L'Orange, Prosper 

Geburtsdatum/-ort: 01.02.1876; Beirut
Sterbedatum/-ort: 30.07.1939;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Erfinder, Motorenbauer und Unternehmer
Kurzbiografie: 1896 X–1900 VI Studium des Maschinen-Ingenieurwesens an d. TH Berlin
1900–1901 Wiss. Assistent im Maschinenbaulaboratorium
1904–1908 Versuchsingenieur in d. Gasmotorfabrik Deutz AG, Köln
1908 X–1922 III Oberingenieur bei Benz&Cie., Mannheim
1909 III 14–1911 II 1 Anmeldung d. Erfindung eines kompessorlosen Dieselmotors mit Vorkammer, DRP 230 517 „Verbrennungskraftmaschine für flüssige Brennstoffe“ erteilt an Benz&Cie. 1911
1922 III–1925 XI Generaldirektor d. Motorenwerke Mannheim AG, vormals Benz&Cie. Abteilung Stationärer Motorenbau
1926 VI–1927 VI Gasthörer an d. Univ. Heidelberg, Physik
1927 Erwerb d. Firma REF Apparatebau GmbH, Stuttgart-Feuerbach
1932 Liquidation dieser Firma
1939 I Gründung d. „Motortechnischen Zeitschrift“
1939 Dr.-Ing. E. h. d. TH Karlsruhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1900 Hedwig, geb. Eisendick (1880–1956)
Eltern: Vater: Rudolf Heinrich (1832–1901), Dr. med., Chefarzt des Johanniter Spitals, Beirut
Mutter: Emilie, geb. Radau (geboren 1837)
Kinder: 3;
eine Tochter,
Rudolf (1902–1958),
Harro (1904–1940)
GND-ID: GND/124884288X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 542-545

Über Kindheit und Jugend des großen Erfinders ist sehr wenig bekannt. Viele Archivalien wurden entweder in den Weltkriegen vernichtet oder sind noch verborgen. L’Oranges Vater, ein Ostpreuße, der einer Hugenottenfamilie entstammte, war bei L’Oranges Geburt Chefarzt des Johanniter-Spitals in Beirut, das damals zum Osmanischen Reich gehörte. Dort lebte L’Orange bis 1888, dann kehrte die Familie nach Königsberg zurück. L’Orange besuchte und beendete ein Gymnasium in Königsberg; welche der damals sieben Lehranstalten, ist unbekannt. Es gibt den Hinweis (Anonym, 1940, 81), dass L’Orange auf Wunsch seines Vaters zunächst Landwirtschaft studiert habe. Belegt ist aber nur, dass er im Oktober 1896 an der TH Berlin immatrikuliert wurde und Maschinen-Ingenieurwesen studierte. Die Vorprüfung legte er 1898 oder 1899 ab, die Hauptprüfung im Sommersemester 1900.
Danach war L’Orange etwa eineinhalb Jahre an der TH Berlin Assistent für Dampfkraftmaschinen und Wärmewirtschaft bei Emil Josse (1866–1940), der das 1896 gegründete Laboratorium leitete. In diese Zeit fielen die ersten, im Detail leider nicht überlieferten Erfindungen L’Oranges. Zwischen 1901 und 1904 war er in Danzig, wohin er wahrscheinlich auf Josses Empfehlung gegangen war. Außerdem leistete L’Orange damals den Einjährig-Freiwilligen Militärdienst in Königsberg. Dort meldete er sein erstes Patent für ein Ventil an.
