinner erworben hatte. Dort ließ er vor allem Kartoffeln anbauen. Dies stand im Zusammenhang mit einem neuen großtechnischen Verfahren, mit dessen Hilfe Qualitätshefe aus Kartoffeln hergestellt wurde. Im Sinner-Werk Luban kam dieses Verfahren überhaupt zum ersten Mal zum Einsatz. 1913 entstand eine Presshefe- und Spirituosenfabrik in Sesto San Giovanni bei Mailand, deren Waren bis nach Afrika geliefert wurden. Dazu kamen Betriebe in Duisburg, Lüneburg, in Neuhaldenleben bei Magdeburg und in Ludwigshafen am Rhein sowie Beteiligungen an anderen Unternehmen. Die Sinner AG war größter Anteileigner am „Verband Deutscher Presshefefabrikanten GmbH“. Sinner hatte seinem Unternehmen auch die Branchenführung in Baden gesichert, durch Erwerb der Karlsruher „Brauerei Wilhelm Fels“ 1912, der „Aktienbrauerei Altenburg“ in Sinzheim bei Baden-Baden 1918 sowie die Übernahme der Braurechte der „Mühlburger Brauerei AG“ 1921.
Besonders beachtlich waren die Investitionen im Stammort Grünwinkel. Dort wurde eine Großmühle für Weizen, Gerste und Roggen mit Silo und Lagerhaus, eine Mälzerei, eine Maisschroterei und eine Graupenmühle errichtet; außerdem entstanden eine Flaschenfabrik und eine Druckerei, vor allem zur Gestaltung der verschiedenartigen Verpackungen. Auf dem Gelände der Fabrik in Grünwinkel gab es ein eigenes Steueramt für die Zollabfertigung, das nur für das Unternehmen arbeitete, und auch die Post des Ortes war hier untergebracht. Der örtliche Strombedarf wurde ab 1922 durch ein aus 14 Dampfkesseln bestehendes Elektrizitätswerk gedeckt. Dazu kam eine Reederei in Karlsruhe, über die mit eigenen Schiffen vor allem Rohmaterial herangeschafft wurde. Gleisanschlüsse stellten die Verbindung zum Bahnhof Karlsruhe her.
Das wachsende „Brauereiimperium“ organisierte auch seine eigene Vermarktung. Verkaufsstellen bestanden u. a. in Pforzheim, Mannheim, Stuttgart, Frankfurt, Saarbrücken, München, Leipzig und Berlin, und eine sehr große Zahl eigener Gaststätten steigerte den Absatz bei bestmöglicher Rendite.
Traditionelle Produkte waren neben Bier auch Mineralwasser und Limonaden. Als gegen Ende des 19. Jh.s neue Nahrungsmittelprodukte auf den Markt kamen, reagierte Sinner prompt und produzierte ab 1911 auch Backpulver, Puddingpulver, Stärke, Hafermehl für Kindernahrung, Haferflocken und Suppenwürze. Während des I. Weltkriegs begann schließlich die Produktion von Marmelade und von Petrol, einem Grundstoff für die Herstellung von Glyzerin, das zur Sprengstoffherstellung diente. Dazu kamen die Herstellung von Likören, Schnaps sowie Obst- und Gemüsekonserven.
Mit Beginn des I. Weltkriegs gab das Unternehmen eine im Grundton „vaterländische“ Kriegszeitung für die Belegschaft heraus und informierte vor allem über den Kriegseinsatz von Mitarbeitern. Dort finden sich auch Notizen über Sinners zweiten Sohn Rudolf, der am 27. August 1914 in Frankreich schwer verwundet worden war, und den Tod seines ältesten Sohnes Robert, vor dem Krieg Direktor im Unternehmen, der am 30. September 1914 bei den Kämpfen in Frankreich gefallen war.
Wie die gesamte Wirtschaft musste Sinner nach der Niederlage Deutschlands empfindliche Verluste hinnehmen. Der Betrieb in Italien wurde verstaatlicht, Luban in eine selbständige Aktiengesellschaft umgewandelt, an der Sinner nur noch Teilhaber war. Dennoch blieb die Gesellschaft auf Erfolgskurs. Als Sinner 1920 seinen 70. Geburtstag beging, wies der nun als „Sinner AG“ firmierende Konzern mehr als 15 Einzelunternehmen mit 1400 Mitarbeitern auf und hatte einen Jahresumsatz von 30 Mio. Mark.
