Herzger, Otto Walter 

Geburtsdatum/-ort: 08.12.1901; Leipzig
Sterbedatum/-ort: 24.06.1985;  Gaienhofen
Beruf/Funktion:
  • Maler und Graphiker
Kurzbiografie:

1919 Abitur am Städt. Realgymnasium Leipzig, dort anschließend ein Semester Architekturstudium an der TH

1921–1924 Ausbildung zum Maler und Graphiker am Bauhaus in Weimar bei Johannes Itten (1888–1967), Paul Klee (1879–1940), Oskar Schlemmer (1888–1943) und Wassily Kandinsky (1866–1944)

1924–1926 Freischaffender Künstler in Dresden

1926–1930 Aufenthalte in Paris, Frankfurt am Main und Berlin

1930–1933 Leiter der Graphischen Werkstatt an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle, Bekanntschaft mit der Malerin Gertraud von Harlessem

1933 Entlassung aus dem Lehramt

1933–1939 Aufenthalt in Palinuro bei Neapel, Italien, ab 1938 gemeinsam mit Gertraud von Harlessem, 1936 Studienaufenthalt am Bodensee, 1938/39 Reisen nach Florenz, Rom, Neapel und Ischia

1940–1946 Kriegseinsatz in Italien und Nordafrika als Dolmetscher, Verwundung und Gefangenschaft

1946 nach Entlassung wohnhaft auf der Höri am Bodensee

1952 Zeichenlehrer an der Schlossschule Gaienhofen

1953 Reise in die Provence

1958 Berufung an die Staatl. Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe als Leiter einer Malklasse, 1959 Professor

1963 Hausbau in Gaienhofen

1967 Emeritierung und erneut freischaffend tätig

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrenmitglied des Künstlerbundes Baden-Württemberg und Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg (1975); Kunstpreis des Freundeskreises des Künstlerbundes Baden-Württemberg e. V. (1981).
Verheiratet:

1940 (Bremen) Gertraud, geb. von Harlessem (1908-1989)


Eltern:

Vater: Carl Hermann (1868–1933), Architekt, Stadtamtsbaurat

Mutter: Hedwig Martha, geb. Uhlig (1873–1948)


Geschwister:

Martha Johanna (1906–1991), Rudolf (gest. vor 1940)


Kinder:

Sabine (geb. 1940)

GND-ID: GND/118550233

Biografie: Andreas Gabelmann (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 241-245

Person und Schaffen von Herzger sind eng mit den Brüchen und Verwerfungen der politischen und kulturellen Geschichte des 20. Jahrhunderts verknüpft. Als Schüler von Paul Klee (1879–1940) und Wassily Kandinsky (1866–1944) am Bauhaus in Weimar empfing er in den frühen 1920er Jahren die modernste Künstlerausbildung seiner Zeit und konnte als Leiter der Graphischen Werkstatt an der Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle ab 1930 diese fortschrittlich orientierte Kunstauffassung weiter vermitteln. Nach dem Verlust des Lehramtes wegen Schließung der freien Klassen in Halle 1933 durch die Nationalsozialisten, nach längerem Aufenthalt in Italien, Kriegsdienst in Nordafrika, anschließender Gefangenschaft und dem kriegsbedingten Verlust großer Teile seines Frühwerkes suchte Herzger ab 1946 auf der Höri am Bodensee einen Neuanfang. Er gehörte zur „verschollenen Generation“, deren Entwicklung durch die Zeitläufte wesentlich geprägt und behindert worden war, und die sich nach 1945 mit einer gegenständlichen Bildsprache abseits der international führenden Abstraktion bewegte. Gleichwohl vermochte Herzger gerade in dieser Zeit seinen unverwechselbaren Stil zu entwickeln und behauptet im deutschen Südwesten mit seiner lyrisch-zeichenhaften Ästhetik eine eigenständige Position in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wohl dem Wunsch des Vaters folgend, der Stadtamtsbaumeister in Leipzig war, begann Herzger 1921 zunächst ein Architekturstudium an der dortigen TH, brach jedoch nach einem Semester ab und begann noch im gleichen Jahr eine künstlerische Ausbildung am renommierten Bauhaus in Weimar, wo er den Vorkurs von Johannes Itten besuchte, dann in die Steinbildhauerklasse von Oskar Schlemmer kam, bevor er ab 1923 Schüler in den Malereiklassen von Paul Klee und Wassily Kandinsky wurde. Die hier erlernte Fokussierung auf die Eigengesetzlichkeiten der künstlerischen Ausdrucksmittel verbunden mit einer konstruktiv-geometrischen Abstrahierung und Verdichtung des Gesehenen auf das Elementare bildete die Basis für das gesamte spätere Schaffen. Ebenso empfing Herzger am Bauhaus die handwerklichen Grundlagen für seine weitere, umfangreiche Tätigkeit als Druckgraphiker. Vorliebe für klare, einfache Formen und gedämpfte Farbkontraste prägt den Ausdruck der wenigen erhaltenen frühen Gemälde, Drucke und Zeichnungen.

