Baden zu Beginn der Weimarer Republik
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Einführung: Baden im Übergang 1918
Die Folgen des Ersten Weltkrieges kamen im Großherzogtum Baden in den letzten Kriegsmonaten 1918 vor allem wirtschaftlich zum Tragen. Der durch die Kriegsjahre bedingte wirtschaftliche Mangel machte sich insbesondere in der Lebensmittelversorgung sowie der Gebrauchsgüterindustrie bemerkbar. Wie überall im Reich kam es auch in Baden seit dem Frühjahr 1917 in der Rüstungsindustrie zu Sozialprotesten von Arbeitern, die für verbesserte Verpflegung, höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten in den Streik gingen. In Mannheim revoltierten im Winter 1918 Arbeiter auf der Straße und forderten lautstark politische Teilhabe. Sie setzten sich energisch für die Auflösung der Ersten Kammer der Badischen Ständeversammlung ein, die sich bis 1918 nach dem Erb- und Amts-, Wahl- und Ernennungsprinzip zusammensetzte und der oppositionellen und gewählten Zweiten Kammer gegenüberstand. Zudem forderten die Arbeiter das Wahlrecht für Frauen. Dennoch setzten sich bis zum August 1918, jenem Jahr, in dem die badische Verfassung ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, weiterhin jene standesherrlichen Kräfte durch, die einer tiefgreifenden Demokratisierung entgegenstanden.
In Preußen galt die Sozialdemokratie seit ihrer Entstehung als politischer Erzfeind der preußischen Könige und damit der deutschen Kaiser; eine Frontstellung, die sich trotz des während der Kriegsjahre geschlossenen ‚Burgfriedens‘ noch verhärtete. Im Gegensatz dazu bestand in Baden ein vergleichsweise gutes Verhältnis zwischen adligen und bürgerlichen Vertretern und den Sozialdemokraten. Dies zeigte sich beispielsweise darin, dass der Landtagsvizepräsident Anton Geiß (1858-1944, SPD), der am 10. November 1918 Vorsitzender der provisorischen Volksregierung wurde, und der Landtagsabgeordnete Friedrich Stockinger (SPD) anlässlich des 100-jährigen Verfassungsjubiläums mit badischen Orden ausgezeichnet wurden. Dieses – im Vergleich zu Preußen – positive Verhältnis zwischen den staatstragenden Parteien sollte in Baden blutige, revolutionäre Ausschreitungen weitestgehend verhindern und einem demokratiefreundlichen Übergangsprozess den Weg bereiten, der parteiübergreifend beschritten werden sollte.
Die Novemberrevolution 1918/19 in Baden
Im Zuge der sich vollziehenden Kriegsniederlage im Oktober 1918, der darauffolgenden Abdankung des Kaisers, der Demokratisierungsforderungen der Ententemächte sowie der Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Prinz Max von Baden, die nur einen Monat währte, wurden in Baden erneut Stimmen laut, die auch eine Demokratisierung Badens forderten. Angesichts dieser Umstände machte Staatsminister Freiherr Heinrich von Bodman bereits am 19. Oktober 1918 das Zugeständnis, im Januar 1919 eine mögliche Verfassungsreform auf die Agenda des Landtags zu setzen.
Wo im Oktober und November 1918 in Berlin blutige Auseinandersetzungen zwischen Militär und der um den Spartakus-Bund gruppierten Kommunisten ausbrachen, verhielten sich die aufständischen Arbeiter in Baden zunächst zurückhaltend. So zeigte etwa eine Versammlung der Arbeiterschaft der Karlsruher Rüstungsindustrie, hier insbesondere der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik (DWM) am 7. November 1918, zur Durchsetzung ihrer revolutionären Forderungen keinerlei Gewaltbereitschaft. Dennoch war im 60 km entfernten badischen Lahr bereits das Militär alarmiert worden, um revolutionäre Forderungen im Keim zu ersticken. Dies verhinderte jedoch nicht, dass dort am 8. November 1918 rote Fahnen gehisst und Forderungen nach der Umwandlung des Großherzogtums in eine demokratische Republik laut wurden.