1904 wurde er Versuchsingenieur in der Gasmotorenfabrik Deutz AG in Köln. Diese Tätigkeit hat L’Orange 1934 selbst teilweise beschrieben. Anfang 1908 war er Vorstand der Versuchshalle und „damit beauftragt, einen Rohölmotor zu schaffen, der nicht so teuer […] sei, und für kleinere Abmessungen, also unter 35 PS im Zylinder, geeignet wäre“ (1934, S. 6). Die damaligen Dieselmotoren arbeiteten mit einem Kompressor, der dazu diente, den Treibstoff gegen den großen Kompressionsdruck im Zylinder direkt in den Arbeitsraum zu pressen. L’Orange begriff, dass er den Dieselmotor ohne Kompressor konstruieren müsste. Später schilderte er seinen Ansatz: Bei der motorischen Verbrennung von schweren Ölen ist es notwendig, „flüssigen Brennstoff während sehr kurzer Zeit in der hochverdichteten Luft 1. fein zu zerstäuben, 2. diesen Brennstoffstaub so zu verteilen, dass er mit möglichst allen Teilen der Luft zusammenkommt“ (1939, S. 73). Es handelte sich also darum, „den Kompressor des Dieselmotors durch eine andere Vorrichtung zu ersetzen, die den zur Zerstäubung des Öls notwendigen Gasstrom lieferte“ (1934, S. 16). Die ursprüngliche Idee L’Oranges war, die Brennkammer durch einen Kanal mit dem eigentlichem Arbeitsraum im Zylinder des Motors zu verbinden und in diesen Kanal den Brennstoff einzuspritzen, so dass eine Explosion eines Teils des fein zerstäubten Rohöls den Strahl des Brennstoffs in den Zylinder lenkt, zerstäubt und komplett zur Explosion bringt. Die ersten Versuche schienen aussichtsreich. Die Firma meldete das „Verfahren zum Betrieb von Verbrennungskraft-Maschinen“ als sogenanntes „Nachkammer-Patent“ am 22. Juli 1908 an. Am 31. Oktober 1911 wurde es als DRP 238 832 genehmigt. Die Leitung der Firma Deutz schien allerdings vom Patent nicht sonderlich überzeugt. Als L’Orange ein Angebot aus Mannheim erhielt, ließ sie ihn gehen.
Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert wurden in der Mannheimer Firma Benz&Cie. Automobilproduktion und Motorenbau räumlich getrennt. Erst sollte der Motorenbau verkauft werden, das scheiterte. Nun begann die Suche nach einem tüchtigen Motorenbau-Ingenieur. Die Wahl fiel auf L’Orange Er erhielt weitgehende Vollmachten und behielt auch Rechte an seinen Erfindungen.
Im Herbst 1908 begann L’Orange als Oberingenieur bei Benz und hatte völlig freie Hand, einen Dieselmotor ohne Kompressor weiterzuentwickeln. Er baute einen Versuchsmotor, den er mit verschiedenen Zylinderkopf-Varianten ausrüsten konnte. Der Mangel der vorigen Konstruktion war Unregelmäßigkeit des Betriebs wegen der Explosionen des Brennstoffs in der Nachkammer, die notwendig waren, um einen Rückstrom des Brennstoffs in den Zylinder zu richten. Bei veränderter Belastung kamen Störungen und Ausfälle vor. L’Orange entwickelte stattdessen die Idee einer Vorkammer, mit der er solche Explosionen ausschließen und den Brennstoffstrom in den Zylinder durch allmähliche Verbrennung einleiten und zerstäuben konnte. Im März 1909, noch bevor der erste Versuchsmotor lief, meldete L’Orange die Vorkammer zum Patent an. Das „Vorkammer-Patent“, DRP 230 517, wurde Anfang 1911 erteilt.
Der Motor mit Vorkammer lief ohne Unterbrechung acht Tage lang: ein aussichtsreiches Ergebnis! L’Orange erhielt 1910 die Prokura, 1912 wurde er Vorstandsmitglied bei Benz. Seiner schöpferischen Arbeit war das allerdings nicht zuträglich: „meine Tätigkeit war […] so vollständig in Anspruch genommen, dass die Versuche zur marktfähigen Vollendung des kompressorlosen Dieselmotors zurückgestellt werden mussten“, schrieb er 1934 (ebd. S. 32). Im Sommer 1914 konnte er endlich die Wiederaufnahme der Versuche anordnen, jedoch nicht mehr damit beginnen. Er wurde am 4.August zum Militär einberufen und machte den Vormarsch im Westen mit. Im Herbst 1914 freigestellt war er dann mit Aufträgen der Marine beschäftigt, die die rasche Weiterentwicklung und Herstellung der U-Boot-Dieselmmotoren verlangte: „Wer diesen Kriegsbetrieb mitgemacht hat, weiß, wie er alle Kräfte beanspruchte, besonders bis die kriegsbrauchbaren Typen vollendet waren“ (ebd.).
