Straßenbahnwelt Stuttgart
Alle Schienen führen nach Bad Cannstadt in die Straßenbahnwelt. Dies gilt zumindest, wenn es sich um Meterspurgleise handelt und man in Stuttgart ist. Hier befindet sich im denkmalgeschützten Depot von 1929 das Straßenbahnmuseum der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). Die Sammlung enthält Exemplare vieler Typen seit der Pferdestraßenbahn. Optisch dominieren Fahrzeuge des Typs T2, Zweiachser mit gerundeten Enden und GT4, dem häufigsten in Stuttgart eingesetzten Typ. Daneben finden sich einige Fahrzeuge der END (Straßenbahn Esslingen Nellingen Denkendorf), die sich schon durch ihre andere Farbgebung deutlich unterscheiden.
Der ältere Besucher wird nicht zuletzt durch viele kleinere Ausstellungsstücke, wie alte Fahrkartenautomaten mit Kurbelbetrieb und den dazugehörigen Fahrkarten, eine Umhängekasse des Schaffners, alte Monatskarten etc. an frühere Zeiten erinnert. Für die technikaffinen Besucher werden mehrere Fahrgestelle mit technischen Erläuterungen gezeigt, darunter ein alter Antrieb der Zahnradbahn. Ein GT4-Triebwagen kann von unten besichtigt werden. Eine seiner zahlreichen Neuerungen bestand in der Kraftübertragung per Kardanwelle, die statt der bisher üblichen Tatzlagermotoren nun Verwendung fand. Sie ermöglichte es, den Motor außerhalb des Drehgestells zu platzieren. Die SSB beschaffte insgesamt 350 GT4, die von 1959 bis 2007, also 48 Jahre lang, im Einsatz waren. Sie prägten lange Zeit das Bild der Straßenbahn in Stuttgart.
Äußerlich ähnlich, technisch jedoch einfacher, waren die insgesamt 123 Triebwagen vom Typ T2. Sie wurden Mitte der 1950er Jahre beschafft, um den immer noch akuten Fahrzeugmangel infolge der Kriegsverluste zu beheben. Die Triebwagen wurden oft mit motor- und schaffnerlosen zweiachsigen Beiwagen kombiniert. Später baute die Maschinenfabrik Esslingen einige der Triebwagen zu Doppelgelenktriebwagen DoT4 um. Eines dieser Exemplare war ab den 1980er Jahren als Partywagen unterwegs. Vom T2 gab es Spezialversionen zum Schienenschleifen, für Fahrleitungsmessungen und als Abschleppwagen.
Nicht vergessen darf man die Trümmerbahnen, die in den Nachkriegsjahren in Stuttgart eine wichtige Rolle spielten. Mehrere Millionen Tonnen Trümmer mussten aus der Stadt geräumt werden. Dazu wurden Kipploren auf den Straßenbahngleisen eingesetzt, die von Straßenbahntriebwagen, Feldbahnlokomotiven und der eigens beschafften "Trümmerlok" gezogen wurden. Einige Exemplare der Trümmerlok waren noch bis in die 1990er Jahre vor Gleisbauzügen eingesetzt.
Abgerundet wird das Museum durch eine nachgestellte Betriebswerkstatt, eine Gleisbauszene mit Thermitofen, ein Betriebsleiterbüro und eine Signalschulungsanlage für angehende Stellwerker und Fahrzeugführer. Ein GT4 ist begehbar und mit Videoinstallationen ausgerüstet, die Filme über den Betrieb in früheren Jahrzehnten zeigen. Ein alter Bauwagen dokumentiert mit seiner kargen Inneneinrichtung den harten Arbeitsalltag der Gleisbaumannschaften.
Auf zwei Oldtimerlinien (21 und 23E) kann man die alten Fahrzeuge hautnah im Betrieb erleben. Der Zweiachser vom Typ T2 besticht z.B. durch seinen geringen Fahrkomfort in Kurven und auf Weichen. Aufgrund der Arbeiten für Stuttgart 21 gibt es 2016 leider Einschränkungen im Betrieb. Beide Linien besitzen Zwischenhalte an Haltestellen, die noch mit Tiefbahnsteigen ausgestattet sind, unter anderem sind das Hauptbahnhof, Charlottenplatz, Berliner Platz / Hohe Straße. Man kann also auch hier ein- und aussteigen und Teilstrecken oder die komplette Rundstrecke fahren. Fahrkarten sind beim freundlichen Schaffner im Fahrzeug erhältlich.
Die Straßenbahnwelt ist zu Fuß in wenigen Minuten von den Haltestellen Mercedesstraße oder dem Bahnhof Bad Cannstadt aus zu erreichen und größtenteils barrierefrei gehalten.
Tilo Wütherich