Stiefvatter, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 22.03.1890;  Müllheim
Sterbedatum/-ort: 05.10.1914; Jannowitz, Posen
Beruf/Funktion:
  • Flugpionier
Kurzbiografie: bis 1905 Volksschule in Müllheim
1905-1907 Lehre in New York, Fleischwaren- und Delikatessengeschäft Mayer
1907-1908 Cowboy in New Mexico
1908-1909 Zirkusreiter und Jockey bei Dr. Jackson USA
1909 Rückkehr nach Müllheim
1911 Eintritt in Flugschule der Aviatik-Werke in Habsheim bei Mülhausen im Elsaß
1912 Fluglehrer und Einflieger bei der Firma Jeannin in Johannisthal bei Berlin, drei schwere Unfälle
1913 Sep. Fernflugrekord Freiburg – Königsberg, Nov. Chefpilot des Prinzen Friedrich Sigismund von Preußen in Danzig-Langfuhr
1914 23.3. 6 000. Flug, Aug. Kriegsfreiwilliger, bald Beförderung zum Leutnant, Verleihung des Eisernen Kreuzes I. Klasse
1914 5.10. tödlicher Absturz aus 2 400 m Höhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1914 Maria, geb. Woick
Eltern: Vater: Friedrich Stiefvatter, Landwirt, Rechtsagent und Wirt in Müllheim
Mutter: Anna Maria, geb. Kaiser, Müllerstochter aus Müllheim
Geschwister: 3 Schwestern
1 Bruder
Kinder: keine
GND-ID: GND/137655703

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 287-288

1911 ließ sich Stiefvatter in Habsheim bei Mülhausen im Elsaß zum Flieger ausbilden, ganz in der Nähe seiner Markgräfler Heimat. Im Januar 1912 erhielt er das deutsche Flugzeugführerzeugnis Nr. 152. Im Jahr der Nationalflugspende 1913 gehörte er zu den sieben besten deutschen Fliegern, die im Dezember in Anwesenheit von Prinz Heinrich im Berliner Reichstag geehrt wurden. Seine herausragendste Leistung war ein Fernflug Freiburg – Königsberg, mit dem er einen Rekord aufstellte und 4 000 Goldmark gewann. 1912/13 arbeitete er in Johannisthal bei Berlin bei der Firma Jeannin als Fluglehrer und Einflieger. Letzteres war angesichts der damals noch unvollkommenen Technik ein gefährliches Unterfangen. Stiefvatter überstand mehrere schwere Unfälle, einer davon machte eine Nasenplastik erforderlich. Die Aviatikwerke hatten ihn nicht gerne ziehen lassen und warfen ihm Vertragsbruch vor. Im Herbst 1913 bot sich Stiefvatter, der sich „Otti“ nannte, eine Traumstellung: Prinz Friedrich Sigismund von Preußen engagierte ihn als Chefpiloten und Direktor seiner Flugzeugfabrik in Danzig-Langfuhr. Stiefvatter erlebte glückliche Tage, eine angenehme Mischung von Arbeit, Abenteuer und anregender Geselligkeit im Umfeld des kaiserlichen Hauses. Hier lernte er seine spätere Frau kennen, die Schwester eines Offiziers und Fliegerkameraden, die aus einer Danziger Bürgerfamilie stammte. Dreizehn Tage nach der Trauung kam Stiefvatter durch einen Absturz bei Jannowitz in Posen ums Leben. Er war trotz Warnung mit einer Maschine aufgestiegen, die an der Front zu Schaden gekommen war. Unfallursache war ein Tragflächenbruch. Stiefvatter gehörte damals einer Flieger-Ersatzabteilung in Posen an, obwohl er vor dem Krieg ungedienter Zivilist gewesen war. Daß sich die Trennung zwischen Zivil- und Militärflieger nicht scharf ziehen läßt, ist typisch für jene Zeit.
In seinen ganz jungen Jahren zeigte Stiefvatter eine kaum zu bändigende Abenteuerlust. Nach erfüllter Schulpflicht und Konfirmation ging er mit 15 Jahren nach Amerika, wo er als leidenschaftlicher Karl-May-Leser das Land der Indianer suchte. Zunächst wurde er aber im Metzgergeschäft eines ausgewanderten Landsmanns in New York in die Lehre gesteckt. „I brenn dure“, hatte er daheim schon immer gesagt, hier tat er es nach anderthalb Jahren. Er ging als Cowboy nach New Mexico und machte sich nach manchen Enttäuschungen einen Namen als Zirkusreiter, der Familientradition nach in Buffalo Bill's Wild West Show, und als Jockey eines reichen Rennstallbesitzers. 1909 kehrte er zurück, teils aus Heimweh, teils, weil die Eltern es so wollten. Er sollte in Deutschland seinen Militärdienst ableisten, wurde aber zurückgestellt, weil er „Tropenkoller und gelbes Fieber“ aus Amerika mitgebracht hatte. Daheim langweilte er sich bald. Daß er für die väterliche Land- und Gastwirtschaft nicht tauge, wurde schnell klar. Er träumte von Deutsch-Südwestafrika, betätigte sich als Bereiter. Da Müllheim Garnisonstadt war, gab es in der Beziehung viel zu tun. Anläßlich des Zuverlässigkeitsfluges am Oberrhein im Mai 1911 kam er auf die Idee, sich den Fliegern anzuschließen.
Seine ans Tollkühne grenzende Kaltblütigkeit und seine gewandten Reaktionen bei Gefahr kamen ihm hier so zustatten, daß er von Anfang an Überdurchschnittliches leistete. Seinen größten Erfolg mit dem Königsbergflug verdankte er allerdings auch den guten Navigationskenntnissen seines Begleiters Zimmermann. Dieser junge Offizier war sein Flugschüler und Freund. Stiefvatter war wegen seiner sensationellen Biographie sehr populär. Weniger bekannt war sein Bruder Fritz, der im bürgerlichen Beruf Diplomingenieur und im Ersten Weltkrieg Kampfflieger war. Auch dieser kehrte nicht heim. 1916 wurde er bei einem Luftkampf in die Schläfe getroffen. Stiefvatter suchte zeitlebens die Herausforderung durch die Gefahr, was offenbar seiner Natur entsprach. Bei allem Rummel um seine Person blieb er natürlich, familien- und heimatverbunden.
Quellen: Ungedr. Material: FamilienA Stiefvatter bei Dr. Martin Keller, Arlesheim.
Nachweis: Bildnachweise: bei M. Keller, vgl. Lit.

Literatur: Martin Keller, Die Flieger Otto und Fritz Stiefvatter, in: Das Markgräflerland, Heft 2/1989; Fritz Fischer, Aus dem Leben eines deutschen Flugpioniers. Sonderdrucke der Markgräfler Nachrichten/Kandertaler Tageblatt. Müllheim/Baden 1938; Horst Merz, Erinnerungen an die Anfänge der Fliegerei, in: Kurz u. Gut, Heft 6/70, 4. Jg.; Willi Hackenberger, Die Alten Adler. Pioniere d. dt. Luftfahrt, München 1960; Peter Supf, Das Buch d. dt. Fluggeschichte, Berlin 1935.
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