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Die zweite Heimat?

Kindergarten im Flüchtlingslager St. Blasien, 1956 [Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 042275c]
indergarten im Flüchtlingslager St. Blasien, 1956 [Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 042275c]

Angekommen. Angenommen? - Baden-Württemberg ist ein Einwanderungsland, nicht erst seit den Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte aus dem Süden oder den Flüchtlingswellen der letzten Jahre. Rund ein Viertel der Bevölkerung des heutigen Südwestens hat einen familiären Hintergrund mit Vertriebenen, von denen die überwiegende Mehrzahl ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis gegen Ende der 1950er Jahre eintraf. Auch in späteren Jahren riss der Zustrom nicht ab. Sie kamen aus ehemals deutschen Gebieten in Ost- und Südosteuropa oder aus Drittgegenden, die eine vorübergehende Bleibe geboten hatten. In den Zielregionen sorgten die zuständigen Stellen für eine gleichmäßige Verteilung nicht nur auf Städte, sondern auch in ländliche Regionen. Sowohl für die Alteingesessenen, in einer bis dahin eher begrenzten Welt, als auch für die Neuankömmlinge war die Situation fremd. Unterschiede gab es in Sprache und Religion. Meist waren die Flüchtlinge arm, hatten sowohl Angehörige als auch ihren gesamten Besitz verloren und litten unter Traumata. Unter ihnen befanden sich viele Kinder und Jugendliche.

Wie sah es aus für Flüchtlinge in den Nachkriegsjahren in einem kleinen Dorf des Südwestens? Dazu initiierte das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck das Projekt Angekommen. Angenommen? Heimatvertriebene zwischen Hier und Dort, das sich mit persönlichen Geschichten aus der Region auseinandersetzt. Im Mittelpunkt des Projekts standen 30 Personen, die sich nach einem Zeitzeugenaufruf gemeldet hatten. Eine dieser Geschichten handelt von „Hedda“, wie sie zunächst hieß, einer jungen Mutter, die 1947 in der Armenwohnung des Farrenstalls im heutigen Rosenfelder Teilort Brittheim untergebracht wurde. Ihr vollständiger Name war Heta Zackschewski. Sie stammte aus dem ostpreußischen Kanitz und hatte zwei Jahre im Flüchtlingslager Aalborg gelebt. Als sie nach Brittheim kam, war sie 23 Jahre alt. Der Vater ihres ersten Sohnes wurde das Opfer von Minen, für deren Räumung er als Soldat in Dänemark eingesetzt war. In Brittheim kam noch ein Sohn zur Welt. Dass sich Heta weigerte, diesen zweiten Kindsvater zu heiraten, sagt viel über ihren Kampfgeist aus. Als mittellose ledige Mutter blieb Heta am Rand der Gesellschaft und verdiente ihr Geld durch Putzen in einem Rosenfelder Betrieb. Mehrfach beschwerte sie sich über die Armenwohnung mit ihren feuchten Wänden, ohne fließendes Wasser und das Fehlen selbst der nötigsten Dinge. 1951 zog die kleine Familie in eine Barackensiedlung für Flüchtlinge. 1961 konnten sie durch Vermittlung eines Kunden des Arbeitgebers von Heta in die USA auswandern. Zumindest wirtschaftlich scheint es ihnen dort besser gegangen zu sein. Heta starb 1979 in Boston. Während der Recherchen für das Projekt wurden weitere Details aus der tragischen Geschichte der Familie bekannt. Heta hatte ihre gesamte Familie, Eltern und zahlreiche Geschwister, auf der Flucht verloren. Ihr war es nicht gelungen, in Brittheim anzukommen. Andere, vor allem Jüngere fanden nach dem Krieg tatsächlich eine neue Heimat. Doch oft blieb ein Vorbehalt, ein Anderssein und die Erinnerung an Erlebnisse, für die sich die Einheimischen nicht interessierten.

Die Ergebnisse aus dem Projekt bildeten die Grundlage für eine 2017 im Farrenstall des Freilichtmuseums Neuhausen eröffnete Ausstellung der Reihe anders. anders? Ausgrenzung und Integration auf dem Land der sieben Freilichtmuseen in Baden-Württemberg. Die Begleitpublikation zur Reihe steht online als PDF zur Verfügung. 

Weitere Informationen zum Thema gibt es unter Wissenswertes > Soziale Entwicklungen nach 1800 auf LEO-BW 

Nach der Winterpause werden die Freilichtmuseen im Lauf dieses Monats voraussichtlich wieder für Besucher öffnen. Einen Überblick zu Angeboten und Schwerpunkten finden Sie unter 7 im Süden

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