Zu diesem Zweck hatte Großherzog Friedrich II. (1857-1928, Regierungszeit von 1907-1918) am 9. November eine Versammlung des Landtags angekündigt; ein für den 15. November anberaumtes Vorhaben, dessen Umsetzung jedoch angesichts der Umstände nur schleppend vorankam. Am 10. November wurden die bisher amtierenden Minister entlassen. Noch am selben Tag sprang der revolutionäre Funke auf Karlsruhe über und auch in Mannheim hatten sich am 9. November Arbeiter- und Soldatenräte zusammengeschlossen. Am 10. November rief der Mannheimer Arbeiter- und Soldatenrat die sozialistische Republik Baden aus. Am 12. November unterstützten die in Karlsruhe gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte diese politische Forderung.
Zur Eindämmung der Revolution gründete sich in Karlsruhe auf Initiative des dortigen Oberbürgermeisters Karl Siegrist (1862-1944) ein sogenannter Wohlfahrtsausschuss, der in der Folge in Verhandlungen mit den Soldatenräten eintrat und am 10. November eine provisorische Volksregierung bildete. Während beispielsweise in Berlin die zentralen politischen Revolutionsorgane – der Rat der Volksbeauftragten sowie die dortigen Arbeiter- und Soldatenräte – paritätisch mit Angehörigen der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) und der unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) besetzt waren, setzte sich die badische Regierung darüber hinaus aus Angehörigen der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei (FVP) und der Nationalliberalen Partei (NLP) sowie des konservativen Zentrums (Z) zusammen. Weiter rechts stehende Kräfte blieben ausgeschlossen. Mit fünf Ministern stellten die Sozialdemokraten das Gros der insgesamt elf Minister. Erster badischer Staatspräsident wurde am 1. April 1919 Anton Geiß. Mit Hans Brümmer und Adolf Schwarz bekleideten zwei Angehörige der USPD das Ministerium für militärische Angelegenheiten und soziale Fürsorge. Brümmer unterstand zudem auch der Karlsruher Soldatenrat. Das Zentrum, das bis 1918 die politisch dominierende Partei in Baden gewesen war, übernahm mit dem Finanz- und dem Ernährungsministerium lediglich zwei Ressorts. Das Innenressort bekleidete Dr. Ludwig Haas (FVP bzw. DDP) und das Außenministerium der Nationalliberale Dr. Hermann Dietrich (NLP bzw. DDP).
Da der Großherzog noch immer der Hoffnung war, seine Macht erhalten zu können, konnte er die neue provisorische Volksregierung keinesfalls offiziell anerkennen, der Legitimität ihrer Konstituierung aber im Zuge der revolutionären Umwälzungsprozesse auch nichts entgegensetzen. Da sich Friedrich II. lediglich auf eine Einberufung des Landtages stützen konnte, jedoch keineswegs eine demokratische oder vom Rätesystem geprägte Republik zugestehen wollte, übten die zahlreichen Arbeiter- und Soldatenräte Druck auf den Großherzog aus, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Daher drängten Geiß und der ehemalige Präsident des badischen Staatsministeriums, Heinrich von Bodman, Friedrich II. am 13. November zum Rücktritt. Diese Bemühungen mündeten jedoch lediglich in einer öffentlichen Verzichtserklärung des Großherzogs, weiterhin Anspruch auf die Regierungsgewalt zu erheben, was jedoch keineswegs ein Ende des politischen Machtanspruchs des Großherzogs darstellte. Dieser endete erst mit dem endgültigen Verzicht des Großherzogs auf den Thron am 22. November in Langenstein.
Auf diese Weise verlief der politische Übergangsprozess in Baden vergleichsweise reibungslos. Allein ein Zwischenspiel des putschenden Matrosen Heinrich Klumpp (1871-1940) führte in Karlsruhe zur Flucht der großherzoglichen Familie. Klumpp wiegelte eine Gruppe Soldaten dazu auf, mit Waffengewalt zum Aufenthaltsort des Großherzogs Friedrich II. zu ziehen. Dem Großherzog gelang jedoch die Flucht und Klumpp wusste keinerlei Unterstützung der Regierung für sich in Anspruch zu nehmen.
Hinsichtlich der vergleichsweise ruhigen Revolutionszeit sowie der politischen Beteiligung nahezu aller Parteien am Übergangsprozess drohte der dezidiert bolschewikischen Rätebewegung der Wind aus den Segeln genommen zu werden. Aufgrund der Vielzahl der sich in Baden formierenden Arbeiter- und Soldatenräte, der Bauern-, Bürger- und Schülerräte drohte der kommunistischen Rätebewegung, das Profil verloren zu gehen. Daher versuchte sie, mit einer Umbenennung ihrer Räte in sogenannte Volksräte, eine semantische Grenze zu den zahlreichen Räten zu ziehen, die nicht unbedingt revolutionäre Forderungen erhoben.