Erst nach Kriegsende konnte L’Orange zu seinem Dieselmotor mit Vorkammer zurückkehren. Der Anreiz dazu war umso größer, waren doch verschiedene Versionen von Motoren mit Vorkammer inzwischen im Ausland produziert worden. In seinen Vorkriegsversuchen waren sich immer wiederholende Verstopfungen der Düsenbohrungen durch Ölverkokung aufgetreten. Nun fand L’Orange die Ursache dafür: Der Körper, mit dem der Brennstoffstrahl in Berührung kommt, darf weder zu heiß noch zu kalt sein. Ist er zu heiß, verkokt der Brennstoff, ist er zu kalt, kondensiert er. 17 Konstruktionen wurden überprüft, ohne befriedigendes Ergebnis. Die achtzehnte war erfolgreich: ein trichterförmiger Einsatz in der Vorkammer, der temperaturabgestimmt eine sichere Zündung und eine gute Verbrennung unter allen Belastungszuständen ermöglichte. „Erst diese wertvolle Erfindung hat das Vorkammerverfahren lebensfähig gemacht“ (Sass, 1962, S. 613). Das bahnbrechende „Trichter-Patent“ wurde am 18. März 1919 angemeldet, aber wegen verschiedener Einsprüche, sogar einer Beschwerde, erst am 25. April 1924 als DRP 397142 erteilt. Ab Herbst 1920 begann die Firma die neuen Motoren in drei Typen zu produzieren. 1922 teilte sich die Firma: Benz&Cie. spezialisierte sich ganz auf den Automobilbau. Unter dem Namen MWM, „Motoren-Werke Mannheim AG, vormals Benz, Abt. Stationärer Motorenbau“ wurde diese frühere Abteilung nun eigenständiges Unternehmen mit L’Orange als Generaldirektor. Bezüglich der Vorkammerpatente, die jetzt beiden Firmen gehörten, wurde vereinbart, dass die MWM sich auf größere Dieselmotoren konzentrierte, Benz&Cie. auf kleinere. 1923 begann Benz&Cie., Motorpflüge mit L’Oranges Dieselmotor zu produzieren, die MWM baute das „Motorpferd“, einen Zugwagen mit schwererem Dieselmotor. Zur Demonstration schleppte dieser einen 5-Tonnen-Anhänger auf den Königsstuhl bei Heidelberg. Da MWM beim reinen Motorenbau bleiben wollte, gründete L’Orange Interessengemeinschaften zur Einführung der Dieselmaschine in den Lastwagen-, Schiffs- und Lokomotivbau. Partner waren u.a. die Reiherstiegwerft in Hamburg und die Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe.
Die leitende Position war für L’Orange jedoch wieder eine Belastung, die ihm kaum Zeit für seine Entwicklungsarbeit ließ. Darum verließ er trotz heftiger Proteste von Aktionären Ende 1925 die MWM. Zunächst meldete er sich als Gasthörer in der Universität Heidelberg an und besuchte zwei Semester lang die Physik-Vorlesung. Dann erwarb er 1927 in Feuerbach bei Stuttgart zusammen mit dem Mannheimer Bankier Karl Ummen die Firma REF-Apparatebau GmbH. Die ehemalige Kesselfabrik wurde auf die Herstellung von standardisierten Spezialteilen für kompressorlose Dieselmotoren, besonders Einspritzpumpen und Düsen spezialisiert. Als Versuchs- und Patentingenieur nahm L’Orange seinen Sohn Rudolf in die Firma. 1929 begann die Fertigung von Gleichstrom-Einspritzdüsen für Flugmotoren nach neuen Patenten L’Oranges. Eigene Einspritzpumpen wurden entwickelt; die Firma war nach Bosch und Junkers drittgrößter Hersteller solcher Geräte. Seine Konstruktionen fanden großes Interesse, besonders im Ausland, so dass L’Orange auch Lizenzen nach England und Frankreich vergab.
L’Oranges Firma wurde jedoch Opfer der Folgen der Weltwirtschaftskrise. 1932 sah er sich gezwungen, sein Unternehmen zu liquidieren und seine wesentlichen Patente und Neukonstruktionen für Einspritzgeräte an die Robert Bosch AG zu verkaufen. Seine Söhne Rudolf und Harro gründeten jedoch die Firma „Gebrüder L’Orange Motorzubehör, Stuttgart-Feuerbach“ an gleicher Stelle. L’Orange arbeitete als Berater und widmete sich der Weiterentwicklung des raschlaufenden Dieselmotors und verwandten Gebieten, wobei er ein neues Verfahren entwickelte, das auf jede äußere Einspritzvorrichtung bei Dieselmaschinen verzichtet. 1939 gründete L’Orange zusammen mit Heinrich Buschmann (1888–1979) die „Motortechnische Zeitschrift“, die bis in die Gegenwart existiert und das ganze Motorgebiet für seine Konstrukteure erfassen wollte. Hier wurde auch der letzte grundsätzliche Vortrag L’Oranges veröffentlicht. Kurz darauf starb er. Ihm war jedoch vergönnt, „was nur wenigen großen Erfindern zuteil geworden ist, nämlich eine bedeutende Erfindung von den ersten Anfängen bis zur Betriebsreife durchzuführen und das fertige Ergebnis vor der Welt bekanntgeben zu können“ (Anonym, 1940, 82).