Nach Beendigung des Studiums in Weimar folgten ab 1924 freischaffende Jahre der eigenen Orientierung, auch des Reisens mit Stationen in Dresden, Paris, Frankfurt am Main, Südfrankreich und Berlin. Aus dieser Periode sind nur wenige Arbeiten, vorwiegend Pastelle im malerisch-skizzenhaften Duktus erhalten. Auf Vermittlung des Bildhauers Gerhard Marcks (1889–1981), den er am Bauhaus in Weimar kennengelernt hatte, wurde Herzger 1930 Meisterschüler des Malers Charles Crodel (1894–1973) an der bedeutenden Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle, wo er sich vorrangig mit dem Medium der Zeichnung und Druckgraphik beschäftigte. In Halle übernahm Herzger die Leitung der druckgraphischen Werkstatt. In dieser Zeit konnte er erste Arbeiten verkaufen und reüssierte 1933 mit seiner ersten Einzelausstellung auf der Burg.

Von den Nationalsozialisten 1933 seines Lehramtes enthoben kehrte Herzger nach kurzem Aufenthalt in Dresden Deutschland den Rücken und verbrachte die kommenden Jahre in Italien. Bis 1939 lebte er im Fischerdorf Palinuro südlich von Neapel, ab 1938 gemeinsam mit der aus Bremen stammenden Malerin Gertraud von Harlessem, die er an der Kunstschule in Halle kennengelernt hatte. Die Anregung für das selbstgewählte Exil in Palinuro empfing Herzger über seinen engen Freund aus der Zeit an der Burg Giebichenstein, den Bildhauer Franz Rudolf Wildenhain (1905–1980), der ihm außerdem Entwurfsaufträge an der dortigen Keramikfabrik vermittelte. Bei Ausbruch des II. Weltkrieges musste Herzger Italien verlassen und kehrte nach Deutschland zurück. 1940 heiratete er. Nach der Geburt der Tochter verweigerte Herzger seiner Frau weitgehend das künstlerische Arbeiten, so daß sie nur noch heimlich malen konnte.

Während des Krieges war Herzger als Dolmetscher in Italien und Nordafrika im Einsatz. Seine Frau flüchtete sich an den Bodensee auf die Höri, wo auch Herzger nach der Kriegsgefangenschaft 1946 eine neue Heimat fand. Unter ärmlichen Verhältnissen lebte das junge Künstlerpaar bis 1963 in einem alten Bauernhaus in Hemmenhofen. „Zu dieser Zeit war die künstlerische Produktion Herzgers bescheiden, dafür sorgten Hunger und Not. Wie die Familie […] in solcher Behausung die feuchtkalten Höri-Winter überhaupt überstehen konnte, grenzt an Wunder“, erinnerte sich der befreundete Kunstmäzen Lovis Gremliza an die entbehrungsreichen Jahre (Gremliza, 1985, S. 50).

Zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie arbeitete Herzgers Frau von 1950 bis 1957 in der Nähmaschinenfabrik im schweizerischen Steckborn. Mit der Berufung Herzgers als Professor an die Karlsruher Akademie 1958 und dem Bezug des neugebauten Hauses oberhalb von Gaienhofen verbesserte sich 1963 die Lebens- und Arbeitssituation. Ab 1946 kam Herzger in Kontakt mit den übrigen Künstlern der Höri; eine besonders enge Freundschaft bestand zu Erich Heckel (1883–1970) und dessen Frau. So vermittelte Heckel 1947 den wichtigen Kontakt zum Schwenninger Arzt und Kunstförderer Franz Georg Ludwig (Lovis) Gremliza (1912–1995), in dessen Druckwerkstatt und Graphik-Edition, der „Lovis-Presse“, Herzger um 1950 viele Arbeiten, vorwiegend Lithographien und Radierungen, anfertigen und ausstellen konnte. Freundschaftliche Verbindungen bestanden auch zu den Höri-Malern Rudolf Stuckert (1912–2002) und Rosemarie Schnorrenberg (geb. 1926), zu Jean Paul Schmitz (1899–1970), Ferdinand Macketanz (1902–1970) und Hans Kindermann (1911–1997). Seit 1948 war Herzger Mitglied des Künstlerverbandes „Neue Gruppe“ in München, ab 1950 Mitglied in der „Sezession Oberschwaben-Bodensee“ und seit 1952 auch in der „Badischen Sezession“.

In den 1950er und 1960er Jahren entfaltete sich Herzgers charakteristische Bildsprache, geprägt von einfachen, bisweilen fast minimalistisch anmutenden Kompositionen mit wenigen Flächenformen und sparsamen Farbkontrasten. Das Motivspektrum zeigt Themen aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld: Kinder beim Spielen, Fische- und Obst-Stillleben, Tiere, Spaziergänger, Landschaft und Bauern der Umgebung am See, Zirkus, kleine Szenen des Alltags sowie Sujets aus Antike, Mythologie und Märchen. Ausgehend von seinem Vorbild Klee ist Herzgers Kunstauffassung bestimmt von einer über die rein sichtbare Wirklichkeit hinausweisenden, poetischen Verfeinerung des Dargestellten, was seinen Bildern immer auch etwas Sinnbildhaftes verleiht. Mit einer geradezu kindlich-naiv wirkenden Formensprache gewinnen die Bildschöpfungen zudem einen heiteren, spielerisch-leichten Ausdruckscharakter.

Herzgers Leben hingegen war während der 1950er Jahre gekennzeichnet von materiellen Entbehrungen und künstlerischen Enttäuschungen. Auch eine kurzzeitige Tätigkeit als Zeichenlehrer an der Schlossschule Gaienhofen 1952 befriedigte ihn nicht. Seine Bilder, die dem Zeitgeist entgegenstanden, fanden kaum Käufer, die Kunstkritik richtete ihr Augenmerk auf die international tonangebende Abstraktion. „Ich bin recht ratlos“ (Brief vom 1.3.1958 an L. Gremliza, zit. nach: Gönner, 2001, S. 27, Anm. 42) konstatierte er 1958 über seine Gemütsverfassung, denn er wollte vorankommen. Die ersehnte Anerkennung versprach die über Heckel vermittelte Berufung als Professor an die Karlsruher Kunstakademie, wo Herzger ab 1958 eine Malklasse leitete. Doch die Jahre bis zur Emeritierung 1967 waren eine eher quälende Zeit; in seiner Rolle als Lehrer fühlte er sich unwohl, und vor allem traf ihn das Kollegen-Urteil des Nicht-mehr-Zeitgemäßen hart. So empfand Herzger das Ende der Akademietätigkeit als Befreiung und konzentrierte sich fortan ganz auf das eigene Schaffen in Gaienhofen.

