Die geistlichen Territorien

Ähnliche Vielfalt wie die weltlichen weisen die geistlichen Territorien Südwest­deutschlands auf. Zum großen Teil reichen sie zeitlich in noch tiefere Schichten zurück und haben dadurch oft auch eine bewegtere Geschichte. Ihre Verteilung im Raum ist vor allen Dingen durch die Tatsache bestimmt, daß außer Würzburg sämtliche Bischofssitze links des Rheines und bis auf Konstanz damit außerhalb des Landes lagen.

So wurde das heutige Bundesland bestenfalls teilweise durch das von den Bischofsmetropolen ausgehende Streben nach Territorialherrschaft erfasst. Da aber mit Ausnahme von Mainz und Würzburg die Bischofsstädte selbst im Lauf des Spätmittelalters ihren Stadtherrn abschütteln konnten, haben sich die Bischofsresidenzen ins Territorium, großenteils in die rechtsrheinischen Teile ver­lagert. Die Herrschaftsbildung der Hochstifte stützte sich allenthalben auf früh erworbenen Grundbesitz, auf Forsthoheit, Marktprivilegien und inkorporierte Klöster. In den herzogsfreien Bereichen kamen seit der Ottonenzeit Grafschafts­rechte hinzu. Die Oberhoheit über die Grafschaften in Ostfranken ließ den Bischof von Würzburg im 12. Jh. zum Herzog aufsteigen, ohne dass er eine ganze Reihe von Grafengeschlechtern verdrängen konnte. Sein Herzogtum hatte aber große Bedeutung für die ostfränkischen Zenten (= Hochgerichte, verbunden mit der Wehrhoheit), deren Sprengel sich mit den Bistumsgrenzen zwischen Mainz und Würzburg deckten. Sie haben im Aufbau der Landesherrschaft eine große Rolle gespielt, wenn auch ihre Bedeutung in der Neuzeit zurücktrat und Zenthoheit keineswegs mit Landeshoheit gleichzusetzen ist.

Außer den Bistümern waren die großen Reichsklöster die ersten An­wärter auf eine geistliche Territorialherrschaft. Innerhalb des Landes konnte aber nur Ellwangen eine solche vollenden. Die Herrschaft der übrigen alten Abteien, vor allem von Lorsch und der Reichenau, wurde von ihren Vögten ausgehöhlt. Dagegen gelang es einer ganzen Reihe kleinerer und jüngerer Klöster, vornehmlich der Zeit der Kirchenreform sowie des Prämonstratenser- und Zister­zienserordens, ein eigenes Territorium auszubilden und zu behaupten. Dies be­ruhte z. T. auf der besonderen Freiheit der Zisterzienser- und Prämonstratenser-klöster gegenüber ihren Schirmherrn, mehr noch auf dem Ende der Staufer und der besonderen Herrschaftsverdünnung im oberschwäbischen Raum, wo sich die Konkurrenten um die Territorialmacht gegenseitig lähmten. Insgesamt entstanden so nur geistliche Zwergstaaten.

Mit den Ritterorden kam vom 13. Jh. an ein neues Element hinzu. Durch eine ausgebildete Zentralverwaltung waren die Johanniter wie der Deutsche Orden in der Lage, weit gestreute, auf Einzelschen­kungen beruhende Erwerbungen festzuhalten und in Territorium zu überführen. Der Reichtum Südwestdeutschlands an freiadeligen und ministerialischen Ge­schlechtern, die in beide Orden eintraten, bewirkte, dass sich hier ein Besitz­schwerpunkt herausbildete und schließlich die jeweiligen deutschen Ordensleitungen innerhalb des heutigen Bundeslandes ihren Sitz nahmen.

Übrige geistliche Territorien

Die Bildung geistlicher Zwergstaaten aus den Besitzungen einzelner Klöster war, wie schon gesagt, von der Ordensverfassung und dem Fehlen einer beherrschenden Macht im engeren Raum abhängig. So be­herbergt das herrschaftlich gänzlich zerfaserte Oberschwaben die meisten dieser Gebilde. Die stets individuelle Entwicklung hatte doch auch Gemeinsamkeiten. Die in diesem Raum liegenden Klöster waren, ob älteren Ursprungs oder Grün­dungen von welfischen und staufischen Ministerialen, meist nach dem Erlöschen der Staufer unter verschiedene adlige Vögte gekommen, aber seit Rudolf von Habs­burg in einer Verbindung zur schwäbischen Landvogtei geblieben. Die Rechte der Landvögte und sonstigen Schirmherren gegenüber den Klöstern waren nie ganz geklärt. So wurde das Niedergericht vielfach von den Klöstern selbst wahrge­nommen, die Steuerrechte und militärisches Aufgebot, oft auch über einzelne Untertanen, waren in unterschiedlicher Weise mit der Landvogtei geteilt.

Dieser, im Falle von Salem der Landgrafschaft Heiligenberg, stand aber die Blutgerichts­barkeit zu. Gestützt auf die Privilegien über freie Vogtswahl beziehungsweise bloßen Schirm statt voller Vogtei, z. T. auch durch Kauf, konnten die Klöster ihre Vögte abschütteln, einzelne von ihnen (Ochsenhausen und Schussenried) begaben sich anschließend ins Bürgerrecht einer Reichsstadt. Im ausgehenden 15. Jh. waren die größeren Klöster Mitglieder des Schwäbischen Bundes und erscheinen auch in der Reichsmatrikel, ohne dass damit ihre Unabhängigkeit schon gesichert gewesen wäre. Denn gerade damals, als die Habsburger die Landvogtei in Oberschwaben endgültig an sich zogen, versuchten sie auch, die in ihrem Umkreis gelegenen Klöster einem geschlossenen österreichisch-schwäbischen Territorium einzuverleiben. Während der Reformation machten die Reichsstädte aufgrund der Aufnahme in ihr Bürgerrecht Anstalten, die Reformation in Ochsenhausen und in Schussenried durchzuführen, mussten das aber nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg aufgeben.