Der sich aus dieser Entwicklung abzeichnende Konflikt verdichtete sich am 21. und 22. November 1918 in einer in Mannheim von einer Vielzahl badischer Arbeiter- und Soldatenräte abgehaltenen Landesversammlung. Diese Landesversammlung rief sich zum Vorparlament aus und gründete einen mit einem eigenen Presseorgan ausgestatteten Landesausschuss. Über die Einberufung der provisorischen Regierung in weiteren Städten Badens kam es zur Gründung von Fachausschüssen in den Bereichen Aufklärung und Information, Presse sowie Verpflegung. Da der Landesausschuss eigene Exekutivrechte beanspruchte, kam es in Baden zu einer konkurrierenden Regierungsbildung, im Zuge derer sich die Organe der Rätebewegung sowie der Volksregierung und ihrer angegliederten Behörden im Streit um die Kompetenzen gegenüberstanden.
Entscheidend in dieser Auseinandersetzung war daher, wer die Kontrolle über die sogenannte Volkswehr erlangen würde, die in der 10 km breiten Entmilitarisierungszone in Grenznähe zu Frankreich stationiert war. Organisator der Volkswehr war Hermann Remmele (USPD), der Bruder des 1922/23 sowie 1927/28 amtierenden badischen Staatspräsidenten Adam Remmele (SPD). Aufgrund der konkurrierenden Regierungsbildung ergaben sich langwierige Kompetenzstreitigkeiten. So räumte der dem Karlsruher Arbeiter- und Soldatenrat vorgesetzte und mit dem Ministerium für militärische Angelegenheiten betraute Hans Brümmer (USPD) den Soldatenräten die Zuständigkeit für die Überwachung der Behörden ein. Der badische Finanzminister und spätere Reichskanzler Josef Wirth (Z) dagegen erachtete die Räte lediglich als ausführende Glieder jener Anordnungen, die die Ministerien erließen. Die Vermehrung der nach der politischen Macht greifenden Einrichtungen sorgte zudem für eine extreme Teuerung der Verwaltungskosten. Die provisorische Volksregierung hoffte, die politisch vertrackte Lage durch das Abhalten verfassungsgebender Wahlen zu klären, die sie bereits am 14. November 1918 für den 5. Januar 1919 festgesetzt hatte.
In der Zwischenzeit spitzte sich für den Großherzog die Lage in Zwingenberg zu, wohin er sich aufgrund der prekären Sicherheitslage zurückgezogen hatte. Da sich das nahegelegene Mannheim als potentiell revolutionärer Krisenherd in Baden erwies, erwog die Familie, sich auch aus Zwingenberg zurückzuziehen. Dies geschah nicht zuletzt, weil sie mit Königin Victoria von Schweden einen ausländischen Staatsgast beherbergte und durch ihre Gefährdung keine internationalen Probleme verursachen wollte. Am 22. November siedelten der Großherzog und seine Gefolgschaft in den badischen Süden nach Langenstein über. Hier erfolgte nach weiterem von Heinrich von Bodman ausgeübtem Druck die endgültige Verzichtserklärung auf den Thron durch den Großherzog.
Auf dem Weg zur Republik: Verfassungsverhandlungen
Die Wahl einer verfassunggebenden Landesversammlung im Januar machte es notwendig, binnen zwei Monaten einen abstimmungsfähigen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Eine hierfür von der provisorischen Landesregierung eingesetzte Kommission bestand aus juristisch geschulten Angehörigen der SPD (Dr. Eduard Dietz), des Zentrums (Dr. Johannes Zehnter) sowie der DDP (Dr. Karl Glockner und Dr. Friedrich Weill). Die unterschiedlichen politischen Richtungen suchten einen Kompromiss. Auch während der Verfassungsverhandlungen setzte sich die konkurrierende Regierungsbildung der provisorischen Volksregierung einerseits und der Soldatenräte andererseits fort, deren Vertreter nicht an den Verfassungsverhandlungen beteiligt waren und sich daher übergangen fühlten. Sie reagierten mit eigenen Verfassungskonzepten, die in zwei erheblich unterschiedlichen Versionen der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Innerhalb der Verhandlungen barg insbesondere die schon im Winter 1918 in Mannheim von Revolutionären erhobene Forderung nach Abschaffung der Ersten Kammer als Vertretung der alten Eliten Konfliktpotential. Dietz versuchte als Befürworter eines Einkammersystems vollendete Tatsachen zu schaffen, indem er am 5. Dezember ein entsprechendes Verfassungskonzept an die Presse lancierte. Die Kommission selbst wiederum entschloss sich am Weihnachtsabend zur Veröffentlichung zweier Versionen, die sowohl ein Ein- als auch ein Zweikammersystem beinhalteten. Dietz weigerte sich jedoch, einen solchen Entwurf zu unterzeichnen und auch die provisorische Volksregierung zeigte sich keineswegs willens, diesem zuzustimmen und kritisierte den Erhalt des Zweikammersystems heftig und öffentlichkeitswirksam. Die provisorische Regierung bevorzugte die von Dietz ausgearbeitete und an die Presse lancierte Konzeption, die sie für weitere Verhandlungen als Grundriss verwendete.