Ausdruck seiner Persönlichkeit, gleichermaßen aber durchaus zeittypisch, pflegte der Kaufmann und Unternehmensstratege zeitlebens einen ausgesprochen patriarchischen Führungsstil. Dazu gehörte üblicherweise die Sorge für die Mitarbeiter und Engagement für das Gemeinwohl. Sinner führte eine Betriebskrankenkasse ein, gewährte Unterstützungen und zahlte Pensionen. Eine Fabriksparkasse ermöglichte den Mitarbeitern, ihre Ersparnisse vorteilhaft anzulegen. Diese Einrichtungen mehrten natürlich auch den Vorteil des Unternehmens, wirkten positiv auf die Arbeitsmoral und banden die Mitarbeiter fester an das Unternehmen. In der Gemeinde Grünwinkel betätigte sich Sinner als großzügiger Mäzen, ließ die 1759 errichtete, inzwischen zur Verkehrsbehinderung gewordene Maria-Hilf-Kapelle 1913 am Ortsrand am Ufer der Alb wieder aufbauen und stellte für Turner und Fußballer ein Gelände zum Bau eines Sportplatzes zur Verfügung. 1925 erhielt der Lehrer und Heimatforscher Benedikt Schwarz von Sinner den Auftrag, eine Ortsgeschichte von Grünwinkel zu verfassen, die die Firma Sinner druckte und verlegte.
Bei Sinner, einer Persönlichkeit des deutschen Wirtschaftslebens, blieb formale Anerkennung erwartungsgemäß nicht aus. Er erhielt mehrere badische und preußische Orden. Der Berater der bad. Regierung in Wirtschaftsfragen wurde 1902 zum Kommerzienrat, 1914 schließlich zum Geheimen Kommerzienrat ernannt, was ihm damals auch formal direkten Zugang zum großherzoglichen Hof verschaffte. 1920 verlieh ihm die TH Karlsruhe wegen seiner Verdienste in der Gärungschemie die Ehrendoktorwürde. Sinner war Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und von 1896 bis 1918 Mitglied der Handelskammer Karlsruhe. Er blieb bis zu seinem Lebensende Generaldirektor seines Unternehmens. Sein Sohn Rudolf war sein Stellvertreter und wurde auch sein Nachfolger.
Quellen: GLA Karlsruhe Amtsgericht Karlsruhe, Firmenregister Bd.1 (erster Eintrag zu Sinner 1883); WirtschaftsA B-W, Stuttgart, Bad. Wirtschaftszeitung – Mitteilung d. IHK Karlsruhe u. des Karlsruher Börsenvereins 12. Jg. 1932 Nr. 7, 69; Auskünfte des StadtA Karlsruhe, des Hauptfriedhofs Karlsruhe u. des Friedhofs Grünwinkel über die Familiengräber Sinner des 19. u. 20. Jh.s, 2009, von Liesel Sinner, Gernsbach, vom März 2009, Manfred Fellhauer, Grünwinkel, vom Aug. 2009 u. Gerhard Strack, Karlsruhe, vom Sept. 2009.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Karlsruhe Bestand 8/PBS XIV f., Findbuch 1886, 1897, 1903 u. 8/BA Findbuch 1920 u. 1930.

Literatur: Staatsanzeiger für das Großherzogtum Baden, Jgge. 1895 bis 1914, jew. Rubrik Ordensverleihung; Benedikt Schwarz, Grünwinkel u. seine Umgebung, 1925; Bad. Presse vom 21. u. 22. 3. 1932, Nachruf u. Todesanzeigen Sinners; Heinz Bender, Konzept für eine Firmenchronik, 1980; Patricia Kaluzny, Mit Bier u. Backpulver an die Spitze d. Wirtschaft, in: BNN vom 26. 8. 2009; Manfred Fellhauer (Hg.), Industrie, Handwerk u. Gewerbe, in: Grünwinkel, Gutshof – Gemeinde – Stadtteil, im Auftrag des Bürgervereins Grünwinkel, 2009, 158–167; Gerhard Strack, Das Dorf – Aus d. Ortsgeschichte von Benedikt Schwarz, ebd., 68–85; Peter Forcher, Zur Geschichte d. Firma Sinner, ebd., 168–178.
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