Nun kam erst recht der österreichische Schirm zur Anwendung. Doch hat es jetzt schon vielfach territoriale Bereinigungen und den Verzicht Österreichs auf Steuerrechte gegeben. Das unter württembergischer Vogtei stehende Zwiefalten verstand es im Gegensatz zu allen anderen württembergischen Klöstern, sich der Eingliederung ins Territorium zu entziehen und eine Reformation, gestützt auf Österreich, zu umgehen. Erst 1749 wurde der Streit um die Vogtei durch Geld­ablösung beigelegt. Die weitgehende Verweltlichung der Konvente wurde durch die im späten 16. Jh. vor allem unter dem Einfluss des Jesuitenordens und seiner Universität Dillingen einsetzende katholische Reform überwunden. Mit der Wie­derherstellung eines monastischen Lebens ging die wirtschaftliche Gesundung ein­her. Der finanzielle Wiederaufstieg wurde durch den Dreißigjährigen Krieg, der diese Klöster 1632/33 alle auf kurze Zeit als Kriegsbeute an deutsche Adlige in schwedischen Diensten und unter schwedischer Oberhoheit fallen ließ, nur wenig unterbrochen. An seinem Ende waren fast alle großen Abteien in der Lage, ihre Dörfer meist in der Form von Pfandschaften von der Oberherrschaft und Blut-gerichtsbarkeit der damals in finanzieller Bedrängnis stehenden Habsburger frei­zukaufen, meist wurde das erst im 18. Jh. durch Verzicht auf das Rücklösungsrecht endgültig. Schon im späten 17. Jh. äußerte sich die neu gewonnene wirtschaftliche und geistliche Kraft in bedeutenden Bauten. Die höchste künstlerische und kultu­relle Entfaltung brachte das 18. Jh., wo kaum eines dieser Klöster ohne eine neue Kirche blieb. Die Klosterterritorien waren im ganzen sehr bescheiden und erreich­ten Einwohnerzahlen zwischen 3.000 und 15.000.

Die wichtigsten Klostergebiete waren die der Zisterzienserabtei Salem nördlich des Bodensees, schon 1487 von der Landgrafschaft Heiligenberg freigekommen, die der Benediktinerabteien Ochsen­hausen, westlich der Iiier, und Weingarten, z. T. im Schussental, z. T. aber auch in Vorarlberg, und Zwiefalten, am Ostrand der Alb. Noch beachtenswert waren die Territorien der Prämonstratenserabteien Roth, Schussenried, Weißenau, Ober­marchthal und der Benediktinerabtei Neresheim. Kleine Komplexe bildete der Besitz der Zisterzienserinnenabteien Heggbach, Baindt, Gutenzell und Rotten­münster, letzteres bei Rottweil. Ähnlich geringes Ausmaß hatten die Herrschafts­gebiete der Klarissen von Söflingen und der Benediktinerabteien von Isny und von Gengenbach sowie des Bischofsklosters Petershausen. Alle diese Klöster waren im schwäbischen Prälatenkollegium zusammengeschlossen, das seine gemeinsame Ver­tretung beim Reichstag unter dem wechselnden Direktorium der großen Klöster aufstellte und das auf dem schwäbischen Kreistag mit allen Mitgliedern in Erschei­nung trat. Die Fürstäbtissin von Buchau hatte, wohl aus Rangstreitigkeiten, sich dem rheinischen Prälatenkollegium angeschlossen.

Nicht alle Klosterterritorien besaßen Reichsstandschaft. Vielfach wurden auch andere in den großen Ländern der Fürsten aufgegangene Klöster zunächst in der Reichsmatrikel geführt und erst allmählich aus ihr gelöscht. Manche dieser Mediat-klöster waren reicher und angesehener als die kleinen reichsunmittelbaren Prälaten. Uber die Reformation hinaus hatten unter ihnen nur die österreichischen Klöster Bestand, allen voran die Abtei St. Blasien. Auch als vorderösterreichischer Land­stand war sie in der Lage, sich im 17. Jh. ein reichsunmittelbares Territorium zu erwerben und dafür Reichsstandschaft zu erlangen. 1613 kaufte der Abt die zur Landgrafschaft Stühlingen gehörige Herrschaft Bonndorf und vergrößerte sie 1699 zu einer Grafschaft. Für sie wurde der Prälat von St. Blasien 1746 zum Fürstabt erhoben und war folgerichtig Glied des schwäbischen Reichsgrafenkollegiums.

Kleinere Klöster wie Beuron und Schöntal waren zwar reichsunmittelbar, aber ohne Reichsstandschaft, z. T. aus der Rivalität verschiedener Schirmherren und z. T. aus Scheu vor den Kosten einer Vertretung auf den Reichstagen.

(Quelle: Bearbeitete Fassung aus dem Abschnitt Landesgeschichte, in: Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Band I, Stuttgart, 2. Aufl. 1977)

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