Von L’Orange stammen nur wenige Aufsätze, aber „viele Hunderte“ Erfindungen (Anonym, 1956, 61), die nur teilweise patentiert wurden. Von größter Bedeutung waren die Vorkammer und der trichterförmige Einsatz für sie, welche die Massenherstellung von Kompaktdieselmotoren besonders für die Autoindustrie ermöglichten und L’Orange einen herausragenden Platz in der Geschichte der Motorenbautechnik einnehmen lassen.
Quellen: A. d. TU Berlin: Matrikelbuch für 1891–1899, Auskünfte vom 26, 27. u. 30.11.2015; UA Heidelberg: B 8085/1, B. 8085/3; Verzeichnisse d. Gasthörer; Bibliothek des Karlsruher Instituts für Technologie, Sign. IV E 381: Otto Kraemer, Prosper L‘Orange zum Abschied: Grabrede.
Werke: Kompressorlose Dieselmotoren, in: Schiffbau 26, 1925, 397-400; Die Zusammenarbeit von Pumpen u. Düsen bei kompressorlosen Dieselmotoren, in: Zs. des Vereins Dt. Ingenieure 75, 1931, 326-328; Ein Beitrag zur Entwicklung d. kompressorlosen Dieselmotoren, 1934; Geleitwort, in: Motortechnische Zs. 1, 1939, 1f.; Die Entwicklung des raschlaufenden Dieselmotors bis zum Kleinmotor ohne Einspritzpumpe, ebd., 73-79.
Nachweis: Bildnachweise: Motortechnische Zs. 193, 24; Sass 1962, 608; Seydlitz-Kurzbach, 2007, 122 (vgl. Literatur).

Literatur: NDB 15, 1987, 159-161; DBE 6, 2. Aufl. 2006, 549; Die Schriftleitung, Dipl.-Ing- Prosper L‘Orange, Ehrendoktor d. TH Karlsruhe, in: Motortechnische Zs. 1, 1939, 24 (mit Bildnachweis); Anonym, Prosper L‘Orange †, in: Jahrb. d. Schiffbautechnischen Ges. 41, 1940, 81f.; Anonym, Todestag von Dr.-Ing- E. h. Prosper L‘Orange, in: Motortechnische Zs. 10, 1949, 83; Kurt Schnauffer, Das „Motorpferd“: Die erste Zugmaschine mit kompressorlosem MWM-Dieselmotor, ebd. 16, 1955, 149-153; Fünfzig Jahre Knorr-Bremse, 1955, 110-124; Anonym, Zum 80. Geburtstag von Dr.-Ing- E.h. Prosper L‘Orange, in: Motortechnische Zs. 17, 1956, 61; Kurt Schnauffer, Zur Entwicklung d. kompressorlosen Dieselmotoren, ebd. 19, 1958, 71-77; Kurt Schnauffer, 50 Jahre Vorkammer-Dieselmotoren, in: ebd. 20, 1959, 111; 75 Jahre Motorisierung des Verkehrs 1886–1961. Jubiläumsbericht d. Daimler-Benz AG, 1961, 129-135 (mit Bildnachweis, 131); Friedrich Sass, Geschichte des dt. Verbrennungsmotorenbaues von 1860 bis 1918, 1962, 592-597, 606-614 (mit Bildnachweis, 608); B[uschmann], Prosper L‘Orange zum Gedächtnis, in: Motortechnische Zs. 25, 1964, 303; Brita L‘Orange, Das Haus L‘Orange 1908 bis heute, ebd. 34, 1973, 95f.; Alexander von Seydlitz-Kurzbach, Der Kammerherr, in: Mercedes-Benz Classic, 2003, Nr. 1, 34-37 (mit Bildnachweis); Hans-Erhard Lessing, Mannheimer Pioniere, 2007, Der Kapitel Prosper L‘Orange: Urvater des Kompaktdiesels, 121-134 (mit Bildnachweis, 122).
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