Die von der Landesversammlung für den 5. Januar angesetzten Wahlen zur verfassunggebenden badischen Nationalversammlung führten – wie auch die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 im gesamten Reich – in Baden zur Bildung der sogenannten Weimarer Koalition aus Zentrum (39 Sitze), SPD (36 Sitze) und DDP (25 Sitze). Die DNVP, die sich in Baden Christliche Volkspartei nannte, errang sieben Sitze. Die Rätebewegung ging in Form der USPD, die gerade einmal 15.000 Stimmen und damit keinen Sitz im Parlament erhielt, klanglos unter. Ihre Vertreter schieden aus den Ministerien für militärische Angelegenheiten und für soziale Fürsorge aus, wobei letzteres in das Ministerium für Übergangswirtschaft eingegliedert wurde. Mit einer Wahlbeteiligung von 88,1 % machten die Badener, insbesondere die Frauen, aktiv Gebrauch von ihren neu erworbenen demokratischen Teilhaberechten.
Dieses Ergebnis wiederholte sich bei den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung im Deutschen Reich am 19. Januar 1919 insofern, als die Weimarer Koalition auch auf Reichsebene eine klare Mehrheit erhielt (für Baden: 21,53 % DDP, 36,17 % Zentrum, 34,81 % SPD). Während sie jedoch auf Reichsebene bereits in den ersten Reichstagswahlen von 1920 empfindliche Verluste gegenüber den republikfeindlichen Kräften von links und rechts außen hinnehmen musste, regierte die Weimarer Koalition in Baden durchgängig bis 1933.
Mit der Wahl vom 5. Januar war die USPD ins politische Abseits gedrängt worden, was sich bereits während der Verfassungsverhandlungen abgezeichnet und im Rahmen derer das Rätemodell als politisches Ordnungskonzept schon keine Rolle mehr gespielt hatte. Ein kurzer revolutionärer Funke entfachte sich zwar noch einmal in Folge der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) am 21. Februar 1919 in München im Rahmen der Niederschlagung der Räterepublik Bayern. In Mannheim, mit rund 3.500 Parteimitgliedern eine Hochburg der USPD, wurde der Generalstreik ausgerufen und vom KPD-Funktionär Albert Stolzenburg die Räterepublik proklamiert. Allerdings versandete der Generalstreik im mehrheitlichen Unwillen der Bevölkerung, Behörden und Institutionen des öffentlichen Lebens lahm zu legen. So endeten die Demonstrationen nur zwei Tage später. KPD, USPD und SPD einigten sich am 25. Februar 1919 auf den Rücktritt des Arbeiterrats, die letzten Aufrufe zum Generalstreik verhallten ungehört. Dies war ein letzter Abgesang auf eine mögliche Räterepublik in Baden.
Am 15. Januar 1919 tagte der Badische Landtag zum ersten Mal. Es erfolgte die Wahl des Präsidenten Ferdinand Kopf (Z) sowie der Vizepräsidenten Adam Remmele (SPD) und Oskar Muser (DDP). Trotz des Rücktrittsangebots seitens der Regierung Anton Geiß beließ der Landtag diese zunächst im Amt. Zu den zentralen Fragen dieser ersten Sitzung gehörte die Besprechung des von Dietz ausgearbeiteten Verfassungsentwurfes. Eine aus 21 Landtagsmitgliedern gebildete Verfassungskommission, mit Dietz als Vorsitzendem, nahm die weitere Ausarbeitung dieses Entwurfes in Angriff. Weitere 30 Sitzungen sollte es dauern, bis das Konzept am 12. März dem Landtag vorgelegt werden konnte, der es am 25. März verabschiedete und – als einziges seiner Art – zur Volksabstimmung.