Interieurs, Stillleben, Tiere, der eigene Garten, Landschaft und Menschen auf der Höri, Eindrücke von Reisen bestimmten weiterhin das Themenfeld seiner Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Lithographien, Holzschnitte und Radierungen. Konzentration auf das Wesentliche sowie Stille und Schlichtheit sprechen aus den sensibel austarierten Bildern. Im Schaffen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre wechselten Phasen leidenschaftlicher Produktivität mit Perioden großer Unlust und Selbstzweifel. „Alle seit 1945 gegangenen Wege [sind] zu Ende gelaufen. Schwache Bilder“ (Gönner, 2001, S. 32) lamentierte Herzger 1967 über sein Werk. Gleichwohl konnte er in dieser Zeit in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen, etwa in Baden-Baden, Karlsruhe, Konstanz, Meersburg, Ravensburg, Singen, Stuttgart, sein Schaffen der kunstinteressierten Öffentlichkeit präsentieren. Einen engagierten Förderer fand er in dem Kunst-Impresario Paul Gönner (1921–2016) aus Hilzingen, der mehrere Monographien und Graphik-Mappen herausbrachte.

Im Verlauf der 1970er Jahre lähmten die zunehmende Krankheit seiner Frau und beginnende eigene Altersbeschwerden mehr und mehr Herzgers künstlerische Vitalität. Immer wieder haderte er, erlebte Schaffenskrisen und zog sich vom Kunstbetrieb zurück. Mit großer Skepsis begegnete er den stilistischen Innovationen seiner jungen Kollegen und stellte diesen seine ganz eigene Bildwelt entgegen: puristisch komponierte Stillleben, spröde Figurenszenen, auf das Einfachste reduzierte Landschaften. Bis ins Spätwerk – 1977 entstanden seine letzten Arbeiten – hinein vertraute Herzger auf die formbildende Kraft der sichtbaren Wirklichkeit, der er mit untrüglichem Gespür für das Wesenhafte der Dinge lyrisch gestimmte Neuinterpretationen entlocken konnte.

Quellen:

Nachlass in Gaienhofen; A Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design, Halle (Saale); Bauhaus-Archiv, Berlin; Archiv Bauhaus-Universität Weimar; PrivatA Sabine Herzger-Verdet, Gaienhofen; Nachlass Paul Gönner, Hilzingen.

Werke: Kunstmuseum Singen; Hesse-Museum, Gaienhofen; Städt. Wessenberg-Galerie, Konstanz; Augustinermuseum Freiburg; Regierungspräsidium Freiburg; Kunstmuseum Stuttgart; Staatsgalerie Stuttgart; Staatl. Kunsthalle Karlsruhe; Staatl. Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe; Städt. Galerie Villingen- Schwenningen, Lovis-Kabinett; Kunstsammlung Bodenseekreis, Friedrichshafen; Graphische Sammlung München; Kunsthalle Bielefeld; Kunsthalle Bremen; Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kultur, Münster.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1940), Porträt Walter Herzger, Archiv Burg Giebichenstein.

Literatur:

AK Walter Herzger, Ölbilder, Aquarelle, Pastelle, Schlosshofgalerie Schrade, 1978; Lotte Paepcke, Lithographien von Walter Herzger, 1978; AK Walter Herzger zur Vollendung des achten Lebensjahrzehntes, Verein der Kunstfreunde Singen e.V., 1981; Günther Wirth, Kunst im deutschen Südwesten von 1945 bis zur Gegenwart, 1982; Lovis Gremliza, Die Lovis-Presse, Schwenninger Drucke 1947–1949, 1985; Paul Gönner (Hg.), Walter Herzger 1901–1985, 1987; Andrea Hofmann, Künstler auf der Höri, 1989; Paul Gönner (Hg.), Walter Herzger, Die anderen Bilder, 1993; Winfried Nerdinger (Hg.), Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, 1993; AK Walter Herzger, Der stille Blick, Kunststiftung Hohenkarpfen, 1997; AK Walter Herzger, Zum 100. Geburtstag, Hallescher Kunstverein e.V., 2001; Paul Gönner (Hg.), Walter Herzger, Lebensstationen eines Einzelgängers, 2001.

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